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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Aes
# genennt werden. Die Hauptabsicht der
schönen Künste geht auf die Erwekung eines leb-
(*) S.
Künste.
haften Gefühls des Wahren und des Guten, (*)
also muß die Theorie derselben auf die Theorie der
undeutlichen Erkenntniß und der Empfindungen ge-
gründet seyn.

Aristoteles hat angemerkt, daß alle Künste vor
der Theorie gewesen seyn. Auch die besondern Re-
geln sind eher bekant gewesen, als die allgemeinen
Grundsätze, auf welche sie gebauet sind. Das glük-
liche Genie einiger Menschen hat verschiedene Werke
hervor gebracht, welche gefielen, ehe man den Grund
dieses Wohlgefallens erkannte. Aristoteles ist ei-
ner der ersten gewesen, der aus einzelnen Fällen
Regeln hergeleitet: aber weder seine Dichtkunst,
noch seine Redekunst, können als vollständige Theo-
rien dieser Künste angesehen werden. Jn den be-
sten Reden und Gedichten der ältern Griechen und
seiner Zeitverwandten, hatte er dasjenige genau be-
merkt, was allemal gefällt, und daraus Regeln ge-
macht. Er blieb bey der Empfindung stehen, ohne
sich zu bemühen, den Grund derselben zu entdeken,
und ohne zu untersuchen, ob die Redner oder Dich-
ter alle Fächer der Kunst erfüllt haben, oder nicht.

Die Kunstrichter, welche nach diesem griechischen
Weltweisen gekommen, haben seinen Fußstapfen ge-
folgt, neue Bemerkungen gemacht, die Anzahl der
Regeln vermehrt, ohne neue Grundsätze zu entde-
ken. Unter den Neuern hat dü Bos, so viel ich
weiß, zuerst versucht, die Theorie der Künste
auf einen allgemeinen Grundsatz zu bauen, und
aus demselben die Richtigkeit der Regeln zu zei-
(*) Jn dem
bekanten
schönen
Werk:
Reflexions
sur la poe-
sie & sur la
peinture.
gen. (*) Das Bedürfniß, das jeder Mensch in
gewissen Umständen fühlt, seine Gemüthskräfte zu
beschäftigen, und seinen Empfindungen eine gewisse
Thätigkeit zu geben, ist das Fundament seincr
Theorie. Er hat sich aber begnügt, einige Haupt-
regeln auf dieses Fundament zu bauen, und ist im
übrigen eben so empirisch verfahren, wie seine Vor-
gänger. Doch ist sein Werk voll fürtrefflicher
Anmerkungen und Regeln.

Unser Baumgarten in Frankfurth ist der er-
ste gewesen, der es gewagt hat, die ganze Philoso-
phie der schönen Künste, welcher er den Namen
Aesthetik gegeben hat, aus philosophischen Grund-
sätzen vorzutragen. Er setzt die Wolffische Lehre,
von dem Ursprung der angenehmen Empfindung,
den dieser Weltweise in der undeutlichen Erkennt-
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Aes
niß der Vollkommenheit zu finden geglaubt hat, zum
Voraus. Jn dem theoretischen Theil, dem einzi-
gen, den er ans Licht gestellt hat, handelt dieser
scharfsinnige Mann die ganze Lehre vom Schönen
oder sinnlich Vollkommenen in allen seinen verschie-
denen Arten ab, und zeiget überall die denselben
entgegengesetzten Arten des Häßlichen. Es ist aber
zu bedauren, daß seine allzu eingeschränkte Kennt-
niß der Künste ihm nicht erlaubt hat, die Theorie
weiter, als auf die Beredsamkeit und Dichtkunst
auszudehnen. Er hat auch bey weitem nicht alle
Gestalten des Schönen beschrieben.

Man muß deswegen die Aesthetik unter die noch
wenig ausgearbeiteten philosophischen Wissenschaften
zählen. Da das gegenwärtige Werk nach der Ab-
sicht des Verfassers den ganzen Umfang dieser Wis-
senschaft enthalten sollte, wiewol es keine systema-
tische Gestalt hat, so gehört die Entwiklung des
Plans der Aesthetik hieher.

