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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Erz Es Evo
schweer. Man kann gar zu leicht in das gedähnte,
langweilige oder mühesame fallen. Einfalt, Kürze
und besonders Naivität sind die Haupteigenschaften
dieser Gattung. Man findet daher nur selten Dich-
ter, die sich darin hervorgethan haben. Unter uns
haben bey der beträchtlichen Anzahl guter Dichter,
nur Hagedorn, Gellert und Wieland sich hierin
einen Namen erworben. Aber Wielands mora-
lische Erzählungen machen eine besondere Gattung
aus: sie sind meistentheils von zärtlichem und lei-
denschaftlichen Jnhalt, der das Erzählen weni-
ger schweer macht.

Die Araber scheinen einen vorzüglichen Geschmak
an dieser Dichtart zu haben, und unter ihren Erzäh-
lungen findet man in der That solche, die zu Mu-
stern dienen können. Vielleicht haben die Neuern
diesen Zweyg der Dichtkunst aus dem Orient nach
Europa verpflanzt. Aber die Erzählung von aben-
theuerlichen Liebeshändeln, darnach die französischen
Dichter ihre Contes gebildet haben, scheinen aus
Jtalien herzukommen.

Es.
(Musik.)

So nennen einige in Deutschland den Ton, der
gegen dem untersten Ton unsers Systems, nämlich
gegen C, eine reine kleine Terz ausmacht, und zwar
deswegen, weil E die große Terz desselben ist. Er
wird deswegen auch so bezeichnet bE. Dieser Ton
kommt auf unsern Orgeln und Clavieren nicht vor,
sondern an seiner Stelle braucht man die vierte
Sayte, oder das Dis.

Wenn man die Länge der untersten Sayte C
durch 1 ausdrükt, so müßte die Länge des Es 5/6
(*) S.
Terz.
seyn. (*) Dis ist aber nur , folglich ist es um
oder ein Comma niedriger, als das Es seyn sollte.
Dieses giebt deswegen der weichen Tonart des C et-
was Empfindliches, wodurch sie zu kläglichem und
zärtlichem Ausdruk geschikt wird.

Evovae.
(Musik.)

Diese sechs Vocalen, aus denen man ein Wort ge-
macht hat, kommen in den alten Büchern über die
Kirchenmusik vor. Man bezeichnet damit das End
[Spaltenumbruch]

Eur
oder den Schluß der Chorale, die mit den beyden
Worten Saeculorum Amen aufhören. Die Töne
auf diese zwey Worte sind also das Evovae, wovon
die Alten sehr weitläuftigen Unterricht geben, weil
der Organist die Verse der Lieder und der Psalmen
allemal so schließen mußte, daß der Schluß sich zu
dem Anfang eines andern zwischen zwey Versen lie-
genden Gesanges schikte. Einen weitläuftigen Un-
terricht davon findet man bey Murschhauser. [Spaltenumbruch] (+)

Euripides.

Ein tragischer Dichter in Athen, der jüngste von
den dreyen, von denen wir noch ganze Trauerspiele
haben. Er ist um die 75 Olympias oder die Zeit
gebohren, da die Athenienser ihre große Siege über
den Xerres erfochten haben. Sein Vater soll ihn
erst zu den Leibesübungen erzogen haben, welche
von den Atheniensern Pankratia genennt worden,
und erst, nachdem er in öffentlichen Spielen dieser
Leibesübungen den Sieg erhalten, soll er sich auf
die Beredsamkeit und Dichtkunst gelegt haben. Er
hörte den Anaragoras in der Weltweißheit, und war
auch einer von den würdigsten Schülern des So-
krates. Er hat in allem 92 dramatische Stüke
verfertiget, darunter acht satyrisch, die andern tra-
gisch gewesen. Von den erstern ist nur eins, näm-
lich der Cyklops, auf uns gekommen, von den an-
dern aber haben wir noch achtzehn ganze Stüke. Er
hat funfzehnmal den Preis der dramatischen Dicht-
kunst erhalten. Man sagt, er habe aus Verdruß
über die schlechte Aufführung seiner zweyten Frauen
Athen verlassen, und sich zu dem Macedonischen Kö-
nig Archelaus begeben, und sey in Macedonien, da er
in einem Wald zu der Zeit spazieren gegangen, als Ar-
chelaus auf die Jagd gekommen, von dessen Hunden
in seinem siebzigsten Jahr zerrissen worden.

