Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

Bild:
<< vorherige Seite
Betragen Jesu gegen seinen Vater.
dieser Kelch von mir. Doch nicht, wie ich will, sondern
wie du willst. Zum andernmal gieng er abermal hin, bete-
te und sprach: Mein Vater, ists nicht möglich, daß die-
ser Kelch von mir gehe, ich trinke ihn denn, so geschehe
dein Wille. Zum drittenmal gieng er hin, und redete
dieselbigen Worte.

Mitten unter den unsäglichen Quaalen, die Jesus
während seinem Aufenthalt in Gethsemane em-
pfand, erscheint er doch in seiner göttlichen
Grösse. So sehr die Last des Zorn Gottes, die auf ihm
lag, ihn zu Boden drückt, so ermannt sich doch seine
Seele, und stärkt sich durch das zuversichtliche Vertrau-
en auf seinen Vater. So bitter ihm sein Leiden war, so
unterwirft er sich doch mit stiller Gelassenheit seinem
Schicksal, und behält die sich allezeit gleiche, unveränder-
liche Willigkeit, sich zum Versöhnungstode darzustellen.
Seine bis in den Tod betrübte Seele findet im Gebet
eine Erleichterung ihrer Quaalen. Er betet um die Ab-
kürzung seiner schweren Leiden, unter welchen er in Ge-
fahr war, zu Grunde zu gehen. Allein so sehnlich er
eine Erquickung wünschte, so ergab er sich doch in den
Willen seines Vaters, den er unverrückt zu seinem Au-
genmerk hatte, und schien nur deswegen um eine Erleich-
terung bekümmert zu seyn, damit er eine neue Stärke zu
denen ihm bevorstehenden Leiden erhalten möchte.

Ach, nun sehe ich wie sauer ihm sein Kampf wor-
den ist. Er war in seinem ganzen Leben so arm, mit
so vielen Versuchungen und Verfolgungen umgeben.
Alle diese Leiden erduldete er standhaft, ohne um Er-
leichterung oder Abkürzung zu bitten. Aber hier war
seine menschliche Natur zu schwach, den Anfall so man-
nigfaltiger Schmerzen auszuhalten. Daher betet er zu

wie-
B 4
Betragen Jeſu gegen ſeinen Vater.
dieſer Kelch von mir. Doch nicht, wie ich will, ſondern
wie du willſt. Zum andernmal gieng er abermal hin, bete-
te und ſprach: Mein Vater, iſts nicht möglich, daß die-
ſer Kelch von mir gehe, ich trinke ihn denn, ſo geſchehe
dein Wille. Zum drittenmal gieng er hin, und redete
dieſelbigen Worte.

Mitten unter den unſäglichen Quaalen, die Jeſus
während ſeinem Aufenthalt in Gethſemane em-
pfand, erſcheint er doch in ſeiner göttlichen
Gröſſe. So ſehr die Laſt des Zorn Gottes, die auf ihm
lag, ihn zu Boden drückt, ſo ermannt ſich doch ſeine
Seele, und ſtärkt ſich durch das zuverſichtliche Vertrau-
en auf ſeinen Vater. So bitter ihm ſein Leiden war, ſo
unterwirft er ſich doch mit ſtiller Gelaſſenheit ſeinem
Schickſal, und behält die ſich allezeit gleiche, unveränder-
liche Willigkeit, ſich zum Verſöhnungstode darzuſtellen.
Seine bis in den Tod betrübte Seele findet im Gebet
eine Erleichterung ihrer Quaalen. Er betet um die Ab-
kürzung ſeiner ſchweren Leiden, unter welchen er in Ge-
fahr war, zu Grunde zu gehen. Allein ſo ſehnlich er
eine Erquickung wünſchte, ſo ergab er ſich doch in den
Willen ſeines Vaters, den er unverrückt zu ſeinem Au-
genmerk hatte, und ſchien nur deswegen um eine Erleich-
terung bekümmert zu ſeyn, damit er eine neue Stärke zu
denen ihm bevorſtehenden Leiden erhalten möchte.

Ach, nun ſehe ich wie ſauer ihm ſein Kampf wor-
den iſt. Er war in ſeinem ganzen Leben ſo arm, mit
ſo vielen Verſuchungen und Verfolgungen umgeben.
Alle dieſe Leiden erduldete er ſtandhaft, ohne um Er-
leichterung oder Abkürzung zu bitten. Aber hier war
ſeine menſchliche Natur zu ſchwach, den Anfall ſo man-
nigfaltiger Schmerzen auszuhalten. Daher betet er zu