Zuförderst mußte die Absicht und das Wesen der
schönen Künste festgesetzt werden. (*) Nachdem ge-(*) S.
Künste.

zeiget worden, daß die Lenkung des Gemüths, durch
Erregung angenehmer und unangenehmer Empfin-
dungen, die Hauptabsicht der schönen Künste sey,
so mußte der Ursprung aller angenehmen und un-
angenehmen Empfindungen aus der Natur der Seele
gezeiget, oder aus den Untersuchungen der Welt-
weisen angenommen werden. (*) Hiernächst muß-(*) S. Em-
pfindung.

ten nun die verschiedenen Hauptgattungen der
angenehmen und unangenehmen Gegenstände an-
gezeiget, und ihre Würkungen auf das Gemüth
bestimmt werden. (*) Die besonderen Arten des(*) S.
Aesthe-
tisch;
Kraft.

Angenehmen und Unangenehmen, bis auf die klei-
nesten Umstände, so viel deren, so wol durch die
Theorie, als durch die aufmerksamste Betrachtung
der Werke des Geschmaks, zu entdeken, oder auch
blos zu errathen gewesen sind, mußten in hundert be-
sondern Artikeln sorgfältig zergliedert werden. Alle
diese Artikel zusammen machen den theoretischen
Theil der Philosophie der Künste aus.

Jn dem praktischen Theil derselben mußten die
verschiedenen Arten der schönen Künste angezeiget,
der besondre Charakter und der Umfang einer jeden
festgesetzt werden. (*) Zugleich mußte die beson-(*) S.
Künste;
Dicht-
kunst; Be-
redsam-
keit;
Musik;
Mahlerey
und s. f.

dere Wendung des Genies, die nähere Bestimmung
so wol des angebohrnen, als des durch Nachforschung
und Unterricht angenommenen Geschmaks, der zu
jeder besonders erfodert wird, beschrieben, die vor-

nehm-
E 3

[Spaltenumbruch]

Aeſ
# genennt werden. Die Hauptabſicht der
ſchoͤnen Kuͤnſte geht auf die Erwekung eines leb-
(*) S.
Kuͤnſte.
haften Gefuͤhls des Wahren und des Guten, (*)
alſo muß die Theorie derſelben auf die Theorie der
undeutlichen Erkenntniß und der Empfindungen ge-
gruͤndet ſeyn.

Ariſtoteles hat angemerkt, daß alle Kuͤnſte vor
der Theorie geweſen ſeyn. Auch die beſondern Re-
geln ſind eher bekant geweſen, als die allgemeinen
Grundſaͤtze, auf welche ſie gebauet ſind. Das gluͤk-
liche Genie einiger Menſchen hat verſchiedene Werke
hervor gebracht, welche gefielen, ehe man den Grund
dieſes Wohlgefallens erkannte. Ariſtoteles iſt ei-
ner der erſten geweſen, der aus einzelnen Faͤllen
Regeln hergeleitet: aber weder ſeine Dichtkunſt,
noch ſeine Redekunſt, koͤnnen als vollſtaͤndige Theo-
rien dieſer Kuͤnſte angeſehen werden. Jn den be-
ſten Reden und Gedichten der aͤltern Griechen und
ſeiner Zeitverwandten, hatte er dasjenige genau be-
merkt, was allemal gefaͤllt, und daraus Regeln ge-
macht. Er blieb bey der Empfindung ſtehen, ohne
ſich zu bemuͤhen, den Grund derſelben zu entdeken,
und ohne zu unterſuchen, ob die Redner oder Dich-
ter alle Faͤcher der Kunſt erfuͤllt haben, oder nicht.

