Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch]

Beg
müssen sich dieses tief einprägen, daß sie mit ihren
Stimmen weder herrschen, noch sich hervor thun,
sondern der Hauptstimme dienen sollen. Sie thun
am besten, sich aller Manieren, aller Zierrathen zu
enthalten, jede Note, so wie sie steht, richtig, mit
gemäßigter Stärke, und in der richtigsten Haltung,
so anzugeben, daß man ihre Parthie nicht besonders
bemerkt, daß selbige sich hinter der Hauptstimme
gleichsam verstekt.

Vorzüglich müssen sich die Baßisten der äußer-
sten Reinigkeit, so wie der höchsten Einfalt, befleis-
sen. Nichts wird unerträglicher, als wenn ein
Baßiste sich durch Zierrathen zeigen will. Er löscht
dadurch ganze Stellen der Melodie wie mit einem
Schwamm aus: nicht zu gedenken, daß dem Bas-
sisten das zierlich thun eben so ansteht, als wenn
ein alter Mann sich schminken, oder mit Bändern
behängen wollte.

Der Baß ist die wichtigste aller begleitenden
Stimmen, denn jeder kleinste Fehler desselben ver-
derbt viel, und jede kleinste Schönheit erhebt die
Hauptstimme; also ist im Basse nichts klein. Dar-
um sollte er nur Spielern von dem feinsten Ge-
schmak anvertrauet werden. Das gewissefte Zei-
chen, daß ein Capellmeister den wahren Geschmak
der Musik nicht habe, ist dieses, wenn er die Bässe
schlechten Spielern anvertrauet.

Wer die besondern Regeln der Begleitung für
alle Arten der Jnstrumente näher erforschen will,
der kann in Quanzens Anweisung. die Flöte zu
spielen,
den ganzen XVII. Abschnitt nachlesen.

Der begleitende Generalbaß hat seine Schwierig-
keiten. Man soll die vollständige Harmonie an-
schlagen. Diese kann der Spieler nicht anders, als
durch die vor sich habende Partitur oder durch die
Bezifferung des Basses wissen. Hat er das erste,
so ist es in geschwinden Sachen sehr schweer, alle
Stimmen zu übersehen. Zu dieser Fertigkeit ge-
langen nur wenige; hat er einen bezifferten Baß
vor sich, so macht ihn so wol die Unvollkommenheit
der üblichen Bezifferung, wovon in einem besondern
Artikel gesprochen worden, als die andern Schwie-
rigkeiten, verwirrt. Wer die großen Schwierig-
keiten dieser Sache einzusehen wünschet, der mag
Bachs Werk von der Begleitung des Generalbasses
nachsehen. Sich in die besondern Regeln der Be-
gleitung einzulassen, erfoderte allein ein ganzes Buch.
Sehr wichtig sind folgende allgemeine Regeln.

[Spaltenumbruch]
Beg Beh

Weil der Generalbaßiste nur die Harmonie
anzugeben hat, so muß er sich aller Zierrathen,
die nicht wesentlich zur Harmonie gehören, ent-
halten, und sich überhaupt allezeit der Einfalt be-
fleißen.

Den Baß muß er schlechtweg anschlagen, und
weder Ausfüllungen dazu greifen, noch die Noten,
die der Setzer vorgeschrieben hat, theilen. Sind
ihm ganze oder halbe Noten vorgeschrieben, so muß
er sie nicht in Viertel verwandeln. Daraus ent-
stünde ein Klimpern, das der Majestät der Harmo-
nie schaden, und auch oft den Gesang verderben
würde. Daß dem Baß keine ausfüllende Harmo-
nie hinzu gefügt werden müsse, giebt die Natur bey
Erzeugung der Harmonie selbst an die Hand, da sie
zwischen dem Grundton 1 und seiner Octave 1/2 kei-
nen Ton angiebt. (*) Es ist auch gar leicht zu(*) S.
Harmonie.

sehen, daß Ausfüllungen in der Tiefe seltsam disso-
nirende Töne hervorbringen würden.

