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Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905

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Keinerlei Kritik ließ sie aufkommen. Man blieb erstaunt vor dieser Erscheinung. Keine Unbeholfenheit, nichts Linkisches, keine Schüchternheit. Hinter ihrem Schleier war sie rosig, von jugendlicher Frische, und nicht infolge der Erregung. Ihre hellblauen Augen leuchteten unter den halbgesenkten Wimpern. Die leicht in die Höhe gezogenen Mundwinkel schienen zu ihrem natürlichen Ausdruck zu gehören, und drückten fast ein Lächeln aus; aber sie lächelte nicht. Stella ging ohne Hast, jedoch rasch genug, um das gewohnte Ungestüm ihrer Bewegungen durchblicken zu lassen. Sie war kindlich und königlich ... jedoch nicht jungfräulich. Herr Deaken führte sie, denn sie hatte keinen Verwandten, der diese Pflicht hätte erfüllen können. Sie zog so sehr die Blicke auf sich, daß man trotz des Zuges auserlesen eleganter Frauen, der ihr folgte, nur sie sah. Mira, die den Zug schloß, wäre unbemerkt geblieben, wenn man sie nicht so sehr verehrt hätte. Aber die Leute wurden traurig, als sie sie so blaß mit einem wild entschloßenen Ausdruck sahen, den man an ihr nicht kannte.

Die unglückliche junge Frau, die gezwungen war, ihre Hand auf den Arm Freds zu stützen nahm sich mit äußerster Willenskraft zusammen, aus Angst, daß

Keinerlei Kritik ließ sie aufkommen. Man blieb erstaunt vor dieser Erscheinung. Keine Unbeholfenheit, nichts Linkisches, keine Schüchternheit. Hinter ihrem Schleier war sie rosig, von jugendlicher Frische, und nicht infolge der Erregung. Ihre hellblauen Augen leuchteten unter den halbgesenkten Wimpern. Die leicht in die Höhe gezogenen Mundwinkel schienen zu ihrem natürlichen Ausdruck zu gehören, und drückten fast ein Lächeln aus; aber sie lächelte nicht. Stella ging ohne Hast, jedoch rasch genug, um das gewohnte Ungestüm ihrer Bewegungen durchblicken zu lassen. Sie war kindlich und königlich … jedoch nicht jungfräulich. Herr Deaken führte sie, denn sie hatte keinen Verwandten, der diese Pflicht hätte erfüllen können. Sie zog so sehr die Blicke auf sich, daß man trotz des Zuges auserlesen eleganter Frauen, der ihr folgte, nur sie sah. Mira, die den Zug schloß, wäre unbemerkt geblieben, wenn man sie nicht so sehr verehrt hätte. Aber die Leute wurden traurig, als sie sie so blaß mit einem wild entschloßenen Ausdruck sahen, den man an ihr nicht kannte.

Die unglückliche junge Frau, die gezwungen war, ihre Hand auf den Arm Freds zu stützen nahm sich mit äußerster Willenskraft zusammen, aus Angst, daß

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[205/0206] Keinerlei Kritik ließ sie aufkommen. Man blieb erstaunt vor dieser Erscheinung. Keine Unbeholfenheit, nichts Linkisches, keine Schüchternheit. Hinter ihrem Schleier war sie rosig, von jugendlicher Frische, und nicht infolge der Erregung. Ihre hellblauen Augen leuchteten unter den halbgesenkten Wimpern. Die leicht in die Höhe gezogenen Mundwinkel schienen zu ihrem natürlichen Ausdruck zu gehören, und drückten fast ein Lächeln aus; aber sie lächelte nicht. Stella ging ohne Hast, jedoch rasch genug, um das gewohnte Ungestüm ihrer Bewegungen durchblicken zu lassen. Sie war kindlich und königlich … jedoch nicht jungfräulich. Herr Deaken führte sie, denn sie hatte keinen Verwandten, der diese Pflicht hätte erfüllen können. Sie zog so sehr die Blicke auf sich, daß man trotz des Zuges auserlesen eleganter Frauen, der ihr folgte, nur sie sah. Mira, die den Zug schloß, wäre unbemerkt geblieben, wenn man sie nicht so sehr verehrt hätte. Aber die Leute wurden traurig, als sie sie so blaß mit einem wild entschloßenen Ausdruck sahen, den man an ihr nicht kannte. Die unglückliche junge Frau, die gezwungen war, ihre Hand auf den Arm Freds zu stützen nahm sich mit äußerster Willenskraft zusammen, aus Angst, daß

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Zitationshilfe: Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/206>, abgerufen am 18.05.2024.