Die Kunſtrichter, welche nach dieſem griechiſchen
Weltweiſen gekommen, haben ſeinen Fußſtapfen ge-
folgt, neue Bemerkungen gemacht, die Anzahl der
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ken. Unter den Neuern hat duͤ Bos, ſo viel ich
weiß, zuerſt verſucht, die Theorie der Kuͤnſte
auf einen allgemeinen Grundſatz zu bauen, und
aus demſelben die Richtigkeit der Regeln zu zei-
(*) Jn dem
bekanten
ſchoͤnen
Werk:
Reflexions
ſur la poe-
ſie & ſur la
peinture.
gen. (*) Das Beduͤrfniß, das jeder Menſch in
gewiſſen Umſtaͤnden fuͤhlt, ſeine Gemuͤthskraͤfte zu
beſchaͤftigen, und ſeinen Empfindungen eine gewiſſe
Thaͤtigkeit zu geben, iſt das Fundament ſeincr
Theorie. Er hat ſich aber begnuͤgt, einige Haupt-
regeln auf dieſes Fundament zu bauen, und iſt im
uͤbrigen eben ſo empiriſch verfahren, wie ſeine Vor-
gaͤnger. Doch iſt ſein Werk voll fuͤrtrefflicher
Anmerkungen und Regeln.

Unſer Baumgarten in Frankfurth iſt der er-
ſte geweſen, der es gewagt hat, die ganze Philoſo-
phie der ſchoͤnen Kuͤnſte, welcher er den Namen
Aeſthetik gegeben hat, aus philoſophiſchen Grund-
ſaͤtzen vorzutragen. Er ſetzt die Wolffiſche Lehre,
von dem Urſprung der angenehmen Empfindung,
den dieſer Weltweiſe in der undeutlichen Erkennt-
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Aeſ
niß der Vollkommenheit zu finden geglaubt hat, zum
Voraus. Jn dem theoretiſchen Theil, dem einzi-
gen, den er ans Licht geſtellt hat, handelt dieſer
ſcharfſinnige Mann die ganze Lehre vom Schoͤnen
oder ſinnlich Vollkommenen in allen ſeinen verſchie-
denen Arten ab, und zeiget uͤberall die denſelben
entgegengeſetzten Arten des Haͤßlichen. Es iſt aber
zu bedauren, daß ſeine allzu eingeſchraͤnkte Kennt-
niß der Kuͤnſte ihm nicht erlaubt hat, die Theorie
weiter, als auf die Beredſamkeit und Dichtkunſt
auszudehnen. Er hat auch bey weitem nicht alle
Geſtalten des Schoͤnen beſchrieben.

Man muß deswegen die Aeſthetik unter die noch
wenig ausgearbeiteten philoſophiſchen Wiſſenſchaften
zaͤhlen. Da das gegenwaͤrtige Werk nach der Ab-
ſicht des Verfaſſers den ganzen Umfang dieſer Wiſ-
ſenſchaft enthalten ſollte, wiewol es keine ſyſtema-
tiſche Geſtalt hat, ſo gehoͤrt die Entwiklung des
Plans der Aeſthetik hieher.

Zufoͤrderſt mußte die Abſicht und das Weſen der
ſchoͤnen Kuͤnſte feſtgeſetzt werden. (*) Nachdem ge-(*) S.
Kuͤnſte.

zeiget worden, daß die Lenkung des Gemuͤths, durch
Erregung angenehmer und unangenehmer Empfin-
dungen, die Hauptabſicht der ſchoͤnen Kuͤnſte ſey,
ſo mußte der Urſprung aller angenehmen und un-
angenehmen Empfindungen aus der Natur der Seele
gezeiget, oder aus den Unterſuchungen der Welt-
weiſen angenommen werden. (*) Hiernaͤchſt muß-(*) S. Em-
pfindung.

ten nun die verſchiedenen Hauptgattungen der
angenehmen und unangenehmen Gegenſtaͤnde an-
gezeiget, und ihre Wuͤrkungen auf das Gemuͤth
beſtimmt werden. (*) Die beſonderen Arten des(*) S.
Aeſthe-
tiſch;
Kraft.

