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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Ede Eig
es überaus selten ist, daß ein deutscher Patriot ohne
roth zu werden, Leute von feinem Geschmak un-
ter den Zuschauern erbliket; so sehr ofte fallen sowol
die Dichter, als die Schauspieler in das gemeine,
und wol gar in das pöbelhafte; oder auch in das
verstiegene und in das kindische. Wir haben also
sehr grosse Ursache, die alten und die besten der
neuern Ausländer noch nicht von der Hand zu legen,
sondern sie so lange zu Mustern zu nehmen, bis un-
ser Geschmak eine reifere Ausbildung wird bekom-
men haben.

Eigenthümliche Farbe.
(Mahlerey.)

Mit diesem Worte bezeichnen wir das, was man
sonst Localfarbe nennt, nämlich die natürliche Farbe
eines Körpers, z. E. die rothe Farbe eines Kleides
von Scharlach, in so fern sie durch den Ort, wo
der Körper steht, in ihrer Art eingeschränkt wird.
Wenn man die Wissenschaft der Localfarben recht
verstehen will, so bedenke man zuvoderst, daß die
Farbe eines jeden Körpers nichts anders sey, als
ein auf ihn fallendes und von ihm ins Auge prallen-
des Licht. Dieses kann von unendlich verschiedener
Art seyn, sowol in Ansehung der Stärke, als in
Ansehung seiner übrigen Eigenschaften. Wenn das
helleste Sonnenlicht auf einen Körper fällt, so giebt
es ihm eine andre Farbe, als wenn es schwächer ist,
und jeder Grad der Stärke dieses Sonnenlichtes
bringt im Körper eine andere Farbe hervor, ob sie
gleich von derselben Art bleibt. Dasselbe Stük
Scharlach hat eine andre Farbe, wenn die Sonne
sehr hell darauf scheiner, als wenn sie schwach schei-
net; und in diesem Fall wieder eine andre, als wenn
das blosse Tageslicht darauf fällt; und auch in die-
sem wieder eine andre, wenn der Tag heller ist, als
wenn er dunkel ist, anders wenn das hellere oder
dunklere Tageslicht unmittelbar darauf fällt, oder
es erst durch vielerley Abprellungen trift. Dennoch
wird es immer Scharlach genennt, weil es nicht
möglich wäre, diese unzähligen Grade der Schar-
lachfarbe mit so viel verschiedenen Namen zu be-
nennen.

Eben so groß wird die Mannigfaltigkeit der ei-
genthümlichen Farbe des Körpers durch die ver-
schiedene Arten sowol des ursprünglichen, als des
zurük geworfenen Lichts. Das Sonnenlicht giebt
dem Körper eine andre Farbe, als das Licht einer
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Eig
Lampe, oder einer Wachskerze, oder das blaue
Licht des Himmels. Denn das ursprüngliche Licht,
welches auf den Körper fällt, hat schon eine herr-
schende Farbe, und ist entweder weiß, gelb, roth,
blau oder von andrer Art, und muß demnach noth-
wendig der Farbe des Körpers ein anderes Anse-
hen geben.

Drittens wird die eigenthümliche Farbe des Kör-
pers durch die Vermischung mehrerer Arten des
Lichts wieder neu eingeschränkt. Es kann röthli-
ches und blauliches Licht zugleich auf den Körper
fallen. Die Vermischung beyder bringt eine abge-
änderte Farbe hervor. Endlich ändert sich die Farbe
auch nach Beschaffenheit des Raums, der zwischen
dem Aug und dem Körper ist. Das Licht der auf-
oder untergehenden Sonne ist ganz anders, als das
Licht der hohen Mittagssonne, weil es durch eine
mehr mit Dünsten angefüllte Luft geht; und das
Licht des Körpers, das durch ein gefärbtes Glas in
die Augen fällt, ist ganz anders, als wenn es blos
durch die Luft geht; in der Luft anders, wenn sie
rein als wenn sie voll Dünste ist, anders wenn der
Körper entfernt, als wenn er nahe ist.

Die Farbe eines jeden im Gemählde vorkommen-
den Körpers, in so fern sie durch alle diese Umstände
eingeschränkt wird, ist das, was die Mahler die
Localfarbe, und wir die eigenthümliche Farbe desselben
nennen. Die eigenthümlichen Farben aller einzeln
Gegenständen eines Gemähldes, in eine einzige Haupt-
erleuchtung geschikt verbunden, machen die Harmonie
der Farben aus. Mithin kann diese, und folglich
die Einheit in der Farbe und die allgemeine Hal-
tung, ohne die Wissenschaft der Localfarben nicht
erreicht werden.

