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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Schlussabhandlung. §. 144.
christlichen Gemeinschaft in einem Verhältniss steht, ver-
möge dessen diese Eigenschaften von ihm sich ihr mitthei-
len können: d. h., da vor dieser Mittheilung die christliche
Gemeinschaft als solche nicht vorhanden gewesen sein kann,
ihr Stifter war. Was wir in uns als Christen bewirkt
finden, daraus schliessen wir, wie immer von der Wirkung
auf die Ursache geschlossen wird, auf die Wirksamkeit
Christi zurück, und aus seiner Wirksamkeit auf seine
Person, welche die Fähigkeit gehabt haben muss, solches
zu bewirken.

Näher ist nun, was wir in der christlichen Gemein-
schaft in uns finden, eine Kräftigung des Gottesbewusstseins
in seinem Verhältniss zum sinnlichen, d. h. wir finden es
uns erleichtert, die Übermacht der Sinnlichkeit in uns zu
brechen, alle Eindrücke, die wir empfangen, auf das re-
ligiöse Gefühl zu beziehen, und hinwiederum alle Thätig-
keiten aus demselben hervorgehen zu lassen. Nach dem
Obigen ist diess die Wirkung Christi auf uns, welcher die
Kräftigkeit seines Gottesbewusstseins uns mittheilt, von der
Knechtschaft der Sinnlichkeit und Sünde uns befreit, und
hiemit der Erlöser ist. In dem Gefühl des gekräftigten Got-
tesbewusstseins, welches der Christ in der Gemeinschaft
mit seinem Erlöser hat, werden die Hemmungen seines
natürlichen und geselligen Lebens nicht zugleich als Hem-
mungen des Gottesbewusstseins empfunden; sie unterbre-
chen nicht die Seligkeit, welche er in seinem innersten re-
ligiösen Leben geniesst; was man sonst Übel und göttliche
Strafen nennt, ist es für ihn nicht, und insofern es Chri-
stus ist, der ihn durch Aufnahme in die Gemeinschaft sei-
ner Seligkeit hievon befreit, kommt diesem neben der er-
lösenden auch die versöhnende Thätigkeit zu. -- Hienach
allein ist denn auch die kirchliche Lehre von dem dreifa-
ehen Amte Christi zu verstehen. Prophet ist er, sofern er
nicht anders, als durch das Wort, durch Selbstdarstel-
lung überhaupt, die Menschheit an sich ziehen konnte: so

Schluſsabhandlung. §. 144.
christlichen Gemeinschaft in einem Verhältniſs steht, ver-
möge dessen diese Eigenschaften von ihm sich ihr mitthei-
len können: d. h., da vor dieser Mittheilung die christliche
Gemeinschaft als solche nicht vorhanden gewesen sein kann,
ihr Stifter war. Was wir in uns als Christen bewirkt
finden, daraus schlieſsen wir, wie immer von der Wirkung
auf die Ursache geschlossen wird, auf die Wirksamkeit
Christi zurück, und aus seiner Wirksamkeit auf seine
Person, welche die Fähigkeit gehabt haben muſs, solches
zu bewirken.

Näher ist nun, was wir in der christlichen Gemein-
schaft in uns finden, eine Kräftigung des Gottesbewuſstseins
in seinem Verhältniſs zum sinnlichen, d. h. wir finden es
uns erleichtert, die Übermacht der Sinnlichkeit in uns zu
brechen, alle Eindrücke, die wir empfangen, auf das re-
ligiöse Gefühl zu beziehen, und hinwiederum alle Thätig-
keiten aus demselben hervorgehen zu lassen. Nach dem
Obigen ist dieſs die Wirkung Christi auf uns, welcher die
Kräftigkeit seines Gottesbewuſstseins uns mittheilt, von der
Knechtschaft der Sinnlichkeit und Sünde uns befreit, und
hiemit der Erlöser ist. In dem Gefühl des gekräftigten Got-
tesbewuſstseins, welches der Christ in der Gemeinschaft
mit seinem Erlöser hat, werden die Hemmungen seines
natürlichen und geselligen Lebens nicht zugleich als Hem-
mungen des Gottesbewuſstseins empfunden; sie unterbre-
chen nicht die Seligkeit, welche er in seinem innersten re-
ligiösen Leben genieſst; was man sonst Übel und göttliche
Strafen nennt, ist es für ihn nicht, und insofern es Chri-
stus ist, der ihn durch Aufnahme in die Gemeinschaft sei-
ner Seligkeit hievon befreit, kommt diesem neben der er-
lösenden auch die versöhnende Thätigkeit zu. — Hienach
allein ist denn auch die kirchliche Lehre von dem dreifa-
ehen Amte Christi zu verstehen. Prophet ist er, sofern er
nicht anders, als durch das Wort, durch Selbstdarstel-
lung überhaupt, die Menschheit an sich ziehen konnte: so

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[712/0731] Schluſsabhandlung. §. 144. christlichen Gemeinschaft in einem Verhältniſs steht, ver- möge dessen diese Eigenschaften von ihm sich ihr mitthei- len können: d. h., da vor dieser Mittheilung die christliche Gemeinschaft als solche nicht vorhanden gewesen sein kann, ihr Stifter war. Was wir in uns als Christen bewirkt finden, daraus schlieſsen wir, wie immer von der Wirkung auf die Ursache geschlossen wird, auf die Wirksamkeit Christi zurück, und aus seiner Wirksamkeit auf seine Person, welche die Fähigkeit gehabt haben muſs, solches zu bewirken. Näher ist nun, was wir in der christlichen Gemein- schaft in uns finden, eine Kräftigung des Gottesbewuſstseins in seinem Verhältniſs zum sinnlichen, d. h. wir finden es uns erleichtert, die Übermacht der Sinnlichkeit in uns zu brechen, alle Eindrücke, die wir empfangen, auf das re- ligiöse Gefühl zu beziehen, und hinwiederum alle Thätig- keiten aus demselben hervorgehen zu lassen. Nach dem Obigen ist dieſs die Wirkung Christi auf uns, welcher die Kräftigkeit seines Gottesbewuſstseins uns mittheilt, von der Knechtschaft der Sinnlichkeit und Sünde uns befreit, und hiemit der Erlöser ist. In dem Gefühl des gekräftigten Got- tesbewuſstseins, welches der Christ in der Gemeinschaft mit seinem Erlöser hat, werden die Hemmungen seines natürlichen und geselligen Lebens nicht zugleich als Hem- mungen des Gottesbewuſstseins empfunden; sie unterbre- chen nicht die Seligkeit, welche er in seinem innersten re- ligiösen Leben genieſst; was man sonst Übel und göttliche Strafen nennt, ist es für ihn nicht, und insofern es Chri- stus ist, der ihn durch Aufnahme in die Gemeinschaft sei- ner Seligkeit hievon befreit, kommt diesem neben der er- lösenden auch die versöhnende Thätigkeit zu. — Hienach allein ist denn auch die kirchliche Lehre von dem dreifa- ehen Amte Christi zu verstehen. Prophet ist er, sofern er nicht anders, als durch das Wort, durch Selbstdarstel- lung überhaupt, die Menschheit an sich ziehen konnte: so

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 712. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/731>, abgerufen am 22.11.2024.