Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905
"Aber ein schlechter Guß," versuchte Miß zu tadeln. "Ah bah! er wird schon durchkommen," gab Stella mit stolzem Lächeln zurück und schüttelte die offenen Haare, die ihr wie ein rotblonder Schleier über den Rücken fielen. Dann fuhr sie fort: "Marie hat mir gesagt, daß Fred hier sei. Er ist euch also ausgekniffen?" "Wie Ihre Freundin Alice sich so elegant ausdrückt," fügte Miß hinzu. "Die kennt sich aus, die," brummte Stella. "Die ist nicht in einem solchen Provinznest erzogen worden." "Aber auch nicht im Sacre-Coeur," entgegnete Miß. "Weil ihr Vater, der Präfekt, ein freidenkender Mann, deswegen. Das hindert sie nicht, viel gelehrter zu sein, als alle hiesigen Gänse und gar nicht zimperlich." "O nein!" warf Miß mit Schärfe dazwischen. "Und nicht affig. Sie ist aufrichtig, sie paßt mir sehr gut." "Man kann aufrichtig sein, ohne frech zu werden," betonte Mira. "Mein Gott! Du armes, liebes Stiefmütterchen, du sprichst von diesen Dingen, wie der Blinde von „Aber ein schlechter Guß,“ versuchte Miß zu tadeln. „Ah bah! er wird schon durchkommen,“ gab Stella mit stolzem Lächeln zurück und schüttelte die offenen Haare, die ihr wie ein rotblonder Schleier über den Rücken fielen. Dann fuhr sie fort: „Marie hat mir gesagt, daß Fred hier sei. Er ist euch also ausgekniffen?“ „Wie Ihre Freundin Alice sich so elegant ausdrückt,“ fügte Miß hinzu. „Die kennt sich aus, die,“ brummte Stella. „Die ist nicht in einem solchen Provinznest erzogen worden.“ „Aber auch nicht im Sacré-Coeur,“ entgegnete Miß. „Weil ihr Vater, der Präfekt, ein freidenkender Mann, deswegen. Das hindert sie nicht, viel gelehrter zu sein, als alle hiesigen Gänse und gar nicht zimperlich.“ „O nein!“ warf Miß mit Schärfe dazwischen. „Und nicht affig. Sie ist aufrichtig, sie paßt mir sehr gut.“ „Man kann aufrichtig sein, ohne frech zu werden,“ betonte Mira. „Mein Gott! Du armes, liebes Stiefmütterchen, du sprichst von diesen Dingen, wie der Blinde von <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0040" n="39"/> <p>„Aber ein schlechter Guß,“ versuchte Miß zu tadeln.</p> <p>„Ah bah! er wird schon durchkommen,“ gab Stella mit stolzem Lächeln zurück und schüttelte die offenen Haare, die ihr wie ein rotblonder Schleier über den Rücken fielen. Dann fuhr sie fort: „Marie hat mir gesagt, daß Fred hier sei. Er ist euch also ausgekniffen?“</p> <p>„Wie Ihre Freundin Alice sich so elegant ausdrückt,“ fügte Miß hinzu.</p> <p>„Die kennt sich aus, die,“ brummte Stella. „Die ist nicht in einem solchen Provinznest erzogen worden.“</p> <p>„Aber auch nicht im <hi rendition="#aq">Sacré-Coeur,</hi>“ entgegnete Miß.</p> <p>„Weil ihr Vater, der Präfekt, ein freidenkender Mann, deswegen. Das hindert sie nicht, viel gelehrter zu sein, als alle hiesigen Gänse und gar nicht zimperlich.“</p> <p>„O nein!“ warf Miß mit Schärfe dazwischen.</p> <p>„Und nicht affig. Sie ist aufrichtig, sie paßt mir sehr gut.“</p> <p>„Man kann aufrichtig sein, ohne frech zu werden,“ betonte Mira.</p> <p>„Mein Gott! Du armes, liebes Stiefmütterchen, du sprichst von diesen Dingen, wie der Blinde von </p> </div> </body> </text> </TEI> [39/0040]
„Aber ein schlechter Guß,“ versuchte Miß zu tadeln.
„Ah bah! er wird schon durchkommen,“ gab Stella mit stolzem Lächeln zurück und schüttelte die offenen Haare, die ihr wie ein rotblonder Schleier über den Rücken fielen. Dann fuhr sie fort: „Marie hat mir gesagt, daß Fred hier sei. Er ist euch also ausgekniffen?“
„Wie Ihre Freundin Alice sich so elegant ausdrückt,“ fügte Miß hinzu.
„Die kennt sich aus, die,“ brummte Stella. „Die ist nicht in einem solchen Provinznest erzogen worden.“
„Aber auch nicht im Sacré-Coeur,“ entgegnete Miß.
„Weil ihr Vater, der Präfekt, ein freidenkender Mann, deswegen. Das hindert sie nicht, viel gelehrter zu sein, als alle hiesigen Gänse und gar nicht zimperlich.“
„O nein!“ warf Miß mit Schärfe dazwischen.
„Und nicht affig. Sie ist aufrichtig, sie paßt mir sehr gut.“
„Man kann aufrichtig sein, ohne frech zu werden,“ betonte Mira.
„Mein Gott! Du armes, liebes Stiefmütterchen, du sprichst von diesen Dingen, wie der Blinde von
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/40 |
| Zitationshilfe: | Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/40>, abgerufen am 21.11.2024. |
