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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Fünfte Betrachtung.
Ankunft des Verräthers.
Matth. 26, 47.
Als Jesus noch so redete, siehe da kam Judas, der Zwölfen
einer, und mit ihm eine grosse Schaar, mit Schwerdtern
und mit Stangen, von den Hohenpriestern und Aeltesten
des Volks.

Kaum war vielleicht der blutige Schweiß auf der
Stirne Jesu abgetrocknet: kaum hatte er sich
von seinen angreifenden Leiden erholet: als ihn
schon eine neue Anfechtung zum Heldenmuth aufforder-
te. Er war noch damit beschäftiget, seine schwachen
Freunde zu stärken, so kam der Augenblick, wo er selbst
neue Stärkung nöthig hatte. Konnte etwas seinen schon
so sehr entkräfteten Körper aufs neue erschüttern, so war
es der Anblick des Judas, der an der Spitze seiner
Feinde in der ruchlosen Absicht herbey kam, seinen Herrn
und Meister ihren blutdürstigen Händen zu überliefern.
Welche traurige Gedanken müssen in der Seele Jesu
entstanden seyn, als er in der Person seines Freundes
und Schülers seinen Verräther vor sich sahe! Wie
muß sein Herz geblutet haben; dieses sanfte menschen-
freundliche Herz, welches bey jeder Vergehung seiner
Freunde, ja bey dem Anblick eines jeden Sünders so
innig gerührt wurde! Mit welchem mittleidvollen Blick
wird ihn Jesus angeblickt haben! Und ach! o Judas!
konntest du die Spuren der Todesangst und des Blut-
schweisses auf dem Angesicht Jesu sehen, ohne zu er-
schrecken, daß du ihn in neue Martern stürzen wolltest?

Konn-




Fünfte Betrachtung.
Ankunft des Verräthers.
Matth. 26, 47.
Als Jeſus noch ſo redete, ſiehe da kam Judas, der Zwölfen
einer, und mit ihm eine groſſe Schaar, mit Schwerdtern
und mit Stangen, von den Hohenprieſtern und Aelteſten
des Volks.

Kaum war vielleicht der blutige Schweiß auf der
Stirne Jeſu abgetrocknet: kaum hatte er ſich
von ſeinen angreifenden Leiden erholet: als ihn
ſchon eine neue Anfechtung zum Heldenmuth aufforder-
te. Er war noch damit beſchäftiget, ſeine ſchwachen
Freunde zu ſtärken, ſo kam der Augenblick, wo er ſelbſt
neue Stärkung nöthig hatte. Konnte etwas ſeinen ſchon
ſo ſehr entkräfteten Körper aufs neue erſchüttern, ſo war
es der Anblick des Judas, der an der Spitze ſeiner
Feinde in der ruchloſen Abſicht herbey kam, ſeinen Herrn
und Meiſter ihren blutdürſtigen Händen zu überliefern.
Welche traurige Gedanken müſſen in der Seele Jeſu
entſtanden ſeyn, als er in der Perſon ſeines Freundes
und Schülers ſeinen Verräther vor ſich ſahe! Wie
muß ſein Herz geblutet haben; dieſes ſanfte menſchen-
freundliche Herz, welches bey jeder Vergehung ſeiner
Freunde, ja bey dem Anblick eines jeden Sünders ſo
innig gerührt wurde! Mit welchem mittleidvollen Blick
wird ihn Jeſus angeblickt haben! Und ach! o Judas!
konnteſt du die Spuren der Todesangſt und des Blut-
ſchweiſſes auf dem Angeſicht Jeſu ſehen, ohne zu er-
ſchrecken, daß du ihn in neue Martern ſtürzen wollteſt?

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[30/0052] Fünfte Betrachtung. Ankunft des Verräthers. Matth. 26, 47. Als Jeſus noch ſo redete, ſiehe da kam Judas, der Zwölfen einer, und mit ihm eine groſſe Schaar, mit Schwerdtern und mit Stangen, von den Hohenprieſtern und Aelteſten des Volks. Kaum war vielleicht der blutige Schweiß auf der Stirne Jeſu abgetrocknet: kaum hatte er ſich von ſeinen angreifenden Leiden erholet: als ihn ſchon eine neue Anfechtung zum Heldenmuth aufforder- te. Er war noch damit beſchäftiget, ſeine ſchwachen Freunde zu ſtärken, ſo kam der Augenblick, wo er ſelbſt neue Stärkung nöthig hatte. Konnte etwas ſeinen ſchon ſo ſehr entkräfteten Körper aufs neue erſchüttern, ſo war es der Anblick des Judas, der an der Spitze ſeiner Feinde in der ruchloſen Abſicht herbey kam, ſeinen Herrn und Meiſter ihren blutdürſtigen Händen zu überliefern. Welche traurige Gedanken müſſen in der Seele Jeſu entſtanden ſeyn, als er in der Perſon ſeines Freundes und Schülers ſeinen Verräther vor ſich ſahe! Wie muß ſein Herz geblutet haben; dieſes ſanfte menſchen- freundliche Herz, welches bey jeder Vergehung ſeiner Freunde, ja bey dem Anblick eines jeden Sünders ſo innig gerührt wurde! Mit welchem mittleidvollen Blick wird ihn Jeſus angeblickt haben! Und ach! o Judas! konnteſt du die Spuren der Todesangſt und des Blut- ſchweiſſes auf dem Angeſicht Jeſu ſehen, ohne zu er- ſchrecken, daß du ihn in neue Martern ſtürzen wollteſt? Konn-

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/52>, abgerufen am 24.11.2024.