Wegen der obern Stimmen hat der Begleiter
darauf zu sehen, daß er die Hauptstimme in einer
schiklichen Höhe begleite. Einen hohen Discant soll
er nicht in der Gegend des Alts, noch einen Alt in
der Höhe einer Discantstimme begleiten; sondern in
jedem Fall sich in der Gegend der Hauptstimme
auf halten.

Jn Ansehung aller übrigen Regeln eines guten
Vortrags ist jedem Liebhaber zu rathen, daß er das
29. Capitel des Bachischen Werks mit der genaue-
sten Ueberlegung studire. (*)

(*) Carl
Phil. Em.
Bachs
Versuch
über die
wahre Art,
das Clavier
zu spielen.
II. Theil S.
242. u. f.
Behandlung.
(Zeichnende Künste.)

Durch die Behandlung verstehet man die, jedem
Künstler besondre, Art, den Pinsel und andre Werk-
zeuge des Zeichnens zu führen, in so fern sie dem
Werk einen eigenen Charakter eindrükt. So kann
der Kupferstecher ein Gesicht durch Punkte, oder
durch kleine abgesonderte Striche, oder durch
Schraffirungen, oder durch gerade herunterlaufende
Parallellinien, wie Pitteri thut; oder durch eine
einzige im Zirkel herum laufende Linie, nach Mel-
lans
und Turneisers Art, herausbringen. Eben
so kann der Mahler die mechanische Führung des
Pinsels auf vielerley Arten abändern: einer setzet
die Farben kühn neben einander, und überläßt der
Entfernung, in welcher das Gemählde soll gesehen
werden, diese Farben in einander zu schmelzen; ein

andrer

[Spaltenumbruch]

Beg
muͤſſen ſich dieſes tief einpraͤgen, daß ſie mit ihren
Stimmen weder herrſchen, noch ſich hervor thun,
ſondern der Hauptſtimme dienen ſollen. Sie thun
am beſten, ſich aller Manieren, aller Zierrathen zu
enthalten, jede Note, ſo wie ſie ſteht, richtig, mit
gemaͤßigter Staͤrke, und in der richtigſten Haltung,
ſo anzugeben, daß man ihre Parthie nicht beſonders
bemerkt, daß ſelbige ſich hinter der Hauptſtimme
gleichſam verſtekt.

Vorzuͤglich muͤſſen ſich die Baßiſten der aͤußer-
ſten Reinigkeit, ſo wie der hoͤchſten Einfalt, befleiſ-
ſen. Nichts wird unertraͤglicher, als wenn ein
Baßiſte ſich durch Zierrathen zeigen will. Er loͤſcht
dadurch ganze Stellen der Melodie wie mit einem
Schwamm aus: nicht zu gedenken, daß dem Baſ-
ſiſten das zierlich thun eben ſo anſteht, als wenn
ein alter Mann ſich ſchminken, oder mit Baͤndern
behaͤngen wollte.

Der Baß iſt die wichtigſte aller begleitenden
Stimmen, denn jeder kleinſte Fehler deſſelben ver-
derbt viel, und jede kleinſte Schoͤnheit erhebt die
Hauptſtimme; alſo iſt im Baſſe nichts klein. Dar-
um ſollte er nur Spielern von dem feinſten Ge-
ſchmak anvertrauet werden. Das gewiſſefte Zei-
chen, daß ein Capellmeiſter den wahren Geſchmak
der Muſik nicht habe, iſt dieſes, wenn er die Baͤſſe
ſchlechten Spielern anvertrauet.

Wer die beſondern Regeln der Begleitung fuͤr
alle Arten der Jnſtrumente naͤher erforſchen will,
der kann in Quanzens Anweiſung. die Floͤte zu
ſpielen,
den ganzen XVII. Abſchnitt nachleſen.

