Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.Tagebuch von einer nach Nizza sen Morgen bey dem schönsten Wetter sich ein heftigerund sehr kalter Nordwind erhoben hatte. Er stürmte so gewaltig, daß auch starke Leute Mühe hatten, sich aufrecht zu erhalten. Aus eben diesem Grunde ließ ich hier, gegen meinen vorher gefaßten Vorsatz, nicht anhalten, weil mich dieser strenge Wind doch würde verhindert haben, die hiesigen Alterthümer zu sehen. Dicht neben der Stadt ist ein angenehmer, mit sam-
Tagebuch von einer nach Nizza ſen Morgen bey dem ſchoͤnſten Wetter ſich ein heftigerund ſehr kalter Nordwind erhoben hatte. Er ſtuͤrmte ſo gewaltig, daß auch ſtarke Leute Muͤhe hatten, ſich aufrecht zu erhalten. Aus eben dieſem Grunde ließ ich hier, gegen meinen vorher gefaßten Vorſatz, nicht anhalten, weil mich dieſer ſtrenge Wind doch wuͤrde verhindert haben, die hieſigen Alterthuͤmer zu ſehen. Dicht neben der Stadt iſt ein angenehmer, mit ſam-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="diaryEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0120" n="100"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Tagebuch von einer nach Nizza</hi></fw><lb/> ſen Morgen bey dem ſchoͤnſten Wetter ſich ein heftiger<lb/> und ſehr kalter Nordwind erhoben hatte. Er ſtuͤrmte<lb/> ſo gewaltig, daß auch ſtarke Leute Muͤhe hatten, ſich<lb/> aufrecht zu erhalten. Aus eben dieſem Grunde ließ<lb/> ich hier, gegen meinen vorher gefaßten Vorſatz, nicht<lb/> anhalten, weil mich dieſer ſtrenge Wind doch wuͤrde<lb/> verhindert haben, die hieſigen Alterthuͤmer zu ſehen.</p><lb/> <p>Dicht neben der Stadt iſt ein angenehmer, mit<lb/> ſchoͤnen und ſehr großen Maulbeerbaͤumen beſetzter<lb/> Spazierplatz. Die Straße geht neben der Stadt an<lb/> der Seite des Berges allmaͤhlig auf die Hoͤhe, welche<lb/> ſich von hier bis nach <hi rendition="#fr">Courtezon</hi> erſtreckt. Es iſt<lb/> nicht moͤglich, ſich etwas Unfruchtbarers auf dem Erd-<lb/> boden vorzuſtellen, als dieſe hohe Plaͤne, die einen<lb/> anſehnlichen Theil des Fuͤrſtenthums <hi rendition="#fr">Orange</hi> aus-<lb/> macht. Sie iſt eigentlich nichts, als ein ungeheurer<lb/> Haufen zuſammengeſchwemmter Kieſelſteine. Jn der<lb/> Naͤhe uͤber <hi rendition="#fr">Orange</hi> haben ſich die Einwohner die Muͤ-<lb/> he gegeben, das Land etwas von Steinen zu reinigen;<lb/> denn man ſiehet ſehr lange, etwa ſechs Fuß hohe Hau-<lb/> fen zuſammengetragener Steine, und dazwiſchen eben<lb/> ſo lange mit Weinreben beſetzte Aecker. Aber die<lb/> Weinſtoͤcke ſtehen ſehr mager und elend, ſo daß gewiß<lb/> ein weiter Strich Landes hier erfordert wird, um ei-<lb/> nen Eimer Wein zu gewinnen. Hier und da ſiehet<lb/> man auch noch einen halb duͤrren Oliven- oder Maul-<lb/> beerbaum auf dieſem elenden Boden ſtehen; aber et-<lb/> was weiter hin iſt das Land eine weite Wuͤſte, mit<lb/> ganz niedrigem, etwa zwey Spannen hohem Geſtraͤu-<lb/> che bewachſen. Dieſes Geſtraͤuch beſteht groͤßten-<lb/> theils aus der immergruͤnen Zwergeiche mit ſtachli-<lb/> chen Blaͤttern, von der die europaͤiſche Cochenille ge-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſam-</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [100/0120]
Tagebuch von einer nach Nizza
ſen Morgen bey dem ſchoͤnſten Wetter ſich ein heftiger
und ſehr kalter Nordwind erhoben hatte. Er ſtuͤrmte
ſo gewaltig, daß auch ſtarke Leute Muͤhe hatten, ſich
aufrecht zu erhalten. Aus eben dieſem Grunde ließ
ich hier, gegen meinen vorher gefaßten Vorſatz, nicht
anhalten, weil mich dieſer ſtrenge Wind doch wuͤrde
verhindert haben, die hieſigen Alterthuͤmer zu ſehen.
Dicht neben der Stadt iſt ein angenehmer, mit
ſchoͤnen und ſehr großen Maulbeerbaͤumen beſetzter
Spazierplatz. Die Straße geht neben der Stadt an
der Seite des Berges allmaͤhlig auf die Hoͤhe, welche
ſich von hier bis nach Courtezon erſtreckt. Es iſt
nicht moͤglich, ſich etwas Unfruchtbarers auf dem Erd-
boden vorzuſtellen, als dieſe hohe Plaͤne, die einen
anſehnlichen Theil des Fuͤrſtenthums Orange aus-
macht. Sie iſt eigentlich nichts, als ein ungeheurer
Haufen zuſammengeſchwemmter Kieſelſteine. Jn der
Naͤhe uͤber Orange haben ſich die Einwohner die Muͤ-
he gegeben, das Land etwas von Steinen zu reinigen;
denn man ſiehet ſehr lange, etwa ſechs Fuß hohe Hau-
fen zuſammengetragener Steine, und dazwiſchen eben
ſo lange mit Weinreben beſetzte Aecker. Aber die
Weinſtoͤcke ſtehen ſehr mager und elend, ſo daß gewiß
ein weiter Strich Landes hier erfordert wird, um ei-
nen Eimer Wein zu gewinnen. Hier und da ſiehet
man auch noch einen halb duͤrren Oliven- oder Maul-
beerbaum auf dieſem elenden Boden ſtehen; aber et-
was weiter hin iſt das Land eine weite Wuͤſte, mit
ganz niedrigem, etwa zwey Spannen hohem Geſtraͤu-
che bewachſen. Dieſes Geſtraͤuch beſteht groͤßten-
theils aus der immergruͤnen Zwergeiche mit ſtachli-
chen Blaͤttern, von der die europaͤiſche Cochenille ge-
ſam-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |