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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Fig
lungen in Betrachtung, in so fern sie in den reden-
den Künsten vorkommen, so müssen wir diese drey
Hauptgattungen der Figuren also bestimmen. Die
Figuren der Sachen, welche bey den lateinischen
Schriftstellern figurae sententiarum heißen, sind be-
sondere Formen der durch die Sprache auszudrüken-
den Sachen; dergleichen Figuren sind die Bilder,
die Vergleichung, die Gleichnisse, das Beyspiel
und
andre. Die Figuren der Ordnung sind besondere
Formen in der Anordnung der Begriffe und Wör-
ter, aus denen eine Hauptvorstellung erwächst, der-
gleichen ist das, was man mit einem griechischen
Ausdruk das #, nennt. Die Figuren
des Ausdruks
sind gewisse Formen in dem Ausdruk
der Worte,
figurae dictionis. Diese betreffen ent-
weder blos das Mechanische der Worte, da z. B.
etwa eine Sylbe weggelassen, oder eine hinzugesetzt
wird; oder sie betreffen die Mechanik der Zusam-
mensetzung der Wörter, da ganze Wörter ausgelas-
sen, oder wiederholt werden; oder sie betreffen end-
lich den Sinn und die Bedeutung der Wörter; eine
Ausrufung, eine Frage, eine Verwundrung, oder
eine Anspielung.

Wir werden von den Figuren des Ausdruks nur
beyläufig in verschiedenen Artikeln, wo die Gele-
genheit es mit sich bringt, dasjenige anmerken,
was der Redner und Dichter darüber zu bedenken
hat. Von den Tropen aber wird in einem beson-
dern Artikel gesprochen werden.

Die Erfindung der Figuren dürfen wir eben kei-
ner überlegten Kunst zuschreiben. Sie sind ver-
muthlich alle so alt als die Sprachen selbst. Der
Affekt, das Feuer des Redners, seine Begierde nach-
drüklich zu seyn, seine Begriffe sinnlich darzustellen,
und zum Theil der Mangel der Sprache, haben sie
natürlicher Weise ohne Ueberlegung hervorgebracht.
Denn eigentlich ist jede Art zu reden, jedes Wort,
in so fern es ausser seiner Bedeutung, ausser dem
Sinn, etwas an sich hat, das aus dem Affekt der
redenden Person entsteht, eine Figur.

Es wär aber eine unendliche Arbeit alle beson-
dere Figuren zu betrachten, ihre eigentliche Beschaf-
fenheit, ihren Gebrauch und Mißbrauch anzuzeigen;
denn es giebt, wie Baumgarten vielleicht zuerst an-
(*) Figu-
rarum sen-
tentiae tot,
quot Argu-
gemerkt hat, unendlich viele. (*) Man muß das
meiste, was davon könnte gelehrt werden, dem Ge-
schmak des Redenden überlassen. Jndessen haben
[Spaltenumbruch]

Fig
wie die vornehmsten Arten derselben in besondernmentorum
sunt gene-
ra. Aesth.
1. §. 27.
Quis nu-
merus
(tropo-
rum)? in-
numorabi-
lis. Ib. [II]

§. 782.

Artikeln etwas umständlicher betrachtet.

Hier erinnern wir nur überhaupt, daß sie entwe-
der zur Lebhaftigkeit des Mechanischen im Ausdruk,
oder zur Verschönerung der Vorstellung selbst, oder
zum anschauenden Erkenntnis der Sache, nothwen-
dig sind. Uebrigens ist zu wünschen, daß die mü-
hesame und schweerfällige Aufzählung und Erklärung
so sehr vieler Arten der Figuren, aus den für die
Jugend geschriebenen Rhetoriken einmal wieder ver-
bannt werden möchte. Diese Materie dienet zur
Beredsamkeit gerade so viel, als eine scholastische No-
menclatur der Ontologie zur Erweiterung der Philo-
sophie dienet. Jn der That sind die Rhetoren, die
Griechenland nach dem Verfall der wahren Bered-
samkeit in so großer Menge hervorgebracht hat, in
Absicht auf die Beredsamkeit, gerade das, was die
Scholastiker der mittlern Zeiten, in Absicht auf die
Weltweisheit. Mancher gute Kopf bekömmt einen
Ekel für die Beredsamkeit, wenn man ihn zwingt,
die verzweifelten Namen und Erklärungen aller Fi-
guren auswendig zu lernen, und ihm dabey sagt, daß
dieses zur Erlernung der Beredsamkeit gehöre.

