Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

gethanen Reise.
alle massiv und nach der besten Art gebaut. Alles die-
ses machte einen so angenehmen Eindruck auf mich,
daß ich mich den ganzen Weg über bis nach Durlach
damit beschäfftigte.

Es macht mich allemal sehr vergnügt, wenn ichVom guten
und schlech-
ten Ge-
schmack in
Wohnungen

Werke menschlicher Hände sehe, die von guter Ueber-
legung, Geschmack und Fleiß zeugen, und wenn es
auch nur, wie ich nachher auf dieser Reise erfahren
habe, ein besonders wohl gepflügter Acker, oder ein
mit Ueberlegung bepflanzter Baumgarten wäre. Hin-
gegen macht mich nichts schneller und gewisser traurig,
als wenn ich in einen schmuzigen, finstern, übel ge-
bauten und schlecht im Bau unterhaltenen Ort kom-
me, dergleichen man in dem nördlichen Deutschland,
besonders in Westphalen, so viele sieht. Es beun-
ruhigt mich sehr, wenn ich mir dabey vorstelle, wie
schlecht es in den Köpfen und Herzen der Menschen
aussehen müsse, die so elend wohnen, ohne gewahr
zu werden, daß ihnen in einem so wesentlichen Bedürf-
nisse etwas fehle. Solche Menschen sind nothwendig
dumm und unempfindlich, es sey, daß Armuth und
Dürftigkeit, oder brutale Tyranney, oder irgend eine
andere Pest der Seelen sie dahin gebracht habe.

Nichts ist natürlicher, als daß der etwas ruhige,
und dabey denkende und empfindende Mensch etwas
zur Verschönerung der Dinge, die ihn täglich umge-
ben, unternehme. Selbst wilde Völker lieben den
Schmuck an ihrer Kleidung. Die Wohnungen aber
sind gewiß ein eben so wichtiger Theil unsrer Bedürf-
nisse, als die Kleider. Wer darin Unordnung, Ver-
fall und Unreinlichkeit nicht bemerkt, der muß beyna-
he eine viehische Seele haben.

We-
B 4

gethanen Reiſe.
alle maſſiv und nach der beſten Art gebaut. Alles die-
ſes machte einen ſo angenehmen Eindruck auf mich,
daß ich mich den ganzen Weg uͤber bis nach Durlach
damit beſchaͤfftigte.

Es macht mich allemal ſehr vergnuͤgt, wenn ichVom guten
und ſchlech-
ten Ge-
ſchmack in
Wohnungen

Werke menſchlicher Haͤnde ſehe, die von guter Ueber-
legung, Geſchmack und Fleiß zeugen, und wenn es
auch nur, wie ich nachher auf dieſer Reiſe erfahren
habe, ein beſonders wohl gepfluͤgter Acker, oder ein
mit Ueberlegung bepflanzter Baumgarten waͤre. Hin-
gegen macht mich nichts ſchneller und gewiſſer traurig,
als wenn ich in einen ſchmuzigen, finſtern, uͤbel ge-
bauten und ſchlecht im Bau unterhaltenen Ort kom-
me, dergleichen man in dem noͤrdlichen Deutſchland,
beſonders in Weſtphalen, ſo viele ſieht. Es beun-
ruhigt mich ſehr, wenn ich mir dabey vorſtelle, wie
ſchlecht es in den Koͤpfen und Herzen der Menſchen
ausſehen muͤſſe, die ſo elend wohnen, ohne gewahr
zu werden, daß ihnen in einem ſo weſentlichen Beduͤrf-
niſſe etwas fehle. Solche Menſchen ſind nothwendig
dumm und unempfindlich, es ſey, daß Armuth und
Duͤrftigkeit, oder brutale Tyranney, oder irgend eine
andere Peſt der Seelen ſie dahin gebracht habe.

Nichts iſt natuͤrlicher, als daß der etwas ruhige,
und dabey denkende und empfindende Menſch etwas
zur Verſchoͤnerung der Dinge, die ihn taͤglich umge-
ben, unternehme. Selbſt wilde Voͤlker lieben den
Schmuck an ihrer Kleidung. Die Wohnungen aber
ſind gewiß ein eben ſo wichtiger Theil unſrer Beduͤrf-
niſſe, als die Kleider. Wer darin Unordnung, Ver-
fall und Unreinlichkeit nicht bemerkt, der muß beyna-
he eine viehiſche Seele haben.

