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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Ein Eke
die Eintheilung den Jnhalt der ganzen Rede in we-
nig Worten, und kann zum voraus das Genie und
die Gründlichkeit des Redners anzeigen. Denn die
Hauptsache kommt allemal darauf an, daß er die
wahren Quellen, woraus das, was er zu erhalten
sucht, natürlicher Weise herfließt, entdeke, und diese
Quellen zeiget er in der Eintheilung an.

Zum Vortrag der Eintheilung wird Kürze, Ein-
falt und die größte Deutlichkeit erfodert, damit der
Zuhörer den Jnhalt der Hauptpunkte der Rede sehr
leicht und bestimmt faße; welches Cicero für so wich-
tig hielt, daß er bisweilen die Eintheilung wieder-
holt hat, wie in der Rede für den P. Quinctius,
wo er sie also vorträgt: "Jch will zuerst zeigen,
das kein Grund vorhanden sey, warum du von dem
Prätor hättest verlangen können, in den Besitz der
Güter des P. Quinctius gesetzt zu werden;
hernach, daß du sie durch kein Edikt habest besitzen
können; und zuletzt, daß du sie würklich nicht be-
seßen habest. Jch bitte euch, (thut er hinzu) dich
O. Aquilius, und euch, die ihr eure Meinung hier-
über zu geben habt, euch dieser Punkte wol zu
erinnern; denn wenn ihr sie vor Augen habet, so
werdet ihr die ganze Sache leichter faßen, und mich,
falls ich aus den Schranken, die ich mir selbst setze,
heraustreten sollte, durch euer Ansehen zurük halten
können. Jch leugne also, 1) daß er die Güter hat
fodern können, 2) daß er sie Ediktmäßig habe be-
sitzen können, und 3) daß er sie würklich beseßen
habe. Habe ich diese drey Punkte bewiesen, so
werde ich den Schluß machen."

Uebrigens ist verschiedenes, was zur Erfindung
der Eintheilung dienet, in dem Artikel von den Be-
weisen bereits angeführt worden.

Ekel. Ekelhaft.
(Schöne Künste.)

Einige unsrer Kunstrichter haben es zu einer Grund-
marime der schönen Künste machen wollen, daß nie
etwas Ekelhaftes in einem Werk soll vorgestellt wer-
(*) S.
Briefe über
die neueste
Litteratur
V. Theil.
den. (*) Allein bey näherer Untersuchung der Sa-
chen findet man dieses Verboth nicht nur an sich
ungegründet, sondern auch von den größten Meistern
der Kunst übertreten. Zwar müssen alle, die das
Wesen der schönen Künste in der Nachahmung der
schönen Natur suchen, oder die das Gefallen oder
das Ergötzen zum letzten Endzwek derselben machen,
diese Grundmarime gelten lassen, weil das Ekel-
[Spaltenumbruch]

Eke Ele
hafte weder schön noch gefällig ist. Soll aber der
Künstler sich darin als ein Nachahmer der Natur
zeigen, daß er, wie sie, durch Vergnügen zum Gu-
ten anloke, und durch Mißvergnügen und Widrig-
keit vom Bösen abhalte, so muß er sich aller Arten
des Widrigen, und also auch des Ekelhaften bedie-
nen, so wie seine Lehrmeisterin, die Natur es gethan
hat. Man kann gewiß annehmen, daß die Dinge,
für welche der Mensch einen natürlichen Ekel hat,
etwas schädliches an sich haben, und daß das Ge-
fühl des Ekels das Mittel ist, uns von schädlichen
Dingen abzuhalten.

Darin also kann der Künstler ohne alles Bedenken
dieser großen Lehrmeisterin nachahmen, dasjenige
mit Ekel zu belegen, wovon die Menschen müssen
abgeschrekt werden. Also hat sich Hogarth als ein
wahrer Künstler gezeiget, da er in seinen Kupfersti-
chen, Harlots-Progreß, manches würklich Ekel-
haftes eingemischt hat. Eden so wenig ist auch Ho-
mer
zu tadeln, daß er uns von den ruchlosen Cy-
clopen ein ganz ekelhaftes Bild macht; (*) oder Aeschy-(*) Odyss.
I. vs.
373.
374.

lus, dessen Eumeniden auch gewiß nicht ohne Ekel
gesehen worden sind. Auch ist es wol niemand ein-
gefallen den Poußin zu tadeln, daß er in der Vor-
stellung der Krankheit der Philister, die sich an der
Lade des Bundes vergriffen, einiges Ekelhaftes mit
eingemengt hat.