Der begleitende Generalbaß hat ſeine Schwierig-
keiten. Man ſoll die vollſtaͤndige Harmonie an-
ſchlagen. Dieſe kann der Spieler nicht anders, als
durch die vor ſich habende Partitur oder durch die
Bezifferung des Baſſes wiſſen. Hat er das erſte,
ſo iſt es in geſchwinden Sachen ſehr ſchweer, alle
Stimmen zu uͤberſehen. Zu dieſer Fertigkeit ge-
langen nur wenige; hat er einen bezifferten Baß
vor ſich, ſo macht ihn ſo wol die Unvollkommenheit
der uͤblichen Bezifferung, wovon in einem beſondern
Artikel geſprochen worden, als die andern Schwie-
rigkeiten, verwirrt. Wer die großen Schwierig-
keiten dieſer Sache einzuſehen wuͤnſchet, der mag
Bachs Werk von der Begleitung des Generalbaſſes
nachſehen. Sich in die beſondern Regeln der Be-
gleitung einzulaſſen, erfoderte allein ein ganzes Buch.
Sehr wichtig ſind folgende allgemeine Regeln.

[Spaltenumbruch]
Beg Beh

Weil der Generalbaßiſte nur die Harmonie
anzugeben hat, ſo muß er ſich aller Zierrathen,
die nicht weſentlich zur Harmonie gehoͤren, ent-
halten, und ſich uͤberhaupt allezeit der Einfalt be-
fleißen.

Den Baß muß er ſchlechtweg anſchlagen, und
weder Ausfuͤllungen dazu greifen, noch die Noten,
die der Setzer vorgeſchrieben hat, theilen. Sind
ihm ganze oder halbe Noten vorgeſchrieben, ſo muß
er ſie nicht in Viertel verwandeln. Daraus ent-
ſtuͤnde ein Klimpern, das der Majeſtaͤt der Harmo-
nie ſchaden, und auch oft den Geſang verderben
wuͤrde. Daß dem Baß keine ausfuͤllende Harmo-
nie hinzu gefuͤgt werden muͤſſe, giebt die Natur bey
Erzeugung der Harmonie ſelbſt an die Hand, da ſie
zwiſchen dem Grundton 1 und ſeiner Octave ½ kei-
nen Ton angiebt. (*) Es iſt auch gar leicht zu(*) S.
Harmonie.

ſehen, daß Ausfuͤllungen in der Tiefe ſeltſam diſſo-
nirende Toͤne hervorbringen wuͤrden.

Wegen der obern Stimmen hat der Begleiter
darauf zu ſehen, daß er die Hauptſtimme in einer
ſchiklichen Hoͤhe begleite. Einen hohen Diſcant ſoll
er nicht in der Gegend des Alts, noch einen Alt in
der Hoͤhe einer Diſcantſtimme begleiten; ſondern in
jedem Fall ſich in der Gegend der Hauptſtimme
auf halten.

Jn Anſehung aller uͤbrigen Regeln eines guten
Vortrags iſt jedem Liebhaber zu rathen, daß er das
29. Capitel des Bachiſchen Werks mit der genaue-
ſten Ueberlegung ſtudire. (*)

(*) Carl
Phil. Em.
Bachs
Verſuch
uͤber die
wahre Art,
das Clavier
zu ſpielen.
II. Theil S.
242. u. f.
Behandlung.
(Zeichnende Kuͤnſte.)

Durch die Behandlung verſtehet man die, jedem
Kuͤnſtler beſondre, Art, den Pinſel und andre Werk-
zeuge des Zeichnens zu fuͤhren, in ſo fern ſie dem
Werk einen eigenen Charakter eindruͤkt. So kann
der Kupferſtecher ein Geſicht durch Punkte, oder
durch kleine abgeſonderte Striche, oder durch
Schraffirungen, oder durch gerade herunterlaufende
Parallellinien, wie Pitteri thut; oder durch eine
einzige im Zirkel herum laufende Linie, nach Mel-
lans
und Turneiſers Art, herausbringen. Eben
ſo kann der Mahler die mechaniſche Fuͤhrung des
Pinſels auf vielerley Arten abaͤndern: einer ſetzet
die Farben kuͤhn neben einander, und uͤberlaͤßt der
Entfernung, in welcher das Gemaͤhlde ſoll geſehen
werden, dieſe Farben in einander zu ſchmelzen; ein

