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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Zweyter Abschnitt.
richtung schriftlich bekannt gemacht, und entweder vor ihm
hergetragen, oder an dem Gerichtsplatze angeheftet wurde.
Bey Jesu wurde auch diese Gewohnheit beobachtet. Pi-
latus ließ auf einer weissen hölzernen Tafel die Ursache sei-
ner Hinrichtung verzeichnen. Die Schrift war in der
griechischen, lateinischen und hebräischen Sprache abge-
faßt, weil von allen diesen Völkern sich viele in Jerusalem
aufhielten. Die Ueberschrift aber lautete also: Jesus
von Nazareth, der Jüden König.
Diese Ueberschrift
lasen viele Juden. Denn weil der Gerichtsplatz nahe vor
der Stadt lag, so trieb viele die Neugier an, dahin zu ge-
hen, die es alsdenn in der Stadt bekannt machten. Die
Hohenpriester aber waren hiemit nicht zufrieden. Der
Ausdruck, dessen Pilatus sich bedient hatte, war ihnen an-
stößig, weil sie glaubten, daß er ihnen zur Beschimpfung,
Jesu aber zur Ehre gereichte. Sie giengen daher sogleich
zum Landpfleger und stellten ihm vor, daß es nöthig wä-
re, diesen Ausdruck zu ändern, und statt dessen zu setzen:
Jesus habe es vorgegeben, er wäre der Jüden König.
Allein Pilatus gerieth über dieses Ansinnen in die Hitze
und sagte: es soll dabey bleiben, was ich habe schreiben
lassen.

Praktische Anmerkungen.

1. So wunderbar wußte Gott alles zu veranstalten, daß
Jesus auch in der tiefsten Schmach als sein Sohn verherrlichet
wurde.

2. Die Ueberschrift des Kreuzes Jesu ist ein Beweis seiner
vollkommenen Unschuld.

3. Auf diese Art wurde die Nachricht von dem Tode Jesu un-
ter den drey Nationen der bewohnten Erde ausgebreitet. Und
die Geschichte beweist es, daß es nicht ohne Nutzen gewesen.

4. Ich erhalte hiedurch eine lebendige Erinnerung, daß das
Reich Christi nicht von dieser Welt ist.

5. O

Zweyter Abſchnitt.
richtung ſchriftlich bekannt gemacht, und entweder vor ihm
hergetragen, oder an dem Gerichtsplatze angeheftet wurde.
Bey Jeſu wurde auch dieſe Gewohnheit beobachtet. Pi-
latus ließ auf einer weiſſen hölzernen Tafel die Urſache ſei-
ner Hinrichtung verzeichnen. Die Schrift war in der
griechiſchen, lateiniſchen und hebräiſchen Sprache abge-
faßt, weil von allen dieſen Völkern ſich viele in Jeruſalem
aufhielten. Die Ueberſchrift aber lautete alſo: Jeſus
von Nazareth, der Jüden König.
Dieſe Ueberſchrift
laſen viele Juden. Denn weil der Gerichtsplatz nahe vor
der Stadt lag, ſo trieb viele die Neugier an, dahin zu ge-
hen, die es alsdenn in der Stadt bekannt machten. Die
Hohenprieſter aber waren hiemit nicht zufrieden. Der
Ausdruck, deſſen Pilatus ſich bedient hatte, war ihnen an-
ſtößig, weil ſie glaubten, daß er ihnen zur Beſchimpfung,
Jeſu aber zur Ehre gereichte. Sie giengen daher ſogleich
zum Landpfleger und ſtellten ihm vor, daß es nöthig wä-
re, dieſen Ausdruck zu ändern, und ſtatt deſſen zu ſetzen:
Jeſus habe es vorgegeben, er wäre der Jüden König.
Allein Pilatus gerieth über dieſes Anſinnen in die Hitze
und ſagte: es ſoll dabey bleiben, was ich habe ſchreiben
laſſen.

Praktiſche Anmerkungen.

1. So wunderbar wußte Gott alles zu veranſtalten, daß
Jeſus auch in der tiefſten Schmach als ſein Sohn verherrlichet
wurde.

2. Die Ueberſchrift des Kreuzes Jeſu iſt ein Beweis ſeiner
vollkommenen Unſchuld.

3. Auf dieſe Art wurde die Nachricht von dem Tode Jeſu un-
ter den drey Nationen der bewohnten Erde ausgebreitet. Und
die Geſchichte beweiſt es, daß es nicht ohne Nutzen geweſen.

4. Ich erhalte hiedurch eine lebendige Erinnerung, daß das
Reich Chriſti nicht von dieſer Welt iſt.

5. O
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[274/0296] Zweyter Abſchnitt. richtung ſchriftlich bekannt gemacht, und entweder vor ihm hergetragen, oder an dem Gerichtsplatze angeheftet wurde. Bey Jeſu wurde auch dieſe Gewohnheit beobachtet. Pi- latus ließ auf einer weiſſen hölzernen Tafel die Urſache ſei- ner Hinrichtung verzeichnen. Die Schrift war in der griechiſchen, lateiniſchen und hebräiſchen Sprache abge- faßt, weil von allen dieſen Völkern ſich viele in Jeruſalem aufhielten. Die Ueberſchrift aber lautete alſo: Jeſus von Nazareth, der Jüden König. Dieſe Ueberſchrift laſen viele Juden. Denn weil der Gerichtsplatz nahe vor der Stadt lag, ſo trieb viele die Neugier an, dahin zu ge- hen, die es alsdenn in der Stadt bekannt machten. Die Hohenprieſter aber waren hiemit nicht zufrieden. Der Ausdruck, deſſen Pilatus ſich bedient hatte, war ihnen an- ſtößig, weil ſie glaubten, daß er ihnen zur Beſchimpfung, Jeſu aber zur Ehre gereichte. Sie giengen daher ſogleich zum Landpfleger und ſtellten ihm vor, daß es nöthig wä- re, dieſen Ausdruck zu ändern, und ſtatt deſſen zu ſetzen: Jeſus habe es vorgegeben, er wäre der Jüden König. Allein Pilatus gerieth über dieſes Anſinnen in die Hitze und ſagte: es ſoll dabey bleiben, was ich habe ſchreiben laſſen. Praktiſche Anmerkungen. 1. So wunderbar wußte Gott alles zu veranſtalten, daß Jeſus auch in der tiefſten Schmach als ſein Sohn verherrlichet wurde. 2. Die Ueberſchrift des Kreuzes Jeſu iſt ein Beweis ſeiner vollkommenen Unſchuld. 3. Auf dieſe Art wurde die Nachricht von dem Tode Jeſu un- ter den drey Nationen der bewohnten Erde ausgebreitet. Und die Geſchichte beweiſt es, daß es nicht ohne Nutzen geweſen. 4. Ich erhalte hiedurch eine lebendige Erinnerung, daß das Reich Chriſti nicht von dieſer Welt iſt. 5. O

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/296>, abgerufen am 27.09.2024.