Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Dritter Abschnitt. gegen Jesum auch die beiden Übelthäter, zunächst ohnenähere Angabe ihrer Reden, einstimmen (Matth. und Mar- kus). Doch die Mitgekreuzigten liessen sich noch besser benützen. Hatte ein Pilatus Zeugniss für Jesum abgelegt, zeugte bald darauf ein römischer Centurio, ja die ganze wunderbar aufgeregte Natur für ihn: so werden auch sei- ne beiden Leidensgenossen, wiewohl Verbrecher, gegen den Eindruck seiner Grösse nicht ganz verschlossen geblieben sein, sondern, wenn zwar der eine, der ursprünglichen Gestaltung der Sage gemäss, lästerte, so musste wohl der andere sich in entgegengeseztem Sinn geäussert, und Glau- ben an Jesus als den Messias bewiesen haben (Lukas). Ganz im Geist der jüdischen Denk- und Redeweise ist dann seine Anrede an Jesum und dessen Antwort; denn das Pa- radies war nach damaliger Vorstellung derjenige Theil der Unterwelt, welcher die Seelen der Frommen in der Zwi- schenzeit zwischen ihrem Tod und der Auferstehung be- herbergen sollte; um eine Stelle im Paradies und ein gnädi- ges Andenken im künftigen Äon bittet der Israelite Gott, und so hier den Messias 26), und von einem ausgezeich- net frommen Manne glaubte man, dass er den in seiner Sterbestunde Anwesenden mit sich in das Paradies einfüh- ren könne 27). Dem Kreuz Jesu wurde nach römischer Sitte 28) eine 26) Confessio Judaei aegroti, bei Wetstein, p. 820: -- da por-Andere Stellen s. bei ebendems., p. 819. 27) Cetuboth f. 103, bei Wetstein, p. 819: Quo die Rabbi mo- 28) s. Wetstein z. d. St. des Matthäus.
Dritter Abschnitt. gegen Jesum auch die beiden Übelthäter, zunächst ohnenähere Angabe ihrer Reden, einstimmen (Matth. und Mar- kus). Doch die Mitgekreuzigten lieſsen sich noch besser benützen. Hatte ein Pilatus Zeugniſs für Jesum abgelegt, zeugte bald darauf ein römischer Centurio, ja die ganze wunderbar aufgeregte Natur für ihn: so werden auch sei- ne beiden Leidensgenossen, wiewohl Verbrecher, gegen den Eindruck seiner Gröſse nicht ganz verschlossen geblieben sein, sondern, wenn zwar der eine, der ursprünglichen Gestaltung der Sage gemäſs, lästerte, so muſste wohl der andere sich in entgegengeseztem Sinn geäussert, und Glau- ben an Jesus als den Messias bewiesen haben (Lukas). Ganz im Geist der jüdischen Denk- und Redeweise ist dann seine Anrede an Jesum und dessen Antwort; denn das Pa- radies war nach damaliger Vorstellung derjenige Theil der Unterwelt, welcher die Seelen der Frommen in der Zwi- schenzeit zwischen ihrem Tod und der Auferstehung be- herbergen sollte; um eine Stelle im Paradies und ein gnädi- ges Andenken im künftigen Äon bittet der Israëlite Gott, und so hier den Messias 26), und von einem ausgezeich- net frommen Manne glaubte man, daſs er den in seiner Sterbestunde Anwesenden mit sich in das Paradies einfüh- ren könne 27). Dem Kreuz Jesu wurde nach römischer Sitte 28) eine 26) Confessio Judaei aegroti, bei Wetstein, p. 820: — da por-Andere Stellen s. bei ebendems., p. 819. 27) Cetuboth f. 103, bei Wetstein, p. 819: Quo die Rabbi mo- 28) s. Wetstein z. d. St. des Matthäus.
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Dritter Abschnitt.
gegen Jesum auch die beiden Übelthäter, zunächst ohne
nähere Angabe ihrer Reden, einstimmen (Matth. und Mar-
kus). Doch die Mitgekreuzigten lieſsen sich noch besser
benützen. Hatte ein Pilatus Zeugniſs für Jesum abgelegt,
zeugte bald darauf ein römischer Centurio, ja die ganze
wunderbar aufgeregte Natur für ihn: so werden auch sei-
ne beiden Leidensgenossen, wiewohl Verbrecher, gegen den
Eindruck seiner Gröſse nicht ganz verschlossen geblieben
sein, sondern, wenn zwar der eine, der ursprünglichen
Gestaltung der Sage gemäſs, lästerte, so muſste wohl der
andere sich in entgegengeseztem Sinn geäussert, und Glau-
ben an Jesus als den Messias bewiesen haben (Lukas).
Ganz im Geist der jüdischen Denk- und Redeweise ist dann
seine Anrede an Jesum und dessen Antwort; denn das Pa-
radies war nach damaliger Vorstellung derjenige Theil der
Unterwelt, welcher die Seelen der Frommen in der Zwi-
schenzeit zwischen ihrem Tod und der Auferstehung be-
herbergen sollte; um eine Stelle im Paradies und ein gnädi-
ges Andenken im künftigen Äon bittet der Israëlite Gott,
und so hier den Messias 26), und von einem ausgezeich-
net frommen Manne glaubte man, daſs er den in seiner
Sterbestunde Anwesenden mit sich in das Paradies einfüh-
ren könne 27).
Dem Kreuz Jesu wurde nach römischer Sitte 28) eine
ἐπιγραφὴ (Marc. Luc.), ein τίτλος (Joh.), angeheftet, der
τὴν αἰτίαν αὐτοῦ (Matth. Marc.) enthielt, welche nach sämmt-
lichen Evangelisten durch die Worte: ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰου-
26) Confessio Judaei aegroti, bei Wetstein, p. 820: — da por-
tionem meam in horte Edenis, et memento mei in seculo fu-
turo, quod absconditum est justis. Andere Stellen s. bei
ebendems., p. 819.
27) Cetuboth f. 103, bei Wetstein, p. 819: Quo die Rabbi mo-
riturus erat, venit vox de coelo, dixitque: qui praesens
aderit morienti Rabbi, ille intrabit in paradisum.
28) s. Wetstein z. d. St. des Matthäus.
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