Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Drittes Kapitel. §. 125. ten zwischen den einzelnen von ihm berichteten Verleug-nungen meistens grössere oder kleinere Zwischenzeiten be- merklich macht, allemal gerade die von verschiedenen Evan- gelisten erzählten, also eine von Matthäus berichtete mit einer von Markus u. s. f., in Einem Zuge geschehen sein: was eine durchaus willkührliche Voraussetzung ist. Daher hat man sich neuerlich lieber darauf berufen, dass das tris im Munde Jesu nur eine runde Zahl für ein wiederholtes Verleugnen gewesen sei, und dass Petrus, einmal in die Verlegenheit vermeintlicher Nothlügen versunken, seine Be- theurungen eher gegen 6--7, als bloss gegen drei argwöh- nisch Fragende wiederholt haben möge5). Allein, wenn man auch nach Lukas (V. 59 f.) die Zeitdistanz von der ersten Verleugnung bis zur lezten zu mehr als einer Stun- de anschlägt, so ist doch ein solches Fragen aller Leute an allen Enden und Ecken, und dass bei diesem so allge- meinen Verdacht Petrus doch frei ausgieng, höchst unwahr- scheinlich, und wenn die Erklärer die Stimmung des Pe- trus während dieser Scene als eine völlige Betäubung be- schreiben 6), so geben sie hiemit vielmehr die Stimmung an, in welche der Leser hineingeräth, der in ein solches Gedränge von immer sich wiederholenden Fragen und Ant- worten gleichen Inhalts, dem sinn- und endlosen Fort- schlagen einer in Unordnung gekommenen Uhr vergleich- bar, sich hineinversetzen soll. Mit Recht hat Olshausen die Bemühung, dergleichen Differenzen wegzuschaffen, als eine unbelohnende von der Hand gewiesen: doch sucht er theils selbst unmittelbar darauf an einigen Punkten dieser Erzählung die Abweichungen auf gezwungene Weise aus- zugleichen, theils, wenn er darauf besteht, dass gerade drei Verleugnungen vorgefallen, so hat doch wieder Pau- lus das Richtigere gesehen, wenn er das absichtliche Be- 5) Paulus, a. a. O. S. 578. 6) Hess, Geschichte Jesu, 2, S. 343.
Drittes Kapitel. §. 125. ten zwischen den einzelnen von ihm berichteten Verleug-nungen meistens gröſsere oder kleinere Zwischenzeiten be- merklich macht, allemal gerade die von verschiedenen Evan- gelisten erzählten, also eine von Matthäus berichtete mit einer von Markus u. s. f., in Einem Zuge geschehen sein: was eine durchaus willkührliche Voraussetzung ist. Daher hat man sich neuerlich lieber darauf berufen, daſs das τρὶς im Munde Jesu nur eine runde Zahl für ein wiederholtes Verleugnen gewesen sei, und daſs Petrus, einmal in die Verlegenheit vermeintlicher Nothlügen versunken, seine Be- theurungen eher gegen 6—7, als bloſs gegen drei argwöh- nisch Fragende wiederholt haben möge5). Allein, wenn man auch nach Lukas (V. 59 f.) die Zeitdistanz von der ersten Verleugnung bis zur lezten zu mehr als einer Stun- de anschlägt, so ist doch ein solches Fragen aller Leute an allen Enden und Ecken, und daſs bei diesem so allge- meinen Verdacht Petrus doch frei ausgieng, höchst unwahr- scheinlich, und wenn die Erklärer die Stimmung des Pe- trus während dieser Scene als eine völlige Betäubung be- schreiben 6), so geben sie hiemit vielmehr die Stimmung an, in welche der Leser hineingeräth, der in ein solches Gedränge von immer sich wiederholenden Fragen und Ant- worten gleichen Inhalts, dem sinn- und endlosen Fort- schlagen einer in Unordnung gekommenen Uhr vergleich- bar, sich hineinversetzen soll. Mit Recht hat Olshausen die Bemühung, dergleichen Differenzen wegzuschaffen, als eine unbelohnende von der Hand gewiesen: doch sucht er theils selbst unmittelbar darauf an einigen Punkten dieser Erzählung die Abweichungen auf gezwungene Weise aus- zugleichen, theils, wenn er darauf besteht, daſs gerade drei Verleugnungen vorgefallen, so hat doch wieder Pau- lus das Richtigere gesehen, wenn er das absichtliche Be- 5) Paulus, a. a. O. S. 578. 6) Hess, Geschichte Jesu, 2, S. 343.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0514" n="495"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Drittes Kapitel</hi>. §. 125.