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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Fünftes Kapitel. §. 137.
könnte es nur etwa noch die richtigere Einsicht in die
Geistigkeit seines Reichs gewesen sein, was ihnen Jesus
durch das Anblasen verlieh: allein diese hatten sie ja un-
mittelbar vor der Himmelfahrt noch nicht, wo sie nach
A. G. 1, 6. fragten, ob mit der Geistesmittheilung in den
nächsten Tagen die Wiederherstellung des Reichs Israel
verbunden sein werde? Nimmt man aber an, nicht neue
Vermögen seien den Jüngern bei jeder folgenden Geistes-
mittheilung verliehen, sondern das mit allen Vermögen schon
in ihnen Vorhandene nur erhöht worden: so muss es doch
auffallen, dass kein Evangelist neben einer früheren Mit-
theilung noch einer späteren Vermehrung gedenkt, son-
dern, ausser einer beiläufigen Erwähnung des apologetischen
pneuma bei Lukas (12, 12.), welche, weil sie hier nicht,
wie bei Matthäus, mit einer Aussendung zusammenhängt,
nur als Hinweisung auf die Zeit nach der späteren Aus-
giessung des Geistes erscheinen kann, gedenkt jeder bloss
Einer solchen, und lässt diese die erste und lezte sein:
zum deutlichen Beweis, dass jene Zusammenstellung dreier
derselben, als verschiedener Stufen, nur durch das har-
monistische Bestreben in die Urkunden hineingetragen ist.

Drei verschiedene Ansichten also über die Mittheilung
des pneuma an die Jünger Jesu finden sich im N. T., wel-
che in zweifacher Hinsicht einen Klimax bilden. Der Zeit
nach nämlich sezt Matthäus die Mittheilung am frühsten:
noch in die Periode des natürlichen Lebens Jesu; Lukas
am spätesten: in die Zeit nach seinem völligen Abschied
von der Erde; Johannes in eine mittlere Zeit: in die Tage
der Auferstehung. Die Fassung des Faktums dieser Mit-
theilung aber ist bei Matthäus die einfachste, am wenig-
sten sinnliche, indem er keinen besondern und äusserlich
anschaulichen Mittheilungsakt hat; Johannes hat bereits
einen solchen in der Handlung des Anblasens; bei Lukas
in der A. G. ist das sanfte Anhauchen zum heftigen Stur-
me geworden, der das Haus bewegt, und mit welchem

Fünftes Kapitel. §. 137.
könnte es nur etwa noch die richtigere Einsicht in die
Geistigkeit seines Reichs gewesen sein, was ihnen Jesus
durch das Anblasen verlieh: allein diese hatten sie ja un-
mittelbar vor der Himmelfahrt noch nicht, wo sie nach
A. G. 1, 6. fragten, ob mit der Geistesmittheilung in den
nächsten Tagen die Wiederherstellung des Reichs Israël
verbunden sein werde? Nimmt man aber an, nicht neue
Vermögen seien den Jüngern bei jeder folgenden Geistes-
mittheilung verliehen, sondern das mit allen Vermögen schon
in ihnen Vorhandene nur erhöht worden: so muſs es doch
auffallen, daſs kein Evangelist neben einer früheren Mit-
theilung noch einer späteren Vermehrung gedenkt, son-
dern, ausser einer beiläufigen Erwähnung des apologetischen
πνεῦμα bei Lukas (12, 12.), welche, weil sie hier nicht,
wie bei Matthäus, mit einer Aussendung zusammenhängt,
nur als Hinweisung auf die Zeit nach der späteren Aus-
gieſsung des Geistes erscheinen kann, gedenkt jeder bloſs
Einer solchen, und läſst diese die erste und lezte sein:
zum deutlichen Beweis, daſs jene Zusammenstellung dreier
derselben, als verschiedener Stufen, nur durch das har-
monistische Bestreben in die Urkunden hineingetragen ist.

Drei verschiedene Ansichten also über die Mittheilung
des πνεῦμα an die Jünger Jesu finden sich im N. T., wel-
che in zweifacher Hinsicht einen Klimax bilden. Der Zeit
nach nämlich sezt Matthäus die Mittheilung am frühsten:
noch in die Periode des natürlichen Lebens Jesu; Lukas
am spätesten: in die Zeit nach seinem völligen Abschied
von der Erde; Johannes in eine mittlere Zeit: in die Tage
der Auferstehung. Die Fassung des Faktums dieser Mit-
theilung aber ist bei Matthäus die einfachste, am wenig-
sten sinnliche, indem er keinen besondern und äusserlich
anschaulichen Mittheilungsakt hat; Johannes hat bereits
einen solchen in der Handlung des Anblasens; bei Lukas
in der A. G. ist das sanfte Anhauchen zum heftigen Stur-
me geworden, der das Haus bewegt, und mit welchem

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[669/0688] Fünftes Kapitel. §. 137. könnte es nur etwa noch die richtigere Einsicht in die Geistigkeit seines Reichs gewesen sein, was ihnen Jesus durch das Anblasen verlieh: allein diese hatten sie ja un- mittelbar vor der Himmelfahrt noch nicht, wo sie nach A. G. 1, 6. fragten, ob mit der Geistesmittheilung in den nächsten Tagen die Wiederherstellung des Reichs Israël verbunden sein werde? Nimmt man aber an, nicht neue Vermögen seien den Jüngern bei jeder folgenden Geistes- mittheilung verliehen, sondern das mit allen Vermögen schon in ihnen Vorhandene nur erhöht worden: so muſs es doch auffallen, daſs kein Evangelist neben einer früheren Mit- theilung noch einer späteren Vermehrung gedenkt, son- dern, ausser einer beiläufigen Erwähnung des apologetischen πνεῦμα bei Lukas (12, 12.), welche, weil sie hier nicht, wie bei Matthäus, mit einer Aussendung zusammenhängt, nur als Hinweisung auf die Zeit nach der späteren Aus- gieſsung des Geistes erscheinen kann, gedenkt jeder bloſs Einer solchen, und läſst diese die erste und lezte sein: zum deutlichen Beweis, daſs jene Zusammenstellung dreier derselben, als verschiedener Stufen, nur durch das har- monistische Bestreben in die Urkunden hineingetragen ist. Drei verschiedene Ansichten also über die Mittheilung des πνεῦμα an die Jünger Jesu finden sich im N. T., wel- che in zweifacher Hinsicht einen Klimax bilden. Der Zeit nach nämlich sezt Matthäus die Mittheilung am frühsten: noch in die Periode des natürlichen Lebens Jesu; Lukas am spätesten: in die Zeit nach seinem völligen Abschied von der Erde; Johannes in eine mittlere Zeit: in die Tage der Auferstehung. Die Fassung des Faktums dieser Mit- theilung aber ist bei Matthäus die einfachste, am wenig- sten sinnliche, indem er keinen besondern und äusserlich anschaulichen Mittheilungsakt hat; Johannes hat bereits einen solchen in der Handlung des Anblasens; bei Lukas in der A. G. ist das sanfte Anhauchen zum heftigen Stur- me geworden, der das Haus bewegt, und mit welchem

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 669. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/688>, abgerufen am 22.11.2024.