Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.Sechzehnte Betrachtung. Wege des Verderbens auf den Weg der Tugend zurückbrachte? Ach, schon längst wäre ich in meinen Sünden zu Grunde gegangen, oder mein Herz hätte sich ge- gen alle Rührung gänzlich verhärtet, wenn du mich nicht deiner Sorgfalt gewürdiget hättest. Als ich auf den schädlichsten Irrwegen wandelte, mit welcher Treue bist du mir nachgegangen, mit welcher Güte hast du mich aufgesucht, mit welcher Macht hast du mich aus allen Gefahren gerissen. Als ich dich durch Heucheley ver- läugnete, wie herzlich hast du mich gesucht, daß meine Seele nicht verdürbe! Mein Herr und mein Gott! ent- ziehe mir nie deine Gnade! Blicke mich mitleidig an, wenn ich dich durch Worte oder Gedanken, oder durch meine Werke verläugne, damit ich nicht als ein Feind deines Creuzes sterben möge. Blicke mich mit zärtlicher Erbarmung an, wenn mich die Versuchungen überwälti- gen wollen, damit ich Muth und Stärke erhalte. Blicke mich an, wenn ich bey der Erinnerung meiner Sünden trostlos verzagen sollte, damit ich Ruhe für meine See- le finde. Blicke mich an, wenn ich einst auf meinem Ster- belager hüflos, schwach und freudenleer da liegen werde, damit ich in meiner Todesangst Stärkung finden möge. Sechzehnte Betrachtung. Petri Busse. Luc. 22, 62. Solche herzlenkende Kraft hatte der Anblick des lei- sind
Sechzehnte Betrachtung. Wege des Verderbens auf den Weg der Tugend zurückbrachte? Ach, ſchon längſt wäre ich in meinen Sünden zu Grunde gegangen, oder mein Herz hätte ſich ge- gen alle Rührung gänzlich verhärtet, wenn du mich nicht deiner Sorgfalt gewürdiget hätteſt. Als ich auf den ſchädlichſten Irrwegen wandelte, mit welcher Treue biſt du mir nachgegangen, mit welcher Güte haſt du mich aufgeſucht, mit welcher Macht haſt du mich aus allen Gefahren geriſſen. Als ich dich durch Heucheley ver- läugnete, wie herzlich haſt du mich geſucht, daß meine Seele nicht verdürbe! Mein Herr und mein Gott! ent- ziehe mir nie deine Gnade! Blicke mich mitleidig an, wenn ich dich durch Worte oder Gedanken, oder durch meine Werke verläugne, damit ich nicht als ein Feind deines Creuzes ſterben möge. Blicke mich mit zärtlicher Erbarmung an, wenn mich die Verſuchungen überwälti- gen wollen, damit ich Muth und Stärke erhalte. Blicke mich an, wenn ich bey der Erinnerung meiner Sünden troſtlos verzagen ſollte, damit ich Ruhe für meine See- le finde. Blicke mich an, wenn ich einſt auf meinem Ster- belager hüflos, ſchwach und freudenleer da liegen werde, damit ich in meiner Todesangſt Stärkung finden möge. Sechzehnte Betrachtung. Petri Buſſe. Luc. 22, 62. Solche herzlenkende Kraft hatte der Anblick des lei- ſind
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Sechzehnte Betrachtung.
Wege des Verderbens auf den Weg der Tugend zurück
brachte? Ach, ſchon längſt wäre ich in meinen Sünden
zu Grunde gegangen, oder mein Herz hätte ſich ge-
gen alle Rührung gänzlich verhärtet, wenn du mich nicht
deiner Sorgfalt gewürdiget hätteſt. Als ich auf den
ſchädlichſten Irrwegen wandelte, mit welcher Treue biſt
du mir nachgegangen, mit welcher Güte haſt du mich
aufgeſucht, mit welcher Macht haſt du mich aus allen
Gefahren geriſſen. Als ich dich durch Heucheley ver-
läugnete, wie herzlich haſt du mich geſucht, daß meine
Seele nicht verdürbe! Mein Herr und mein Gott! ent-
ziehe mir nie deine Gnade! Blicke mich mitleidig an,
wenn ich dich durch Worte oder Gedanken, oder durch
meine Werke verläugne, damit ich nicht als ein Feind
deines Creuzes ſterben möge. Blicke mich mit zärtlicher
Erbarmung an, wenn mich die Verſuchungen überwälti-
gen wollen, damit ich Muth und Stärke erhalte. Blicke
mich an, wenn ich bey der Erinnerung meiner Sünden
troſtlos verzagen ſollte, damit ich Ruhe für meine See-
le finde. Blicke mich an, wenn ich einſt auf meinem Ster-
belager hüflos, ſchwach und freudenleer da liegen werde,
damit ich in meiner Todesangſt Stärkung finden möge.
Sechzehnte Betrachtung.
Petri Buſſe.
Luc. 22, 62.
Und Petrus gieng hinaus, und weinte bitterlich.
Solche herzlenkende Kraft hatte der Anblick des lei-
denden Jeſu. Hier bewies er ſich in ſeinen Ban-
den als den Herrn, der die Herzen der Menſchen
in ſeiner Gewalt hat. Wie ohnmächtig und fruchtlos
ſind
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