Die vornehmste dieser Arbeiten ist eine sehr beträcht- liche Wollenfabrik, darin allerley Arten von Tüchern und andern wollenen Zeugen, hauptsächlich für die Armee des Königs, verfertiget werden. Alle Arbeit, außer das Färben und die übrigen letzten Zurüstungen, wird von jungen Mädchen verrichtet. Jch habe ge- sehen, daß zwey Kinder von 12 bis 14 Jahren ein Stück einige Ellen breites Tuch auf einem Weberstuh- le verfertigten. Die Arbeiten geschehen in verschiede- nen großen Sälen, in deren jedem eine beträchtliche Anzahl Arbeiterinnen sind.
Außer den Wollenarbeiten wird auch Seide auf den bekannten Seidenmühlen gezwirnt, gehaspelt und zum Gebrauch in den Fabriken zurechte gemacht. Jn andern Zimmern werden gestrickte Spitzen von Zwirn und andre dergleichen kleinere Arbeiten verfertiget.
Sämtliche Arbeiterinnen werden hier wie in ei- nem Waisenhause, aber gut und reichlich unterhalten. Sie sind aber wie in ein Kloster eingeschlossen. Nie- mand kann in das beständig verschlossen gehaltene Haus hinein, noch von da herauskommen, ohne die Ober- aufseherinn, welche die Schlüssel bey sich trägt. Mir hat die gute Policeyordnung dieses Hauses sehr gefal- len. Die Arbeitssäle sind groß und wohl gelüftet; die Schlafzimmer sehr räumlich und ganz reinlich; und die Mädchen werden wohl gespeiset und sehr gut in Kleidung unterhalten. Findet eine erwachsene Person Gelegenheit sich zu verheirathen, so wird sie ganz neu und sehr gut gekleidet aus dem Hause entlassen.
An die weitläuftigen Gebäude, worin diese Ar- beiterinnen verschlossen sind, stoßen noch andere, wo die Tücher und wollenen Zeuge durch Mannspersonen
völlig
Tagebuch von der Ruͤckreiſe
Die vornehmſte dieſer Arbeiten iſt eine ſehr betraͤcht- liche Wollenfabrik, darin allerley Arten von Tuͤchern und andern wollenen Zeugen, hauptſaͤchlich fuͤr die Armee des Koͤnigs, verfertiget werden. Alle Arbeit, außer das Faͤrben und die uͤbrigen letzten Zuruͤſtungen, wird von jungen Maͤdchen verrichtet. Jch habe ge- ſehen, daß zwey Kinder von 12 bis 14 Jahren ein Stuͤck einige Ellen breites Tuch auf einem Weberſtuh- le verfertigten. Die Arbeiten geſchehen in verſchiede- nen großen Saͤlen, in deren jedem eine betraͤchtliche Anzahl Arbeiterinnen ſind.
Außer den Wollenarbeiten wird auch Seide auf den bekannten Seidenmuͤhlen gezwirnt, gehaſpelt und zum Gebrauch in den Fabriken zurechte gemacht. Jn andern Zimmern werden geſtrickte Spitzen von Zwirn und andre dergleichen kleinere Arbeiten verfertiget.
Saͤmtliche Arbeiterinnen werden hier wie in ei- nem Waiſenhauſe, aber gut und reichlich unterhalten. Sie ſind aber wie in ein Kloſter eingeſchloſſen. Nie- mand kann in das beſtaͤndig verſchloſſen gehaltene Haus hinein, noch von da herauskommen, ohne die Ober- aufſeherinn, welche die Schluͤſſel bey ſich traͤgt. Mir hat die gute Policeyordnung dieſes Hauſes ſehr gefal- len. Die Arbeitsſaͤle ſind groß und wohl geluͤftet; die Schlafzimmer ſehr raͤumlich und ganz reinlich; und die Maͤdchen werden wohl geſpeiſet und ſehr gut in Kleidung unterhalten. Findet eine erwachſene Perſon Gelegenheit ſich zu verheirathen, ſo wird ſie ganz neu und ſehr gut gekleidet aus dem Hauſe entlaſſen.
An die weitlaͤuftigen Gebaͤude, worin dieſe Ar- beiterinnen verſchloſſen ſind, ſtoßen noch andere, wo die Tuͤcher und wollenen Zeuge durch Mannsperſonen
voͤllig
<TEI><text><body><divn="1"><divtype="diaryEntry"n="2"><pbfacs="#f0326"n="306"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Tagebuch von der Ruͤckreiſe</hi></fw><lb/><p>Die vornehmſte dieſer Arbeiten iſt eine ſehr betraͤcht-<lb/>
liche Wollenfabrik, darin allerley Arten von Tuͤchern<lb/>
und andern wollenen Zeugen, hauptſaͤchlich fuͤr die<lb/>
Armee des Koͤnigs, verfertiget werden. Alle Arbeit,<lb/>
außer das Faͤrben und die uͤbrigen letzten Zuruͤſtungen,<lb/>
wird von jungen Maͤdchen verrichtet. Jch habe ge-<lb/>ſehen, daß zwey Kinder von 12 bis 14 Jahren ein<lb/>
Stuͤck einige Ellen breites Tuch auf einem Weberſtuh-<lb/>
le verfertigten. Die Arbeiten geſchehen in verſchiede-<lb/>
nen großen Saͤlen, in deren jedem eine betraͤchtliche<lb/>
Anzahl Arbeiterinnen ſind.</p><lb/><p>Außer den Wollenarbeiten wird auch Seide auf<lb/>
den bekannten Seidenmuͤhlen gezwirnt, gehaſpelt und<lb/>
zum Gebrauch in den Fabriken zurechte gemacht. Jn<lb/>
andern Zimmern werden geſtrickte Spitzen von Zwirn<lb/>
und andre dergleichen kleinere Arbeiten verfertiget.</p><lb/><p>Saͤmtliche Arbeiterinnen werden hier wie in ei-<lb/>
nem Waiſenhauſe, aber gut und reichlich unterhalten.<lb/>
Sie ſind aber wie in ein Kloſter eingeſchloſſen. Nie-<lb/>
mand kann in das beſtaͤndig verſchloſſen gehaltene Haus<lb/>
hinein, noch von da herauskommen, ohne die Ober-<lb/>
aufſeherinn, welche die Schluͤſſel bey ſich traͤgt. Mir<lb/>
hat die gute Policeyordnung dieſes Hauſes ſehr gefal-<lb/>
len. Die Arbeitsſaͤle ſind groß und wohl geluͤftet;<lb/>
die Schlafzimmer ſehr raͤumlich und ganz reinlich;<lb/>
und die Maͤdchen werden wohl geſpeiſet und ſehr gut in<lb/>
Kleidung unterhalten. Findet eine erwachſene Perſon<lb/>
Gelegenheit ſich zu verheirathen, ſo wird ſie ganz neu<lb/>
und ſehr gut gekleidet aus dem Hauſe entlaſſen.</p><lb/><p>An die weitlaͤuftigen Gebaͤude, worin dieſe Ar-<lb/>
beiterinnen verſchloſſen ſind, ſtoßen noch andere, wo<lb/>
die Tuͤcher und wollenen Zeuge durch Mannsperſonen<lb/><fwplace="bottom"type="catch">voͤllig</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[306/0326]
Tagebuch von der Ruͤckreiſe
Die vornehmſte dieſer Arbeiten iſt eine ſehr betraͤcht-
liche Wollenfabrik, darin allerley Arten von Tuͤchern
und andern wollenen Zeugen, hauptſaͤchlich fuͤr die
Armee des Koͤnigs, verfertiget werden. Alle Arbeit,
außer das Faͤrben und die uͤbrigen letzten Zuruͤſtungen,
wird von jungen Maͤdchen verrichtet. Jch habe ge-
ſehen, daß zwey Kinder von 12 bis 14 Jahren ein
Stuͤck einige Ellen breites Tuch auf einem Weberſtuh-
le verfertigten. Die Arbeiten geſchehen in verſchiede-
nen großen Saͤlen, in deren jedem eine betraͤchtliche
Anzahl Arbeiterinnen ſind.
Außer den Wollenarbeiten wird auch Seide auf
den bekannten Seidenmuͤhlen gezwirnt, gehaſpelt und
zum Gebrauch in den Fabriken zurechte gemacht. Jn
andern Zimmern werden geſtrickte Spitzen von Zwirn
und andre dergleichen kleinere Arbeiten verfertiget.
Saͤmtliche Arbeiterinnen werden hier wie in ei-
nem Waiſenhauſe, aber gut und reichlich unterhalten.
Sie ſind aber wie in ein Kloſter eingeſchloſſen. Nie-
mand kann in das beſtaͤndig verſchloſſen gehaltene Haus
hinein, noch von da herauskommen, ohne die Ober-
aufſeherinn, welche die Schluͤſſel bey ſich traͤgt. Mir
hat die gute Policeyordnung dieſes Hauſes ſehr gefal-
len. Die Arbeitsſaͤle ſind groß und wohl geluͤftet;
die Schlafzimmer ſehr raͤumlich und ganz reinlich;
und die Maͤdchen werden wohl geſpeiſet und ſehr gut in
Kleidung unterhalten. Findet eine erwachſene Perſon
Gelegenheit ſich zu verheirathen, ſo wird ſie ganz neu
und ſehr gut gekleidet aus dem Hauſe entlaſſen.
An die weitlaͤuftigen Gebaͤude, worin dieſe Ar-
beiterinnen verſchloſſen ſind, ſtoßen noch andere, wo
die Tuͤcher und wollenen Zeuge durch Mannsperſonen
voͤllig
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/326>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.