Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweyter Abschnitt.
waren, daß Pilatus schon zuvor durch sie von Jesu, als
einer für den Staat gefährlichen Person, genug benach-
richtiget worden. Sie gaben ihm daher die trotzige Ant-
wort: So gewissenhaft werden wir wohl seyn, daß
wir keinen Menschen an dich ausliefern werden, um
ihn mit der Todesstrafe zu belegen, der sie nicht ver-
dient haben sollte.
Pilatus erwiederte: Nun, wenn
dis ist, so werdet ihr am besten thun, wenn ihr
ihn nach euren Gesetzen selbst zur Strafe ziehet.
Al-
lein die Juden antworteten: es ist uns nicht erlaubt,
jemanden das Leben zu nehmen.
Da sie auf diese
Weise darauf bestunden, daß Pilatus das Todesurtheil
an Jesu vollziehen sollte, so wurde hiedurch der Ausspruch
Jesu erfüllet, vermittelst dessen er öfter angezeigt hatte,
durch was für eine Todesart er sein Leben verlieren würde.
Denn hätten ihn die Juden selbst getödtet, so wäre er, da
sie ihn für einen falschen Propheten und Verführer des
Volks erklärten, gesteiniget worden. So aber, da
er von einer römischen Obrigkeit hingerichtet wer-
den sollte, so war ihm die Kreuzigung bestimmt. Indeß
sahen die Juden wohl, daß sich Pilatus nicht dazu verste-
hen würde, Jesum ohne gerichtlichtliche Untersuchung hin-
zurichten. Daher brachten sie ihre ordentliche Klage vor.
Wir haben gefunden, sagten sie, daß dieser das Volk
in dem ganzen jüdischen Lande aufzuwiegeln sucht;
ja, daß er ihm sogar abräth, an den Kaiser einige
Abgaben zu erlegen. Denn er giebt vor, er wäre
der Meßias, ihr König.

Praktische Anmerkungen.

1. Wie verabscheuungswürdig ist ein Heuchler, welcher Men-
schengebote sorgfältig zu beobachten sucht, aber Gottes Gebote
frevelhaft übertritt!

2. Wenn

Zweyter Abſchnitt.
waren, daß Pilatus ſchon zuvor durch ſie von Jeſu, als
einer für den Staat gefährlichen Perſon, genug benach-
richtiget worden. Sie gaben ihm daher die trotzige Ant-
wort: So gewiſſenhaft werden wir wohl ſeyn, daß
wir keinen Menſchen an dich ausliefern werden, um
ihn mit der Todesſtrafe zu belegen, der ſie nicht ver-
dient haben ſollte.
Pilatus erwiederte: Nun, wenn
dis iſt, ſo werdet ihr am beſten thun, wenn ihr
ihn nach euren Geſetzen ſelbſt zur Strafe ziehet.
Al-
lein die Juden antworteten: es iſt uns nicht erlaubt,
jemanden das Leben zu nehmen.
Da ſie auf dieſe
Weiſe darauf beſtunden, daß Pilatus das Todesurtheil
an Jeſu vollziehen ſollte, ſo wurde hiedurch der Ausſpruch
Jeſu erfüllet, vermittelſt deſſen er öfter angezeigt hatte,
durch was für eine Todesart er ſein Leben verlieren würde.
Denn hätten ihn die Juden ſelbſt getödtet, ſo wäre er, da
ſie ihn für einen falſchen Propheten und Verführer des
Volks erklärten, geſteiniget worden. So aber, da
er von einer römiſchen Obrigkeit hingerichtet wer-
den ſollte, ſo war ihm die Kreuzigung beſtimmt. Indeß
ſahen die Juden wohl, daß ſich Pilatus nicht dazu verſte-
hen würde, Jeſum ohne gerichtlichtliche Unterſuchung hin-
zurichten. Daher brachten ſie ihre ordentliche Klage vor.
Wir haben gefunden, ſagten ſie, daß dieſer das Volk
in dem ganzen jüdiſchen Lande aufzuwiegeln ſucht;
ja, daß er ihm ſogar abräth, an den Kaiſer einige
Abgaben zu erlegen. Denn er giebt vor, er wäre
der Meßias, ihr König.

Praktiſche Anmerkungen.

1. Wie verabſcheuungswürdig iſt ein Heuchler, welcher Men-
ſchengebote ſorgfältig zu beobachten ſucht, aber Gottes Gebote
frevelhaft übertritt!

