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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Acht und dreyßigste Betrachtnng.
Jesus nicht befriediget werden. Er will der Herr meines
Herzens seyn; er will, daß seine Liebe vor aller Liebe den
Vorzug habe. Von seinem Kreuze herab fordert er mein
Herz, welches ihm allein zugehört, und aus welchem ihn die
Leidenschaften, die Welt und die Laster vertrieben haben.
Er fordert mein Herz, als die einzige Erkenntlichkeit die
er erwartet, als ein Geschenk, das angenehmer als alle Op-
fer seyn wird. Um des Blutes willen, das er für mich
vergossen hat, um der Bitterkeit seiner Verlassung willen,
die er niemals würde erfahren haben, wenn es nicht um
meinetwillen geschehen wäre, verlangt er mein Herz. Und
wie könnte ich dieses Verlangen unerfüllt lassen? Wie
könnte ich fortfahren, der Welt, der Sünde, der Eitel-
keit mein Herz aufzuopfern? Nein, göttlicher Erlöser,
mein Herz soll dein Eigenthum seyn. Nur dir will ich
leben, nur dir wohlzugefallen will ich suchen, nur dir will
ich nachzufolgen mich bemühen.

Der Sünde wollte ich mich ergeben? Der Sün-
de? Welche Undankbarkeit, welcher Frevel wäre dis!
Könnte ich dann wohl ohne Schauer und Entsetzen an
die Klage Jesu am Kreuze denken? Schrecklich sind die
Strafen, welche Gott den Sündern gedrohet hat; aber
weit schrecklicher ist die Strafe, mit welcher Jesus belegt
wurde. Fürchterlich ist es, in die Hände des lebendigen
Gottes zu fallen: aber dis übersteigt alles, was fürchter-
lich heissen kann, wenn ich Jesum, den unschuldigen| Je-
sum von der Rache Gottes gemartert sehe. So oft sehe
ich in der Verblendung meiner Leidenschaften die Sünde
als eine Kleinigkeit an. Geiz, Wollust, Ungerechtigkeit,
Weltliebe sind in meinen Augen nichtsbedeutende Dinge,
zum wenigsten solche geringe Vergehungen, wegen wel-
cher ich keine Ahndung befürchten zu dürfen glaube. Al-
lein werden sie noch Kleinigkeiten bleiben, wenn ich beden-

ke,

Acht und dreyßigſte Betrachtnng.
Jeſus nicht befriediget werden. Er will der Herr meines
Herzens ſeyn; er will, daß ſeine Liebe vor aller Liebe den
Vorzug habe. Von ſeinem Kreuze herab fordert er mein
Herz, welches ihm allein zugehört, und aus welchem ihn die
Leidenſchaften, die Welt und die Laſter vertrieben haben.
Er fordert mein Herz, als die einzige Erkenntlichkeit die
er erwartet, als ein Geſchenk, das angenehmer als alle Op-
fer ſeyn wird. Um des Blutes willen, das er für mich
vergoſſen hat, um der Bitterkeit ſeiner Verlaſſung willen,
die er niemals würde erfahren haben, wenn es nicht um
meinetwillen geſchehen wäre, verlangt er mein Herz. Und
wie könnte ich dieſes Verlangen unerfüllt laſſen? Wie
könnte ich fortfahren, der Welt, der Sünde, der Eitel-
keit mein Herz aufzuopfern? Nein, göttlicher Erlöſer,
mein Herz ſoll dein Eigenthum ſeyn. Nur dir will ich
leben, nur dir wohlzugefallen will ich ſuchen, nur dir will
ich nachzufolgen mich bemühen.

Der Sünde wollte ich mich ergeben? Der Sün-
de? Welche Undankbarkeit, welcher Frevel wäre dis!
Könnte ich dann wohl ohne Schauer und Entſetzen an
die Klage Jeſu am Kreuze denken? Schrecklich ſind die
Strafen, welche Gott den Sündern gedrohet hat; aber
weit ſchrecklicher iſt die Strafe, mit welcher Jeſus belegt
wurde. Fürchterlich iſt es, in die Hände des lebendigen
Gottes zu fallen: aber dis überſteigt alles, was fürchter-
lich heiſſen kann, wenn ich Jeſum, den unſchuldigen| Je-
ſum von der Rache Gottes gemartert ſehe. So oft ſehe
ich in der Verblendung meiner Leidenſchaften die Sünde
als eine Kleinigkeit an. Geiz, Wolluſt, Ungerechtigkeit,
Weltliebe ſind in meinen Augen nichtsbedeutende Dinge,
zum wenigſten ſolche geringe Vergehungen, wegen wel-
cher ich keine Ahndung befürchten zu dürfen glaube. Al-
lein werden ſie noch Kleinigkeiten bleiben, wenn ich beden-

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[174/0196] Acht und dreyßigſte Betrachtnng. Jeſus nicht befriediget werden. Er will der Herr meines Herzens ſeyn; er will, daß ſeine Liebe vor aller Liebe den Vorzug habe. Von ſeinem Kreuze herab fordert er mein Herz, welches ihm allein zugehört, und aus welchem ihn die Leidenſchaften, die Welt und die Laſter vertrieben haben. Er fordert mein Herz, als die einzige Erkenntlichkeit die er erwartet, als ein Geſchenk, das angenehmer als alle Op- fer ſeyn wird. Um des Blutes willen, das er für mich vergoſſen hat, um der Bitterkeit ſeiner Verlaſſung willen, die er niemals würde erfahren haben, wenn es nicht um meinetwillen geſchehen wäre, verlangt er mein Herz. Und wie könnte ich dieſes Verlangen unerfüllt laſſen? Wie könnte ich fortfahren, der Welt, der Sünde, der Eitel- keit mein Herz aufzuopfern? Nein, göttlicher Erlöſer, mein Herz ſoll dein Eigenthum ſeyn. Nur dir will ich leben, nur dir wohlzugefallen will ich ſuchen, nur dir will ich nachzufolgen mich bemühen. Der Sünde wollte ich mich ergeben? Der Sün- de? Welche Undankbarkeit, welcher Frevel wäre dis! Könnte ich dann wohl ohne Schauer und Entſetzen an die Klage Jeſu am Kreuze denken? Schrecklich ſind die Strafen, welche Gott den Sündern gedrohet hat; aber weit ſchrecklicher iſt die Strafe, mit welcher Jeſus belegt wurde. Fürchterlich iſt es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen: aber dis überſteigt alles, was fürchter- lich heiſſen kann, wenn ich Jeſum, den unſchuldigen| Je- ſum von der Rache Gottes gemartert ſehe. So oft ſehe ich in der Verblendung meiner Leidenſchaften die Sünde als eine Kleinigkeit an. Geiz, Wolluſt, Ungerechtigkeit, Weltliebe ſind in meinen Augen nichtsbedeutende Dinge, zum wenigſten ſolche geringe Vergehungen, wegen wel- cher ich keine Ahndung befürchten zu dürfen glaube. Al- lein werden ſie noch Kleinigkeiten bleiben, wenn ich beden- ke,

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/196>, abgerufen am 21.11.2024.