Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Fle Fli so lang man nicht den erwünschten Erfolg davonsieht, sie durch neue Beobachtungen zu verbessern suchen. Dieses ist vermuthlich der einzige Weg in diesem Theile der Kunst zur Vollkommenheit zu ge- langen. Laireße hat über die Fleischung, wie über ver- Fließend. (Schöne Künste.) Dasjenige, was unsre Vorstellungskraft ohne Das Fließende ist demnach dem Holprigen und Das Fließende hat ausser der Leichtigkeit auch Fli Flo nach und nach bis zum sanften Reitz fortziehenkann. Und hieraus ist zu sehen, daß das Fließende nur in denen Werken, oder Theilen der Werke statt hat, welche allmählig auf das Gemüthe würken sollen. Es wäre ein Fehler in den Werken, die uns über- raschen, fortreißen, oder überhaupt in starke und lebhafte Empfindungen setzen sollen. Es ist eine wesentliche Eigenschaft des blos Angenehmen und Sanftreitzenden. Stille, wiewol tiefsitzende Lei- denschaften, liebliche Vorstellungen der Phantasie, müssen auf eine fließende Art behandelt werden, eben so wie das, was man Unterhaltend und Ergötzend nennt. Virgil ist in den angenehmen Scenen, die er be- Es ist ein Zeichen eines schwachen Genies, oder Es erfodert aber einen Reichthum der Gedanken, Florentinische Schule. Die Stadt Florenz ist schon seit vielen Jahrhun- Man muß die ganz alte florentinische Schule von welche
[Spaltenumbruch] Fle Fli ſo lang man nicht den erwuͤnſchten Erfolg davonſieht, ſie durch neue Beobachtungen zu verbeſſern ſuchen. Dieſes iſt vermuthlich der einzige Weg in dieſem Theile der Kunſt zur Vollkommenheit zu ge- langen. Laireße hat uͤber die Fleiſchung, wie uͤber ver- Fließend. (Schoͤne Kuͤnſte.) Dasjenige, was unſre Vorſtellungskraft ohne Das Fließende iſt demnach dem Holprigen und Das Fließende hat auſſer der Leichtigkeit auch Fli Flo nach und nach bis zum ſanften Reitz fortziehenkann. Und hieraus iſt zu ſehen, daß das Fließende nur in denen Werken, oder Theilen der Werke ſtatt hat, welche allmaͤhlig auf das Gemuͤthe wuͤrken ſollen. Es waͤre ein Fehler in den Werken, die uns uͤber- raſchen, fortreißen, oder uͤberhaupt in ſtarke und lebhafte Empfindungen ſetzen ſollen. Es iſt eine weſentliche Eigenſchaft des blos Angenehmen und Sanftreitzenden. Stille, wiewol tiefſitzende Lei- denſchaften, liebliche Vorſtellungen der Phantaſie, muͤſſen auf eine fließende Art behandelt werden, eben ſo wie das, was man Unterhaltend und Ergoͤtzend nennt. Virgil iſt in den angenehmen Scenen, die er be- Es iſt ein Zeichen eines ſchwachen Genies, oder Es erfodert aber einen Reichthum der Gedanken, Florentiniſche Schule. Die Stadt Florenz iſt ſchon ſeit vielen Jahrhun- Man muß die ganz alte florentiniſche Schule von welche
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Fle Fli
Fli Flo
ſo lang man nicht den erwuͤnſchten Erfolg davon
ſieht, ſie durch neue Beobachtungen zu verbeſſern
ſuchen. Dieſes iſt vermuthlich der einzige Weg in
dieſem Theile der Kunſt zur Vollkommenheit zu ge-
langen.
Laireße hat uͤber die Fleiſchung, wie uͤber ver-
ſchiedene andre Zweige der Kunſt, Regeln gegeben,
die dem, deſſen Genie ſonſt fuͤr dieſen Theil der Kunſt
die gehoͤrige Wendung hat, das Studium etwas
erleichtern koͤnnten. Aber alle Regeln, die man
nicht ſelbſt entdeket, oder deren Gruͤndlichkeit man
nicht durch eigenes Nachdenken einſieht, koͤnnen
hier nichts helfen.
Fließend.
(Schoͤne Kuͤnſte.)