We-
B 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="diaryEntry" n="2">
          <p><pb facs="#f0041" n="23"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">gethanen Rei&#x017F;e.</hi></fw><lb/>
alle ma&#x017F;&#x017F;iv und nach der be&#x017F;ten Art gebaut. Alles die-<lb/>
&#x017F;es machte einen &#x017F;o angenehmen Eindruck auf mich,<lb/>
daß ich mich den ganzen Weg u&#x0364;ber bis nach <hi rendition="#fr">Durlach</hi><lb/>
damit be&#x017F;cha&#x0364;fftigte.</p><lb/>
          <p>Es macht mich allemal &#x017F;ehr vergnu&#x0364;gt, wenn ich<note place="right">Vom guten<lb/>
und &#x017F;chlech-<lb/>
ten Ge-<lb/>
&#x017F;chmack in<lb/>
Wohnungen</note><lb/>
Werke men&#x017F;chlicher Ha&#x0364;nde &#x017F;ehe, die von guter Ueber-<lb/>
legung, Ge&#x017F;chmack und Fleiß zeugen, und wenn es<lb/>
auch nur, wie ich nachher auf die&#x017F;er Rei&#x017F;e erfahren<lb/>
habe, ein be&#x017F;onders wohl gepflu&#x0364;gter Acker, oder ein<lb/>
mit Ueberlegung bepflanzter Baumgarten wa&#x0364;re. Hin-<lb/>
gegen macht mich nichts &#x017F;chneller und gewi&#x017F;&#x017F;er traurig,<lb/>
als wenn ich in einen &#x017F;chmuzigen, fin&#x017F;tern, u&#x0364;bel ge-<lb/>
bauten und &#x017F;chlecht im Bau unterhaltenen Ort kom-<lb/>
me, dergleichen man in dem no&#x0364;rdlichen Deut&#x017F;chland,<lb/>
be&#x017F;onders in <hi rendition="#fr">We&#x017F;tphalen,</hi> &#x017F;o viele &#x017F;ieht. Es beun-<lb/>
ruhigt mich &#x017F;ehr, wenn ich mir dabey vor&#x017F;telle, wie<lb/>
&#x017F;chlecht es in den Ko&#x0364;pfen und Herzen der Men&#x017F;chen<lb/>
aus&#x017F;ehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, die &#x017F;o elend wohnen, ohne gewahr<lb/>
zu werden, daß ihnen in einem &#x017F;o we&#x017F;entlichen Bedu&#x0364;rf-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e etwas fehle. Solche Men&#x017F;chen &#x017F;ind nothwendig<lb/>
dumm und unempfindlich, es &#x017F;ey, daß Armuth und<lb/>
Du&#x0364;rftigkeit, oder brutale Tyranney, oder irgend eine<lb/>
andere Pe&#x017F;t der Seelen &#x017F;ie dahin gebracht habe.</p><lb/>
          <p>Nichts i&#x017F;t natu&#x0364;rlicher, als daß der etwas ruhige,<lb/>
und dabey denkende und empfindende Men&#x017F;ch etwas<lb/>
zur Ver&#x017F;cho&#x0364;nerung der Dinge, die ihn ta&#x0364;glich umge-<lb/>
ben, unternehme. Selb&#x017F;t wilde Vo&#x0364;lker lieben den<lb/>
Schmuck an ihrer Kleidung. Die Wohnungen aber<lb/>
&#x017F;ind gewiß ein eben &#x017F;o wichtiger Theil un&#x017F;rer Bedu&#x0364;rf-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e, als die Kleider. Wer darin Unordnung, Ver-<lb/>
fall und Unreinlichkeit nicht bemerkt, der muß beyna-<lb/>
he eine viehi&#x017F;che Seele haben.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">B 4</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">We-</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0041] gethanen Reiſe. alle maſſiv und nach der beſten Art gebaut. Alles die- ſes machte einen ſo angenehmen Eindruck auf mich, daß ich mich den ganzen Weg uͤber bis nach Durlach damit beſchaͤfftigte. Es macht mich allemal ſehr vergnuͤgt, wenn ich Werke menſchlicher Haͤnde ſehe, die von guter Ueber- legung, Geſchmack und Fleiß zeugen, und wenn es auch nur, wie ich nachher auf dieſer Reiſe erfahren habe, ein beſonders wohl gepfluͤgter Acker, oder ein mit Ueberlegung bepflanzter Baumgarten waͤre. Hin- gegen macht mich nichts ſchneller und gewiſſer traurig, als wenn ich in einen ſchmuzigen, finſtern, uͤbel ge- bauten und ſchlecht im Bau unterhaltenen Ort kom- me, dergleichen man in dem noͤrdlichen Deutſchland, beſonders in Weſtphalen, ſo viele ſieht. Es beun- ruhigt mich ſehr, wenn ich mir dabey vorſtelle, wie ſchlecht es in den Koͤpfen und Herzen der Menſchen ausſehen muͤſſe, die ſo elend wohnen, ohne gewahr zu werden, daß ihnen in einem ſo weſentlichen Beduͤrf- niſſe etwas fehle. Solche Menſchen ſind nothwendig dumm und unempfindlich, es ſey, daß Armuth und Duͤrftigkeit, oder brutale Tyranney, oder irgend eine andere Peſt der Seelen ſie dahin gebracht habe. Vom guten und ſchlech- ten Ge- ſchmack in Wohnungen Nichts iſt natuͤrlicher, als daß der etwas ruhige, und dabey denkende und empfindende Menſch etwas zur Verſchoͤnerung der Dinge, die ihn taͤglich umge- ben, unternehme. Selbſt wilde Voͤlker lieben den Schmuck an ihrer Kleidung. Die Wohnungen aber ſind gewiß ein eben ſo wichtiger Theil unſrer Beduͤrf- niſſe, als die Kleider. Wer darin Unordnung, Ver- fall und Unreinlichkeit nicht bemerkt, der muß beyna- he eine viehiſche Seele haben. We- B 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/41
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/41>, abgerufen am 21.11.2024.