dessen wirklich erfolgten Tod beweisen 8). Ob nun aber dieses Ausfliessen von Blut und Wasser in bemerkbarer Sonderung eine mögliche Todesprobe ist, ob Hase und Wi- ner recht haben, wenn sie behaupten, bei tieferen Ein- schnitten in Leichen quelle bisweilen das so zersezte Blut heraus, oder die Kirchenväter, wenn sie diess für so un- erhört hielten, dass sie es bei Jesu als ein Wunder anse- hen zu müssen glaubten, ist noch eine andere Frage. Mir hat ein ausgezeichneter Anatom den Stand der Sache fol- gendermassen angegeben. Für gewöhnlich pflegt binnen einer Stunde nach dem Tod das Blut in den Gefässen zu gerinnen, und sofort bei Einschnitten nichts mehr auszu- fliessen; nur ausnahmsweise, bei gewissen Todesarten, wie Nervenfieber, Erstickung, behält das Blut im Leich nam seine Flüssigkeit. Wollte man nun den Tod am Kreuz etwa unter die Kategorie der Erstickung stellen, -- was jedoch wegen der langen Zeit, welche die Gekreuzigten oft noch am Leben blieben, und bei Jesu insbesondere weil er ja bis zulezt gesprochen haben soll, unthunlich scheint, oder wollte man annehmen, so bald schon nach dem Augenblick des Todes sei der Stich in die Seite erfolgt, dass er das Blut noch flüssig fand, -- was den Berichten unangemessen ist, welchen zufolge Jesus schon Nachmit- tags drei Uhr gestorben war, die Leichen aber erst Abends 6 Uhr abgenommen sein mussten: so wäre, wenn der Stich ein grösseres Blutgefäss traf, Blut, aber ohne Wasser, aus geflossen; war aber der Tod Jesu vor etwa einer Stunde erfolgt, und sein Leichnam im gewöhnlichen Zustand: so floss gar nichts aus. Also entweder Blut, oder nichts: Wasser und Blut in keinem Fall, weil sich serum und pla- centa in den Gefässen des Leichnams gar nicht so sondert, wie im Geschirr nach der Aderlässe. Schwerlich also hat der Urheber dieses Zugs im vierten Evangelium das aima
8)Winer, a. a. O.
Dritter Abschnitt.
dessen wirklich erfolgten Tod beweisen 8). Ob nun aber dieses Ausflieſsen von Blut und Wasser in bemerkbarer Sonderung eine mögliche Todesprobe ist, ob Hase und Wi- ner recht haben, wenn sie behaupten, bei tieferen Ein- schnitten in Leichen quelle bisweilen das so zersezte Blut heraus, oder die Kirchenväter, wenn sie dieſs für so un- erhört hielten, daſs sie es bei Jesu als ein Wunder anse- hen zu müssen glaubten, ist noch eine andere Frage. Mir hat ein ausgezeichneter Anatom den Stand der Sache fol- gendermaſsen angegeben. Für gewöhnlich pflegt binnen einer Stunde nach dem Tod das Blut in den Gefäſsen zu gerinnen, und sofort bei Einschnitten nichts mehr auszu- flieſsen; nur ausnahmsweise, bei gewissen Todesarten, wie Nervenfieber, Erstickung, behält das Blut im Leich nam seine Flüssigkeit. Wollte man nun den Tod am Kreuz etwa unter die Kategorie der Erstickung stellen, — was jedoch wegen der langen Zeit, welche die Gekreuzigten oft noch am Leben blieben, und bei Jesu insbesondere weil er ja bis zulezt gesprochen haben soll, unthunlich scheint, oder wollte man annehmen, so bald schon nach dem Augenblick des Todes sei der Stich in die Seite erfolgt, daſs er das Blut noch flüssig fand, — was den Berichten unangemessen ist, welchen zufolge Jesus schon Nachmit- tags drei Uhr gestorben war, die Leichen aber erst Abends 6 Uhr abgenommen sein muſsten: so wäre, wenn der Stich ein gröſseres Blutgefäſs traf, Blut, aber ohne Wasser, aus geflossen; war aber der Tod Jesu vor etwa einer Stunde erfolgt, und sein Leichnam im gewöhnlichen Zustand: so floſs gar nichts aus. Also entweder Blut, oder nichts: Wasser und Blut in keinem Fall, weil sich serum und pla- centa in den Gefäſsen des Leichnams gar nicht so sondert, wie im Geschirr nach der Aderlässe. Schwerlich also hat der Urheber dieses Zugs im vierten Evangelium das αἷμα
8)Winer, a. a. O.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0589"n="570"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Dritter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
dessen wirklich erfolgten Tod beweisen <noteplace="foot"n="8)"><hirendition="#k">Winer</hi>, a. a. O.</note>. Ob nun aber<lb/>
dieses Ausflieſsen von Blut und Wasser in bemerkbarer<lb/>
