Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Süssmilch, Johann Peter: Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts aus der Geburt, Tod und Fortpflanzung desselben. Berlin, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite

und ihrer Verhältniß.
deutlich ein, so ist es was leichtes, daß er durch die
Menge der Vorstellungen und die Hestigkeit der
Empfindungen zu einem so verzweiffeltem Entschluß
gebracht werde. Ja es sind Exempel vorhanden, daß
Leute, die sonst nichts gethan als daß sie gegessen,
getruncken, geschlaffen, dessen so überdrüßig gewor-
den, daß sie durch den Selbstmord eine bessere Welt,
aber vergeblich und thöricht, suchen wollen. Ich
kan nicht umhin ein sehr merckwürdiges Exempel
eines Selbstmordes anzuführen, so mir in diesem
Jahre von einem glaubwürdigen Doctore aus Lon-
don geschrieben worden, der die Person selbst gese-
hen, und sich nach allem hinlänglich erkundiget. Ei-
ne Weibs-Person, die bis an ihr 50tes Jahr in
allen Lüsten gelebet, wird dessen endlich so überdrüs-
sig, daß sie auf den Entschluß geräth, sich selbst mit
Gewalt das Leben zu nehmen. Vielleicht hat sie
ihr Alter ihres bisherigen Gewinstes beraubet, oder
ihr Gewissen sie zu solchem rasendem Entschluß ver-
mocht. Sie macht zu dem Ende in ihrer Küche
ein grosses Feuer in einem Circkel, tritt gantz na-
ckend hinein, und läßt sich also lebendig und allmäh-
lig braten. Man kommt dazu und findet sie halb
todt und geröstet, sonderlich an denen Waden,
Hinter-Theil des Leibes, am Bauch und Brüsten,
so daß ihre Haut einem gebratenen Spaan-Ferckel
völlig ähnlich gewesen. Weil man noch Leben bey
ihr wahrnimmt, und nicht weiß, wie sie dazu ge-
kommen, so wird sie in ein nahebey gelegenes Hospi-
tal gebracht. Sie erhohlet sich etwas, man besrägt
sie nach der Beschaffenheit und dem Thäter. Sie
antwortet: Sie habe solches selbst gethan; sie sey
des Lebens überdrüßig; sie habe bey Berathschla-

gung

und ihrer Verhaͤltniß.
deutlich ein, ſo iſt es was leichtes, daß er durch die
Menge der Vorſtellungen und die Heſtigkeit der
Empfindungen zu einem ſo verzweiffeltem Entſchluß
gebracht werde. Ja es ſind Exempel vorhanden, daß
Leute, die ſonſt nichts gethan als daß ſie gegeſſen,
getruncken, geſchlaffen, deſſen ſo uͤberdruͤßig gewor-
den, daß ſie durch den Selbſtmord eine beſſere Welt,
aber vergeblich und thoͤricht, ſuchen wollen. Ich
kan nicht umhin ein ſehr merckwuͤrdiges Exempel
eines Selbſtmordes anzufuͤhren, ſo mir in dieſem
Jahre von einem glaubwuͤrdigen Doctore aus Lon-
don geſchrieben worden, der die Perſon ſelbſt geſe-
hen, und ſich nach allem hinlaͤnglich erkundiget. Ei-
ne Weibs-Perſon, die bis an ihr 50tes Jahr in
allen Luͤſten gelebet, wird deſſen endlich ſo uͤberdruͤſ-
ſig, daß ſie auf den Entſchluß geraͤth, ſich ſelbſt mit
Gewalt das Leben zu nehmen. Vielleicht hat ſie
ihr Alter ihres bisherigen Gewinſtes beraubet, oder
ihr Gewiſſen ſie zu ſolchem raſendem Entſchluß ver-
mocht. Sie macht zu dem Ende in ihrer Kuͤche
ein groſſes Feuer in einem Circkel, tritt gantz na-
ckend hinein, und laͤßt ſich alſo lebendig und allmaͤh-
lig braten. Man kommt dazu und findet ſie halb
todt und geroͤſtet, ſonderlich an denen Waden,
Hinter-Theil des Leibes, am Bauch und Bruͤſten,
ſo daß ihre Haut einem gebratenen Spaan-Ferckel
voͤllig aͤhnlich geweſen. Weil man noch Leben bey
ihr wahrnimmt, und nicht weiß, wie ſie dazu ge-
kommen, ſo wird ſie in ein nahebey gelegenes Hoſpi-
tal gebracht. Sie erhohlet ſich etwas, man beſraͤgt
ſie nach der Beſchaffenheit und dem Thaͤter. Sie
antwortet: Sie habe ſolches ſelbſt gethan; ſie ſey
des Lebens uͤberdruͤßig; ſie habe bey Berathſchla-