Figur.
(Musik.)
[Spaltenumbruch]

Dieses Wort bedeutet in der Musik eine Folge von
etlichen geschwind hinter einander folgenden, in der
Höhe abwechselnden Tönen, die zu derselben Har-
monie gehören, und an deren Stelle man, wenn
man einfacher hätte singen wollen, nur einen ein-
zigen davon würde genommen haben. Den Namen
haben solche Töne vermuthlich daher, weil die No-
ten, so wie sie auf einander folgen, da sie insge-
mein durch Striche zusammen gezogen werden, aller-
hand Figuren ausmachen.

Daher heißt der figurirte Gesang derjenige, in
welchem solche Figuren vorkommen, und er wird
dem planen Choralgesang, der diese Auszierungen
nicht hat, entgegen gesetzt.

Die Figuren bestehen allemal aus der Hauptnote,
oder der, die eigentlich zur Harmonie nothwendig
erfodert wird; ferner aus andern zur Harmonie
gehörigen Noten, wie z. E. aus der Quinte oder
Sexte, wenn die Terz die Hauptnote ist; und dann
aus durchgehenden Noten.

Die-
Erster Theil. C c c

[Spaltenumbruch]

Fig
lungen in Betrachtung, in ſo fern ſie in den reden-
den Kuͤnſten vorkommen, ſo muͤſſen wir dieſe drey
Hauptgattungen der Figuren alſo beſtimmen. Die
Figuren der Sachen, welche bey den lateiniſchen
Schriftſtellern figuræ ſententiarum heißen, ſind be-
ſondere Formen der durch die Sprache auszudruͤken-
den Sachen; dergleichen Figuren ſind die Bilder,
die Vergleichung, die Gleichniſſe, das Beyſpiel
und
andre. Die Figuren der Ordnung ſind beſondere
Formen in der Anordnung der Begriffe und Woͤr-
ter, aus denen eine Hauptvorſtellung erwaͤchſt, der-
gleichen iſt das, was man mit einem griechiſchen
Ausdruk das #, nennt. Die Figuren
des Ausdruks
ſind gewiſſe Formen in dem Ausdruk
der Worte,
figuræ dictionis. Dieſe betreffen ent-
weder blos das Mechaniſche der Worte, da z. B.
etwa eine Sylbe weggelaſſen, oder eine hinzugeſetzt
wird; oder ſie betreffen die Mechanik der Zuſam-
menſetzung der Woͤrter, da ganze Woͤrter ausgelaſ-
ſen, oder wiederholt werden; oder ſie betreffen end-
lich den Sinn und die Bedeutung der Woͤrter; eine
Ausrufung, eine Frage, eine Verwundrung, oder
eine Anſpielung.

Wir werden von den Figuren des Ausdruks nur
beylaͤufig in verſchiedenen Artikeln, wo die Gele-
genheit es mit ſich bringt, dasjenige anmerken,
was der Redner und Dichter daruͤber zu bedenken
hat. Von den Tropen aber wird in einem beſon-
dern Artikel geſprochen werden.

Die Erfindung der Figuren duͤrfen wir eben kei-
ner uͤberlegten Kunſt zuſchreiben. Sie ſind ver-
muthlich alle ſo alt als die Sprachen ſelbſt. Der
Affekt, das Feuer des Redners, ſeine Begierde nach-
druͤklich zu ſeyn, ſeine Begriffe ſinnlich darzuſtellen,
und zum Theil der Mangel der Sprache, haben ſie
natuͤrlicher Weiſe ohne Ueberlegung hervorgebracht.
Denn eigentlich iſt jede Art zu reden, jedes Wort,
in ſo fern es auſſer ſeiner Bedeutung, auſſer dem
Sinn, etwas an ſich hat, das aus dem Affekt der
redenden Perſon entſteht, eine Figur.

Es waͤr aber eine unendliche Arbeit alle beſon-
dere Figuren zu betrachten, ihre eigentliche Beſchaf-
fenheit, ihren Gebrauch und Mißbrauch anzuzeigen;
denn es giebt, wie Baumgarten vielleicht zuerſt an-
(*) Figu-
rarum ſen-
tentiæ tot,
quot Argu-
gemerkt hat, unendlich viele. (*) Man muß das
meiſte, was davon koͤnnte gelehrt werden, dem Ge-
ſchmak des Redenden uͤberlaſſen. Jndeſſen haben
[Spaltenumbruch]

Fig
wie die vornehmſten Arten derſelben in beſondernmentorum
ſunt gene-
ra. Aeſth.
1. §. 27.
Quis nu-
merus
(tropo-
rum)? in-
numorabi-
lis. Ib. [II]

§. 782.