Freylich muß man sich nicht, wie schwache Köpfe
würklich bisweilen gethan haben, das Ekelhafte blos
darum wählen, um die Kunst einer genauen Nach-
ahmung zu zeigen. Zum Vergnügen und zur Er-
götzung müssen angenehme Gegenstände gewählt
werden; aber zur Abschrekung, wo diese nöthig ist,
dienet so wol das Häßliche, als das Ekelhafte; da-
her dann in der That beydes von den größten Mei-
stern würklich gebraucht worden ist. (*)

(*) Man
sehe was
im Artik.
Eutsetzen
hierüber
erinnert
worden.
Elegie.
(Dichtkunst.)

Bedeutet eigentlich ein Klagelied, welchen Namen
man dieser Art des Gedichtes geben könnte, wenn
nicht auch bisweilen vergnügte Empfindungen der
Jnhalt der Elegie wären. Der wahre Charakter
derselben scheint darin zu bestehen, daß der Dich-
ter von einem sanften Affekt der Traurigkeit oder ei-
ner sanften mit viel Zärtlichkeit vermischten Freude
ganz eingenommen ist, und sie auf eine einnehmende
etwas schwazhafte Art äussert. Alle sanften Lei-

den-

[Spaltenumbruch]

Ein Eke
die Eintheilung den Jnhalt der ganzen Rede in we-
nig Worten, und kann zum voraus das Genie und
die Gruͤndlichkeit des Redners anzeigen. Denn die
Hauptſache kommt allemal darauf an, daß er die
wahren Quellen, woraus das, was er zu erhalten
ſucht, natuͤrlicher Weiſe herfließt, entdeke, und dieſe
Quellen zeiget er in der Eintheilung an.

Zum Vortrag der Eintheilung wird Kuͤrze, Ein-
falt und die groͤßte Deutlichkeit erfodert, damit der
Zuhoͤrer den Jnhalt der Hauptpunkte der Rede ſehr
leicht und beſtimmt faße; welches Cicero fuͤr ſo wich-
tig hielt, daß er bisweilen die Eintheilung wieder-
holt hat, wie in der Rede fuͤr den P. Quinctius,
wo er ſie alſo vortraͤgt: „Jch will zuerſt zeigen,
das kein Grund vorhanden ſey, warum du von dem
Praͤtor haͤtteſt verlangen koͤnnen, in den Beſitz der
Guͤter des P. Quinctius geſetzt zu werden;
hernach, daß du ſie durch kein Edikt habeſt beſitzen
koͤnnen; und zuletzt, daß du ſie wuͤrklich nicht be-
ſeßen habeſt. Jch bitte euch, (thut er hinzu) dich
O. Aquilius, und euch, die ihr eure Meinung hier-
uͤber zu geben habt, euch dieſer Punkte wol zu
erinnern; denn wenn ihr ſie vor Augen habet, ſo
werdet ihr die ganze Sache leichter faßen, und mich,
falls ich aus den Schranken, die ich mir ſelbſt ſetze,
heraustreten ſollte, durch euer Anſehen zuruͤk halten
koͤnnen. Jch leugne alſo, 1) daß er die Guͤter hat
fodern koͤnnen, 2) daß er ſie Ediktmaͤßig habe be-
ſitzen koͤnnen, und 3) daß er ſie wuͤrklich beſeßen
habe. Habe ich dieſe drey Punkte bewieſen, ſo
werde ich den Schluß machen.‟

Uebrigens iſt verſchiedenes, was zur Erfindung
der Eintheilung dienet, in dem Artikel von den Be-
weiſen bereits angefuͤhrt worden.

Ekel. Ekelhaft.
(Schoͤne Kuͤnſte.)

Einige unſrer Kunſtrichter haben es zu einer Grund-
marime der ſchoͤnen Kuͤnſte machen wollen, daß nie
etwas Ekelhaftes in einem Werk ſoll vorgeſtellt wer-
(*) S.
Briefe uͤber
die neueſte
Litteratur
V. Theil.
den. (*) Allein bey naͤherer Unterſuchung der Sa-
chen findet man dieſes Verboth nicht nur an ſich
ungegruͤndet, ſondern auch von den groͤßten Meiſtern
der Kunſt uͤbertreten. Zwar muͤſſen alle, die das
Weſen der ſchoͤnen Kuͤnſte in der Nachahmung der
ſchoͤnen Natur ſuchen, oder die das Gefallen oder
das Ergoͤtzen zum letzten Endzwek derſelben machen,
dieſe Grundmarime gelten laſſen, weil das Ekel-
[Spaltenumbruch]

Eke Ele
hafte weder ſchoͤn noch gefaͤllig iſt. Soll aber der
Kuͤnſtler ſich darin als ein Nachahmer der Natur
zeigen, daß er, wie ſie, durch Vergnuͤgen zum Gu-
ten anloke, und durch Mißvergnuͤgen und Widrig-
keit vom Boͤſen abhalte, ſo muß er ſich aller Arten
des Widrigen, und alſo auch des Ekelhaften bedie-
nen, ſo wie ſeine Lehrmeiſterin, die Natur es gethan
hat. Man kann gewiß annehmen, daß die Dinge,
fuͤr welche der Menſch einen natuͤrlichen Ekel hat,
etwas ſchaͤdliches an ſich haben, und daß das Ge-
fuͤhl des Ekels das Mittel iſt, uns von ſchaͤdlichen
Dingen abzuhalten.

