Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Neuntes Kapitel. §. 89. Heilung desselben bitten; nach Lukas kommt ihm der okhlosentgegen; nach Markus endlich sieht Jesus um die Jün- ger viel Volks und Schriftgelehrte, die mit ihnen streiten, das Volk, wie es seiner ansichtig wird, läuft hinzu und be- grüsst ihn, er aber fragt, was sie streiten? worauf der Vater des Knaben das Wort nimmt. Hier haben wir in Bezug auf das Benehmen des Volks wieder einen Klimax: aus dem zufälligen Zusammentreffen mit demselben bei Matthäus war schon bei Lukas ein Entgegenkommen des Volks geworden, und dieses steigert nun Markus zu einem Herbeilaufen, um Jesum zu begrüssen, wozu er noch das abenteuerliche exethambethe fügt. Was in aller Welt hatte das Volk, wenn Jesus mit einigen Jüngern daherkam, so sehr zu erstaunen? Diess bleibt durch alle andern Erklä- rungsgründe, die man aufgesucht hat, so unerklärt, dass ich den Gedanken des Euthymius nicht so absurd finden kann, wie Fritzsche ihn dafür ausgiebt, es sei an dem eben vom Verklärungsberg herabgestiegenen Jesus noch et- was von dem himmlischen Glanz, der ihn dort umleuchtet hatte, sichtbar gewesen, wie bei Moses, als er vom Sinai herunterkam (2 Mos. 34, 29 f.). Dass unter diesem Volks- gedränge zufällig auch Schriftgelehrte sich befunden ha- ben, welche den Jüngern wegen der misslungenen Heilung zusezten und sie in einen Streit verwickelten, ist zwar an und für sich gar wohl denkbar, aber im Zusammenhang mit jenen Übertreibungen hinsichtlich des Verhaltens der Menge muss auch dieser Zug verdächtig werden, zumal die beiden andern Berichterstatter ihn nicht haben; so dass, wenn sich zeigen lässt, auf welche Weise der Referent dazu kommen konnte, ihn aus eigener Combination hinzu- zufügen, wir ihn mit höchster Wahrscheinlichkeit fallen lassen dürfen. In Bezug auf die Fähigkeit Jesu, Wunder zu thun, hiess es bei Markus früher einmal (8, 11.) bei Gelegenheit der Forderung eines himmlischen Zeichens von den Pharisäern: erxanto suzetein auto, und so liess er Neuntes Kapitel. §. 89. Heilung desselben bitten; nach Lukas kommt ihm der ὄχλοςentgegen; nach Markus endlich sieht Jesus um die Jün- ger viel Volks und Schriftgelehrte, die mit ihnen streiten, das Volk, wie es seiner ansichtig wird, läuft hinzu und be- grüſst ihn, er aber fragt, was sie streiten? worauf der Vater des Knaben das Wort nimmt. Hier haben wir in Bezug auf das Benehmen des Volks wieder einen Klimax: aus dem zufälligen Zusammentreffen mit demselben bei Matthäus war schon bei Lukas ein Entgegenkommen des Volks geworden, und dieses steigert nun Markus zu einem Herbeilaufen, um Jesum zu begrüſsen, wozu er noch das abenteuerliche ἐξεϑαμβήϑη fügt. Was in aller Welt hatte das Volk, wenn Jesus mit einigen Jüngern daherkam, so sehr zu erstaunen? Dieſs bleibt durch alle andern Erklä- rungsgründe, die man aufgesucht hat, so unerklärt, daſs ich den Gedanken des Euthymius nicht so absurd finden kann, wie Fritzsche ihn dafür ausgiebt, es sei an dem eben vom Verklärungsberg herabgestiegenen Jesus noch et- was von dem himmlischen Glanz, der ihn dort umleuchtet hatte, sichtbar gewesen, wie bei Moses, als er vom Sinai herunterkam (2 Mos. 34, 29 f.). Daſs unter diesem Volks- gedränge zufällig auch Schriftgelehrte sich befunden ha- ben, welche den