Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

Tagebuch von einer nach Nizza
tern, aus ihren Waarengewölbern zu urtheilen, gut
zu stehen. Fabrikanten giebt es in Nizza gar nicht.

Das geringe-
re Volk.

Der große Haufe, oder das geringere Volk, schei-
net hier durchgehends sehr arm zu seyn. Ansehnliche
Handwerksleute giebt es hier gar nicht. Man kann
auch darum hier in keinem Stücke recht gute Arbeit be-
kommen. Die Reichern lassen sich, wenn sie etwas
Vorzügliches haben wollen, es aus Frankreich oder
aus Genua, oder gar aus England kommen. Die-
ses geschieht mit Hüten, Strümpfen, Schuhen u.
dgl. gemeinen Sachen. Weil sie alle insgemein im
untersten Theil des Hauses ihre offenen Werkstellen
haben, so kann man ohne großes Nachforschen sehen,
in was für schlechter Verfassung sie sind.

Tagelöhner, außer denen, die sich mit Hin- und
Herschleppen der Waaren nach dem Hafen, und von
da nach der Stadt abgeben, giebt es hier dem Anse-
hen nach sehr wenige. Jch schloß dieses daher, daß
zu dem Bau am Hafen, sogar im Steinbruch und bey
andern öffentlichen Arbeiten, Weiber, junge Mäd-
chen, und sogar Kinder in großer Zahl, und immer
10 gegen eine Mannsperson, zum Stein-Kalk- und
Sandherbeyschaffen gebraucht werden. Desto mehr
Bettler aber giebt es, die durchgehends mit so gar
elenden Lappen behangen sind, daß ein Fremder sie oh-
ne Entsetzen nicht ansehen kann.

Die Fischer.

Eine Classe des niedrigen Volks verdienet einer
besondern Erwähnung, nämlich die Fischer. Sie
machen einen besondern Stamm aus, aus dem ihre
Kinder nicht heraus heirathen. Jch hörte, als eine
gemeine Sage, daß diese Leute sich von allen an-
dern durch einen guten Lebenswandel und bessere Sit-

ten

Tagebuch von einer nach Nizza
tern, aus ihren Waarengewoͤlbern zu urtheilen, gut
zu ſtehen. Fabrikanten giebt es in Nizza gar nicht.

Das geringe-
re Volk.

Der große Haufe, oder das geringere Volk, ſchei-
net hier durchgehends ſehr arm zu ſeyn. Anſehnliche
Handwerksleute giebt es hier gar nicht. Man kann
auch darum hier in keinem Stuͤcke recht gute Arbeit be-
kommen. Die Reichern laſſen ſich, wenn ſie etwas
Vorzuͤgliches haben wollen, es aus Frankreich oder
aus Genua, oder gar aus England kommen. Die-
ſes geſchieht mit Huͤten, Struͤmpfen, Schuhen u.
dgl. gemeinen Sachen. Weil ſie alle insgemein im
unterſten Theil des Hauſes ihre offenen Werkſtellen
haben, ſo kann man ohne großes Nachforſchen ſehen,
in was fuͤr ſchlechter Verfaſſung ſie ſind.

Tageloͤhner, außer denen, die ſich mit Hin- und
Herſchleppen der Waaren nach dem Hafen, und von
da nach der Stadt abgeben, giebt es hier dem Anſe-
hen nach ſehr wenige. Jch ſchloß dieſes daher, daß
zu dem Bau am Hafen, ſogar im Steinbruch und bey
andern oͤffentlichen Arbeiten, Weiber, junge Maͤd-
chen, und ſogar Kinder in großer Zahl, und immer
10 gegen eine Mannsperſon, zum Stein-Kalk- und
Sandherbeyſchaffen gebraucht werden. Deſto mehr
Bettler aber giebt es, die durchgehends mit ſo gar
elenden Lappen behangen ſind, daß ein Fremder ſie oh-
ne Entſetzen nicht anſehen kann.

Die Fiſcher.

Eine Claſſe des niedrigen Volks verdienet einer
beſondern Erwaͤhnung, naͤmlich die Fiſcher. Sie
machen einen beſondern Stamm aus, aus dem ihre
Kinder nicht heraus heirathen. Jch hoͤrte, als eine
gemeine Sage, daß dieſe Leute ſich von allen an-
dern durch einen guten Lebenswandel und beſſere Sit-