andrer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0155" n="143"/><cb/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Beg</hi></fw><lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich die&#x017F;es tief einpra&#x0364;gen, daß &#x017F;ie mit ihren<lb/>
Stimmen weder herr&#x017F;chen, noch &#x017F;ich hervor thun,<lb/>
&#x017F;ondern der Haupt&#x017F;timme dienen &#x017F;ollen. Sie thun<lb/>
am be&#x017F;ten, &#x017F;ich aller Manieren, aller Zierrathen zu<lb/>
enthalten, jede Note, &#x017F;o wie &#x017F;ie &#x017F;teht, richtig, mit<lb/>
gema&#x0364;ßigter Sta&#x0364;rke, und in der richtig&#x017F;ten Haltung,<lb/>
&#x017F;o anzugeben, daß man ihre Parthie nicht be&#x017F;onders<lb/>
bemerkt, daß &#x017F;elbige &#x017F;ich hinter der Haupt&#x017F;timme<lb/>
gleich&#x017F;am ver&#x017F;tekt.</p><lb/>
          <p>Vorzu&#x0364;glich mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich die Baßi&#x017F;ten der a&#x0364;ußer-<lb/>
&#x017F;ten Reinigkeit, &#x017F;o wie der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Einfalt, beflei&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en. Nichts wird unertra&#x0364;glicher, als wenn ein<lb/>
Baßi&#x017F;te &#x017F;ich durch Zierrathen zeigen will. Er lo&#x0364;&#x017F;cht<lb/>
dadurch ganze Stellen der Melodie wie mit einem<lb/>
Schwamm aus: nicht zu gedenken, daß dem Ba&#x017F;-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;ten das zierlich thun eben &#x017F;o an&#x017F;teht, als wenn<lb/>
ein alter Mann &#x017F;ich &#x017F;chminken, oder mit Ba&#x0364;ndern<lb/>
beha&#x0364;ngen wollte.</p><lb/>
          <p>Der Baß i&#x017F;t die wichtig&#x017F;te aller begleitenden<lb/>
Stimmen, denn jeder klein&#x017F;te Fehler de&#x017F;&#x017F;elben ver-<lb/>
derbt viel, und jede klein&#x017F;te Scho&#x0364;nheit erhebt die<lb/>
Haupt&#x017F;timme; al&#x017F;o i&#x017F;t im Ba&#x017F;&#x017F;e nichts klein. Dar-<lb/>
um &#x017F;ollte er nur Spielern von dem fein&#x017F;ten Ge-<lb/>
&#x017F;chmak anvertrauet werden. Das gewi&#x017F;&#x017F;efte Zei-<lb/>
chen, daß ein Capellmei&#x017F;ter den wahren Ge&#x017F;chmak<lb/>
der Mu&#x017F;ik nicht habe, i&#x017F;t die&#x017F;es, wenn er die Ba&#x0364;&#x017F;&#x017F;e<lb/>
&#x017F;chlechten Spielern anvertrauet.</p><lb/>
          <p>Wer die be&#x017F;ondern Regeln der Begleitung fu&#x0364;r<lb/>
alle Arten der Jn&#x017F;trumente na&#x0364;her erfor&#x017F;chen will,<lb/>
der kann in <hi rendition="#fr">Quanzens Anwei&#x017F;ung. die Flo&#x0364;te zu<lb/>
&#x017F;pielen,</hi> den ganzen <hi rendition="#aq">XVII.</hi> Ab&#x017F;chnitt nachle&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Der begleitende Generalbaß hat &#x017F;eine Schwierig-<lb/>
keiten. Man &#x017F;oll die voll&#x017F;ta&#x0364;ndige Harmonie an-<lb/>
&#x017F;chlagen. Die&#x017F;e kann der Spieler nicht anders, als<lb/>
durch die vor &#x017F;ich habende Partitur oder durch die<lb/>
Bezifferung des Ba&#x017F;&#x017F;es wi&#x017F;&#x017F;en. Hat er das er&#x017F;te,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t es in ge&#x017F;chwinden Sachen &#x017F;ehr &#x017F;chweer, alle<lb/>