Darin alſo kann der Kuͤnſtler ohne alles Bedenken
dieſer großen Lehrmeiſterin nachahmen, dasjenige
mit Ekel zu belegen, wovon die Menſchen muͤſſen
abgeſchrekt werden. Alſo hat ſich Hogarth als ein
wahrer Kuͤnſtler gezeiget, da er in ſeinen Kupferſti-
chen, Harlots-Progreß, manches wuͤrklich Ekel-
haftes eingemiſcht hat. Eden ſo wenig iſt auch Ho-
mer
zu tadeln, daß er uns von den ruchloſen Cy-
clopen ein ganz ekelhaftes Bild macht; (*) oder Aeſchy-(*) Odyſſ.
I. vs.
373.
374.

lus, deſſen Eumeniden auch gewiß nicht ohne Ekel
geſehen worden ſind. Auch iſt es wol niemand ein-
gefallen den Poußin zu tadeln, daß er in der Vor-
ſtellung der Krankheit der Philiſter, die ſich an der
Lade des Bundes vergriffen, einiges Ekelhaftes mit
eingemengt hat.

Freylich muß man ſich nicht, wie ſchwache Koͤpfe
wuͤrklich bisweilen gethan haben, das Ekelhafte blos
darum waͤhlen, um die Kunſt einer genauen Nach-
ahmung zu zeigen. Zum Vergnuͤgen und zur Er-
goͤtzung muͤſſen angenehme Gegenſtaͤnde gewaͤhlt
werden; aber zur Abſchrekung, wo dieſe noͤthig iſt,
dienet ſo wol das Haͤßliche, als das Ekelhafte; da-
her dann in der That beydes von den groͤßten Mei-
ſtern wuͤrklich gebraucht worden iſt. (*)

(*) Man
ſehe was
im Artik.
Eutſetzen
hieruͤber
erinnert
worden.
Elegie.
(Dichtkunſt.)

Bedeutet eigentlich ein Klagelied, welchen Namen
man dieſer Art des Gedichtes geben koͤnnte, wenn
nicht auch bisweilen vergnuͤgte Empfindungen der
Jnhalt der Elegie waͤren. Der wahre Charakter
derſelben ſcheint darin zu beſtehen, daß der Dich-
ter von einem ſanften Affekt der Traurigkeit oder ei-
ner ſanften mit viel Zaͤrtlichkeit vermiſchten Freude
ganz eingenommen iſt, und ſie auf eine einnehmende
etwas ſchwazhafte Art aͤuſſert. Alle ſanften Lei-

