Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch]
Fri Fro Der Fries schikt sich auch sehr wol zu Aufschrif- Frostig. (Schöne Künste.) Jn dem critischen Werk, das von vielen dem De- Fro Plutarchus rechnet folgenden übertriebenen Ein- -- -- si novi Herculem,(*) Her- cules fur. vs 642. Das Frostige ist einer der schlimmsten Fehler in den Der allgemeine Grund alles Frostigen ist der Erstlich, wenn man sich einbildet, durch blos Zweytens, wenn figürliche Redensarten, Tropen Drittens, bey übel angewandtem oder übertrie- Nicht
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Fri Fro Der Fries ſchikt ſich auch ſehr wol zu Aufſchrif- Froſtig. (Schoͤne Kuͤnſte.) Jn dem critiſchen Werk, das von vielen dem De- Fro Plutarchus rechnet folgenden uͤbertriebenen Ein- — — ſi novi Herculem,(*) Her- cules fur. vs 642. Das Froſtige iſt einer der ſchlimmſten Fehler in den Der allgemeine Grund alles Froſtigen iſt der Erſtlich, wenn man ſich einbildet, durch blos Zweytens, wenn figuͤrliche Redensarten, Tropen Drittens, bey uͤbel angewandtem oder uͤbertrie- Nicht
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0418" n="406"/> <cb/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Fri Fro</hi> </fw><lb/> <p>Der Fries ſchikt ſich auch ſehr wol zu Aufſchrif-<lb/> ten. So ſind an der <hi rendition="#fr">Rotonda</hi> in Rom, und an<lb/> dem berliniſchen Opernhaus, an dem Fries der<lb/><hi rendition="#fr">Halle,</hi> die Aufſchriften. Bisweilen werden auch<lb/> ovalrunde Oefnungen, die man <hi rendition="#fr">Ochſenaugen</hi> nennt,<lb/> darin angebracht, um kleinen, uͤber den Hauptzim-<lb/> mern liegenden Kammern, dadurch Licht zu geben.<lb/> Sie koͤnnten auch vierekigt, wie die Metopen am<lb/> doriſchen Fries, gemacht werden, und ſind um ſo<lb/> viel ſchiklicher, da ſie den offenen Raum zwiſchen<lb/> zwey Balken vorſtellen. Dergleichen kleine Fenſter<lb/> in dem Fries geben die natuͤrlichſte Gelegenheit,<lb/> kleine Zwiſchenkammern, oder ſo genannte <hi rendition="#fr">Entre-<lb/> ſols,</hi> uͤber großen Zimmern anzubringen. Denn<lb/> dieſe Fenſter in den Unterbalken zu bringen, wie<lb/> in dem Koͤnigl. Schloß in Berlin geſchehen, iſt ein<lb/> hoͤchſt beleidigender Fehler, weil der Unterbalken,<lb/> ſeiner Natur nach, ſchlechterdings gerad und ganz<lb/><note place="left">(*) S. Un-<lb/> terbalten.</note>ſeyn muß (*).</p> </div><lb/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Froſtig.</hi><lb/> (Schoͤne Kuͤnſte.)</head><lb/> <p><hi rendition="#in">J</hi>n dem critiſchen Werk, das von vielen dem De-<lb/> metrius Phaleraͤus zugeſchrieben wird, findet man<lb/> folgende Erklaͤrung des Froſtigen, die dem Theo-<lb/> phraſtus zugeſchrieben wird, angefuͤhrt. <hi rendition="#fr">Froſtig<lb/> iſt dasjenige, was die eigentliche Beſchaffenheit ſei-<lb/> ner Art uͤberſchreitet.</hi> Dieſes ſcheinet aber mehr<lb/> auf das Uebertriebene zu paſſen, das in der That<lb/> bisweilen froſtig iſt. Eigentlich iſt dasjenige Froſtig,<lb/> was durch die uͤbertriebene oder falſche Veranſtal-<lb/> tung, die Art der Kraft, die man ihm hat geben<lb/> wollen, ganz verliert; wenn das, was man hat<lb/> erheben wollen, durch die Mittel, die man dazu<lb/> braucht, niedrig und platt wird; wenn das, was<lb/> Schrekhaft ſeyn ſollte, durch die Veranſtaltung Laͤ-<lb/> cherlich, das Laͤcherliche abgeſchmakt oder verdruͤßlich<lb/> wird. So wie der, der zu viel beweiſt, eigentlich<lb/> gar nichts beweiſt, ſo wird auch zu viel falſche,<lb/> aͤſthetiſche Kraft voͤllig unkraͤftig, oder Froſtig.