Stimmen zu u&#x0364;ber&#x017F;ehen. Zu die&#x017F;er Fertigkeit ge-<lb/>
langen nur wenige; hat er einen bezifferten Baß<lb/>
vor &#x017F;ich, &#x017F;o macht ihn &#x017F;o wol die Unvollkommenheit<lb/>
der u&#x0364;blichen Bezifferung, wovon in einem be&#x017F;ondern<lb/>
Artikel ge&#x017F;prochen worden, als die andern Schwie-<lb/>
rigkeiten, verwirrt. Wer die großen Schwierig-<lb/>
keiten die&#x017F;er Sache einzu&#x017F;ehen wu&#x0364;n&#x017F;chet, der mag<lb/>
Bachs Werk von der Begleitung des Generalba&#x017F;&#x017F;es<lb/>
nach&#x017F;ehen. Sich in die be&#x017F;ondern Regeln der Be-<lb/>
gleitung einzula&#x017F;&#x017F;en, erfoderte allein ein ganzes Buch.<lb/>
Sehr wichtig &#x017F;ind folgende allgemeine Regeln.</p><lb/>
          <cb/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Beg Beh</hi> </fw><lb/>
          <p>Weil der Generalbaßi&#x017F;te nur die Harmonie<lb/>
anzugeben hat, &#x017F;o muß er &#x017F;ich aller Zierrathen,<lb/>
die nicht we&#x017F;entlich zur Harmonie geho&#x0364;ren, ent-<lb/>
halten, und &#x017F;ich u&#x0364;berhaupt allezeit der Einfalt be-<lb/>
fleißen.</p><lb/>
          <p>Den Baß muß er &#x017F;chlechtweg an&#x017F;chlagen, und<lb/>
weder Ausfu&#x0364;llungen dazu greifen, noch die Noten,<lb/>
die der Setzer vorge&#x017F;chrieben hat, theilen. Sind<lb/>
ihm ganze oder halbe Noten vorge&#x017F;chrieben, &#x017F;o muß<lb/>
er &#x017F;ie nicht in Viertel verwandeln. Daraus ent-<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;nde ein Klimpern, das der Maje&#x017F;ta&#x0364;t der Harmo-<lb/>
nie &#x017F;chaden, und auch oft den Ge&#x017F;ang verderben<lb/>
wu&#x0364;rde. Daß dem Baß keine ausfu&#x0364;llende Harmo-<lb/>
nie hinzu gefu&#x0364;gt werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, giebt die Natur bey<lb/>
Erzeugung der Harmonie &#x017F;elb&#x017F;t an die Hand, da &#x017F;ie<lb/>
zwi&#x017F;chen dem Grundton 1 und &#x017F;einer Octave ½ kei-<lb/>
nen Ton angiebt. (*) Es i&#x017F;t auch gar leicht zu<note place="right">(*) S.<lb/>
Harmonie.</note><lb/>
&#x017F;ehen, daß Ausfu&#x0364;llungen in der Tiefe &#x017F;elt&#x017F;am di&#x017F;&#x017F;o-<lb/>
nirende To&#x0364;ne hervorbringen wu&#x0364;rden.</p><lb/>
          <p>Wegen der obern Stimmen hat der Begleiter<lb/>
darauf zu &#x017F;ehen, daß er die Haupt&#x017F;timme in einer<lb/>
&#x017F;chiklichen Ho&#x0364;he begleite. Einen hohen Di&#x017F;cant &#x017F;oll<lb/>
er nicht in der Gegend des Alts, noch einen Alt in<lb/>
der Ho&#x0364;he einer Di&#x017F;cant&#x017F;timme begleiten; &#x017F;ondern in<lb/>
jedem Fall &#x017F;ich in der Gegend der Haupt&#x017F;timme<lb/>
auf halten.</p><lb/>
          <p>Jn An&#x017F;ehung aller u&#x0364;brigen Regeln eines guten<lb/>
Vortrags i&#x017F;t jedem Liebhaber zu rathen, daß er das<lb/>
29. Capitel des Bachi&#x017F;chen Werks mit der genaue-<lb/>
&#x017F;ten Ueberlegung &#x017F;tudire. (*)</p>
          <note place="right">(*) Carl<lb/>
Phil. Em.<lb/>
Bachs<lb/>
Ver&#x017F;uch<lb/>