ten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0214" n="194"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Tagebuch von einer nach Nizza</hi></fw><lb/>
tern, aus ihren Waarengewo&#x0364;lbern zu urtheilen, gut<lb/>
zu &#x017F;tehen. Fabrikanten giebt es in <hi rendition="#fr">Nizza</hi> gar nicht.</p><lb/>
        <note place="left">Das geringe-<lb/>
re Volk.</note>
        <p>Der große Haufe, oder das geringere Volk, &#x017F;chei-<lb/>
net hier durchgehends &#x017F;ehr arm zu &#x017F;eyn. An&#x017F;ehnliche<lb/>
Handwerksleute giebt es hier gar nicht. Man kann<lb/>
auch darum hier in keinem Stu&#x0364;cke recht gute Arbeit be-<lb/>
kommen. Die Reichern la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich, wenn &#x017F;ie etwas<lb/>
Vorzu&#x0364;gliches haben wollen, es aus <hi rendition="#fr">Frankreich</hi> oder<lb/>
aus <hi rendition="#fr">Genua,</hi> oder gar aus <hi rendition="#fr">England</hi> kommen. Die-<lb/>
&#x017F;es ge&#x017F;chieht mit Hu&#x0364;ten, Stru&#x0364;mpfen, Schuhen u.<lb/>
dgl. gemeinen Sachen. Weil &#x017F;ie alle insgemein im<lb/>
unter&#x017F;ten Theil des Hau&#x017F;es ihre offenen Werk&#x017F;tellen<lb/>
haben, &#x017F;o kann man ohne großes Nachfor&#x017F;chen &#x017F;ehen,<lb/>
in was fu&#x0364;r &#x017F;chlechter Verfa&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;ie &#x017F;ind.</p><lb/>
        <p>Tagelo&#x0364;hner, außer denen, die &#x017F;ich mit Hin- und<lb/>
Her&#x017F;chleppen der Waaren nach dem Hafen, und von<lb/>
da nach der Stadt abgeben, giebt es hier dem An&#x017F;e-<lb/>
hen nach &#x017F;ehr wenige. Jch &#x017F;chloß die&#x017F;es daher, daß<lb/>
zu dem Bau am Hafen, &#x017F;ogar im Steinbruch und bey<lb/>
andern o&#x0364;ffentlichen Arbeiten, Weiber, junge Ma&#x0364;d-<lb/>
chen, und &#x017F;ogar Kinder in großer Zahl, und immer<lb/>
10 gegen eine Mannsper&#x017F;on, zum Stein-Kalk- und<lb/>
Sandherbey&#x017F;chaffen gebraucht werden. De&#x017F;to mehr<lb/>
Bettler aber giebt es, die durchgehends mit &#x017F;o gar<lb/>
elenden Lappen behangen &#x017F;ind, daß ein Fremder &#x017F;ie oh-<lb/>
ne Ent&#x017F;etzen nicht an&#x017F;ehen kann.</p><lb/>
        <note place="left">Die Fi&#x017F;cher.</note>
        <p>Eine Cla&#x017F;&#x017F;e des niedrigen Volks verdienet einer<lb/>
be&#x017F;ondern Erwa&#x0364;hnung, na&#x0364;mlich die Fi&#x017F;cher. Sie<lb/>
machen einen be&#x017F;ondern Stamm aus, aus dem ihre<lb/>
Kinder nicht heraus heirathen. Jch ho&#x0364;rte, als eine<lb/>
gemeine Sage, daß die&#x017F;e Leute &#x017F;ich von allen an-<lb/>
dern durch einen guten Lebenswandel und be&#x017F;&#x017F;ere Sit-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ten</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0214] Tagebuch von einer nach Nizza tern, aus ihren Waarengewoͤlbern zu urtheilen, gut zu ſtehen. Fabrikanten giebt es in Nizza gar nicht. Der große Haufe, oder das geringere Volk, ſchei- net hier durchgehends ſehr arm zu ſeyn. Anſehnliche Handwerksleute giebt es hier gar nicht. Man kann auch darum hier in keinem Stuͤcke recht gute Arbeit be- kommen. Die Reichern laſſen ſich, wenn ſie etwas Vorzuͤgliches haben wollen, es aus Frankreich oder aus Genua, oder gar aus England kommen. Die- ſes geſchieht mit Huͤten, Struͤmpfen, Schuhen u. dgl. gemeinen Sachen. Weil ſie alle insgemein im unterſten Theil des Hauſes ihre offenen Werkſtellen haben, ſo kann man ohne großes Nachforſchen ſehen, in was fuͤr ſchlechter Verfaſſung ſie ſind. Tageloͤhner, außer denen, die ſich mit Hin- und Herſchleppen der Waaren nach dem Hafen, und von da nach der Stadt abgeben, giebt es hier dem Anſe- hen nach ſehr wenige. Jch ſchloß dieſes daher, daß zu dem Bau am Hafen, ſogar im Steinbruch und bey andern oͤffentlichen Arbeiten, Weiber, junge Maͤd- chen, und ſogar Kinder in großer Zahl, und immer 10 gegen eine Mannsperſon, zum Stein-Kalk- und Sandherbeyſchaffen gebraucht werden. Deſto mehr Bettler aber giebt es, die durchgehends mit ſo gar elenden Lappen behangen ſind, daß ein Fremder ſie oh- ne Entſetzen nicht anſehen kann. Eine Claſſe des niedrigen Volks verdienet einer beſondern Erwaͤhnung, naͤmlich die Fiſcher. Sie machen einen beſondern Stamm aus, aus dem ihre Kinder nicht heraus heirathen. Jch hoͤrte, als eine gemeine Sage, daß dieſe Leute ſich von allen an- dern durch einen guten Lebenswandel und beſſere Sit- ten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/214
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/214>, abgerufen am 24.11.2024.