gung
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0347" n="299"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und ihrer Verha&#x0364;ltniß.</hi></fw><lb/>
deutlich ein, &#x017F;o i&#x017F;t es was leichtes, daß er durch die<lb/>
Menge der Vor&#x017F;tellungen und die He&#x017F;tigkeit der<lb/>
Empfindungen zu einem &#x017F;o verzweiffeltem Ent&#x017F;chluß<lb/>
gebracht werde. Ja es &#x017F;ind Exempel vorhanden, daß<lb/>
Leute, die &#x017F;on&#x017F;t nichts gethan als daß &#x017F;ie gege&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
getruncken, ge&#x017F;chlaffen, de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;o u&#x0364;berdru&#x0364;ßig gewor-<lb/>
den, daß &#x017F;ie durch den Selb&#x017F;tmord eine be&#x017F;&#x017F;ere Welt,<lb/>
aber vergeblich und tho&#x0364;richt, &#x017F;uchen wollen. Ich<lb/>
kan nicht umhin ein &#x017F;ehr merckwu&#x0364;rdiges Exempel<lb/>
eines Selb&#x017F;tmordes anzufu&#x0364;hren, &#x017F;o mir in die&#x017F;em<lb/>
Jahre von einem glaubwu&#x0364;rdigen Doctore aus Lon-<lb/>
don ge&#x017F;chrieben worden, der die Per&#x017F;on &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;e-<lb/>
hen, und &#x017F;ich nach allem hinla&#x0364;nglich erkundiget. Ei-<lb/>
ne Weibs-Per&#x017F;on, die bis an ihr 50tes Jahr in<lb/>
allen Lu&#x0364;&#x017F;ten gelebet, wird de&#x017F;&#x017F;en endlich &#x017F;o u&#x0364;berdru&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ig, daß &#x017F;ie auf den Ent&#x017F;chluß gera&#x0364;th, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t mit<lb/>
Gewalt das Leben zu nehmen. Vielleicht hat &#x017F;ie<lb/>
ihr Alter ihres bisherigen Gewin&#x017F;tes beraubet, oder<lb/>
ihr Gewi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie zu &#x017F;olchem ra&#x017F;endem Ent&#x017F;chluß ver-<lb/>
mocht. Sie macht zu dem Ende in ihrer Ku&#x0364;che<lb/>
ein gro&#x017F;&#x017F;es Feuer in einem Circkel, tritt gantz na-<lb/>
ckend hinein, und la&#x0364;ßt &#x017F;ich al&#x017F;o lebendig und allma&#x0364;h-<lb/>
lig braten. Man kommt dazu und findet &#x017F;ie halb<lb/>
todt und gero&#x0364;&#x017F;tet, &#x017F;onderlich an denen Waden,<lb/>
Hinter-Theil des Leibes, am Bauch und Bru&#x0364;&#x017F;ten,<lb/>
&#x017F;o daß ihre Haut einem gebratenen Spaan-Ferckel<lb/>
vo&#x0364;llig a&#x0364;hnlich gewe&#x017F;en. Weil man noch Leben bey<lb/>
ihr wahrnimmt, und nicht weiß, wie &#x017F;ie dazu ge-<lb/>
kommen, &#x017F;o wird &#x017F;ie in ein nahebey gelegenes Ho&#x017F;pi-<lb/>
tal gebracht. Sie erhohlet &#x017F;ich etwas, man be&#x017F;ra&#x0364;gt<lb/>
&#x017F;ie nach der Be&#x017F;chaffenheit und dem Tha&#x0364;ter. Sie<lb/>
antwortet: Sie habe &#x017F;olches &#x017F;elb&#x017F;t gethan; &#x017F;ie &#x017F;ey<lb/>
des Lebens u&#x0364;berdru&#x0364;ßig; &#x017F;ie habe bey Berath&#x017F;chla-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gung</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[299/0347] und ihrer Verhaͤltniß. deutlich ein, ſo iſt es was leichtes, daß er durch die Menge der Vorſtellungen und die Heſtigkeit der Empfindungen zu einem ſo verzweiffeltem Entſchluß gebracht werde. Ja es ſind Exempel vorhanden, daß Leute, die ſonſt nichts gethan als daß ſie gegeſſen, getruncken, geſchlaffen, deſſen ſo uͤberdruͤßig gewor- den, daß ſie durch den Selbſtmord eine beſſere Welt, aber vergeblich und thoͤricht, ſuchen wollen. Ich kan nicht umhin ein ſehr merckwuͤrdiges Exempel eines Selbſtmordes anzufuͤhren, ſo mir in dieſem Jahre von einem glaubwuͤrdigen Doctore aus Lon- don geſchrieben worden, der die Perſon ſelbſt geſe- hen, und ſich nach allem hinlaͤnglich erkundiget. Ei- ne Weibs-Perſon, die bis an ihr 50tes Jahr in allen Luͤſten gelebet, wird deſſen endlich ſo uͤberdruͤſ- ſig, daß ſie auf den Entſchluß geraͤth, ſich ſelbſt mit Gewalt das Leben zu nehmen. Vielleicht hat ſie ihr Alter ihres bisherigen Gewinſtes beraubet, oder ihr Gewiſſen ſie zu ſolchem raſendem Entſchluß ver- mocht. Sie macht zu dem Ende in ihrer Kuͤche ein groſſes Feuer in einem Circkel, tritt gantz na- ckend hinein, und laͤßt ſich alſo lebendig und allmaͤh- lig braten. Man kommt dazu und findet ſie halb todt und geroͤſtet, ſonderlich an denen Waden, Hinter-Theil des Leibes, am Bauch und Bruͤſten, ſo daß ihre Haut einem gebratenen Spaan-Ferckel voͤllig aͤhnlich geweſen. Weil man noch Leben bey ihr wahrnimmt, und nicht weiß, wie ſie dazu ge- kommen, ſo wird ſie in ein nahebey gelegenes Hoſpi- tal gebracht. Sie erhohlet ſich etwas, man beſraͤgt ſie nach der Beſchaffenheit und dem Thaͤter. Sie antwortet: Sie habe ſolches ſelbſt gethan; ſie ſey des Lebens uͤberdruͤßig; ſie habe bey Berathſchla- gung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/suessmilch_ordnung_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/suessmilch_ordnung_1741/347
Zitationshilfe: Süssmilch, Johann Peter: Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts aus der Geburt, Tod und Fortpflanzung desselben. Berlin, 1741, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/suessmilch_ordnung_1741/347>, abgerufen am 22.11.2024.