Angenehmen und Unangenehmen, bis auf die klei-
neſten Umſtaͤnde, ſo viel deren, ſo wol durch die
Theorie, als durch die aufmerkſamſte Betrachtung
der Werke des Geſchmaks, zu entdeken, oder auch
blos zu errathen geweſen ſind, mußten in hundert be-
ſondern Artikeln ſorgfaͤltig zergliedert werden. Alle
dieſe Artikel zuſammen machen den theoretiſchen
Theil der Philoſophie der Kuͤnſte aus.

Jn dem praktiſchen Theil derſelben mußten die
verſchiedenen Arten der ſchoͤnen Kuͤnſte angezeiget,
der beſondre Charakter und der Umfang einer jeden
feſtgeſetzt werden. (*) Zugleich mußte die beſon-(*) S.
Kuͤnſte;
Dicht-
kunſt; Be-
redſam-
keit;
Muſik;
Mahlerey
und ſ. f.

dere Wendung des Genies, die naͤhere Beſtimmung
ſo wol des angebohrnen, als des durch Nachforſchung
und Unterricht angenommenen Geſchmaks, der zu
jeder beſonders erfodert wird, beſchrieben, die vor-

nehm-
E 3
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[21/0033] Aeſ Aeſ # genennt werden. Die Hauptabſicht der ſchoͤnen Kuͤnſte geht auf die Erwekung eines leb- haften Gefuͤhls des Wahren und des Guten, (*) alſo muß die Theorie derſelben auf die Theorie der undeutlichen Erkenntniß und der Empfindungen ge- gruͤndet ſeyn. (*) S. Kuͤnſte. Ariſtoteles hat angemerkt, daß alle Kuͤnſte vor der Theorie geweſen ſeyn. Auch die beſondern Re- geln ſind eher bekant geweſen, als die allgemeinen Grundſaͤtze, auf welche ſie gebauet ſind. Das gluͤk- liche Genie einiger Menſchen hat verſchiedene Werke hervor gebracht, welche gefielen, ehe man den Grund dieſes Wohlgefallens erkannte. Ariſtoteles iſt ei- ner der erſten geweſen, der aus einzelnen Faͤllen Regeln hergeleitet: aber weder ſeine Dichtkunſt, noch ſeine Redekunſt, koͤnnen als vollſtaͤndige Theo- rien dieſer Kuͤnſte angeſehen werden. Jn den be- ſten Reden und Gedichten der aͤltern Griechen und ſeiner Zeitverwandten, hatte er dasjenige genau be- merkt, was allemal gefaͤllt, und daraus Regeln ge- macht. Er blieb bey der Empfindung ſtehen, ohne ſich zu bemuͤhen, den Grund derſelben zu entdeken, und ohne zu unterſuchen, ob die Redner oder Dich- ter alle Faͤcher der Kunſt erfuͤllt haben, oder nicht. Die Kunſtrichter, welche nach dieſem griechiſchen Weltweiſen gekommen, haben ſeinen Fußſtapfen ge- folgt, neue Bemerkungen gemacht, die Anzahl der Regeln vermehrt, ohne neue Grundſaͤtze zu entde- ken. Unter den Neuern hat duͤ Bos, ſo viel ich weiß, zuerſt verſucht, die Theorie der Kuͤnſte auf einen allgemeinen Grundſatz zu bauen, und aus demſelben die Richtigkeit der Regeln zu zei- gen. (*) Das Beduͤrfniß, das jeder Menſch in gewiſſen Umſtaͤnden fuͤhlt, ſeine Gemuͤthskraͤfte zu beſchaͤftigen, und ſeinen Empfindungen eine gewiſſe Thaͤtigkeit zu geben, iſt das Fundament ſeincr Theorie. Er hat ſich aber begnuͤgt, einige Haupt- regeln auf dieſes Fundament zu bauen, und iſt im uͤbrigen eben ſo empiriſch verfahren, wie ſeine Vor- gaͤnger. Doch iſt ſein Werk voll fuͤrtrefflicher Anmerkungen und Regeln. (*) Jn dem bekanten