Artikeln etwas umſtaͤndlicher betrachtet.

Hier erinnern wir nur uͤberhaupt, daß ſie entwe-
der zur Lebhaftigkeit des Mechaniſchen im Ausdruk,
oder zur Verſchoͤnerung der Vorſtellung ſelbſt, oder
zum anſchauenden Erkenntnis der Sache, nothwen-
dig ſind. Uebrigens iſt zu wuͤnſchen, daß die muͤ-
heſame und ſchweerfaͤllige Aufzaͤhlung und Erklaͤrung
ſo ſehr vieler Arten der Figuren, aus den fuͤr die
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bannt werden moͤchte. Dieſe Materie dienet zur
Beredſamkeit gerade ſo viel, als eine ſcholaſtiſche No-
menclatur der Ontologie zur Erweiterung der Philo-
ſophie dienet. Jn der That ſind die Rhetoren, die
Griechenland nach dem Verfall der wahren Bered-
ſamkeit in ſo großer Menge hervorgebracht hat, in
Abſicht auf die Beredſamkeit, gerade das, was die
Scholaſtiker der mittlern Zeiten, in Abſicht auf die
Weltweisheit. Mancher gute Kopf bekoͤmmt einen
Ekel fuͤr die Beredſamkeit, wenn man ihn zwingt,
die verzweifelten Namen und Erklaͤrungen aller Fi-
guren auswendig zu lernen, und ihm dabey ſagt, daß
dieſes zur Erlernung der Beredſamkeit gehoͤre.

Figur.
(Muſik.)
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Dieſes Wort bedeutet in der Muſik eine Folge von
etlichen geſchwind hinter einander folgenden, in der
Hoͤhe abwechſelnden Toͤnen, die zu derſelben Har-
monie gehoͤren, und an deren Stelle man, wenn
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zigen davon wuͤrde genommen haben. Den Namen
haben ſolche Toͤne vermuthlich daher, weil die No-
ten, ſo wie ſie auf einander folgen, da ſie insge-
mein durch Striche zuſammen gezogen werden, aller-
hand Figuren ausmachen.

Daher heißt der figurirte Geſang derjenige, in
welchem ſolche Figuren vorkommen, und er wird
dem planen Choralgeſang, der dieſe Auszierungen
nicht hat, entgegen geſetzt.

Die Figuren beſtehen allemal aus der Hauptnote,
oder der, die eigentlich zur Harmonie nothwendig
erfodert wird; ferner aus andern zur Harmonie
gehoͤrigen Noten, wie z. E. aus der Quinte oder
Sexte, wenn die Terz die Hauptnote iſt; und dann
aus durchgehenden Noten.