den-
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[310/0322] Ein Eke Eke Ele die Eintheilung den Jnhalt der ganzen Rede in we- nig Worten, und kann zum voraus das Genie und die Gruͤndlichkeit des Redners anzeigen. Denn die Hauptſache kommt allemal darauf an, daß er die wahren Quellen, woraus das, was er zu erhalten ſucht, natuͤrlicher Weiſe herfließt, entdeke, und dieſe Quellen zeiget er in der Eintheilung an. Zum Vortrag der Eintheilung wird Kuͤrze, Ein- falt und die groͤßte Deutlichkeit erfodert, damit der Zuhoͤrer den Jnhalt der Hauptpunkte der Rede ſehr leicht und beſtimmt faße; welches Cicero fuͤr ſo wich- tig hielt, daß er bisweilen die Eintheilung wieder- holt hat, wie in der Rede fuͤr den P. Quinctius, wo er ſie alſo vortraͤgt: „Jch will zuerſt zeigen, das kein Grund vorhanden ſey, warum du von dem Praͤtor haͤtteſt verlangen koͤnnen, in den Beſitz der Guͤter des P. Quinctius geſetzt zu werden; hernach, daß du ſie durch kein Edikt habeſt beſitzen koͤnnen; und zuletzt, daß du ſie wuͤrklich nicht be- ſeßen habeſt. Jch bitte euch, (thut er hinzu) dich O. Aquilius, und euch, die ihr eure Meinung hier- uͤber zu geben habt, euch dieſer Punkte wol zu erinnern; denn wenn ihr ſie vor Augen habet, ſo werdet ihr die ganze Sache leichter faßen, und mich, falls ich aus den Schranken, die ich mir ſelbſt ſetze, heraustreten ſollte, durch euer Anſehen zuruͤk halten koͤnnen. Jch leugne alſo, 1) daß er die Guͤter hat fodern koͤnnen, 2) daß er ſie Ediktmaͤßig habe be- ſitzen koͤnnen, und 3) daß er ſie wuͤrklich beſeßen habe. Habe ich dieſe drey Punkte bewieſen, ſo werde ich den Schluß machen.‟ Uebrigens iſt verſchiedenes, was zur Erfindung der Eintheilung dienet, in dem Artikel von den Be- weiſen bereits angefuͤhrt worden. Ekel. Ekelhaft. (Schoͤne Kuͤnſte.) Einige unſrer Kunſtrichter haben es zu einer Grund- marime der ſchoͤnen Kuͤnſte machen wollen, daß nie etwas Ekelhaftes in einem Werk ſoll vorgeſtellt wer- den. (*) Allein bey naͤherer Unterſuchung der Sa- chen findet man dieſes Verboth nicht nur an ſich ungegruͤndet, ſondern auch von den groͤßten Meiſtern der Kunſt uͤbertreten. Zwar muͤſſen alle, die das Weſen der ſchoͤnen Kuͤnſte in der Nachahmung der ſchoͤnen Natur ſuchen, oder die das Gefallen oder das Ergoͤtzen zum letzten Endzwek derſelben machen, dieſe Grundmarime gelten laſſen, weil das Ekel- hafte weder ſchoͤn noch gefaͤllig iſt. Soll aber der Kuͤnſtler ſich darin als ein Nachahmer der Natur zeigen, daß er, wie ſie, durch Vergnuͤgen zum Gu- ten anloke, und durch Mißvergnuͤgen und Widrig- keit vom Boͤſen abhalte, ſo muß er ſich aller Arten des Widrigen, und alſo auch des Ekelhaften bedie- nen, ſo wie ſeine Lehrmeiſterin, die Natur es gethan hat. Man kann gewiß annehmen, daß die Dinge, fuͤr welche der Menſch einen natuͤrlichen Ekel hat, etwas ſchaͤdliches an ſich haben, und daß das Ge- fuͤhl des Ekels das Mittel iſt, uns von ſchaͤdlichen Dingen abzuhalten. (*) S. Briefe uͤber die neueſte Litteratur V. Theil. Darin alſo kann der Kuͤnſtler ohne alles Bedenken dieſer großen Lehrmeiſterin nachahmen, dasjenige mit Ekel zu belegen, wovon die Menſchen muͤſſen abgeſchrekt werden. Alſo hat ſich Hogarth als ein wahrer Kuͤnſtler gezeiget, da er in ſeinen Kupferſti- chen, Harlots-Progreß, manches wuͤrklich Ekel- haftes eingemiſcht hat. Eden ſo wenig iſt auch Ho- mer zu tadeln, daß er uns von den ruchloſen Cy- clopen ein ganz ekelhaftes Bild macht; (*) oder Aeſchy- lus, deſſen Eumeniden auch gewiß nicht ohne Ekel geſehen worden ſind. Auch iſt es wol niemand ein- gefallen den Poußin zu tadeln, daß er in der Vor- ſtellung der Krankheit der Philiſter, die ſich an der Lade des Bundes vergriffen, einiges Ekelhaftes mit eingemengt hat. (*) Odyſſ. I. vs. 373. 374. Freylich muß man ſich nicht, wie ſchwache Koͤpfe wuͤrklich bisweilen gethan haben, das Ekelhafte blos darum waͤhlen, um die Kunſt einer genauen Nach- ahmung zu zeigen. Zum Vergnuͤgen und zur Er- goͤtzung muͤſſen angenehme Gegenſtaͤnde gewaͤhlt werden; aber zur Abſchrekung, wo dieſe noͤthig iſt, dienet ſo wol das Haͤßliche, als das Ekelhafte; da- her dann in der That beydes von den groͤßten Mei- ſtern wuͤrklich gebraucht worden iſt. (*) Elegie. (Dichtkunſt.) Bedeutet eigentlich ein Klagelied, welchen Namen man dieſer Art des Gedichtes geben koͤnnte, wenn nicht auch bisweilen vergnuͤgte Empfindungen der Jnhalt der Elegie waͤren. Der wahre Charakter derſelben ſcheint darin zu beſtehen, daß der Dich- ter von einem ſanften Affekt der Traurigkeit oder ei- ner ſanften mit viel Zaͤrtlichkeit vermiſchten Freude ganz eingenommen iſt, und ſie auf eine einnehmende etwas ſchwazhafte Art aͤuſſert. Alle ſanften Lei- den-

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/322>, abgerufen am 21.11.2024.