Aristoteles räumet ihm unter allen Dichtern, in
Absicht auf das tragische oder traurigmachende in
seinen Vorstellungen, den ersten Platz ein. Er ist in
Ansehung der Größe in den Charaktern seiner han-
delnden Personen, weit hinter dem Aeschylus zurük.
Jn Ansehung der Regelmäßigkeit seiner Trauerspiele,
und der Einfalt der Vorstellung, so wie in Ansehung
des Großen, ist er auch dem Sophokles nachzusetzen.
Er hat sich wenig Mühe gegeben den Plan seiner

Fa-
(+) Academia Musico-poetico bipartita oder hohe Schule der
[Spaltenumbruch] Musicalischen Composition, erster Theil IV Traktat 4. Capit.
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[Spaltenumbruch]

Erz Es Evo
ſchweer. Man kann gar zu leicht in das gedaͤhnte,
langweilige oder muͤheſame fallen. Einfalt, Kuͤrze
und beſonders Naivitaͤt ſind die Haupteigenſchaften
dieſer Gattung. Man findet daher nur ſelten Dich-
ter, die ſich darin hervorgethan haben. Unter uns
haben bey der betraͤchtlichen Anzahl guter Dichter,
nur Hagedorn, Gellert und Wieland ſich hierin
einen Namen erworben. Aber Wielands mora-
liſche Erzaͤhlungen machen eine beſondere Gattung
aus: ſie ſind meiſtentheils von zaͤrtlichem und lei-
denſchaftlichen Jnhalt, der das Erzaͤhlen weni-
ger ſchweer macht.

Die Araber ſcheinen einen vorzuͤglichen Geſchmak
an dieſer Dichtart zu haben, und unter ihren Erzaͤh-
lungen findet man in der That ſolche, die zu Mu-
ſtern dienen koͤnnen. Vielleicht haben die Neuern
dieſen Zweyg der Dichtkunſt aus dem Orient nach
Europa verpflanzt. Aber die Erzaͤhlung von aben-
theuerlichen Liebeshaͤndeln, darnach die franzoͤſiſchen
Dichter ihre Contes gebildet haben, ſcheinen aus
Jtalien herzukommen.

Es.
(Muſik.)

So nennen einige in Deutſchland den Ton, der
gegen dem unterſten Ton unſers Syſtems, naͤmlich
gegen C, eine reine kleine Terz ausmacht, und zwar
deswegen, weil E die große Terz deſſelben iſt. Er
wird deswegen auch ſo bezeichnet bE. Dieſer Ton
kommt auf unſern Orgeln und Clavieren nicht vor,
ſondern an ſeiner Stelle braucht man die vierte
Sayte, oder das Dis.

Wenn man die Laͤnge der unterſten Sayte C
durch 1 ausdruͤkt, ſo muͤßte die Laͤnge des Es ⅚
(*) S.
Terz.
ſeyn. (*) Dis iſt aber nur , folglich iſt es um
oder ein Comma niedriger, als das Es ſeyn ſollte.
Dieſes giebt deswegen der weichen Tonart des C et-
was Empfindliches, wodurch ſie zu klaͤglichem und
zaͤrtlichem Ausdruk geſchikt wird.

Evovae.
(Muſik.)

Dieſe ſechs Vocalen, aus denen man ein Wort ge-
macht hat, kommen in den alten Buͤchern uͤber die
Kirchenmuſik vor. Man bezeichnet damit das End
[Spaltenumbruch]

Eur
oder den Schluß der Chorale, die mit den beyden
Worten Sæculorum Amen aufhoͤren. Die Toͤne
auf dieſe zwey Worte ſind alſo das Evovae, wovon
die Alten ſehr weitlaͤuftigen Unterricht geben, weil
der Organiſt die Verſe der Lieder und der Pſalmen
allemal ſo ſchließen mußte, daß der Schluß ſich zu
dem Anfang eines andern zwiſchen zwey Verſen lie-
genden Geſanges ſchikte. Einen weitlaͤuftigen Un-
terricht davon findet man bey Murſchhauſer. [Spaltenumbruch] (†)

Euripides.