Jüngern wegen der miſslungenen Heilung zusezten und sie in einen Streit verwickelten, ist zwar an und für sich gar wohl denkbar, aber im Zusammenhang mit jenen Übertreibungen hinsichtlich des Verhaltens der Menge muſs auch dieser Zug verdächtig werden, zumal die beiden andern Berichterstatter ihn nicht haben; so daſs, wenn sich zeigen läſst, auf welche Weise der Referent dazu kommen konnte, ihn aus eigener Combination hinzu- zufügen, wir ihn mit höchster Wahrscheinlichkeit fallen lassen dürfen. In Bezug auf die Fähigkeit Jesu, Wunder zu thun, hieſs es bei Markus früher einmal (8, 11.) bei Gelegenheit der Forderung eines himmlischen Zeichens von den Pharisäern: ἤρξαντο συζητεῖν αὐτῷ, und so lieſs er <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0060" n="41"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neuntes Kapitel</hi>. §. 89.</fw><lb/> Heilung desselben bitten; nach Lukas kommt ihm der ὄχλος<lb/> entgegen; nach Markus endlich sieht Jesus um die Jün-<lb/> ger viel Volks und Schriftgelehrte, die mit ihnen streiten,<lb/> das Volk, wie es seiner ansichtig wird, läuft hinzu und be-<lb/> grüſst ihn, er aber fragt, was sie streiten? worauf der<lb/> Vater des Knaben das Wort nimmt. 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Neuntes Kapitel. §. 89.
Heilung desselben bitten; nach Lukas kommt ihm der ὄχλος
entgegen; nach Markus endlich sieht Jesus um die Jün-
ger viel Volks und Schriftgelehrte, die mit ihnen streiten,
das Volk, wie es seiner ansichtig wird, läuft hinzu und be-
grüſst ihn, er aber fragt, was sie streiten? worauf der
Vater des Knaben das Wort nimmt. Hier haben wir in
Bezug auf das Benehmen des Volks wieder einen Klimax:
aus dem zufälligen Zusammentreffen mit demselben bei
Matthäus war schon bei Lukas ein Entgegenkommen des
Volks geworden, und dieses steigert nun Markus zu einem
Herbeilaufen, um Jesum zu begrüſsen, wozu er noch das
abenteuerliche ἐξεϑαμβήϑη fügt. Was in aller Welt hatte
das Volk, wenn Jesus mit einigen Jüngern daherkam, so
sehr zu erstaunen? Dieſs bleibt durch alle andern Erklä-
rungsgründe, die man aufgesucht hat, so unerklärt, daſs
ich den Gedanken des Euthymius nicht so absurd finden
kann, wie Fritzsche ihn dafür ausgiebt, es sei an dem
eben vom Verklärungsberg herabgestiegenen Jesus noch et-
was von dem himmlischen Glanz, der ihn dort umleuchtet
hatte, sichtbar gewesen, wie bei Moses, als er vom Sinai
herunterkam (2 Mos. 34, 29 f.). Daſs unter diesem Volks-
gedränge zufällig auch Schriftgelehrte sich befunden ha-
ben, welche den Jüngern wegen der miſslungenen Heilung
zusezten und sie in einen Streit verwickelten, ist zwar an
und für sich gar wohl denkbar, aber im Zusammenhang
mit jenen Übertreibungen hinsichtlich des Verhaltens der
Menge muſs auch dieser Zug verdächtig werden, zumal
die beiden andern Berichterstatter ihn nicht haben; so daſs,
wenn sich zeigen läſst, auf welche Weise der Referent
dazu kommen konnte, ihn aus eigener Combination hinzu-
zufügen, wir ihn mit höchster Wahrscheinlichkeit fallen
lassen dürfen. In Bezug auf die Fähigkeit Jesu, Wunder
zu thun, hieſs es bei Markus früher einmal (8, 11.) bei
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den Pharisäern: ἤρξαντο συζητεῖν αὐτῷ, und so lieſs er
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