Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Ber denn wenn ich ihn im Ringen zu Boden gewor-fen habe, so kann er doch die Zuschauer bereden, daß ich nicht ihn, sondern er mich umgeworfen (*) Plu- tarch. in Pericl.habe." (*) Natürlicher Weise mußte in Athen, nachdem Ein ganz außerordentliches Bestreben nach der Ber Rechte der Menschlichkeit weder mit so viel Genie,noch mit so viel Eifer gefochten. Seine Reden sind das fürtrefflichste Denkmal des Verstandes und der patriotischen Gesinnungen. Ueberhaupt herrrscht in den Ueberbleibseln der Mit der Freyheit fiel in Athen auch die große keine
[Spaltenumbruch] Ber denn wenn ich ihn im Ringen zu Boden gewor-fen habe, ſo kann er doch die Zuſchauer bereden, daß ich nicht ihn, ſondern er mich umgeworfen (*) Plu- tarch. in Pericl.habe.‟ (*) Natuͤrlicher Weiſe mußte in Athen, nachdem Ein ganz außerordentliches Beſtreben nach der Ber Rechte der Menſchlichkeit weder mit ſo viel Genie,noch mit ſo viel Eifer gefochten. Seine Reden ſind das fuͤrtrefflichſte Denkmal des Verſtandes und der patriotiſchen Geſinnungen. Ueberhaupt herrrſcht in den Ueberbleibſeln der Mit der Freyheit fiel in Athen auch die große keine
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Wer irgend<lb/> einige Vorzuͤge des Genies in ſich empfand, der<lb/> wurd ein Redner, oder er ſuchte die Theorie die-<lb/> ſer Kunſt ins Licht zu ſetzen. Die theoretiſchen<lb/> Werke aus den damaligen Zeiten ſind alle, bis<lb/> auf die Rhetorik des <hi rendition="#fr">Ariſtoteles,</hi> fuͤr uns verlohren.<lb/> Hingegen ſind noch Meiſterſtuͤke von wuͤrklichen<lb/> Werken der oͤffentlichen Beredſamkeit aus den gol-<lb/> denen Zeiten derſelben uͤbrig, die man in der Ge-<lb/> ſchichte des <hi rendition="#fr">Thucidides,</hi> und in den Werken des<lb/><hi rendition="#fr">Jſokrates,</hi> des <hi rendition="#fr">Demoſthenes</hi> und des <hi rendition="#fr">Aeſchynes</hi><lb/> findet. 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Man kann nicht ohne<lb/> Bewundrung ſehen, mit was fuͤr unermuͤdeter Wuͤrk-<lb/> ſamkeit, mit welcher Anſtrengung des Geiſtes, mit<lb/> welcher Hitze der Empfindung, Demoſthenes jede<lb/> Triebfeder des menſchlichen Herzens zu reizen ge-<lb/> ſucht hat, um die ſinkende Freyheit aufrecht zu hal-<lb/> ten. Vielleicht hat niemals ein Menſch fuͤr die<lb/><cb/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Ber</hi></fw><lb/> Rechte der Menſchlichkeit weder mit ſo viel Genie,<lb/> noch mit ſo viel Eifer gefochten. Seine Reden<lb/> ſind das fuͤrtrefflichſte Denkmal des Verſtandes<lb/> und der patriotiſchen Geſinnungen.</p><lb/> <p>Ueberhaupt herrrſcht in den Ueberbleibſeln der<lb/> Beredſamkeit derſelben Zeit eben der Geſchmak,<lb/> den man in andern griechiſchen Werken der ſchoͤnen<lb/> Kuͤnſte aus dieſem Zeitalter ſieht. 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Ber
Ber
denn wenn ich ihn im Ringen zu Boden gewor-
fen habe, ſo kann er doch die Zuſchauer bereden,
daß ich nicht ihn, ſondern er mich umgeworfen
habe.‟ (*)
(*) Plu-
tarch. in
Pericl.
Natuͤrlicher Weiſe mußte in Athen, nachdem
einmal die Demokratie da eingefuͤhrt war, die Be-
redſamkeit die wichtigſte Kunſt werden, weil man
durch ſie beynahe zum unumſchraͤnkten Herrn des
Staats wurd, wie Perikles wuͤrklich geweſen iſt.
Damals alſo, und noch eine ziemliche Zeit nachher,
war Athen voll Rhetoren, bey denen die vorneh-
mere Jugend die Staatsberedſamkeit lernte. Alſo
kam die Beredſamkeit bey dieſem, ohne dem mit
dem gluͤklichſten Genie begabten Volke, auf den
hoͤchſten Grad der Vollkommenheit. Wer irgend
einige Vorzuͤge des Genies in ſich empfand, der
wurd ein Redner, oder er ſuchte die Theorie die-
ſer Kunſt ins Licht zu ſetzen. Die theoretiſchen
Werke aus den damaligen Zeiten ſind alle, bis
auf die Rhetorik des Ariſtoteles, fuͤr uns verlohren.