Ein tragiſcher Dichter in Athen, der juͤngſte von
den dreyen, von denen wir noch ganze Trauerſpiele
haben. Er iſt um die 75 Olympias oder die Zeit
gebohren, da die Athenienſer ihre große Siege uͤber
den Xerres erfochten haben. Sein Vater ſoll ihn
erſt zu den Leibesuͤbungen erzogen haben, welche
von den Athenienſern Pankratia genennt worden,
und erſt, nachdem er in oͤffentlichen Spielen dieſer
Leibesuͤbungen den Sieg erhalten, ſoll er ſich auf
die Beredſamkeit und Dichtkunſt gelegt haben. Er
hoͤrte den Anaragoras in der Weltweißheit, und war
auch einer von den wuͤrdigſten Schuͤlern des So-
krates. Er hat in allem 92 dramatiſche Stuͤke
verfertiget, darunter acht ſatyriſch, die andern tra-
giſch geweſen. Von den erſtern iſt nur eins, naͤm-
lich der Cyklops, auf uns gekommen, von den an-
dern aber haben wir noch achtzehn ganze Stuͤke. Er
hat funfzehnmal den Preis der dramatiſchen Dicht-
kunſt erhalten. Man ſagt, er habe aus Verdruß
uͤber die ſchlechte Auffuͤhrung ſeiner zweyten Frauen
Athen verlaſſen, und ſich zu dem Macedoniſchen Koͤ-
nig Archelaus begeben, und ſey in Macedonien, da er
in einem Wald zu der Zeit ſpazieren gegangen, als Ar-
chelaus auf die Jagd gekommen, von deſſen Hunden
in ſeinem ſiebzigſten Jahr zerriſſen worden.

Ariſtoteles raͤumet ihm unter allen Dichtern, in
Abſicht auf das tragiſche oder traurigmachende in
ſeinen Vorſtellungen, den erſten Platz ein. Er iſt in
Anſehung der Groͤße in den Charaktern ſeiner han-
delnden Perſonen, weit hinter dem Aeſchylus zuruͤk.
Jn Anſehung der Regelmaͤßigkeit ſeiner Trauerſpiele,
und der Einfalt der Vorſtellung, ſo wie in Anſehung
des Großen, iſt er auch dem Sophokles nachzuſetzen.
Er hat ſich wenig Muͤhe gegeben den Plan ſeiner

