Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.Tagebuch von einer nach Nizza aber mir hier sonderbar schön vorkamen. Ein dün-ner, schlanker, nicht völlig gerade gewachsener Stamm hat eine nur kleine Krone. Die Aeste desselben tra- gen nur gegen die Spitzen spannenlange Nadeln von schönem Grün, die lauter Büschel, wie lange Pu- derquasten bilden; dieses und denn die sehr großen, auch spannenlangen geschuppten Kienzapfen von hell- brauner Farbe geben dem Baume ein völlig frem- des, angenehmes Ansehen. Bey dem beständigen Hin- und Herfahren ändert sich auch die Aussicht. Bald sieht man gegen Süden nach dem Meere hin, bald gegen Norden landwärts hinein, bald wieder auf der weiten fruchtbaren Ebene, an deren Ende Frejus liegt, und durch deren grüne Felder die Straße, auf der man hieher gefahren, wie ein gerade gezogenes gelbes Band erscheinet. Aber nichts geht über die unendliche Menge und Mannichfaltigkeit der kleinern Berge und der dazwischen liegenden meist runden Thä- ler, über welche man von der Höhe herunter viele Meilen weit weg siehet. Hier und da in den Grün- den ein kleines mit junger Saat bedecktes Stück Land; alles übrige eine gänzliche aber schimmernde Wildniß. Es schien mir da der Mühe werth viele Meilen weit zu reisen, um das Vergnügen zu genießen, bey schö- nem Wetter über diesen Berg zu fahren. Zwey Umstände verschönerten diesen Weg: die pe
Tagebuch von einer nach Nizza aber mir hier ſonderbar ſchoͤn vorkamen. Ein duͤn-ner, ſchlanker, nicht voͤllig gerade gewachſener Stamm hat eine nur kleine Krone. Die Aeſte deſſelben tra- gen nur gegen die Spitzen ſpannenlange Nadeln von ſchoͤnem Gruͤn, die lauter Buͤſchel, wie lange Pu- derquaſten bilden; dieſes und denn die ſehr großen, auch ſpannenlangen geſchuppten Kienzapfen von hell- brauner Farbe geben dem Baume ein voͤllig frem- des, angenehmes Anſehen. Bey dem beſtaͤndigen Hin- und Herfahren aͤndert ſich auch die Ausſicht. Bald ſieht man gegen Suͤden nach dem Meere hin, bald gegen Norden landwaͤrts hinein, bald wieder auf der weiten fruchtbaren Ebene, an deren Ende Frejus liegt, und durch deren gruͤne Felder die Straße, auf der man hieher gefahren, wie ein gerade gezogenes gelbes Band erſcheinet. Aber nichts geht uͤber die unendliche Menge und Mannichfaltigkeit der kleinern Berge und der dazwiſchen liegenden meiſt runden Thaͤ- ler, uͤber welche man von der Hoͤhe herunter viele Meilen weit weg ſiehet. Hier und da in den Gruͤn- den ein kleines mit junger Saat bedecktes Stuͤck Land; alles uͤbrige eine gaͤnzliche aber ſchimmernde Wildniß. Es ſchien mir da der Muͤhe werth viele Meilen weit zu reiſen, um das Vergnuͤgen zu genießen, bey ſchoͤ- nem Wetter uͤber dieſen Berg zu fahren. Zwey Umſtaͤnde verſchoͤnerten dieſen Weg: die pe
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Tagebuch von einer nach Nizza
aber mir hier ſonderbar ſchoͤn vorkamen. Ein duͤn-
ner, ſchlanker, nicht voͤllig gerade gewachſener Stamm
hat eine nur kleine Krone. Die Aeſte deſſelben tra-
gen nur gegen die Spitzen ſpannenlange Nadeln von
ſchoͤnem Gruͤn, die lauter Buͤſchel, wie lange Pu-
derquaſten bilden; dieſes und denn die ſehr großen,
auch ſpannenlangen geſchuppten Kienzapfen von hell-
brauner Farbe geben dem Baume ein voͤllig frem-
des, angenehmes Anſehen. Bey dem beſtaͤndigen
Hin- und Herfahren aͤndert ſich auch die Ausſicht.
Bald ſieht man gegen Suͤden nach dem Meere hin,
bald gegen Norden landwaͤrts hinein, bald wieder auf
der weiten fruchtbaren Ebene, an deren Ende Frejus
liegt, und durch deren gruͤne Felder die Straße, auf
der man hieher gefahren, wie ein gerade gezogenes
gelbes Band erſcheinet. Aber nichts geht uͤber die
unendliche Menge und Mannichfaltigkeit der kleinern
Berge und der dazwiſchen liegenden meiſt runden Thaͤ-
ler, uͤber welche man von der Hoͤhe herunter viele
Meilen weit weg ſiehet. Hier und da in den Gruͤn-
den ein kleines mit junger Saat bedecktes Stuͤck Land;
alles uͤbrige eine gaͤnzliche aber ſchimmernde Wildniß.
Es ſchien mir da der Muͤhe werth viele Meilen weit
zu reiſen, um das Vergnuͤgen zu genießen, bey ſchoͤ-
nem Wetter uͤber dieſen Berg zu fahren.
Zwey Umſtaͤnde verſchoͤnerten dieſen Weg: die
Mannichfaltigkeit ſchoͤner niedriger Geſtraͤuche, die
den Boden bedecken, beſonders die Schoͤnheit des
Erdbeerbaums, der hier ſehr haͤufig waͤchſt, und jetzt
uͤberall voll Bluͤhten und Fruͤchte hieng. Dann
kam jetzt der Umſtand hinzu, daß mir eine große
Menge froͤhlicher Menſchen, beſonders ganze Trup-
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