Diese Wissenschaft betrift zwey Hauptpunkte, die
eigenthümliche Farbe jedes einzeln Gegenstandes muß
wahrhaft, oder natürlich seyn; zugleich aber muß
sie eine gute Würkung zur Haltung des Ganzen
thun. Jener Punkt betrift die Wissenschaft, die für
einen Gegenstand gewählte Farbe, nach Beschaffenheit
des Lichts und der Erleuchtung zu bestimmen. Wenn
man z. B. angenommen hat, daß eine Figur des
Gemähldes einen Purpurmantel zur Bekleidung ha-
ben soll, so ist zu überlegen, welcher Grad der
Purpurfarbe sowol an hellen, als an dunkeln Stel-
len genommen werden soll. Man sieht, daß diese
Frage die ganze Farbenmischung, die Wissenschaft
der Wiederscheine und der Schattirungen in sich

begreife.

[Spaltenumbruch]

Ede Eig
es uͤberaus ſelten iſt, daß ein deutſcher Patriot ohne
roth zu werden, Leute von feinem Geſchmak un-
ter den Zuſchauern erbliket; ſo ſehr ofte fallen ſowol
die Dichter, als die Schauſpieler in das gemeine,
und wol gar in das poͤbelhafte; oder auch in das
verſtiegene und in das kindiſche. Wir haben alſo
ſehr groſſe Urſache, die alten und die beſten der
neuern Auslaͤnder noch nicht von der Hand zu legen,
ſondern ſie ſo lange zu Muſtern zu nehmen, bis un-
ſer Geſchmak eine reifere Ausbildung wird bekom-
men haben.

Eigenthuͤmliche Farbe.
(Mahlerey.)

Mit dieſem Worte bezeichnen wir das, was man
ſonſt Localfarbe nennt, naͤmlich die natuͤrliche Farbe
eines Koͤrpers, z. E. die rothe Farbe eines Kleides
von Scharlach, in ſo fern ſie durch den Ort, wo
der Koͤrper ſteht, in ihrer Art eingeſchraͤnkt wird.
Wenn man die Wiſſenſchaft der Localfarben recht
verſtehen will, ſo bedenke man zuvoderſt, daß die
Farbe eines jeden Koͤrpers nichts anders ſey, als
ein auf ihn fallendes und von ihm ins Auge prallen-
des Licht. Dieſes kann von unendlich verſchiedener
Art ſeyn, ſowol in Anſehung der Staͤrke, als in
Anſehung ſeiner uͤbrigen Eigenſchaften. Wenn das
helleſte Sonnenlicht auf einen Koͤrper faͤllt, ſo giebt
es ihm eine andre Farbe, als wenn es ſchwaͤcher iſt,
und jeder Grad der Staͤrke dieſes Sonnenlichtes
bringt im Koͤrper eine andere Farbe hervor, ob ſie
gleich von derſelben Art bleibt. Daſſelbe Stuͤk
Scharlach hat eine andre Farbe, wenn die Sonne
ſehr hell darauf ſcheiner, als wenn ſie ſchwach ſchei-
net; und in dieſem Fall wieder eine andre, als wenn
das bloſſe Tageslicht darauf faͤllt; und auch in die-
ſem wieder eine andre, wenn der Tag heller iſt, als
wenn er dunkel iſt, anders wenn das hellere oder
dunklere Tageslicht unmittelbar darauf faͤllt, oder
es erſt durch vielerley Abprellungen trift. Dennoch
wird es immer Scharlach genennt, weil es nicht
moͤglich waͤre, dieſe unzaͤhligen Grade der Schar-
lachfarbe mit ſo viel verſchiedenen Namen zu be-
nennen.

Eben ſo groß wird die Mannigfaltigkeit der ei-
genthuͤmlichen Farbe des Koͤrpers durch die ver-
ſchiedene Arten ſowol des urſpruͤnglichen, als des
zuruͤk geworfenen Lichts. Das Sonnenlicht giebt
dem Koͤrper eine andre Farbe, als das Licht einer
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Eig
Lampe, oder einer Wachskerze, oder das blaue
Licht des Himmels. Denn das urſpruͤngliche Licht,
welches auf den Koͤrper faͤllt, hat ſchon eine herr-
ſchende Farbe, und iſt entweder weiß, gelb, roth,
blau oder von andrer Art, und muß demnach noth-
wendig der Farbe des Koͤrpers ein anderes Anſe-
hen geben.