Hingegen ſind noch Meiſterſtuͤke von wuͤrklichen
Werken der oͤffentlichen Beredſamkeit aus den gol-
denen Zeiten derſelben uͤbrig, die man in der Ge-
ſchichte des Thucidides, und in den Werken des
Jſokrates, des Demoſthenes und des Aeſchynes
findet. Von Jſokrates ſagt man; er ſey der erſte,
der das Studium des mechaniſchen im Ausdruke,
des Wolklanges und der kuͤnſtlichen Einrichtung
der Perioden, eingefuͤhrt habe.
Ein ganz außerordentliches Beſtreben nach der
hoͤchſten Vollkommenheit dieſer Kunſt aͤußerte ſich
vornehmlich in Athen, als die politiſchen Umſtaͤnde
Griechenlandes der Freyheit dieſes Staats den
Untergang drohten. Eine ſo aͤußerſt wichtige Sache
erwekte natuͤrlicher Weiſe alles, was irgend an
Kraͤften in den Gemuͤthern der Patrioten vorhan-
den war. Damahls thaten ſich insbeſondre De-
moſthenes und Phocion hervor, die eyfrigſten
Verfechter der Freyheit; jener durch Reden, dieſer
durch Reden und Thaten. Von jenem ſagt man,
er ſey der fuͤrtrefflichſte; von dieſem, er ſey der nach-
druͤklichſte Redner geweſen. Man kann nicht ohne
Bewundrung ſehen, mit was fuͤr unermuͤdeter Wuͤrk-
ſamkeit, mit welcher Anſtrengung des Geiſtes, mit
welcher Hitze der Empfindung, Demoſthenes jede
Triebfeder des menſchlichen Herzens zu reizen ge-
ſucht hat, um die ſinkende Freyheit aufrecht zu hal-
ten. Vielleicht hat niemals ein Menſch fuͤr die
Rechte der Menſchlichkeit weder mit ſo viel Genie,
noch mit ſo viel Eifer gefochten. Seine Reden
ſind das fuͤrtrefflichſte Denkmal des Verſtandes
und der patriotiſchen Geſinnungen.
Ueberhaupt herrrſcht in den Ueberbleibſeln der
Beredſamkeit derſelben Zeit eben der Geſchmak,
den man in andern griechiſchen Werken der ſchoͤnen
Kuͤnſte aus dieſem Zeitalter ſieht. Eine ganz maͤnn-
liche Staͤrke des Verſtandes, der uͤberall das ſieht,
was am geradeſten und ſicherſten zum Zwek fuͤhret,
der uͤber alle Raͤnke und Spitzfindigkeit des Witzes
und der taͤuſchenden Einbildungskraft weg ſchreitet;
und ein Herz, das die wahre Groͤße und Staͤrke
der menſchlichen Natur empfindet, das von nichts
kleinem geruͤhrt wird. Auch die Gattung der Be-
redſamkeit, die ruhigere Gegenſtaͤnde zum Jnhalt
hat, die den Philoſophen, den Geſchichtſchreibern
und den Moraliſten eigen iſt, war in dieſer goldenen
Zeit, die vom Perikles bis auf den Phocion gedauert
hat, in ihrer hoͤchſten Schoͤnheit, wovon die Werke
des Plato und des Xenophons hinlaͤnglich zeugen.
Eben ſo ſcheint auch die Beredſamkeit des Um-
ganges damals im hoͤchſten Flor geweſen zu ſeyn,
wovon man tauſend Beyſpiele in den Werken des
Plutarchus antrifft. Alſo koͤnnen die Griechen
auch in dieſem Stuͤk als die Lehrmeiſter aller ſpaͤ-
tern Voͤlkern angeſehen werden.
Mit der Freyheit fiel in Athen auch die große
Beredſamkeit, und entartete in eine angenehme
Kunſt, die mehr zum Zeitvertreib und zur Beluſti-
gung der Einbildungskraft, als zur Ausbreitung
des Guten angewendet wurde. Noch in den guten
Zeiten hatten ſchon die verſchiedenen Sekten der
Philoſophen angefangen, einen ſchaͤdlichen Einfluß
auf die Beredſamkeit zu haben. Die Hochach-
tung, in welcher einige Philoſophen ſtunden, gab
auch ſeichten Koͤpfen die Ruhmſucht, ſich durch
Behauptung allerhand ſeltſamer Meynungen einen
Namen zu machen. Die Sophiſterey ſchlich ſich
unvermerkt in die Kunſt der Rede ein. Man ſah
nicht mehr auf richtige Beweiſe des Wahren, ſondern
auf erſchlichene und auf Spitzfuͤndigkeit gegruͤndete
Behauptungen deſſen, das man fuͤr wahr ausgab.
Als nachher das Volk ſeinen Antheil an der Regie-
rung verlohren hatte, fielen auch die ſtarken Trieb-
federn zu dieſer Kunſt. Sie wurde gemißbraucht,
den Tyrannen zu ſchmeicheln, oder das Volk, das
keine
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