Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Viertes Kapitel. §. 131. nen von der gleichen. Voraussetzung auszugehen. NachJohannes hingegen war nicht das Eigenthumsrecht des Jo- seph auf das Grab der Grund, warum man Jesum in das- selbe legte, sondern, weil die Zeit drängte, legte man ihn in die frische Gruft, welche in einem benachbarten Garten sich befand. Auch hier hat die Harmonistik auf beiden Seiten ihre Künste versucht. Matthäus sollte zur Übereinstimmung mit Johannes gebracht werden durch die Observation, dass eine Handschrift seines Evangeliums das zu mnemeio gesezte autou weglasse, eine alte Übersetzung aber statt o elatomesen -- o en letatomemenon gelesen ha- be 13): als ob nicht diese Änderungen wahrscheinlich selbst schon dem harmonistischen Bestreben ihr Dasein zu verdanken hätten! Daher hat man, auf die andere Seite sich wendend, bemerkt, die johanneischen Worte schliessen gar nicht aus, dass nicht Joseph könnte der Eigenthümer der Gruft gewesen sein, da ja beide Gründe, die Nähe, und dass das Grab dem Joseph gehörte, zusammengewirkt haben können 14). Vielmehr aber schliesst die Nähe als her- ausgehobener Beweggrund das Eigenthumsverhältniss aus: ein Haus, in welches ich bei einfallendem Regen der Nä- he wegen trete, ist nicht mein eigenes, ich müsste denn Besitzer mehrerer Häuser, eines nahen und eines ent- fernteren, sein, von welchen das leztere meine eigentli- che Wohnung wäre, und ebenso ein Grab, in welches einer einen Verwandten oder Freund, der für sich kein Grabmal hat, der Nähe wegen legt, kann nicht sein eige- nes sein, er müsste denn mehrere Gräber besitzen, und den Todten bei besserer Musse in ein anderes bringen wollen, was aber in unserm Falle, da das nahe Grab durch seine Neuheit zur Beisetzung Jesu in demselben vor allen andern sich eignete, nicht wohl denkbar ist. Bleibt so 13) Michaelis, a. a. O., S. 45 ff. 14) Kuinöl, in Matth. p. 786. Hase, §. 145.
Viertes Kapitel. §. 131. nen von der gleichen. Voraussetzung auszugehen. NachJohannes hingegen war nicht das Eigenthumsrecht des Jo- seph auf das Grab der Grund, warum man Jesum in das- selbe legte, sondern, weil die Zeit drängte, legte man ihn in die frische Gruft, welche in einem benachbarten Garten sich befand. Auch hier hat die Harmonistik auf beiden Seiten ihre Künste versucht. Matthäus sollte zur Übereinstimmung mit Johannes gebracht werden durch die Observation, daſs eine Handschrift seines Evangeliums das zu μνημείῳ gesezte αὑτοῦ weglasse, eine alte Übersetzung aber statt ὃ ἐλατόμησεν — ὃ ἦν λετατομημένον gelesen ha- be 13): als ob nicht diese Änderungen wahrscheinlich selbst schon dem harmonistischen Bestreben ihr Dasein zu verdanken hätten! Daher hat man, auf die andere Seite sich wendend, bemerkt, die johanneischen Worte schlieſsen gar nicht aus, daſs nicht Joseph könnte der Eigenthümer der Gruft gewesen sein, da ja beide Gründe, die Nähe, und daſs das Grab dem Joseph gehörte, zusammengewirkt haben können 14). Vielmehr aber schlieſst die Nähe als her- ausgehobener Beweggrund das Eigenthumsverhältniſs aus: ein Haus, in welches ich bei einfallendem Regen der Nä- he wegen trete, ist nicht mein eigenes, ich müſste denn Besitzer mehrerer Häuser, eines nahen und eines ent- fernteren, sein, von welchen das leztere meine eigentli- che Wohnung wäre, und ebenso ein Grab, in welches einer einen Verwandten oder Freund, der für sich kein Grabmal hat, der Nähe wegen legt, kann nicht sein eige- nes sein, er müſste denn mehrere Gräber besitzen, und den Todten bei besserer Muſse in ein anderes bringen wollen, was aber in unserm Falle, da das nahe Grab durch seine Neuheit zur Beisetzung Jesu in demselben vor allen andern sich eignete, nicht wohl denkbar ist. Bleibt so 13) Michaelis, a. a. O., S. 45 ff. 14) Kuinöl, in Matth. p. 786. Hase, §. 145.
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Viertes Kapitel. §. 131.
nen von der gleichen. Voraussetzung auszugehen. Nach
Johannes hingegen war nicht das Eigenthumsrecht des Jo-
seph auf das Grab der Grund, warum man Jesum in das-
selbe legte, sondern, weil die Zeit drängte, legte man
ihn in die frische Gruft, welche in einem benachbarten
Garten sich befand. Auch hier hat die Harmonistik auf
beiden Seiten ihre Künste versucht. Matthäus sollte zur
Übereinstimmung mit Johannes gebracht werden durch die
Observation, daſs eine Handschrift seines Evangeliums das
zu μνημείῳ gesezte αὑτοῦ weglasse, eine alte Übersetzung
aber statt ὃ ἐλατόμησεν — ὃ ἦν λετατομημένον gelesen ha-
be 13): als ob nicht diese Änderungen wahrscheinlich
selbst schon dem harmonistischen Bestreben ihr Dasein zu
verdanken hätten! Daher hat man, auf die andere Seite
sich wendend, bemerkt, die johanneischen Worte schlieſsen
gar nicht aus, daſs nicht Joseph könnte der Eigenthümer
der Gruft gewesen sein, da ja beide Gründe, die Nähe,
und daſs das Grab dem Joseph gehörte, zusammengewirkt
haben können 14). Vielmehr aber schlieſst die Nähe als her-
ausgehobener Beweggrund das Eigenthumsverhältniſs aus:
ein Haus, in welches ich bei einfallendem Regen der Nä-
he wegen trete, ist nicht mein eigenes, ich müſste denn
Besitzer mehrerer Häuser, eines nahen und eines ent-
fernteren, sein, von welchen das leztere meine eigentli-
che Wohnung wäre, und ebenso ein Grab, in welches
einer einen Verwandten oder Freund, der für sich kein
Grabmal hat, der Nähe wegen legt, kann nicht sein eige-
nes sein, er müſste denn mehrere Gräber besitzen, und
den Todten bei besserer Muſse in ein anderes bringen
wollen, was aber in unserm Falle, da das nahe Grab durch
seine Neuheit zur Beisetzung Jesu in demselben vor allen
andern sich eignete, nicht wohl denkbar ist. Bleibt so
13) Michaelis, a. a. O., S. 45 ff.
14) Kuinöl, in Matth. p. 786. Hase, §. 145.
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