solchen Forschungen abgeben wollen, wenn er dadurch Ge- fahr liefe, auf Resultate geführt zu werden, welche ihn nöthigten, aus dem geistlichen Stand zu treten; die Kri- tik und Philosophie würde Eigenthum der Nichttheologen werden, den Theologen aber bliebe nur der Glaube, wel- cher dann den Angriffen der kritischen und speculativen Laien unmöglich in die Länge widerstehen könnte. Doch der mögliche Erfolg hat da, wo es Wahrheit gilt, kein Gewicht, und so soll das eben Gesagte nicht gesagt sein. Das aber bleibt doch, wenn wir auf die Sache selbst se- hen, dass, wen seine theologischen Studien auf einen Standpunkt geführt haben, auf welchem er glauben muss, hinter die Wahrheit gekommen, in das innerste Mysterium der Theologie eingedrungen zu sein, der sich nicht ge- neigt oder verpflichtet fühlen kann, nun gerade die Theolo- gie zu quittiren, dass diess vielmehr für einen solchen eine unnatürliche Zumuthung, ja geradezu unmöglich sein muss.
Er wird also nach einem andern Ausweg suchen, und als solcher bietet sich ein vierter, der, wie die zwei ersten einseitig, der dritte nur eine negative Vermittlung war, so eine positive Vermittlung zwischen den beiden Extremen, dem Bewusstsein des Theologen und der Ge- meinde, ist. Er wird sich in seiner Mittheilung an die Gemeinde zwar in den Formen der populären Vorstellung halten, aber so, dass er bei jeder Gelegenheit den geistigen Inhalt, der ihm die einzige Wahrheit der Sache ist, durch- scheinen lässt, und so die allmählige Auflösung jener For- men auch im Bewusstsein der Gemeinde vorbereitet. Er wird also, um bei dem gewählten Beispiel zu bleiben, am Osterfest zwar von dem sinnlichen Faktum der Auferste- hung Christi ausgehen, aber als die Hauptsache jenes mit Christo Begrabenwerden und Auferstehen hervorheben, worauf schon der Apostel dringt. Diesen Gang nimmt ei- gentlich jeder Prediger, auch der rechtgläubigste, so oft er aus der evangelischen Perikope, über welche er predigt,
Schluſsabhandlung. §. 147.
solchen Forschungen abgeben wollen, wenn er dadurch Ge- fahr liefe, auf Resultate geführt zu werden, welche ihn nöthigten, aus dem geistlichen Stand zu treten; die Kri- tik und Philosophie würde Eigenthum der Nichttheologen werden, den Theologen aber bliebe nur der Glaube, wel- cher dann den Angriffen der kritischen und speculativen Laien unmöglich in die Länge widerstehen könnte. Doch der mögliche Erfolg hat da, wo es Wahrheit gilt, kein Gewicht, und so soll das eben Gesagte nicht gesagt sein. Das aber bleibt doch, wenn wir auf die Sache selbst se- hen, daſs, wen seine theologischen Studien auf einen Standpunkt geführt haben, auf welchem er glauben muſs, hinter die Wahrheit gekommen, in das innerste Mysterium der Theologie eingedrungen zu sein, der sich nicht ge- neigt oder verpflichtet fühlen kann, nun gerade die Theolo- gie zu quittiren, daſs dieſs vielmehr für einen solchen eine unnatürliche Zumuthung, ja geradezu unmöglich sein muſs.
Er wird also nach einem andern Ausweg suchen, und als solcher bietet sich ein vierter, der, wie die zwei ersten einseitig, der dritte nur eine negative Vermittlung war, so eine positive Vermittlung zwischen den beiden Extremen, dem Bewuſstsein des Theologen und der Ge- meinde, ist. Er wird sich in seiner Mittheilung an die Gemeinde zwar in den Formen der populären Vorstellung halten, aber so, daſs er bei jeder Gelegenheit den geistigen Inhalt, der ihm die einzige Wahrheit der Sache ist, durch- scheinen läſst, und so die allmählige Auflösung jener For- men auch im Bewuſstsein der Gemeinde vorbereitet. Er wird also, um bei dem gewählten Beispiel zu bleiben, am Osterfest zwar von dem sinnlichen Faktum der Auferste- hung Christi ausgehen, aber als die Hauptsache jenes mit Christo Begrabenwerden und Auferstehen hervorheben, worauf schon der Apostel dringt. Diesen Gang nimmt ei- gentlich jeder Prediger, auch der rechtgläubigste, so oft er aus der evangelischen Perikope, über welche er predigt,
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Schluſsabhandlung. §. 147.
solchen Forschungen abgeben wollen, wenn er dadurch Ge-
fahr liefe, auf Resultate geführt zu werden, welche ihn
nöthigten, aus dem geistlichen Stand zu treten; die Kri-
tik und Philosophie würde Eigenthum der Nichttheologen
werden, den Theologen aber bliebe nur der Glaube, wel-
cher dann den Angriffen der kritischen und speculativen
Laien unmöglich in die Länge widerstehen könnte. Doch
der mögliche Erfolg hat da, wo es Wahrheit gilt, kein
Gewicht, und so soll das eben Gesagte nicht gesagt sein.
Das aber bleibt doch, wenn wir auf die Sache selbst se-
hen, daſs, wen seine theologischen Studien auf einen
Standpunkt geführt haben, auf welchem er glauben muſs,
hinter die Wahrheit gekommen, in das innerste Mysterium
der Theologie eingedrungen zu sein, der sich nicht ge-
neigt oder verpflichtet fühlen kann, nun gerade die Theolo-
gie zu quittiren, daſs dieſs vielmehr für einen solchen eine
unnatürliche Zumuthung, ja geradezu unmöglich sein muſs.
Er wird also nach einem andern Ausweg suchen,
und als solcher bietet sich ein vierter, der, wie die zwei
ersten einseitig, der dritte nur eine negative Vermittlung
war, so eine positive Vermittlung zwischen den beiden
Extremen, dem Bewuſstsein des Theologen und der Ge-
meinde, ist. Er wird sich in seiner Mittheilung an die
Gemeinde zwar in den Formen der populären Vorstellung
halten, aber so, daſs er bei jeder Gelegenheit den geistigen
Inhalt, der ihm die einzige Wahrheit der Sache ist, durch-
scheinen läſst, und so die allmählige Auflösung jener For-
men auch im Bewuſstsein der Gemeinde vorbereitet. Er
wird also, um bei dem gewählten Beispiel zu bleiben, am
Osterfest zwar von dem sinnlichen Faktum der Auferste-
hung Christi ausgehen, aber als die Hauptsache jenes mit
Christo Begrabenwerden und Auferstehen hervorheben,
worauf schon der Apostel dringt. Diesen Gang nimmt ei-
gentlich jeder Prediger, auch der rechtgläubigste, so oft
er aus der evangelischen Perikope, über welche er predigt,
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 742. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/761>, abgerufen am 24.11.2024.
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