ſchoͤnen Werk: Reflexions ſur la poe- ſie & ſur la peinture. Unſer Baumgarten in Frankfurth iſt der er- ſte geweſen, der es gewagt hat, die ganze Philoſo- phie der ſchoͤnen Kuͤnſte, welcher er den Namen Aeſthetik gegeben hat, aus philoſophiſchen Grund- ſaͤtzen vorzutragen. Er ſetzt die Wolffiſche Lehre, von dem Urſprung der angenehmen Empfindung, den dieſer Weltweiſe in der undeutlichen Erkennt- niß der Vollkommenheit zu finden geglaubt hat, zum Voraus. Jn dem theoretiſchen Theil, dem einzi- gen, den er ans Licht geſtellt hat, handelt dieſer ſcharfſinnige Mann die ganze Lehre vom Schoͤnen oder ſinnlich Vollkommenen in allen ſeinen verſchie- denen Arten ab, und zeiget uͤberall die denſelben entgegengeſetzten Arten des Haͤßlichen. Es iſt aber zu bedauren, daß ſeine allzu eingeſchraͤnkte Kennt- niß der Kuͤnſte ihm nicht erlaubt hat, die Theorie weiter, als auf die Beredſamkeit und Dichtkunſt auszudehnen. Er hat auch bey weitem nicht alle Geſtalten des Schoͤnen beſchrieben. Man muß deswegen die Aeſthetik unter die noch wenig ausgearbeiteten philoſophiſchen Wiſſenſchaften zaͤhlen. Da das gegenwaͤrtige Werk nach der Ab- ſicht des Verfaſſers den ganzen Umfang dieſer Wiſ- ſenſchaft enthalten ſollte, wiewol es keine ſyſtema- tiſche Geſtalt hat, ſo gehoͤrt die Entwiklung des Plans der Aeſthetik hieher. Zufoͤrderſt mußte die Abſicht und das Weſen der ſchoͤnen Kuͤnſte feſtgeſetzt werden. (*) Nachdem ge- zeiget worden, daß die Lenkung des Gemuͤths, durch Erregung angenehmer und unangenehmer Empfin- dungen, die Hauptabſicht der ſchoͤnen Kuͤnſte ſey, ſo mußte der Urſprung aller angenehmen und un- angenehmen Empfindungen aus der Natur der Seele gezeiget, oder aus den Unterſuchungen der Welt- weiſen angenommen werden. (*) Hiernaͤchſt muß- ten nun die verſchiedenen Hauptgattungen der angenehmen und unangenehmen Gegenſtaͤnde an- gezeiget, und ihre Wuͤrkungen auf das Gemuͤth beſtimmt werden. (*) Die beſonderen Arten des Angenehmen und Unangenehmen, bis auf die klei- neſten Umſtaͤnde, ſo viel deren, ſo wol durch die Theorie, als durch die aufmerkſamſte Betrachtung der Werke des Geſchmaks, zu entdeken, oder auch blos zu errathen geweſen ſind, mußten in hundert be- ſondern Artikeln ſorgfaͤltig zergliedert werden. Alle dieſe Artikel zuſammen machen den theoretiſchen Theil der Philoſophie der Kuͤnſte aus. (*) S. Kuͤnſte. (*) S. Em- pfindung. (*) S. Aeſthe- tiſch; Kraft. Jn dem praktiſchen Theil derſelben mußten die verſchiedenen Arten der ſchoͤnen Kuͤnſte angezeiget, der beſondre Charakter und der Umfang einer jeden feſtgeſetzt werden. (*) Zugleich mußte die beſon- dere Wendung des Genies, die naͤhere Beſtimmung ſo wol des angebohrnen, als des durch Nachforſchung und Unterricht angenommenen Geſchmaks, der zu jeder beſonders erfodert wird, beſchrieben, die vor- nehm- (*) S. Kuͤnſte; Dicht- kunſt; Be- redſam- keit; Muſik; Mahlerey und ſ. f. E 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/33>, abgerufen am 19.04.2024.