duum von Jesu Leiblichkeit sei jene Wolke gewesen, die ihn bei der Himmelfahrt umhüllte, in welche sich, was materiell an ihm war, aufgelöst habe und gleichsam ver- pufft sei 19). Da somit die Evangelisten das Ende des ir- dischen Wandels Jesu nach der Auferstehung weder als einen natürlichen Tod sich vorstellen, noch bei der Him- melfahrt irgend einer mit seinem Körper vorgegangenen Veränderung gedenken, überdiess aus der Zeit zwischen der Auferstehung und Himmelfahrt Dinge von Jesu berich- ten, welche von einem natürlichen Leib undenkbar sind: so können sie sich sein Leben seit der Auferstehung nicht als ein natürliches, sondern nur als ein übernatürliches, und seinen Leib nicht als einen organisch - materiellen, sondern nur als einen verklärten vorgestellt haben.
Dieser Vorstellung widersprechen auf dem Stand- punkt der Evangelisten auch diejenigen Züge nicht, wel- che die Freunde der rein natürlichen Ansicht vom Leben des Auferstandenen für sich geltend zu machen pflegen. Dass Jesus ass und trank, das sezte in dem bezeichneten Vorstellungskreise so wenig ein wirkliches Bedürfniss bei ihm voraus, als das Mahl, welches Jehova mit zwei En- geln bei Abraham einnahm: Essenkönnen ist hier kein Be- weis für Essenmüssen. Dass er sich betasten liess, war der einzig mögliche Beweis gegen die Vermuthung, ein körperloses Gespenst möge den Jüngern erschienen sein; auch Götterwesen erschienen in alterthümlicher, nicht bloss griechischer, sondern (nach der oben angeführten Stelle, 1 Mos. 32, 24.) auch hebräischer Vorstellung, bis- weilen betastbar, im Unterschied von wesenlosen Schatten, unerachtet sie sonst an die Gesetze der Materialität so we-
19) Noch etwas über die Frage: warum haben die Apostel Mat- thäus und Johannes nicht ebenso wie die zwei Evangelisten Markus und Lukas die Himmelfahrt ausdrücklich erzählt? In Süskind's Magazin, 17, S. 165 ff.
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Viertes Kapitel. §. 135.
duum von Jesu Leiblichkeit sei jene Wolke gewesen, die ihn bei der Himmelfahrt umhüllte, in welche sich, was materiell an ihm war, aufgelöst habe und gleichsam ver- pufft sei 19). Da somit die Evangelisten das Ende des ir- dischen Wandels Jesu nach der Auferstehung weder als einen natürlichen Tod sich vorstellen, noch bei der Him- melfahrt irgend einer mit seinem Körper vorgegangenen Veränderung gedenken, überdieſs aus der Zeit zwischen der Auferstehung und Himmelfahrt Dinge von Jesu berich- ten, welche von einem natürlichen Leib undenkbar sind: so können sie sich sein Leben seit der Auferstehung nicht als ein natürliches, sondern nur als ein übernatürliches, und seinen Leib nicht als einen organisch ‒ materiellen, sondern nur als einen verklärten vorgestellt haben.
Dieser Vorstellung widersprechen auf dem Stand- punkt der Evangelisten auch diejenigen Züge nicht, wel- che die Freunde der rein natürlichen Ansicht vom Leben des Auferstandenen für sich geltend zu machen pflegen. Daſs Jesus aſs und trank, das sezte in dem bezeichneten Vorstellungskreise so wenig ein wirkliches Bedürfniſs bei ihm voraus, als das Mahl, welches Jehova mit zwei En- geln bei Abraham einnahm: Essenkönnen ist hier kein Be- weis für Essenmüssen. Daſs er sich betasten lieſs, war der einzig mögliche Beweis gegen die Vermuthung, ein körperloses Gespenst möge den Jüngern erschienen sein; auch Götterwesen erschienen in alterthümlicher, nicht bloſs griechischer, sondern (nach der oben angeführten Stelle, 1 Mos. 32, 24.) auch hebräischer Vorstellung, bis- weilen betastbar, im Unterschied von wesenlosen Schatten, unerachtet sie sonst an die Gesetze der Materialität so we-
19) Noch etwas über die Frage: warum haben die Apostel Mat- thäus und Johannes nicht ebenso wie die zwei Evangelisten Markus und Lukas die Himmelfahrt ausdrücklich erzählt? In Süskind's Magazin, 17, S. 165 ff.
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Viertes Kapitel. §. 135.
duum von Jesu Leiblichkeit sei jene Wolke gewesen, die
ihn bei der Himmelfahrt umhüllte, in welche sich, was
materiell an ihm war, aufgelöst habe und gleichsam ver-
pufft sei 19). Da somit die Evangelisten das Ende des ir-
dischen Wandels Jesu nach der Auferstehung weder als
einen natürlichen Tod sich vorstellen, noch bei der Him-
melfahrt irgend einer mit seinem Körper vorgegangenen
Veränderung gedenken, überdieſs aus der Zeit zwischen
der Auferstehung und Himmelfahrt Dinge von Jesu berich-
ten, welche von einem natürlichen Leib undenkbar sind:
so können sie sich sein Leben seit der Auferstehung nicht
als ein natürliches, sondern nur als ein übernatürliches,
und seinen Leib nicht als einen organisch ‒ materiellen,
sondern nur als einen verklärten vorgestellt haben.
Dieser Vorstellung widersprechen auf dem Stand-
punkt der Evangelisten auch diejenigen Züge nicht, wel-
che die Freunde der rein natürlichen Ansicht vom Leben
des Auferstandenen für sich geltend zu machen pflegen.
Daſs Jesus aſs und trank, das sezte in dem bezeichneten
Vorstellungskreise so wenig ein wirkliches Bedürfniſs bei
ihm voraus, als das Mahl, welches Jehova mit zwei En-
geln bei Abraham einnahm: Essenkönnen ist hier kein Be-
weis für Essenmüssen. Daſs er sich betasten lieſs, war
der einzig mögliche Beweis gegen die Vermuthung, ein
körperloses Gespenst möge den Jüngern erschienen sein;
auch Götterwesen erschienen in alterthümlicher, nicht
bloſs griechischer, sondern (nach der oben angeführten
Stelle, 1 Mos. 32, 24.) auch hebräischer Vorstellung, bis-
weilen betastbar, im Unterschied von wesenlosen Schatten,
unerachtet sie sonst an die Gesetze der Materialität so we-
19) Noch etwas über die Frage: warum haben die Apostel Mat-
thäus und Johannes nicht ebenso wie die zwei Evangelisten
Markus und Lukas die Himmelfahrt ausdrücklich erzählt?
In Süskind's Magazin, 17, S. 165 ff.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 643. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/662>, abgerufen am 22.11.2024.
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