2. Wenn
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0274" n="252"/><fw place="top" type="header">Zweyter Ab&#x017F;chnitt.</fw><lb/>
waren, daß Pilatus &#x017F;chon zuvor durch &#x017F;ie von Je&#x017F;u, als<lb/>
einer für den Staat gefährlichen Per&#x017F;on, genug benach-<lb/>
richtiget worden. Sie gaben ihm daher die trotzige Ant-<lb/>
wort: <hi rendition="#fr">So gewi&#x017F;&#x017F;enhaft werden wir wohl &#x017F;eyn, daß<lb/>
wir keinen Men&#x017F;chen an dich ausliefern werden, um<lb/>
ihn mit der Todes&#x017F;trafe zu belegen, der &#x017F;ie nicht ver-<lb/>
dient haben &#x017F;ollte.</hi> Pilatus erwiederte: <hi rendition="#fr">Nun, wenn<lb/>
dis i&#x017F;t, &#x017F;o werdet ihr am be&#x017F;ten thun, wenn ihr<lb/>
ihn nach euren Ge&#x017F;etzen &#x017F;elb&#x017F;t zur Strafe ziehet.</hi> Al-<lb/>
lein die Juden antworteten: <hi rendition="#fr">es i&#x017F;t uns nicht erlaubt,<lb/>
jemanden das Leben zu nehmen.</hi> Da &#x017F;ie auf die&#x017F;e<lb/>
Wei&#x017F;e darauf be&#x017F;tunden, daß Pilatus das Todesurtheil<lb/>
an Je&#x017F;u vollziehen &#x017F;ollte, &#x017F;o wurde hiedurch der Aus&#x017F;pruch<lb/>
Je&#x017F;u erfüllet, vermittel&#x017F;t de&#x017F;&#x017F;en er öfter angezeigt hatte,<lb/>
durch was für eine Todesart er &#x017F;ein Leben verlieren würde.<lb/>
Denn hätten ihn die Juden &#x017F;elb&#x017F;t getödtet, &#x017F;o wäre er, da<lb/>
&#x017F;ie ihn für einen fal&#x017F;chen Propheten und Verführer des<lb/>
Volks erklärten, ge&#x017F;teiniget worden. So aber, da<lb/>
er von einer römi&#x017F;chen Obrigkeit hingerichtet wer-<lb/>
den &#x017F;ollte, &#x017F;o war ihm die Kreuzigung be&#x017F;timmt. Indeß<lb/>
&#x017F;ahen die Juden wohl, daß &#x017F;ich Pilatus nicht dazu ver&#x017F;te-<lb/>
hen würde, Je&#x017F;um ohne gerichtlichtliche Unter&#x017F;uchung hin-<lb/>
zurichten. Daher brachten &#x017F;ie ihre ordentliche Klage vor.<lb/><hi rendition="#fr">Wir haben gefunden, &#x017F;agten &#x017F;ie, daß die&#x017F;er das Volk<lb/>
in dem ganzen jüdi&#x017F;chen Lande aufzuwiegeln &#x017F;ucht;<lb/>
ja, daß er ihm &#x017F;ogar abräth, an den Kai&#x017F;er einige<lb/>
Abgaben zu erlegen. Denn er giebt vor, er wäre<lb/>
der Meßias, ihr König.</hi></p><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#fr">Prakti&#x017F;che Anmerkungen.</hi> </head><lb/>
              <p>1. Wie verab&#x017F;cheuungswürdig i&#x017F;t ein Heuchler, welcher Men-<lb/>
&#x017F;chengebote &#x017F;orgfältig zu beobachten &#x017F;ucht, aber Gottes Gebote<lb/>
frevelhaft übertritt!</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">2. Wenn</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[252/0274] Zweyter Abſchnitt. waren, daß Pilatus ſchon zuvor durch ſie von Jeſu, als einer für den Staat gefährlichen Perſon, genug benach- richtiget worden. Sie gaben ihm daher die trotzige Ant- wort: So gewiſſenhaft werden wir wohl ſeyn, daß wir keinen Menſchen an dich ausliefern werden, um ihn mit der Todesſtrafe zu belegen, der ſie nicht ver- dient haben ſollte. Pilatus erwiederte: Nun, wenn dis iſt, ſo werdet ihr am beſten thun, wenn ihr ihn nach euren Geſetzen ſelbſt zur Strafe ziehet. Al- lein die Juden antworteten: es iſt uns nicht erlaubt, jemanden das Leben zu nehmen. Da ſie auf dieſe Weiſe darauf beſtunden, daß Pilatus das Todesurtheil an Jeſu vollziehen ſollte, ſo wurde hiedurch der Ausſpruch Jeſu erfüllet, vermittelſt deſſen er öfter angezeigt hatte, durch was für eine Todesart er ſein Leben verlieren würde. Denn hätten ihn die Juden ſelbſt getödtet, ſo wäre er, da ſie ihn für einen falſchen Propheten und Verführer des Volks erklärten, geſteiniget worden. So aber, da er von einer römiſchen Obrigkeit hingerichtet wer- den ſollte, ſo war ihm die Kreuzigung beſtimmt. Indeß ſahen die Juden wohl, daß ſich Pilatus nicht dazu verſte- hen würde, Jeſum ohne gerichtlichtliche Unterſuchung hin- zurichten. Daher brachten ſie ihre ordentliche Klage vor. Wir haben gefunden, ſagten ſie, daß dieſer das Volk in dem ganzen jüdiſchen Lande aufzuwiegeln ſucht; ja, daß er ihm ſogar abräth, an den Kaiſer einige Abgaben zu erlegen. Denn er giebt vor, er wäre der Meßias, ihr König. Praktiſche Anmerkungen. 1. Wie verabſcheuungswürdig iſt ein Heuchler, welcher Men- ſchengebote ſorgfältig zu beobachten ſucht, aber Gottes Gebote frevelhaft übertritt! 2. Wenn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/274
Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/274>, abgerufen am 21.11.2024.