Dasjenige, was unſre Vorſtellungskraft ohne
alle Aufhaltung und Hinternis in einem gleichen
Grad der Staͤrke unterhaͤlt. Der Ausdruk iſt von
einem ſanft fortfließenden Waſſer genommen, deſ-
ſen maͤßige Geſchwindigkeit uͤberall gleich iſt. Man
ſagt von einer gebundenen, oder ungebundenen
Rede, ſie ſey fließend, wenn ſie wie ein ſanfter
Strohm ſo fortgeht, daß weder das Ohr, noch
die innern Sinnen einmal merklich ſtaͤrker, als das
andre gereitzt werden, wenn alles leicht auf einander
folgt, daß man in ſeinen Vorſtellungen, ohne merk-
liche Unterbrechungen, und erneuerte oder veraͤn-
derte Aufmerkſamkeit, ſanft fortgefuͤhrt wird. Auf
eine aͤhnliche Art iſt ein fließendes Tonſtuͤk beſchaffen,
oder eine fließende Melodie, wenn alles ungezwun-
gen, ohne ſchnelle Veraͤnderungen in unſern Vor-
ſtellungen hinter einander folget. Man nennt auch
eine Zeichnung fließend, wenn die Umriſſe ohne
Unterbrechung, ohne ſtarke oder ſchnelle Wendun-
gen, ohne Zwang, in angenehmen Kruͤmmungen
fortgehen.
Das Fließende iſt demnach dem Holprigen und
Rauen gerade entgegen geſetzt, wobey die Aufmerk-
ſamkeit alle Augenblik anſtoͤßt, eine Weile gehemmt,
oder verſtaͤrkt wird. Auch das Feurige und Leb-
hafte, und das wilde Rauſchende, ſind dem Fließen-
den einigermaaßen entgegen.
Das Fließende hat auſſer der Leichtigkeit auch
die Wuͤrkung, daß es das Gemuͤth nur ſanft an-
greift, angenehm aber faſt unvermerkt von einer
Vorſtellung zur andern fortfuͤhret, und uns in ſtil-
ler Betrachtung einwieget, wiewol es uns auch
nach und nach bis zum ſanften Reitz fortziehen
kann. Und hieraus iſt zu ſehen, daß das Fließende
nur in denen Werken, oder Theilen der Werke ſtatt
hat, welche allmaͤhlig auf das Gemuͤthe wuͤrken ſollen.
Es waͤre ein Fehler in den Werken, die uns uͤber-
raſchen, fortreißen, oder uͤberhaupt in ſtarke und
lebhafte Empfindungen ſetzen ſollen. Es iſt eine
weſentliche Eigenſchaft des blos Angenehmen und
Sanftreitzenden. Stille, wiewol tiefſitzende Lei-
denſchaften, liebliche Vorſtellungen der Phantaſie,
muͤſſen auf eine fließende Art behandelt werden, eben
ſo wie das, was man Unterhaltend und Ergoͤtzend
nennt.
Virgil iſt in den angenehmen Scenen, die er be-
ſchreibt, Ovidius und Euripides in ſanften Affekten
und angenehmen Gemaͤhlden, Phaͤdrus und La Fon-
taine in ihren Fabeln Fließend. Grauns meiſte Me-
lodien ſind Muſter des Fließenden.
Es iſt ein Zeichen eines ſchwachen Genies, oder
eines verdorbenen Geſchmaks, wenn man in Wer-
ken der Kunſt alles Fließend verlangt; denn auf
dieſe Weiſe koͤnnten die groͤßten Wuͤrkungen ofte
nicht erhalten werden. Vielmehr iſt das Fließende
gar oft ein Fehler. Es waͤre laͤcherlich, wenn ein
Redner bey Vorſtellung einer nahen Gefahr das
Fließende in ſeiner Rede ſuchen wollte. Es iſt
allen heftigen und ſtrengen Leidenſchaften gaͤnzlich
entgegen.
Es erfodert aber einen Reichthum der Gedanken,
eine Kunſt ſeine Vorſtellungen auf alle Seiten um-
zuwenden, eine Fertigkeit in allen Wendungen,
und feine Sinnen, um das Fließende zu erreichen.
Florentiniſche Schule.
Die Stadt Florenz iſt ſchon ſeit vielen Jahrhun-
derten ein vorzuͤglicher Sitz der zeichnenden Kuͤnſte;
ſie hat in allen Zweigen der Kunſt eine ſo betraͤcht-
liche Anzahl großer Maͤnner beſeſſen, Bildhauer,
Stein- und Stempelſchneider und Mahler, daß
keine andre Stadt ihr in dieſem Stuͤk den Vorzug
ſtreitig machen kann.
Man muß die ganz alte florentiniſche Schule von
der neuen unterſcheiden. Schon im dreyzehnten
Jahrhundert haben die Kuͤnſte in dieſer Stadt ge-
bluͤht. Der Rath ließ verſchiedene Kuͤnſtler aus
Griechenland kommen, welche ſich in Florenz nie-
dergelaſſen und daſelbſt Schuͤler gezogen haben, durch
welche
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