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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Drittes Kapitel. §. 127.
einer besonders hart gestraft werden sollte, vor der Kreu-
zigung noch die Geisselung verhängt worden sei 20), und
folglich Pilatus, der gegen Jesum nicht grausam sein woll-
te, ihn nur in der besondern Absicht, welche Lukas und
Johannes melden, und welche auch bei ihren beiden Vor-
männern hinzuzudenken sei, könne haben geisseln lassen.
Weit wahrscheinlicher ist es vielmehr, dass in der Wirk-
lichkeit zwar die Geisselung nur so, wie die zwei ersten
Evangelisten berichten, als Vorspiel zur Hinrichtung, vor-
genommen worden ist, die christliche Sage aber, wie ihr
zum Zeugniss gegen die Juden am Charakter des Pilatus
diejenige Seite besonders willkommen war, vermöge wel-
cher er Jesum zu retten sich auf verschiedene Weise be-
strebt haben soll, so nun auch die Notiz von der Geisse-
lung benüzt habe, um an ihr einen neuen Befreiungsver-
such des Pilatus zu gewinnen. Diese Benützung erscheint
im dritten Evangelium nur erst als eine begonnene, indem
hier das Geisselnlassen blosse Erbietung des Pilatus ist:
wogegen im vierten die Geisselung wirklich vollzogen, und
zu einem weiteren Akt des Drama verwendet wird.

An die Geisselung schliesst sich bei den zwei ersten
Evangelisten und dem vierten die Misshandlung und Ver-
spottung Jesu durch die Soldaten, welche ihm ein Pur-
purkleid umlegten, einen Kranz von Dorngesträuch ihm auf
das Haupt sezten 21), nach Matthäus ihm auch einen Rohr-
stab in die Hand gaben, und in dieser Vermummung ihn
theils als Judenkönig begrüssten, theils schlugen und miss-

20) Paulus, a. a. O. S. 647.
21) Durch die Auseinandersetzung von Paulus, S. 649 f., gewinnt
es alle Wahrscheinlichkeit, dass der sephanos ex akanthon nicht
ein Kranz aus spitzen Dornen war, sondern von dem näch-
sten besten Heckengesträuch genommen, um durch die vilis-
sima corona, spineola (Plin. H. N. 21, 10.) Jesum zu ver-
höhnen.

Drittes Kapitel. §. 127.
einer besonders hart gestraft werden sollte, vor der Kreu-
zigung noch die Geisselung verhängt worden sei 20), und
folglich Pilatus, der gegen Jesum nicht grausam sein woll-
te, ihn nur in der besondern Absicht, welche Lukas und
Johannes melden, und welche auch bei ihren beiden Vor-
männern hinzuzudenken sei, könne haben geisseln lassen.
Weit wahrscheinlicher ist es vielmehr, daſs in der Wirk-
lichkeit zwar die Geisselung nur so, wie die zwei ersten
Evangelisten berichten, als Vorspiel zur Hinrichtung, vor-
genommen worden ist, die christliche Sage aber, wie ihr
zum Zeugniſs gegen die Juden am Charakter des Pilatus
diejenige Seite besonders willkommen war, vermöge wel-
cher er Jesum zu retten sich auf verschiedene Weise be-
strebt haben soll, so nun auch die Notiz von der Geisse-
lung benüzt habe, um an ihr einen neuen Befreiungsver-
such des Pilatus zu gewinnen. Diese Benützung erscheint
im dritten Evangelium nur erst als eine begonnene, indem
hier das Geisselnlassen bloſse Erbietung des Pilatus ist:
wogegen im vierten die Geisselung wirklich vollzogen, und
zu einem weiteren Akt des Drama verwendet wird.

An die Geisselung schlieſst sich bei den zwei ersten
Evangelisten und dem vierten die Miſshandlung und Ver-
spottung Jesu durch die Soldaten, welche ihm ein Pur-
purkleid umlegten, einen Kranz von Dorngesträuch ihm auf
das Haupt sezten 21), nach Matthäus ihm auch einen Rohr-
stab in die Hand gaben, und in dieser Vermummung ihn
theils als Judenkönig begrüſsten, theils schlugen und miſs-

20) Paulus, a. a. O. S. 647.
21) Durch die Auseinandersetzung von Paulus, S. 649 f., gewinnt
es alle Wahrscheinlichkeit, dass der ςέφανος ἐξ ἀκανϑῶν nicht
ein Kranz aus spitzen Dornen war, sondern von dem näch-
sten besten Heckengesträuch genommen, um durch die vilis-
sima corona, spineola (Plin. H. N. 21, 10.) Jesum zu ver-
höhnen.
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[525/0544] Drittes Kapitel. §. 127. einer besonders hart gestraft werden sollte, vor der Kreu- zigung noch die Geisselung verhängt worden sei 20), und folglich Pilatus, der gegen Jesum nicht grausam sein woll- te, ihn nur in der besondern Absicht, welche Lukas und Johannes melden, und welche auch bei ihren beiden Vor- männern hinzuzudenken sei, könne haben geisseln lassen. Weit wahrscheinlicher ist es vielmehr, daſs in der Wirk- lichkeit zwar die Geisselung nur so, wie die zwei ersten Evangelisten berichten, als Vorspiel zur Hinrichtung, vor- genommen worden ist, die christliche Sage aber, wie ihr zum Zeugniſs gegen die Juden am Charakter des Pilatus diejenige Seite besonders willkommen war, vermöge wel- cher er Jesum zu retten sich auf verschiedene Weise be- strebt haben soll, so nun auch die Notiz von der Geisse- lung benüzt habe, um an ihr einen neuen Befreiungsver- such des Pilatus zu gewinnen. Diese Benützung erscheint im dritten Evangelium nur erst als eine begonnene, indem hier das Geisselnlassen bloſse Erbietung des Pilatus ist: wogegen im vierten die Geisselung wirklich vollzogen, und zu einem weiteren Akt des Drama verwendet wird. An die Geisselung schlieſst sich bei den zwei ersten Evangelisten und dem vierten die Miſshandlung und Ver- spottung Jesu durch die Soldaten, welche ihm ein Pur- purkleid umlegten, einen Kranz von Dorngesträuch ihm auf das Haupt sezten 21), nach Matthäus ihm auch einen Rohr- stab in die Hand gaben, und in dieser Vermummung ihn theils als Judenkönig begrüſsten, theils schlugen und miſs- 20) Paulus, a. a. O. S. 647. 21) Durch die Auseinandersetzung von Paulus, S. 649 f., gewinnt es alle Wahrscheinlichkeit, dass der ςέφανος ἐξ ἀκανϑῶν nicht ein Kranz aus spitzen Dornen war, sondern von dem näch- sten besten Heckengesträuch genommen, um durch die vilis- sima corona, spineola (Plin. H. N. 21, 10.) Jesum zu ver- höhnen.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/544>, abgerufen am 22.11.2024.