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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
thun müssen 4)? Die Harmonisten erwiedern zwar dreist,
damit, dass Jesus den Jüngern sagen lasse, in Galiläa wer-
den sie ihn sehen, sei keineswegs gesagt, dass sie ihn sonst
nirgends, namentlich nicht in Jerusalem, sehen würden 5).
Allein, so wenig, wer zu mir sagt: geh' nach Rom, dort
wirst du den Pabst sehen, meinen kann, der Pabst werde
zwar zuvor noch durch meinen jetzigen Aufenthaltsort kom-
men, und da von mir gesehen werden können, hernach
aber soll ich auch noch nach Rom gehen, um ihn dort
wieder zu sehen: so wenig würde der Engel bei Matthäus
und Markus, wenn er von der jerusalemischen Erscheinung
noch am nämlichen Tage etwas geahnt hätte, den Jüngern
gesagt haben: geht nach Galiläa, dort wird sich euch Je-
sus zeigen, sondern: seid nur getrost, hierselbst in Jerusa-
lem werdet ihr ihn vor Abend noch zu sehen bekommen.
Wozu die Verweisung auf das Entferntere, wenn ein gleich-
artiges Näheres dazwischenlag? und wozu eine Bestellung
der Jünger nach Galiläa durch die Weiber, wenn Jesus
vorhersah, am nämlichen Tage noch die Jünger persön-
lich zu sprechen? Mit Recht beharrt die neuere Kritik
auf dem, was schon Lessing geltend gemacht hat 6), dass
kein Vernünftiger seinen Freunden durch eine dritte Per-
son eine spätere Zusammenkunft zu freudigem Wiederse-
hen an einem entfernten Ort anberaumen lasse, wenn er
noch an demselben Tag und öfters am gegenwärtigen Or-
te sie zu sehen gewiss sei7). Kann mithin der Engel und
Jesus selbst, als sie am Morgen durch die Frauen die Jün-
ger nach Galiläa beschieden, noch nichts davon gewusst

4) a. a. O. S. 486.
5) Griesbach, Vorlesungen über Hermeneutik des N. T., mit
Anwendung auf die Leidens- und Auferstehungsgesch. Chri-
sti, herausgegeben von Steiner, S. 314.
6) Duplik, Werke, 24. Band, S. 204.
7) Schneckenburger, über den Ursprung des ersten kanon. Evang.,
S. 17 f.

Dritter Abschnitt.
thun müssen 4)? Die Harmonisten erwiedern zwar dreist,
damit, daſs Jesus den Jüngern sagen lasse, in Galiläa wer-
den sie ihn sehen, sei keineswegs gesagt, daſs sie ihn sonst
nirgends, namentlich nicht in Jerusalem, sehen würden 5).
Allein, so wenig, wer zu mir sagt: geh' nach Rom, dort
wirst du den Pabst sehen, meinen kann, der Pabst werde
zwar zuvor noch durch meinen jetzigen Aufenthaltsort kom-
men, und da von mir gesehen werden können, hernach
aber soll ich auch noch nach Rom gehen, um ihn dort
wieder zu sehen: so wenig würde der Engel bei Matthäus
und Markus, wenn er von der jerusalemischen Erscheinung
noch am nämlichen Tage etwas geahnt hätte, den Jüngern
gesagt haben: geht nach Galiläa, dort wird sich euch Je-
sus zeigen, sondern: seid nur getrost, hierselbst in Jerusa-
lem werdet ihr ihn vor Abend noch zu sehen bekommen.
Wozu die Verweisung auf das Entferntere, wenn ein gleich-
artiges Näheres dazwischenlag? und wozu eine Bestellung
der Jünger nach Galiläa durch die Weiber, wenn Jesus
vorhersah, am nämlichen Tage noch die Jünger persön-
lich zu sprechen? Mit Recht beharrt die neuere Kritik
auf dem, was schon Lessing geltend gemacht hat 6), daſs
kein Vernünftiger seinen Freunden durch eine dritte Per-
son eine spätere Zusammenkunft zu freudigem Wiederse-
hen an einem entfernten Ort anberaumen lasse, wenn er
noch an demselben Tag und öfters am gegenwärtigen Or-
te sie zu sehen gewiſs sei7). Kann mithin der Engel und
Jesus selbst, als sie am Morgen durch die Frauen die Jün-
ger nach Galiläa beschieden, noch nichts davon gewuſst

4) a. a. O. S. 486.
5) Griesbach, Vorlesungen über Hermeneutik des N. T., mit
Anwendung auf die Leidens- und Auferstehungsgesch. Chri-
sti, herausgegeben von Steiner, S. 314.
6) Duplik, Werke, 24. Band, S. 204.
7) Schneckenburger, über den Ursprung des ersten kanon. Evang.,
S. 17 f.
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[614/0633] Dritter Abschnitt. thun müssen 4)? Die Harmonisten erwiedern zwar dreist, damit, daſs Jesus den Jüngern sagen lasse, in Galiläa wer- den sie ihn sehen, sei keineswegs gesagt, daſs sie ihn sonst nirgends, namentlich nicht in Jerusalem, sehen würden 5). Allein, so wenig, wer zu mir sagt: geh' nach Rom, dort wirst du den Pabst sehen, meinen kann, der Pabst werde zwar zuvor noch durch meinen jetzigen Aufenthaltsort kom- men, und da von mir gesehen werden können, hernach aber soll ich auch noch nach Rom gehen, um ihn dort wieder zu sehen: so wenig würde der Engel bei Matthäus und Markus, wenn er von der jerusalemischen Erscheinung noch am nämlichen Tage etwas geahnt hätte, den Jüngern gesagt haben: geht nach Galiläa, dort wird sich euch Je- sus zeigen, sondern: seid nur getrost, hierselbst in Jerusa- lem werdet ihr ihn vor Abend noch zu sehen bekommen. Wozu die Verweisung auf das Entferntere, wenn ein gleich- artiges Näheres dazwischenlag? und wozu eine Bestellung der Jünger nach Galiläa durch die Weiber, wenn Jesus vorhersah, am nämlichen Tage noch die Jünger persön- lich zu sprechen? Mit Recht beharrt die neuere Kritik auf dem, was schon Lessing geltend gemacht hat 6), daſs kein Vernünftiger seinen Freunden durch eine dritte Per- son eine spätere Zusammenkunft zu freudigem Wiederse- hen an einem entfernten Ort anberaumen lasse, wenn er noch an demselben Tag und öfters am gegenwärtigen Or- te sie zu sehen gewiſs sei 7). Kann mithin der Engel und Jesus selbst, als sie am Morgen durch die Frauen die Jün- ger nach Galiläa beschieden, noch nichts davon gewuſst 4) a. a. O. S. 486. 5) Griesbach, Vorlesungen über Hermeneutik des N. T., mit Anwendung auf die Leidens- und Auferstehungsgesch. Chri- sti, herausgegeben von Steiner, S. 314. 6) Duplik, Werke, 24. Band, S. 204. 7) Schneckenburger, über den Ursprung des ersten kanon. Evang., S. 17 f.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 614. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/633>, abgerufen am 22.11.2024.