u&#x0364;ber die<lb/>
wahre Art,<lb/>
das Clavier<lb/>
zu &#x017F;pielen.<lb/><hi rendition="#aq">II.</hi> Theil S.<lb/>
242. u. f.</note>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Behandlung.</hi><lb/>
(Zeichnende Ku&#x0364;n&#x017F;te.)</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>urch die Behandlung ver&#x017F;tehet man die, jedem<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;tler be&#x017F;ondre, Art, den Pin&#x017F;el und andre Werk-<lb/>
zeuge des Zeichnens zu fu&#x0364;hren, in &#x017F;o fern &#x017F;ie dem<lb/>
Werk einen eigenen Charakter eindru&#x0364;kt. So kann<lb/>
der Kupfer&#x017F;techer ein Ge&#x017F;icht durch Punkte, oder<lb/>
durch kleine abge&#x017F;onderte Striche, oder durch<lb/>
Schraffirungen, oder durch gerade herunterlaufende<lb/>
Parallellinien, wie <hi rendition="#fr">Pitteri</hi> thut; oder durch eine<lb/>
einzige im Zirkel herum laufende Linie, nach <hi rendition="#fr">Mel-<lb/>
lans</hi> und <hi rendition="#fr">Turnei&#x017F;ers</hi> Art, herausbringen. Eben<lb/>
&#x017F;o kann der Mahler die mechani&#x017F;che Fu&#x0364;hrung des<lb/>
Pin&#x017F;els auf vielerley Arten aba&#x0364;ndern: einer &#x017F;etzet<lb/>
die Farben ku&#x0364;hn neben einander, und u&#x0364;berla&#x0364;ßt der<lb/>
Entfernung, in welcher das Gema&#x0364;hlde &#x017F;oll ge&#x017F;ehen<lb/>
werden, die&#x017F;e Farben in einander zu &#x017F;chmelzen; ein<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">andrer</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[143/0155] Beg Beg Beh muͤſſen ſich dieſes tief einpraͤgen, daß ſie mit ihren Stimmen weder herrſchen, noch ſich hervor thun, ſondern der Hauptſtimme dienen ſollen. Sie thun am beſten, ſich aller Manieren, aller Zierrathen zu enthalten, jede Note, ſo wie ſie ſteht, richtig, mit gemaͤßigter Staͤrke, und in der richtigſten Haltung, ſo anzugeben, daß man ihre Parthie nicht beſonders bemerkt, daß ſelbige ſich hinter der Hauptſtimme gleichſam verſtekt. Vorzuͤglich muͤſſen ſich die Baßiſten der aͤußer- ſten Reinigkeit, ſo wie der hoͤchſten Einfalt, befleiſ- ſen. Nichts wird unertraͤglicher, als wenn ein Baßiſte ſich durch Zierrathen zeigen will. Er loͤſcht dadurch ganze Stellen der Melodie wie mit einem Schwamm aus: nicht zu gedenken, daß dem Baſ- ſiſten das zierlich thun eben ſo anſteht, als wenn ein alter Mann ſich ſchminken, oder mit Baͤndern behaͤngen wollte. Der Baß iſt die wichtigſte aller begleitenden Stimmen, denn jeder kleinſte Fehler deſſelben ver- derbt viel, und jede kleinſte Schoͤnheit erhebt die Hauptſtimme; alſo iſt im Baſſe nichts klein. Dar- um ſollte er nur Spielern von dem feinſten Ge- ſchmak anvertrauet werden. Das gewiſſefte Zei- chen, daß ein Capellmeiſter den wahren Geſchmak der Muſik nicht habe, iſt dieſes, wenn er die Baͤſſe ſchlechten Spielern anvertrauet. Wer die beſondern Regeln der Begleitung fuͤr alle Arten der Jnſtrumente naͤher erforſchen will, der kann in Quanzens Anweiſung. die Floͤte zu ſpielen, den ganzen XVII. Abſchnitt nachleſen. Der begleitende Generalbaß hat ſeine Schwierig- keiten. Man ſoll die