Fa-
(†) Academia Muſico-poetico bipartita oder hohe Schule der
[Spaltenumbruch] Muſicaliſchen Compoſition, erſter Theil IV Traktat 4. Capit.
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[355/0367] Erz Es Evo Eur ſchweer. Man kann gar zu leicht in das gedaͤhnte, langweilige oder muͤheſame fallen. Einfalt, Kuͤrze und beſonders Naivitaͤt ſind die Haupteigenſchaften dieſer Gattung. Man findet daher nur ſelten Dich- ter, die ſich darin hervorgethan haben. Unter uns haben bey der betraͤchtlichen Anzahl guter Dichter, nur Hagedorn, Gellert und Wieland ſich hierin einen Namen erworben. Aber Wielands mora- liſche Erzaͤhlungen machen eine beſondere Gattung aus: ſie ſind meiſtentheils von zaͤrtlichem und lei- denſchaftlichen Jnhalt, der das Erzaͤhlen weni- ger ſchweer macht. Die Araber ſcheinen einen vorzuͤglichen Geſchmak an dieſer Dichtart zu haben, und unter ihren Erzaͤh- lungen findet man in der That ſolche, die zu Mu- ſtern dienen koͤnnen. Vielleicht haben die Neuern dieſen Zweyg der Dichtkunſt aus dem Orient nach Europa verpflanzt. Aber die Erzaͤhlung von aben- theuerlichen Liebeshaͤndeln, darnach die franzoͤſiſchen Dichter ihre Contes gebildet haben, ſcheinen aus Jtalien herzukommen. Es. (Muſik.) So nennen einige in Deutſchland den Ton, der gegen dem unterſten Ton unſers Syſtems, naͤmlich gegen C, eine reine kleine Terz ausmacht, und zwar deswegen, weil E die große Terz deſſelben iſt. Er wird deswegen auch ſo bezeichnet bE. Dieſer Ton kommt auf unſern Orgeln und Clavieren nicht vor, ſondern an ſeiner Stelle braucht man die vierte Sayte, oder das Dis. Wenn man die Laͤnge der unterſten Sayte C durch 1 ausdruͤkt, ſo muͤßte die Laͤnge des Es ⅚ ſeyn. (*) Dis iſt aber nur [FORMEL], folglich iſt es um [FORMEL] oder ein Comma niedriger, als das Es ſeyn ſollte. Dieſes giebt deswegen der weichen Tonart des C et- was Empfindliches, wodurch ſie zu klaͤglichem und zaͤrtlichem Ausdruk geſchikt wird. (*) S. Terz. Evovae. (Muſik.) Dieſe ſechs Vocalen, aus denen man ein Wort ge- macht hat, kommen in den alten Buͤchern uͤber die Kirchenmuſik vor. Man bezeichnet damit das End oder den Schluß der Chorale, die mit den beyden Worten Sæculorum Amen aufhoͤren. Die Toͤne auf dieſe zwey Worte ſind alſo das Evovae, wovon die Alten ſehr weitlaͤuftigen Unterricht geben, weil der Organiſt die Verſe der Lieder und der Pſalmen allemal ſo ſchließen mußte, daß der Schluß ſich zu dem Anfang eines andern zwiſchen zwey Verſen lie- genden Geſanges ſchikte. Einen weitlaͤuftigen Un- terricht davon findet man bey Murſchhauſer. (†) Euripides. Ein tragiſcher Dichter in Athen, der juͤngſte von den dreyen, von denen wir noch ganze Trauerſpiele haben. Er iſt um die 75 Olympias oder die Zeit gebohren, da die Athenienſer ihre große Siege uͤber den Xerres erfochten haben. Sein Vater ſoll ihn erſt zu den Leibesuͤbungen erzogen haben, welche von den Athenienſern Pankratia genennt worden, und erſt, nachdem er in oͤffentlichen Spielen dieſer Leibesuͤbungen den Sieg erhalten, ſoll er ſich auf die Beredſamkeit und Dichtkunſt gelegt haben. Er hoͤrte den Anaragoras in der Weltweißheit, und war auch einer von den wuͤrdigſten Schuͤlern des So- krates. Er hat in allem 92 dramatiſche Stuͤke verfertiget, darunter acht ſatyriſch, die andern tra- giſch geweſen. Von den erſtern iſt nur eins, naͤm- lich der Cyklops, auf uns gekommen, von den an- dern aber haben wir noch achtzehn ganze Stuͤke. Er hat funfzehnmal den Preis der dramatiſchen Dicht- kunſt erhalten. Man ſagt, er habe aus Verdruß uͤber die ſchlechte Auffuͤhrung ſeiner zweyten Frauen Athen verlaſſen, und ſich zu dem Macedoniſchen Koͤ- nig Archelaus begeben, und ſey in Macedonien, da er in einem Wald zu der Zeit ſpazieren gegangen, als Ar- chelaus auf die Jagd gekommen, von deſſen Hunden in ſeinem ſiebzigſten Jahr zerriſſen worden. Ariſtoteles raͤumet ihm unter allen Dichtern, in Abſicht auf das tragiſche oder traurigmachende in ſeinen Vorſtellungen, den erſten Platz ein. Er iſt in Anſehung der Groͤße in den Charaktern ſeiner han- delnden Perſonen, weit hinter dem Aeſchylus zuruͤk. Jn Anſehung der Regelmaͤßigkeit ſeiner Trauerſpiele, und der Einfalt der Vorſtellung, ſo wie in Anſehung des Großen, iſt er auch dem Sophokles nachzuſetzen. Er hat ſich wenig Muͤhe gegeben den Plan ſeiner Fa- (†) Academia Muſico-poetico bipartita oder hohe Schule der Muſicaliſchen Compoſition, erſter Theil IV Traktat 4. Capit. Y y 2

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/367>, abgerufen am 15.05.2024.