Drittens wird die eigenthuͤmliche Farbe des Koͤr-
pers durch die Vermiſchung mehrerer Arten des
Lichts wieder neu eingeſchraͤnkt. Es kann roͤthli-
ches und blauliches Licht zugleich auf den Koͤrper
fallen. Die Vermiſchung beyder bringt eine abge-
aͤnderte Farbe hervor. Endlich aͤndert ſich die Farbe
auch nach Beſchaffenheit des Raums, der zwiſchen
dem Aug und dem Koͤrper iſt. Das Licht der auf-
oder untergehenden Sonne iſt ganz anders, als das
Licht der hohen Mittagsſonne, weil es durch eine
mehr mit Duͤnſten angefuͤllte Luft geht; und das
Licht des Koͤrpers, das durch ein gefaͤrbtes Glas in
die Augen faͤllt, iſt ganz anders, als wenn es blos
durch die Luft geht; in der Luft anders, wenn ſie
rein als wenn ſie voll Duͤnſte iſt, anders wenn der
Koͤrper entfernt, als wenn er nahe iſt.

Die Farbe eines jeden im Gemaͤhlde vorkommen-
den Koͤrpers, in ſo fern ſie durch alle dieſe Umſtaͤnde
eingeſchraͤnkt wird, iſt das, was die Mahler die
Localfarbe, und wir die eigenthuͤmliche Farbe deſſelben
nennen. Die eigenthuͤmlichen Farben aller einzeln
Gegenſtaͤnden eines Gemaͤhldes, in eine einzige Haupt-
erleuchtung geſchikt verbunden, machen die Harmonie
der Farben aus. Mithin kann dieſe, und folglich
die Einheit in der Farbe und die allgemeine Hal-
tung, ohne die Wiſſenſchaft der Localfarben nicht
erreicht werden.