<lb/> Ueberhaupt ſcheinet alles, was unzeitig gegen die<lb/> Abſicht vergroͤßert, oder verſchoͤnert wird, auch<lb/> alles, was einen falſchen Schein hat; aller falſche,<lb/> uͤbertriebene und unzeitige Witz, ins Froſtige zu<lb/> fallen. Der oben angefuͤhrte unbekannte Schrift-<lb/> ſteller ſagt ganz artig, das Froſtige gleiche einem<lb/> Prahler, der ſich ruͤhmet, Dinge zu beſitzen, die<lb/> er nicht hat.</p><lb/> <cb/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Fro</hi> </fw><lb/> <p>Plutarchus rechnet folgenden uͤbertriebenen Ein-<lb/> fall unter das hoͤchſt Froſtige. Weil der Tempel der<lb/> Diana zu Epheſus an eben dem Tag abgebrannt<lb/> war, an welchem Alexander gebohren worden, hatte<lb/> hernach ein Witzling den Einfall, die Goͤttin habe<lb/> den Tempel nicht loͤſchen koͤnnen, weil ſie zu viel<lb/> mit des Helden Gebuhrt zu thun gehabt habe.<lb/> Froſtig iſt bey Shakesſpear der Gedanke des Laer-<lb/> tes, der auf die Nachricht, daß ſeine Schweſter ſich<lb/> erſaͤuft habe, ſagt: da ſie zu viel Waſſer habe, wolle<lb/> er es durch ſeine Thraͤnen nicht noch vermehren (*).<note place="right">(*) im<lb/> Hamlet.</note><lb/> Froſtig iſt dieſes, das Seneka dem Theſeus in den<lb/> Mund legt</p><lb/> <cit> <quote>— — <hi rendition="#aq">ſi novi Herculem,<lb/> Lycus Creonti debitas poenas dabit.<lb/> Lentum eſt, dabit; dat: hoc quoque eſt<lb/> lentum; dedit</hi> (*).</quote> </cit> <note place="right">(*) <hi rendition="#aq">Her-<lb/> cules fur.<lb/> vs</hi> 642.</note><lb/> <p>Das Froſtige iſt einer der ſchlimmſten Fehler in den<lb/> Werken des Geſchmaks, weil es ſehr beleidiget. 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Dieſer allgemeine<note place="right">(*) Cap.<lb/><hi rendition="#aq">III.</hi></note><lb/> Mangel der Beurtheilung wird auf verſchiedene<lb/> Weiſe eine Quelle des Froſtigen.</p><lb/> <p>Erſtlich, wenn man ſich einbildet, durch blos<lb/> aͤuſſerliche Mittel, die den Sachen nicht einmal an-<lb/> gemeſſen ſind, ihnen Kraft zu geben, als; wenn<lb/> man gemeine Gedanken durch hohe Worte, oder<lb/> durch einen hochtrabenden Ton erheben wollte.</p><lb/> <p>Zweytens, wenn figuͤrliche Redensarten, Tropen<lb/> und Bilder, wodurch die Sachen lebhafter ſollten<lb/> gemacht werden, da, wo ſie gebraucht werden,<lb/> nicht paſſen.</p><lb/> <p>Drittens, bey uͤbel angewandtem oder uͤbertrie-<lb/> benem Leidenſchaftlichen; wenn man gleichguͤltigen<lb/> Dingen einen Anſtrich des Ernfthaften, oder Trau-<lb/> rigen, oder Luſtigen geben will, oder wenn uͤber-<lb/> haupt dieſes Leidenſchaftliche blos aus Verſtellung,<lb/> und nicht aus wuͤrklicher Empfindung herkoͤmmt.</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Nicht</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [406/0418]
Fri Fro
Fro
Der Fries ſchikt ſich auch ſehr wol zu Aufſchrif-
ten. So ſind an der Rotonda in Rom, und an
dem berliniſchen Opernhaus, an dem Fries der
Halle, die Aufſchriften. Bisweilen werden auch
ovalrunde Oefnungen, die man Ochſenaugen nennt,
darin angebracht, um kleinen, uͤber den Hauptzim-
mern liegenden Kammern, dadurch Licht zu geben.
Sie koͤnnten auch vierekigt, wie die Metopen am
doriſchen Fries, gemacht werden, und ſind um ſo
viel ſchiklicher, da ſie den offenen Raum zwiſchen
zwey Balken vorſtellen. Dergleichen kleine Fenſter
in dem Fries geben die natuͤrlichſte Gelegenheit,
kleine Zwiſchenkammern, oder ſo genannte Entre-
ſols, uͤber großen Zimmern anzubringen. Denn
dieſe Fenſter in den Unterbalken zu bringen, wie
in dem Koͤnigl. Schloß in Berlin geſchehen, iſt ein
hoͤchſt beleidigender Fehler, weil der Unterbalken,
ſeiner Natur nach, ſchlechterdings gerad und ganz
ſeyn muß (*).
(*) S. Un-
terbalten.
Froſtig.
(Schoͤne Kuͤnſte.)
Jn dem critiſchen Werk, das von vielen dem De-
metrius Phaleraