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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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Tagebuch von der Rückreise
Domkirche fahren, um da wieder eine Zeit lang stille
zu halten. Dieses dauert bis in die Nacht hinein.
Von da fährt man nach der Comödie, oder man hält
auch wohl bis auf die Abendmahlzeit, die erst gegen
Mitternacht angeht. Denn die Mittagsmahlzeit
fängt auch erst um 4 Uhr Nachmittags oder noch spä-
ter an. Jm Sommer wird der Corso und der Wall
zur Tilgung des Staubes alle Abende mit Wasser be-
sprützt. Die zu Sclavenarbeit verurtheilten Misse-
thäter werden an Wagen gespannt, auf deren jedem
ein großes Faß ist, das sie anfüllen, und an den be-
stimmten Orten ausgießen. Es macht einen sonder-
baren Contrast, erst einen langen Zug von Wagen,
vor denen Menschen statt Viehes vorgespannt sind,
hernach einen ganz andern Zug prächtiger Kutschen,
mit müßigen in wollüstigem Ueberfluß lebenden Men-
schen zu sehen, für deren Gemächlichkeit jene viehische
Arbeit verrichten müssen.

Politische-Be-
merkungen.

Es ist bekannt, daß der reiche Adel in Meiland
auf einen großen Fuß lebt: einige der ersten Häuser
führen einen fürstlichen Staat, wiewohl ohne Hof-
marschälle und Cammerherren. Jhre Paläste sind
wohl gebaut und groß, auch reichlich mit kostbarer
Geräthschaft versehen. Man kann gar wohl merken,
daß die reichen Familien sich die größte Angelegenheit
daraus machen, den Glanz ihres Hauses zu erhalten,
und auf die Nachkommen zu bringen. Der Fa-
milienpetriotismus, wenn ich es so nennen kann, ist
hier sehr merklich; und man wird gewahr, daß die
ganze Familie bemüht ist, den Haupterben und
Stammhalter bey Reichthum und Ansehen zu erhal-
ten. Dieses erfordert in Meiland so viel mehr

Sorg-

Tagebuch von der Ruͤckreiſe
Domkirche fahren, um da wieder eine Zeit lang ſtille
zu halten. Dieſes dauert bis in die Nacht hinein.
Von da faͤhrt man nach der Comoͤdie, oder man haͤlt
auch wohl bis auf die Abendmahlzeit, die erſt gegen
Mitternacht angeht. Denn die Mittagsmahlzeit
faͤngt auch erſt um 4 Uhr Nachmittags oder noch ſpaͤ-
ter an. Jm Sommer wird der Corſo und der Wall
zur Tilgung des Staubes alle Abende mit Waſſer be-
ſpruͤtzt. Die zu Sclavenarbeit verurtheilten Miſſe-
thaͤter werden an Wagen geſpannt, auf deren jedem
ein großes Faß iſt, das ſie anfuͤllen, und an den be-
ſtimmten Orten ausgießen. Es macht einen ſonder-
baren Contraſt, erſt einen langen Zug von Wagen,
vor denen Menſchen ſtatt Viehes vorgeſpannt ſind,
hernach einen ganz andern Zug praͤchtiger Kutſchen,
mit muͤßigen in wolluͤſtigem Ueberfluß lebenden Men-
ſchen zu ſehen, fuͤr deren Gemaͤchlichkeit jene viehiſche
Arbeit verrichten muͤſſen.

Politiſche-Be-
merkungen.

Es iſt bekannt, daß der reiche Adel in Meiland
auf einen großen Fuß lebt: einige der erſten Haͤuſer
fuͤhren einen fuͤrſtlichen Staat, wiewohl ohne Hof-
marſchaͤlle und Cammerherren. Jhre Palaͤſte ſind
wohl gebaut und groß, auch reichlich mit koſtbarer
Geraͤthſchaft verſehen. Man kann gar wohl merken,
daß die reichen Familien ſich die groͤßte Angelegenheit
daraus machen, den Glanz ihres Hauſes zu erhalten,
und auf die Nachkommen zu bringen. Der Fa-
milienpetriotismus, wenn ich es ſo nennen kann, iſt
hier ſehr merklich; und man wird gewahr, daß die
ganze Familie bemuͤht iſt, den Haupterben und
Stammhalter bey Reichthum und Anſehen zu erhal-
ten. Dieſes erfordert in Meiland ſo viel mehr

Sorg-
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[340/0360] Tagebuch von der Ruͤckreiſe Domkirche fahren, um da wieder eine Zeit lang ſtille zu halten. Dieſes dauert bis in die Nacht hinein. Von da faͤhrt man nach der Comoͤdie, oder man haͤlt auch wohl bis auf die Abendmahlzeit, die erſt gegen Mitternacht angeht. Denn die Mittagsmahlzeit faͤngt auch erſt um 4 Uhr Nachmittags oder noch ſpaͤ- ter an. Jm Sommer wird der Corſo und der Wall zur Tilgung des Staubes alle Abende mit Waſſer be- ſpruͤtzt. Die zu Sclavenarbeit verurtheilten Miſſe- thaͤter werden an Wagen geſpannt, auf deren jedem ein großes Faß iſt, das ſie anfuͤllen, und an den be- ſtimmten Orten ausgießen. Es macht einen ſonder- baren Contraſt, erſt einen langen Zug von Wagen, vor denen Menſchen ſtatt Viehes vorgeſpannt ſind, hernach einen ganz andern Zug praͤchtiger Kutſchen, mit muͤßigen in wolluͤſtigem Ueberfluß lebenden Men- ſchen zu ſehen, fuͤr deren Gemaͤchlichkeit jene viehiſche Arbeit verrichten muͤſſen. Es iſt bekannt, daß der reiche Adel in Meiland auf einen großen Fuß lebt: einige der erſten Haͤuſer fuͤhren einen fuͤrſtlichen Staat, wiewohl ohne Hof- marſchaͤlle und Cammerherren. Jhre Palaͤſte ſind wohl gebaut und groß, auch reichlich mit koſtbarer Geraͤthſchaft verſehen. Man kann gar wohl merken, daß die reichen Familien ſich die groͤßte Angelegenheit daraus machen, den Glanz ihres Hauſes zu erhalten, und auf die Nachkommen zu bringen. Der Fa- milienpetriotismus, wenn ich es ſo nennen kann, iſt hier ſehr merklich; und man wird gewahr, daß die ganze Familie bemuͤht iſt, den Haupterben und Stammhalter bey Reichthum und Anſehen zu erhal- ten. Dieſes erfordert in Meiland ſo viel mehr Sorg-

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/360>, abgerufen am 22.11.2024.