Da sich hienach weder die eine noch die andre Dif- ferenz auf gütlichem Wege ausgleichen lässt, so hat schon Salmasius eine wirkliche Abweichung der beiden Berichte zugestanden, und Hase glaubt diese Erscheinung, ohne den apostolischen Ursprung der beiden Angaben zu gefähr- den, aus der gewaltigen Bewegung jener Tage erklären zu können, in welcher nur das Faktum des Selbstmords von Judas bekannt geworden, über den näheren Hergang des- selben aber verschiedene Gerüchte geglaubt worden seien. Allein in der A. G. ist von einem Selbstmord gar nicht die Rede, und dass nun zwei Apostel, wie Matthäus und Petrus, wenn das erste Evangelium von jenem, die Rede in der A. G. aber von diesem herrühren soll, über den in ihrer nächsten Nähe erfolgten Tod ihres ehmaligen Mit- apostels so sehr im Dunkeln geblieben wären, dass der ei- ne ihn eines zufälligen, der andre eines selbstgewählten Todes sterben liess, ist schwer zu glauben. Dass daher nur eine der beiden Relationen als apostolisch festgehalten werden könne, hat der Verfasser der schon erwähnten Ab- handlung in Schmidt's Bibliothek richtig eingesehen. Und zwar ist er bei der Wahl zwischen beiden von dem an und für sich richtigen Grundsaz ausgegangen, dass die minder auf Verherrlichung eingerichtete Erzählung die glaub- würdigere sei; wesswegen er denn der Darstellung der A. G., welche den verherrlichenden Zug der Reue des Judas und seines Bekenntnisses von Jesu Unschuld nicht hat, vor der des ersten Evangeliums den Vorzug giebt. Doch wie es immer ist bei zwei sich widersprechenden Berichten, dass der eine den andern nicht nur durch sein Stehen ausschliesst, sondern auch durch sein Fallen miterschüt- tert: so haben wir auch hier, wenn diejenige Darstellung der Sache, welche das Ansehen des Apostels Matthäus für sich gel- tend macht, aufgegeben ist, keine Bürgschaft mehr für die andere, welche sich dem Apostel Petrus in den Mund legt.
Dürfen wir somit beide Berichte auf einen Fuss be-
Drittes Kapitel. §. 126.
Da sich hienach weder die eine noch die andre Dif- ferenz auf gütlichem Wege ausgleichen läſst, so hat schon Salmasius eine wirkliche Abweichung der beiden Berichte zugestanden, und Hase glaubt diese Erscheinung, ohne den apostolischen Ursprung der beiden Angaben zu gefähr- den, aus der gewaltigen Bewegung jener Tage erklären zu können, in welcher nur das Faktum des Selbstmords von Judas bekannt geworden, über den näheren Hergang des- selben aber verschiedene Gerüchte geglaubt worden seien. Allein in der A. G. ist von einem Selbstmord gar nicht die Rede, und daſs nun zwei Apostel, wie Matthäus und Petrus, wenn das erste Evangelium von jenem, die Rede in der A. G. aber von diesem herrühren soll, über den in ihrer nächsten Nähe erfolgten Tod ihres ehmaligen Mit- apostels so sehr im Dunkeln geblieben wären, daſs der ei- ne ihn eines zufälligen, der andre eines selbstgewählten Todes sterben lieſs, ist schwer zu glauben. Daſs daher nur eine der beiden Relationen als apostolisch festgehalten werden könne, hat der Verfasser der schon erwähnten Ab- handlung in Schmidt's Bibliothek richtig eingesehen. Und zwar ist er bei der Wahl zwischen beiden von dem an und für sich richtigen Grundsaz ausgegangen, daſs die minder auf Verherrlichung eingerichtete Erzählung die glaub- würdigere sei; weſswegen er denn der Darstellung der A. G., welche den verherrlichenden Zug der Reue des Judas und seines Bekenntnisses von Jesu Unschuld nicht hat, vor der des ersten Evangeliums den Vorzug giebt. Doch wie es immer ist bei zwei sich widersprechenden Berichten, daſs der eine den andern nicht nur durch sein Stehen ausschlieſst, sondern auch durch sein Fallen miterschüt- tert: so haben wir auch hier, wenn diejenige Darstellung der Sache, welche das Ansehen des Apostels Matthäus für sich gel- tend macht, aufgegeben ist, keine Bürgschaft mehr für die andere, welche sich dem Apostel Petrus in den Mund legt.
Dürfen wir somit beide Berichte auf einen Fuſs be-
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Drittes Kapitel. §. 126.
Da sich hienach weder die eine noch die andre Dif-
ferenz auf gütlichem Wege ausgleichen läſst, so hat schon
Salmasius eine wirkliche Abweichung der beiden Berichte
zugestanden, und Hase glaubt diese Erscheinung, ohne
den apostolischen Ursprung der beiden Angaben zu gefähr-
den, aus der gewaltigen Bewegung jener Tage erklären zu
können, in welcher nur das Faktum des Selbstmords von
Judas bekannt geworden, über den näheren Hergang des-
selben aber verschiedene Gerüchte geglaubt worden seien.
Allein in der A. G. ist von einem Selbstmord gar nicht
die Rede, und daſs nun zwei Apostel, wie Matthäus und
Petrus, wenn das erste Evangelium von jenem, die Rede
in der A. G. aber von diesem herrühren soll, über den
in ihrer nächsten Nähe erfolgten Tod ihres ehmaligen Mit-
apostels so sehr im Dunkeln geblieben wären, daſs der ei-
ne ihn eines zufälligen, der andre eines selbstgewählten
Todes sterben lieſs, ist schwer zu glauben. Daſs daher
nur eine der beiden Relationen als apostolisch festgehalten
werden könne, hat der Verfasser der schon erwähnten Ab-
handlung in Schmidt's Bibliothek richtig eingesehen. Und
zwar ist er bei der Wahl zwischen beiden von dem an
und für sich richtigen Grundsaz ausgegangen, daſs die
minder auf Verherrlichung eingerichtete Erzählung die glaub-
würdigere sei; weſswegen er denn der Darstellung der
A. G., welche den verherrlichenden Zug der Reue des
Judas und seines Bekenntnisses von Jesu Unschuld nicht
hat, vor der des ersten Evangeliums den Vorzug giebt.
Doch wie es immer ist bei zwei sich widersprechenden
Berichten, daſs der eine den andern nicht nur durch sein
Stehen ausschlieſst, sondern auch durch sein Fallen miterschüt-
tert: so haben wir auch hier, wenn diejenige Darstellung der
Sache, welche das Ansehen des Apostels Matthäus für sich gel-
tend macht, aufgegeben ist, keine Bürgschaft mehr für die
andere, welche sich dem Apostel Petrus in den Mund legt.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/522>, abgerufen am 22.11.2024.
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