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Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905

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die sich nur unter einem besondern Himmelsstrich entwickeln könnte, in einen fremden Boden zu verpflanzen."

Verstimmt erwiderte Stella:

"Gedanken sind klimatischen Einflüssen nicht unterworfen; und die Ideen sind es, welche die Sitten bilden."

"Und sie auch verderben," murmelte Frau von Ellissen.

Die Miß schwieg, kniff ihre klugen Augen zusammen und schien jetzt ausschließlich den sprossenden Blättern ihre Aufmerksamkeit zu widmen.

Stella aber, die etwas verächtlich mit den Achseln gezuckt, fuhr nun mit ihrem Rad langsam auf und ab, wobei sie unauffällig alle Seitenwege streifte und sie mit raschem Blick untersuchte. Als sie wieder bei ihrer Mutter vorüber kam, hielt sie an, wie um sich zurechtzusetzen, ihren Rock in Ordnung zu bringen, das Gouvernal gerade zu richten, und während dieser Hantierungen, die sie absichtlich verzögerte, sagte sie:

"Uebrigens, Mama, wirst du gut tun, Marie ordentlich auszuzanken, sie ist eine Lügnerin. Wozu hat sie mir mit ihrer gelassenen Miene einer alten Marquise gesagt: ,Der Herr Baron Seuriet ist im Park mit der gnädigen Frau'?"

die sich nur unter einem besondern Himmelsstrich entwickeln könnte, in einen fremden Boden zu verpflanzen.“

Verstimmt erwiderte Stella:

„Gedanken sind klimatischen Einflüssen nicht unterworfen; und die Ideen sind es, welche die Sitten bilden.“

„Und sie auch verderben,“ murmelte Frau von Ellissen.

Die Miß schwieg, kniff ihre klugen Augen zusammen und schien jetzt ausschließlich den sprossenden Blättern ihre Aufmerksamkeit zu widmen.

Stella aber, die etwas verächtlich mit den Achseln gezuckt, fuhr nun mit ihrem Rad langsam auf und ab, wobei sie unauffällig alle Seitenwege streifte und sie mit raschem Blick untersuchte. Als sie wieder bei ihrer Mutter vorüber kam, hielt sie an, wie um sich zurechtzusetzen, ihren Rock in Ordnung zu bringen, das Gouvernal gerade zu richten, und während dieser Hantierungen, die sie absichtlich verzögerte, sagte sie:

„Uebrigens, Mama, wirst du gut tun, Marie ordentlich auszuzanken, sie ist eine Lügnerin. Wozu hat sie mir mit ihrer gelassenen Miene einer alten Marquise gesagt: ‚Der Herr Baron Seuriet ist im Park mit der gnädigen Frau‘?“

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[41/0042] die sich nur unter einem besondern Himmelsstrich entwickeln könnte, in einen fremden Boden zu verpflanzen.“ Verstimmt erwiderte Stella: „Gedanken sind klimatischen Einflüssen nicht unterworfen; und die Ideen sind es, welche die Sitten bilden.“ „Und sie auch verderben,“ murmelte Frau von Ellissen. Die Miß schwieg, kniff ihre klugen Augen zusammen und schien jetzt ausschließlich den sprossenden Blättern ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Stella aber, die etwas verächtlich mit den Achseln gezuckt, fuhr nun mit ihrem Rad langsam auf und ab, wobei sie unauffällig alle Seitenwege streifte und sie mit raschem Blick untersuchte. Als sie wieder bei ihrer Mutter vorüber kam, hielt sie an, wie um sich zurechtzusetzen, ihren Rock in Ordnung zu bringen, das Gouvernal gerade zu richten, und während dieser Hantierungen, die sie absichtlich verzögerte, sagte sie: „Uebrigens, Mama, wirst du gut tun, Marie ordentlich auszuzanken, sie ist eine Lügnerin. Wozu hat sie mir mit ihrer gelassenen Miene einer alten Marquise gesagt: ‚Der Herr Baron Seuriet ist im Park mit der gnädigen Frau‘?“

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Zitationshilfe: Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/42>, abgerufen am 21.11.2024.