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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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von Nizza nach Deutschland.
streckt sich auch die welsche Sprache viel weiter gegen
Norden hin, nämlich bis nahe an die Hauptstadt
Chur; woraus abzunehmen, daß die alten Thuscier
eher in dies Land gedrungen, als die Deutschen von
der andern Seite dahin gekommen. Denn es ist na-
türlich, daß der, der zuerst kommt, am weitesten
vorrücke. Wenn ich bedenke, daß das Livinerthal,
das an der Südseite bis auf den St. Gotthard reicht,
ehedem der Kirche zu Meiland, das Urseler Thal
aber, das von der Nordseite an denselben Berg stößt,
der Abtey Dissentis in Rhätien unterworfen gewe-
sen, und daß endlich das freye Landvolk von Uri sei-
ne Wohnsitze bis an das Urseler Thal hat, so wird
mir wahrscheinlich, daß hier drey verschiedene Völker
bey ihrem Vordringen auf einander gestoßen sind:
die Lepontier von Jtalien aus, die Urseler von
Rhätien oder Morgen, und die Urner von Nor-
den her. Aber ich komme wieder auf die Fortsetzung
meiner Reise.

Jch mußte nun von den Capuzinern ab wieder
nordwärts so herunter steigen, wie ich an der Mit-
tagsseite heraufgekommen war, und hatte noch etwa
anderthalb Stunden über den Schnee zu gehen. Auch
diesen Weg machte ich zu Fuße, ließ mich aber, weil
ich des Fallens müde war, führen. Der Weg geht
doch nicht völlig so steil herunter, wie auf der Mit-
tagsseite, und ist auch weniger gefährlich, weil man
nicht so oft auf Schneegewölbern über die Reuß muß,
die man meist allezeit zur rechten Hand behält. Doch
fand ich mich gar sehr erleichtert, als ich das Ende
des Schnees erreicht hatte, und wieder auf festen Bo-
den treten konnte. Da setzte ich mich sehr vergnügt,

diesen

von Nizza nach Deutſchland.
ſtreckt ſich auch die welſche Sprache viel weiter gegen
Norden hin, naͤmlich bis nahe an die Hauptſtadt
Chur; woraus abzunehmen, daß die alten Thuſcier
eher in dies Land gedrungen, als die Deutſchen von
der andern Seite dahin gekommen. Denn es iſt na-
tuͤrlich, daß der, der zuerſt kommt, am weiteſten
vorruͤcke. Wenn ich bedenke, daß das Livinerthal,
das an der Suͤdſeite bis auf den St. Gotthard reicht,
ehedem der Kirche zu Meiland, das Urſeler Thal
aber, das von der Nordſeite an denſelben Berg ſtoͤßt,
der Abtey Diſſentis in Rhaͤtien unterworfen gewe-
ſen, und daß endlich das freye Landvolk von Uri ſei-
ne Wohnſitze bis an das Urſeler Thal hat, ſo wird
mir wahrſcheinlich, daß hier drey verſchiedene Voͤlker
bey ihrem Vordringen auf einander geſtoßen ſind:
die Lepontier von Jtalien aus, die Urſeler von
Rhaͤtien oder Morgen, und die Urner von Nor-
den her. Aber ich komme wieder auf die Fortſetzung
meiner Reiſe.

Jch mußte nun von den Capuzinern ab wieder
nordwaͤrts ſo herunter ſteigen, wie ich an der Mit-
tagsſeite heraufgekommen war, und hatte noch etwa
anderthalb Stunden uͤber den Schnee zu gehen. Auch
dieſen Weg machte ich zu Fuße, ließ mich aber, weil
ich des Fallens muͤde war, fuͤhren. Der Weg geht
doch nicht voͤllig ſo ſteil herunter, wie auf der Mit-
tagsſeite, und iſt auch weniger gefaͤhrlich, weil man
nicht ſo oft auf Schneegewoͤlbern uͤber die Reuß muß,
die man meiſt allezeit zur rechten Hand behaͤlt. Doch
fand ich mich gar ſehr erleichtert, als ich das Ende
des Schnees erreicht hatte, und wieder auf feſten Bo-
den treten konnte. Da ſetzte ich mich ſehr vergnuͤgt,

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[365/0385] von Nizza nach Deutſchland. ſtreckt ſich auch die welſche Sprache viel weiter gegen Norden hin, naͤmlich bis nahe an die Hauptſtadt Chur; woraus abzunehmen, daß die alten Thuſcier eher in dies Land gedrungen, als die Deutſchen von der andern Seite dahin gekommen. Denn es iſt na- tuͤrlich, daß der, der zuerſt kommt, am weiteſten vorruͤcke. Wenn ich bedenke, daß das Livinerthal, das an der Suͤdſeite bis auf den St. Gotthard reicht, ehedem der Kirche zu Meiland, das Urſeler Thal aber, das von der Nordſeite an denſelben Berg ſtoͤßt, der Abtey Diſſentis in Rhaͤtien unterworfen gewe- ſen, und daß endlich das freye Landvolk von Uri ſei- ne Wohnſitze bis an das Urſeler Thal hat, ſo wird mir wahrſcheinlich, daß hier drey verſchiedene Voͤlker bey ihrem Vordringen auf einander geſtoßen ſind: die Lepontier von Jtalien aus, die Urſeler von Rhaͤtien oder Morgen, und die Urner von Nor- den her. Aber ich komme wieder auf die Fortſetzung meiner Reiſe. Jch mußte nun von den Capuzinern ab wieder nordwaͤrts ſo herunter ſteigen, wie ich an der Mit- tagsſeite heraufgekommen war, und hatte noch etwa anderthalb Stunden uͤber den Schnee zu gehen. Auch dieſen Weg machte ich zu Fuße, ließ mich aber, weil ich des Fallens muͤde war, fuͤhren. Der Weg geht doch nicht voͤllig ſo ſteil herunter, wie auf der Mit- tagsſeite, und iſt auch weniger gefaͤhrlich, weil man nicht ſo oft auf Schneegewoͤlbern uͤber die Reuß muß, die man meiſt allezeit zur rechten Hand behaͤlt. Doch fand ich mich gar ſehr erleichtert, als ich das Ende des Schnees erreicht hatte, und wieder auf feſten Bo- den treten konnte. Da ſetzte ich mich ſehr vergnuͤgt, dieſen

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/385>, abgerufen am 22.11.2024.