vollſtaͤndige Harmonie an- ſchlagen. Dieſe kann der Spieler nicht anders, als durch die vor ſich habende Partitur oder durch die Bezifferung des Baſſes wiſſen. Hat er das erſte, ſo iſt es in geſchwinden Sachen ſehr ſchweer, alle Stimmen zu uͤberſehen. Zu dieſer Fertigkeit ge- langen nur wenige; hat er einen bezifferten Baß vor ſich, ſo macht ihn ſo wol die Unvollkommenheit der uͤblichen Bezifferung, wovon in einem beſondern Artikel geſprochen worden, als die andern Schwie- rigkeiten, verwirrt. Wer die großen Schwierig- keiten dieſer Sache einzuſehen wuͤnſchet, der mag Bachs Werk von der Begleitung des Generalbaſſes nachſehen. Sich in die beſondern Regeln der Be- gleitung einzulaſſen, erfoderte allein ein ganzes Buch. Sehr wichtig ſind folgende allgemeine Regeln. Weil der Generalbaßiſte nur die Harmonie anzugeben hat, ſo muß er ſich aller Zierrathen, die nicht weſentlich zur Harmonie gehoͤren, ent- halten, und ſich uͤberhaupt allezeit der Einfalt be- fleißen. Den Baß muß er ſchlechtweg anſchlagen, und weder Ausfuͤllungen dazu greifen, noch die Noten, die der Setzer vorgeſchrieben hat, theilen. Sind ihm ganze oder halbe Noten vorgeſchrieben, ſo muß er ſie nicht in Viertel verwandeln. Daraus ent- ſtuͤnde ein Klimpern, das der Majeſtaͤt der Harmo- nie ſchaden, und auch oft den Geſang verderben wuͤrde. Daß dem Baß keine ausfuͤllende Harmo- nie hinzu gefuͤgt werden muͤſſe, giebt die Natur bey Erzeugung der Harmonie ſelbſt an die Hand, da ſie zwiſchen dem Grundton 1 und ſeiner Octave ½ kei- nen Ton angiebt. (*) Es iſt auch gar leicht zu ſehen, daß Ausfuͤllungen in der Tiefe ſeltſam diſſo- nirende Toͤne hervorbringen wuͤrden. (*) S. Harmonie. Wegen der obern Stimmen hat der Begleiter darauf zu ſehen, daß er die Hauptſtimme in einer ſchiklichen Hoͤhe begleite. Einen hohen Diſcant ſoll er nicht in der Gegend des Alts, noch einen Alt in der Hoͤhe einer Diſcantſtimme begleiten; ſondern in jedem Fall ſich in der Gegend der Hauptſtimme auf halten. Jn Anſehung aller uͤbrigen Regeln eines guten Vortrags iſt jedem Liebhaber zu rathen, daß er das 29. Capitel des Bachiſchen Werks mit der genaue- ſten Ueberlegung ſtudire. (*) Behandlung. (Zeichnende Kuͤnſte.) Durch die Behandlung verſtehet man die, jedem Kuͤnſtler beſondre, Art, den Pinſel und andre Werk- zeuge des Zeichnens zu fuͤhren, in ſo fern ſie dem Werk einen eigenen Charakter eindruͤkt. So kann der Kupferſtecher ein Geſicht durch Punkte, oder durch kleine abgeſonderte Striche, oder durch Schraffirungen, oder durch gerade herunterlaufende Parallellinien, wie Pitteri thut; oder durch eine einzige im Zirkel herum laufende Linie, nach Mel- lans und Turneiſers Art, herausbringen. Eben ſo kann der Mahler die mechaniſche Fuͤhrung des Pinſels auf vielerley Arten abaͤndern: einer ſetzet die Farben kuͤhn neben einander, und uͤberlaͤßt der Entfernung, in welcher das Gemaͤhlde ſoll geſehen werden, dieſe Farben in einander zu ſchmelzen; ein andrer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/155
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/155>, abgerufen am 22.11.2024.