Dieſe Wiſſenſchaft betrift zwey Hauptpunkte, die
eigenthuͤmliche Farbe jedes einzeln Gegenſtandes muß
wahrhaft, oder natuͤrlich ſeyn; zugleich aber muß
ſie eine gute Wuͤrkung zur Haltung des Ganzen
thun. Jener Punkt betrift die Wiſſenſchaft, die fuͤr
einen Gegenſtand gewaͤhlte Farbe, nach Beſchaffenheit
des Lichts und der Erleuchtung zu beſtimmen. Wenn
man z. B. angenommen hat, daß eine Figur des
Gemaͤhldes einen Purpurmantel zur Bekleidung ha-
ben ſoll, ſo iſt zu uͤberlegen, welcher Grad der
Purpurfarbe ſowol an hellen, als an dunkeln Stel-
len genommen werden ſoll. Man ſieht, daß dieſe
Frage die ganze Farbenmiſchung, die Wiſſenſchaft
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[290/0302] Ede Eig Eig es uͤberaus ſelten iſt, daß ein deutſcher Patriot ohne roth zu werden, Leute von feinem Geſchmak un- ter den Zuſchauern erbliket; ſo ſehr ofte fallen ſowol die Dichter, als die Schauſpieler in das gemeine, und wol gar in das poͤbelhafte; oder auch in das verſtiegene und in das kindiſche. Wir haben alſo ſehr groſſe Urſache, die alten und die beſten der neuern Auslaͤnder noch nicht von der Hand zu legen, ſondern ſie ſo lange zu Muſtern zu nehmen, bis un- ſer Geſchmak eine reifere Ausbildung wird bekom- men haben. Eigenthuͤmliche Farbe. (Mahlerey.) Mit dieſem Worte bezeichnen wir das, was man ſonſt Localfarbe nennt, naͤmlich die natuͤrliche Farbe eines Koͤrpers, z. E. die rothe Farbe eines Kleides von Scharlach, in ſo fern ſie durch den Ort, wo der Koͤrper ſteht, in ihrer Art eingeſchraͤnkt wird. Wenn man die Wiſſenſchaft der Localfarben recht verſtehen will, ſo bedenke man zuvoderſt, daß die Farbe eines jeden Koͤrpers nichts anders ſey, als ein auf ihn fallendes und von ihm ins Auge prallen- des Licht. Dieſes kann von unendlich verſchiedener Art ſeyn, ſowol in Anſehung der Staͤrke, als in Anſehung ſeiner uͤbrigen Eigenſchaften. Wenn das helleſte Sonnenlicht auf einen Koͤrper faͤllt, ſo giebt es ihm eine andre Farbe, als wenn es ſchwaͤcher iſt, und jeder Grad der Staͤrke dieſes Sonnenlichtes bringt im Koͤrper eine andere Farbe hervor, ob ſie gleich von derſelben Art bleibt. Daſſelbe Stuͤk Scharlach hat eine andre Farbe, wenn die Sonne ſehr hell darauf ſcheiner, als wenn ſie ſchwach ſchei- net; und in dieſem Fall wieder eine andre, als wenn das bloſſe Tageslicht darauf faͤllt; und auch in die- ſem wieder eine andre, wenn der Tag heller iſt, als wenn er dunkel iſt, anders wenn das hellere oder dunklere Tageslicht unmittelbar darauf faͤllt, oder es erſt durch vielerley Abprellungen trift. Dennoch wird es immer Scharlach genennt, weil es nicht moͤglich waͤre, dieſe unzaͤhligen Grade der Schar- lachfarbe mit ſo viel verſchiedenen Namen zu be- nennen. Eben ſo groß wird die Mannigfaltigkeit der ei- genthuͤmlichen Farbe des Koͤrpers durch die ver- ſchiedene Arten ſowol des urſpruͤnglichen, als des zuruͤk geworfenen Lichts. Das Sonnenlicht giebt dem Koͤrper eine andre Farbe, als das Licht einer Lampe, oder einer Wachskerze, oder das blaue Licht des Himmels. Denn das urſpruͤngliche Licht, welches auf den Koͤrper faͤllt, hat ſchon eine herr- ſchende Farbe, und iſt entweder weiß, gelb, roth, blau oder von andrer Art, und muß demnach noth- wendig der Farbe des Koͤrpers ein anderes Anſe- hen geben. Drittens wird die eigenthuͤmliche Farbe des Koͤr- pers durch die Vermiſchung mehrerer Arten des Lichts wieder neu eingeſchraͤnkt. Es kann roͤthli- ches und blauliches Licht zugleich auf den Koͤrper fallen. Die Vermiſchung beyder bringt eine abge- aͤnderte Farbe hervor. Endlich aͤndert ſich die Farbe auch nach Beſchaffenheit des Raums, der zwiſchen dem Aug und dem Koͤrper iſt. Das Licht der auf- oder untergehenden Sonne iſt ganz anders, als das Licht der hohen Mittagsſonne, weil es durch eine mehr mit Duͤnſten angefuͤllte Luft geht; und das Licht des Koͤrpers, das durch ein gefaͤrbtes Glas in die Augen faͤllt, iſt ganz anders, als wenn es blos durch die Luft geht; in der Luft anders, wenn ſie rein als wenn ſie voll Duͤnſte iſt, anders wenn der Koͤrper entfernt, als wenn er nahe iſt. Die Farbe eines jeden im Gemaͤhlde vorkommen- den Koͤrpers, in ſo fern ſie durch alle dieſe Umſtaͤnde eingeſchraͤnkt wird, iſt das, was die Mahler die Localfarbe, und wir die eigenthuͤmliche Farbe deſſelben nennen. Die eigenthuͤmlichen Farben aller einzeln Gegenſtaͤnden eines Gemaͤhldes, in eine einzige Haupt- erleuchtung geſchikt verbunden, machen die Harmonie der Farben aus. Mithin kann dieſe, und folglich die Einheit in der Farbe und die allgemeine Hal- tung, ohne die Wiſſenſchaft der Localfarben nicht erreicht werden. Dieſe Wiſſenſchaft betrift zwey Hauptpunkte, die eigenthuͤmliche Farbe jedes einzeln Gegenſtandes muß wahrhaft, oder natuͤrlich ſeyn; zugleich aber muß ſie eine gute Wuͤrkung zur Haltung des Ganzen thun. Jener Punkt betrift die Wiſſenſchaft, die fuͤr einen Gegenſtand gewaͤhlte Farbe, nach Beſchaffenheit des Lichts und der Erleuchtung zu beſtimmen. Wenn man z. B. angenommen hat, daß eine Figur des Gemaͤhldes einen Purpurmantel zur Bekleidung ha- ben ſoll, ſo iſt zu uͤberlegen, welcher Grad der Purpurfarbe ſowol an hellen, als an dunkeln Stel- len genommen werden ſoll. Man ſieht, daß dieſe Frage die ganze Farbenmiſchung, die Wiſſenſchaft der Wiederſcheine und der Schattirungen in ſich begreife.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/302>, abgerufen am 13.05.2024.