Sonderung eine mögliche Todesprobe ist, ob <hirendition="#k">Hase</hi> und <hirendition="#k">Wi-<lb/>
ner</hi> recht haben, wenn sie behaupten, bei tieferen Ein-<lb/>
schnitten in Leichen quelle bisweilen das so zersezte Blut<lb/>
heraus, oder die Kirchenväter, wenn sie dieſs für so un-<lb/>
erhört hielten, daſs sie es bei Jesu als ein Wunder anse-<lb/>
hen zu müssen glaubten, ist noch eine andere Frage. Mir<lb/>
hat ein ausgezeichneter Anatom den Stand der Sache fol-<lb/>
gendermaſsen angegeben. Für gewöhnlich pflegt binnen<lb/>
einer Stunde nach dem Tod das Blut in den Gefäſsen zu<lb/>
gerinnen, und sofort bei Einschnitten nichts mehr auszu-<lb/>
flieſsen; nur ausnahmsweise, bei gewissen Todesarten,<lb/>
wie Nervenfieber, Erstickung, behält das Blut im Leich<lb/>
nam seine Flüssigkeit. Wollte man nun den Tod am Kreuz<lb/>
etwa unter die Kategorie der Erstickung stellen, — was<lb/>
jedoch wegen der langen Zeit, welche die Gekreuzigten<lb/>
oft noch am Leben blieben, und bei Jesu insbesondere<lb/>
weil er ja bis zulezt gesprochen haben soll, unthunlich<lb/>
scheint, oder wollte man annehmen, so bald schon nach<lb/>
dem Augenblick des Todes sei der Stich in die Seite erfolgt,<lb/>
daſs er das Blut noch flüssig fand, — was den Berichten<lb/>
unangemessen ist, welchen zufolge Jesus schon Nachmit-<lb/>
tags drei Uhr gestorben war, die Leichen aber erst Abends<lb/>
6 Uhr abgenommen sein muſsten: so wäre, wenn der Stich<lb/>
ein gröſseres Blutgefäſs traf, Blut, aber ohne Wasser, aus<lb/>
geflossen; war aber der Tod Jesu vor etwa einer Stunde<lb/>
erfolgt, und sein Leichnam im gewöhnlichen Zustand: so<lb/>
floſs gar nichts aus. Also entweder Blut, oder nichts:<lb/>
Wasser und Blut in keinem Fall, weil sich <hirendition="#i">serum</hi> und <hirendition="#i">pla-<lb/>
centa</hi> in den Gefäſsen des Leichnams gar nicht so sondert,<lb/>
wie im Geschirr nach der Aderlässe. Schwerlich also hat<lb/>
der Urheber dieses Zugs im vierten Evangelium das αἷμα<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[570/0589]
Dritter Abschnitt.
dessen wirklich erfolgten Tod beweisen 8). Ob nun aber
dieses Ausflieſsen von Blut und Wasser in bemerkbarer
Sonderung eine mögliche Todesprobe ist, ob Hase und Wi-
ner recht haben, wenn sie behaupten, bei tieferen Ein-
schnitten in Leichen quelle bisweilen das so zersezte Blut
heraus, oder die Kirchenväter, wenn sie dieſs für so un-
erhört hielten, daſs sie es bei Jesu als ein Wunder anse-
hen zu müssen glaubten, ist noch eine andere Frage. Mir
hat ein ausgezeichneter Anatom den Stand der Sache fol-
gendermaſsen angegeben. Für gewöhnlich pflegt binnen
einer Stunde nach dem Tod das Blut in den Gefäſsen zu
gerinnen, und sofort bei Einschnitten nichts mehr auszu-
flieſsen; nur ausnahmsweise, bei gewissen Todesarten,
wie Nervenfieber, Erstickung, behält das Blut im Leich
nam seine Flüssigkeit. Wollte man nun den Tod am Kreuz
etwa unter die Kategorie der Erstickung stellen, — was
jedoch wegen der langen Zeit, welche die Gekreuzigten
oft noch am Leben blieben, und bei Jesu insbesondere
weil er ja bis zulezt gesprochen haben soll, unthunlich
scheint, oder wollte man annehmen, so bald schon nach
dem Augenblick des Todes sei der Stich in die Seite erfolgt,
daſs er das Blut noch flüssig fand, — was den Berichten
unangemessen ist, welchen zufolge Jesus schon Nachmit-
tags drei Uhr gestorben war, die Leichen aber erst Abends
6 Uhr abgenommen sein muſsten: so wäre, wenn der Stich
ein gröſseres Blutgefäſs traf, Blut, aber ohne Wasser, aus
geflossen; war aber der Tod Jesu vor etwa einer Stunde
erfolgt, und sein Leichnam im gewöhnlichen Zustand: so
floſs gar nichts aus. Also entweder Blut, oder nichts:
Wasser und Blut in keinem Fall, weil sich serum und pla-
centa in den Gefäſsen des Leichnams gar nicht so sondert,
wie im Geschirr nach der Aderlässe. Schwerlich also hat
der Urheber dieses Zugs im vierten Evangelium das αἷμα
8) Winer, a. a. O.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 570. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/589>, abgerufen am 14.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.