da die Wechselwirkung, in welcher bei'm Menschen sowohl die innere Geisteskraft überhaupt mit der auf sie einwirkenden Aussenwelt, als insbesondre die höhere, re- ligiössittliche Kraft mit der sinnlichen Geistesthätigkeit steht, nothwendig als Kampf zur Erscheinung kommt 6).
So wenig aber auf dieser Seite der Wissenschaft, so wenig thut die in Rede stehende Christologie auf der an- dern Seite dem Glauben genug. Um von denjenigen Punkten abzusehen, wo sie für die kirchlichen Bestimmungen wenig- tens annehmliche Surrogate zu bieten weiss, über welche sich jedoch gleichfalls streiten liesse, ob sie völligen Er- saz gewähren 7), tritt diess am schreiendsten in der Be- hauptung hervor, die Thatsachen der Auferstehung und Himmelfahrt gehören nicht wesentlich zum christlichen Glauben. Während doch der Glaube an die Auferstehung Christi der Grundstein ist, ohne welchen die christliche Gemeinde sich nicht hätte aufbauen können, auch jezt noch der christliche Festcyclus, die äussere Darstellung des christlichen Bewusstseins, keine tödtlichere Verstüm- melung erleiden könnte, als wenn aus demselben das Oster- fest ausgebrochen würde; überhaupt im Glauben der Ge- meinde der gestorbene Christus nicht sein könnte, was er ist, wenn er nicht zugleich der Wiedererstandene wäre.
Zeigt sich an der Schleiermacher'schen Lehre von der Person und den Zuständen Christi besonders ihre doppelte Unzulänglichkeit, in Bezug auf Kirchenglauben und Wis- schaft: so wird aus der Lehre von der Wirksamkeit Chri- sti erhellen, dass, um dem ersteren nur so weit genug zu thun, als hier geschieht, ein solcher Widerspruch gegen die Grundsätze der lezteren gar nicht nöthig, sondern ein leichteres Verfahren möglich war. Nämlich bloss auf den
6)Schmid, a. a. O.
7) Vgl. Rosenkranz a. a. O. S. 935 ff.
Schluſsabhandlung. §. 144.
da die Wechselwirkung, in welcher bei'm Menschen sowohl die innere Geisteskraft überhaupt mit der auf sie einwirkenden Aussenwelt, als insbesondre die höhere, re- ligiössittliche Kraft mit der sinnlichen Geistesthätigkeit steht, nothwendig als Kampf zur Erscheinung kommt 6).
So wenig aber auf dieser Seite der Wissenschaft, so wenig thut die in Rede stehende Christologie auf der an- dern Seite dem Glauben genug. Um von denjenigen Punkten abzusehen, wo sie für die kirchlichen Bestimmungen wenig- tens annehmliche Surrogate zu bieten weiſs, über welche sich jedoch gleichfalls streiten lieſse, ob sie völligen Er- saz gewähren 7), tritt dieſs am schreiendsten in der Be- hauptung hervor, die Thatsachen der Auferstehung und Himmelfahrt gehören nicht wesentlich zum christlichen Glauben. Während doch der Glaube an die Auferstehung Christi der Grundstein ist, ohne welchen die christliche Gemeinde sich nicht hätte aufbauen können, auch jezt noch der christliche Festcyclus, die äussere Darstellung des christlichen Bewuſstseins, keine tödtlichere Verstüm- melung erleiden könnte, als wenn aus demselben das Oster- fest ausgebrochen würde; überhaupt im Glauben der Ge- meinde der gestorbene Christus nicht sein könnte, was er ist, wenn er nicht zugleich der Wiedererstandene wäre.
Zeigt sich an der Schleiermacher'schen Lehre von der Person und den Zuständen Christi besonders ihre doppelte Unzulänglichkeit, in Bezug auf Kirchenglauben und Wis- schaft: so wird aus der Lehre von der Wirksamkeit Chri- sti erhellen, daſs, um dem ersteren nur so weit genug zu thun, als hier geschieht, ein solcher Widerspruch gegen die Grundsätze der lezteren gar nicht nöthig, sondern ein leichteres Verfahren möglich war. Nämlich bloſs auf den
6)Schmid, a. a. O.
7) Vgl. Rosenkranz a. a. O. S. 935 ff.
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Schluſsabhandlung. §. 144.
da die Wechselwirkung, in welcher bei'm Menschen
sowohl die innere Geisteskraft überhaupt mit der auf sie
einwirkenden Aussenwelt, als insbesondre die höhere, re-
ligiössittliche Kraft mit der sinnlichen Geistesthätigkeit
steht, nothwendig als Kampf zur Erscheinung kommt 6).
So wenig aber auf dieser Seite der Wissenschaft, so
wenig thut die in Rede stehende Christologie auf der an-
dern Seite dem Glauben genug. Um von denjenigen Punkten
abzusehen, wo sie für die kirchlichen Bestimmungen wenig-
tens annehmliche Surrogate zu bieten weiſs, über welche
sich jedoch gleichfalls streiten lieſse, ob sie völligen Er-
saz gewähren 7), tritt dieſs am schreiendsten in der Be-
hauptung hervor, die Thatsachen der Auferstehung und
Himmelfahrt gehören nicht wesentlich zum christlichen
Glauben. Während doch der Glaube an die Auferstehung
Christi der Grundstein ist, ohne welchen die christliche
Gemeinde sich nicht hätte aufbauen können, auch jezt
noch der christliche Festcyclus, die äussere Darstellung
des christlichen Bewuſstseins, keine tödtlichere Verstüm-
melung erleiden könnte, als wenn aus demselben das Oster-
fest ausgebrochen würde; überhaupt im Glauben der Ge-
meinde der gestorbene Christus nicht sein könnte, was
er ist, wenn er nicht zugleich der Wiedererstandene
wäre.
Zeigt sich an der Schleiermacher'schen Lehre von der
Person und den Zuständen Christi besonders ihre doppelte
Unzulänglichkeit, in Bezug auf Kirchenglauben und Wis-
schaft: so wird aus der Lehre von der Wirksamkeit Chri-
sti erhellen, daſs, um dem ersteren nur so weit genug zu
thun, als hier geschieht, ein solcher Widerspruch gegen
die Grundsätze der lezteren gar nicht nöthig, sondern ein
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6) Schmid, a. a. O.
7) Vgl. Rosenkranz a. a. O. S. 935 ff.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 718. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/737>, abgerufen am 22.11.2024.
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