Die-
Erſter Theil. C c c
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[385/0397] Fig Fig lungen in Betrachtung, in ſo fern ſie in den reden- den Kuͤnſten vorkommen, ſo muͤſſen wir dieſe drey Hauptgattungen der Figuren alſo beſtimmen. Die Figuren der Sachen, welche bey den lateiniſchen Schriftſtellern figuræ ſententiarum heißen, ſind be- ſondere Formen der durch die Sprache auszudruͤken- den Sachen; dergleichen Figuren ſind die Bilder, die Vergleichung, die Gleichniſſe, das Beyſpiel und andre. Die Figuren der Ordnung ſind beſondere Formen in der Anordnung der Begriffe und Woͤr- ter, aus denen eine Hauptvorſtellung erwaͤchſt, der- gleichen iſt das, was man mit einem griechiſchen Ausdruk das #, nennt. Die Figuren des Ausdruks ſind gewiſſe Formen in dem Ausdruk der Worte, figuræ dictionis. Dieſe betreffen ent- weder blos das Mechaniſche der Worte, da z. B. etwa eine Sylbe weggelaſſen, oder eine hinzugeſetzt wird; oder ſie betreffen die Mechanik der Zuſam- menſetzung der Woͤrter, da ganze Woͤrter ausgelaſ- ſen, oder wiederholt werden; oder ſie betreffen end- lich den Sinn und die Bedeutung der Woͤrter; eine Ausrufung, eine Frage, eine Verwundrung, oder eine Anſpielung. Wir werden von den Figuren des Ausdruks nur beylaͤufig in verſchiedenen Artikeln, wo die Gele- genheit es mit ſich bringt, dasjenige anmerken, was der Redner und Dichter daruͤber zu bedenken hat. Von den Tropen aber wird in einem beſon- dern Artikel geſprochen werden. Die Erfindung der Figuren duͤrfen wir eben kei- ner uͤberlegten Kunſt zuſchreiben. Sie ſind ver- muthlich alle ſo alt als die Sprachen ſelbſt. Der Affekt, das Feuer des Redners, ſeine Begierde nach- druͤklich zu ſeyn, ſeine Begriffe ſinnlich darzuſtellen, und zum Theil der Mangel der Sprache, haben ſie natuͤrlicher Weiſe ohne Ueberlegung hervorgebracht. Denn eigentlich iſt jede Art zu reden, jedes Wort, in ſo fern es auſſer ſeiner Bedeutung, auſſer dem Sinn, etwas an ſich hat, das aus dem Affekt der redenden Perſon entſteht, eine Figur. Es waͤr aber eine unendliche Arbeit alle beſon- dere Figuren zu betrachten, ihre eigentliche Beſchaf- fenheit, ihren Gebrauch und Mißbrauch anzuzeigen; denn es giebt, wie Baumgarten vielleicht zuerſt an- gemerkt hat, unendlich viele. (*) Man muß das meiſte, was davon koͤnnte gelehrt werden, dem Ge- ſchmak des Redenden uͤberlaſſen. Jndeſſen haben wie die vornehmſten Arten derſelben in beſondern Artikeln etwas umſtaͤndlicher betrachtet. (*) Figu- rarum ſen- tentiæ tot, quot Argu- mentorum ſunt gene- ra. Aeſth. 1. §. 27. Quis nu- merus (tropo- rum)? in- numorabi- lis. Ib. II §. 782. Hier erinnern wir nur uͤberhaupt, daß ſie entwe- der zur Lebhaftigkeit des Mechaniſchen im Ausdruk, oder zur Verſchoͤnerung der Vorſtellung ſelbſt, oder zum anſchauenden Erkenntnis der Sache, nothwen- dig ſind. Uebrigens iſt zu wuͤnſchen, daß die muͤ- heſame und ſchweerfaͤllige Aufzaͤhlung und Erklaͤrung ſo ſehr vieler Arten der Figuren, aus den fuͤr die Jugend geſchriebenen Rhetoriken einmal wieder ver- bannt werden moͤchte. Dieſe Materie dienet zur Beredſamkeit gerade ſo viel, als eine ſcholaſtiſche No- menclatur der Ontologie zur Erweiterung der Philo- ſophie dienet. Jn der That ſind die Rhetoren, die Griechenland nach dem Verfall der wahren Bered- ſamkeit in ſo großer Menge hervorgebracht hat, in Abſicht auf die Beredſamkeit, gerade das, was die Scholaſtiker der mittlern Zeiten, in Abſicht auf die Weltweisheit. Mancher gute Kopf bekoͤmmt einen Ekel fuͤr die Beredſamkeit, wenn man ihn zwingt, die verzweifelten Namen und Erklaͤrungen aller Fi- guren auswendig zu lernen, und ihm dabey ſagt, daß dieſes zur Erlernung der Beredſamkeit gehoͤre. Figur. (Muſik.) Dieſes Wort bedeutet in der Muſik eine Folge von etlichen geſchwind hinter einander folgenden, in der Hoͤhe abwechſelnden Toͤnen, die zu derſelben Har- monie gehoͤren, und an deren Stelle man, wenn man einfacher haͤtte ſingen wollen, nur einen ein- zigen davon wuͤrde genommen haben. Den Namen haben ſolche Toͤne vermuthlich daher, weil die No- ten, ſo wie ſie auf einander folgen, da ſie insge- mein durch Striche zuſammen gezogen werden, aller- hand Figuren ausmachen. Daher heißt der figurirte Geſang derjenige, in welchem ſolche Figuren vorkommen, und er wird dem planen Choralgeſang, der dieſe Auszierungen nicht hat, entgegen geſetzt. Die Figuren beſtehen allemal aus der Hauptnote, oder der, die eigentlich zur Harmonie nothwendig erfodert wird; ferner aus andern zur Harmonie gehoͤrigen Noten, wie z. E. aus der Quinte oder Sexte, wenn die Terz die Hauptnote iſt; und dann aus durchgehenden Noten. Die- Erſter Theil. C c c

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/397>, abgerufen am 22.11.2024.