wie-
B 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <cit>
            <quote><pb facs="#f0045" n="23"/><fw place="top" type="header">Betragen Je&#x017F;u gegen &#x017F;einen Vater.</fw><lb/>
die&#x017F;er Kelch von mir. Doch nicht, wie ich will, &#x017F;ondern<lb/>
wie du will&#x017F;t. Zum andernmal gieng er abermal hin, bete-<lb/>
te und &#x017F;prach: Mein Vater, i&#x017F;ts nicht möglich, daß die-<lb/>
&#x017F;er Kelch von mir gehe, ich trinke ihn denn, &#x017F;o ge&#x017F;chehe<lb/>
dein Wille. Zum drittenmal gieng er hin, und redete<lb/>
die&#x017F;elbigen Worte.</quote>
          </cit><lb/>
          <p><hi rendition="#in">M</hi>itten unter den un&#x017F;äglichen Quaalen, die Je&#x017F;us<lb/>
während &#x017F;einem Aufenthalt in Geth&#x017F;emane em-<lb/>
pfand, er&#x017F;cheint er doch in &#x017F;einer göttlichen<lb/>
Grö&#x017F;&#x017F;e. So &#x017F;ehr die La&#x017F;t des Zorn Gottes, die auf ihm<lb/>
lag, ihn zu Boden drückt, &#x017F;o ermannt &#x017F;ich doch &#x017F;eine<lb/>
Seele, und &#x017F;tärkt &#x017F;ich durch das zuver&#x017F;ichtliche Vertrau-<lb/>
en auf &#x017F;einen Vater. So bitter ihm &#x017F;ein Leiden war, &#x017F;o<lb/>
unterwirft er &#x017F;ich doch mit &#x017F;tiller Gela&#x017F;&#x017F;enheit &#x017F;einem<lb/>
Schick&#x017F;al, und behält die &#x017F;ich allezeit gleiche, unveränder-<lb/>
liche Willigkeit, &#x017F;ich zum Ver&#x017F;öhnungstode darzu&#x017F;tellen.<lb/>
Seine bis in den Tod betrübte Seele findet im Gebet<lb/>
eine Erleichterung ihrer Quaalen. Er betet um die Ab-<lb/>
kürzung &#x017F;einer &#x017F;chweren Leiden, unter welchen er in Ge-<lb/>
fahr war, zu Grunde zu gehen. Allein &#x017F;o &#x017F;ehnlich er<lb/>
eine Erquickung wün&#x017F;chte, &#x017F;o ergab er &#x017F;ich doch in den<lb/>
Willen &#x017F;eines Vaters, den er unverrückt zu &#x017F;einem Au-<lb/>
genmerk hatte, und &#x017F;chien nur deswegen um eine Erleich-<lb/>
terung bekümmert zu &#x017F;eyn, damit er eine neue Stärke zu<lb/>
denen ihm bevor&#x017F;tehenden Leiden erhalten möchte.</p><lb/>
          <p>Ach, nun &#x017F;ehe ich wie &#x017F;auer ihm &#x017F;ein Kampf wor-<lb/>
den i&#x017F;t. Er war in &#x017F;einem ganzen Leben &#x017F;o arm, mit<lb/>
&#x017F;o vielen Ver&#x017F;uchungen und Verfolgungen umgeben.<lb/>
Alle die&#x017F;e Leiden erduldete er &#x017F;tandhaft, ohne um Er-<lb/>
leichterung oder Abkürzung zu bitten. Aber hier war<lb/>
&#x017F;eine men&#x017F;chliche Natur zu &#x017F;chwach, den Anfall &#x017F;o man-<lb/>
nigfaltiger Schmerzen auszuhalten. Daher betet er zu<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 4</fw><fw place="bottom" type="catch">wie-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0045] Betragen Jeſu gegen ſeinen Vater. dieſer Kelch von mir. Doch nicht, wie ich will, ſondern wie du willſt. Zum andernmal gieng er abermal hin, bete- te und ſprach: Mein Vater, iſts nicht möglich, daß die- ſer Kelch von mir gehe, ich trinke ihn denn, ſo geſchehe dein Wille. Zum drittenmal gieng er hin, und redete dieſelbigen Worte. Mitten unter den unſäglichen Quaalen, die Jeſus während ſeinem Aufenthalt in Gethſemane em- pfand, erſcheint er doch in ſeiner göttlichen Gröſſe. So ſehr die Laſt des Zorn Gottes, die auf ihm lag, ihn zu Boden drückt, ſo ermannt ſich doch ſeine Seele, und ſtärkt ſich durch das zuverſichtliche Vertrau- en auf ſeinen Vater. So bitter ihm ſein Leiden war, ſo unterwirft er ſich doch mit ſtiller Gelaſſenheit ſeinem Schickſal, und behält die ſich allezeit gleiche, unveränder- liche Willigkeit, ſich zum Verſöhnungstode darzuſtellen. Seine bis in den Tod betrübte Seele findet im Gebet eine Erleichterung ihrer Quaalen. Er betet um die Ab- kürzung ſeiner ſchweren Leiden, unter welchen er in Ge- fahr war, zu Grunde zu gehen. Allein ſo ſehnlich er eine Erquickung wünſchte, ſo ergab er ſich doch in den Willen ſeines Vaters, den er unverrückt zu ſeinem Au- genmerk hatte, und ſchien nur deswegen um eine Erleich- terung bekümmert zu ſeyn, damit er eine neue Stärke zu denen ihm bevorſtehenden Leiden erhalten möchte. Ach, nun ſehe ich wie ſauer ihm ſein Kampf wor- den iſt. Er war in ſeinem ganzen Leben ſo arm, mit ſo vielen Verſuchungen und Verfolgungen umgeben. Alle dieſe Leiden erduldete er ſtandhaft, ohne um Er- leichterung oder Abkürzung zu bitten. Aber hier war ſeine menſchliche Natur zu ſchwach, den Anfall ſo man- nigfaltiger Schmerzen auszuhalten. Daher betet er zu wie- B 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/45
Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/45>, abgerufen am 21.11.2024.