</fw><lb/> ten zwischen den einzelnen von ihm berichteten Verleug-<lb/> nungen meistens gröſsere oder kleinere Zwischenzeiten be-<lb/> merklich macht, allemal gerade die von verschiedenen Evan-<lb/> gelisten erzählten, also eine von Matthäus berichtete mit<lb/> einer von Markus u. s. f., in Einem Zuge geschehen sein:<lb/> was eine durchaus willkührliche Voraussetzung ist. Daher<lb/> hat man sich neuerlich lieber darauf berufen, daſs das τρὶς<lb/> im Munde Jesu nur eine runde Zahl für ein wiederholtes<lb/> Verleugnen gewesen sei, und daſs Petrus, einmal in die<lb/> Verlegenheit vermeintlicher Nothlügen versunken, seine Be-<lb/> theurungen eher gegen 6—7, als bloſs gegen drei argwöh-<lb/> nisch Fragende wiederholt haben möge<note place="foot" n="5)"><hi rendition="#k">Paulus</hi>, a. a. O. S. 578.</note>. Allein, wenn<lb/> man auch nach Lukas (V. 59 f.) die Zeitdistanz von der<lb/> ersten Verleugnung bis zur lezten zu mehr als einer Stun-<lb/> de anschlägt, so ist doch ein solches Fragen aller Leute<lb/> an allen Enden und Ecken, und daſs bei diesem so allge-<lb/> meinen Verdacht Petrus doch frei ausgieng, höchst unwahr-<lb/> scheinlich, und wenn die Erklärer die Stimmung des Pe-<lb/> trus während dieser Scene als eine völlige Betäubung be-<lb/> schreiben <note place="foot" n="6)"><hi rendition="#k">Hess</hi>, Geschichte Jesu, 2, S. 343.</note>, so geben sie hiemit vielmehr die Stimmung<lb/> an, in welche der Leser hineingeräth, der in ein solches<lb/> Gedränge von immer sich wiederholenden Fragen und Ant-<lb/> worten gleichen Inhalts, dem sinn- und endlosen Fort-<lb/> schlagen einer in Unordnung gekommenen Uhr vergleich-<lb/> bar, sich hineinversetzen soll. Mit Recht hat <hi rendition="#k">Olshausen</hi><lb/> die Bemühung, dergleichen Differenzen wegzuschaffen, als<lb/> eine unbelohnende von der Hand gewiesen: doch sucht er<lb/> theils selbst unmittelbar darauf an einigen Punkten dieser<lb/> Erzählung die Abweichungen auf gezwungene Weise aus-<lb/> zugleichen, theils, wenn er darauf besteht, daſs gerade<lb/> drei Verleugnungen vorgefallen, so hat doch wieder <hi rendition="#k">Pau-<lb/> lus</hi> das Richtigere gesehen, wenn er das absichtliche Be-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [495/0514]
Drittes Kapitel. §. 125.
ten zwischen den einzelnen von ihm berichteten Verleug-
nungen meistens gröſsere oder kleinere Zwischenzeiten be-
merklich macht, allemal gerade die von verschiedenen Evan-
gelisten erzählten, also eine von Matthäus berichtete mit
einer von Markus u. s. f., in Einem Zuge geschehen sein:
was eine durchaus willkührliche Voraussetzung ist. Daher
hat man sich neuerlich lieber darauf berufen, daſs das τρὶς
im Munde Jesu nur eine runde Zahl für ein wiederholtes
Verleugnen gewesen sei, und daſs Petrus, einmal in die
Verlegenheit vermeintlicher Nothlügen versunken, seine Be-
theurungen eher gegen 6—7, als bloſs gegen drei argwöh-
nisch Fragende wiederholt haben möge 5). Allein, wenn
man auch nach Lukas (V. 59 f.) die Zeitdistanz von der
ersten Verleugnung bis zur lezten zu mehr als einer Stun-
de anschlägt, so ist doch ein solches Fragen aller Leute
an allen Enden und Ecken, und daſs bei diesem so allge-
meinen Verdacht Petrus doch frei ausgieng, höchst unwahr-
scheinlich, und wenn die Erklärer die Stimmung des Pe-
trus während dieser Scene als eine völlige Betäubung be-
schreiben 6), so geben sie hiemit vielmehr die Stimmung
an, in welche der Leser hineingeräth, der in ein solches
Gedränge von immer sich wiederholenden Fragen und Ant-
worten gleichen Inhalts, dem sinn- und endlosen Fort-
schlagen einer in Unordnung gekommenen Uhr vergleich-
bar, sich hineinversetzen soll. Mit Recht hat Olshausen
die Bemühung, dergleichen Differenzen wegzuschaffen, als
eine unbelohnende von der Hand gewiesen: doch sucht er
theils selbst unmittelbar darauf an einigen Punkten dieser
Erzählung die Abweichungen auf gezwungene Weise aus-
zugleichen, theils, wenn er darauf besteht, daſs gerade
drei Verleugnungen vorgefallen, so hat doch wieder Pau-
lus das Richtigere gesehen, wenn er das absichtliche Be-
5) Paulus, a. a. O. S. 578.
6) Hess, Geschichte Jesu, 2, S. 343.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |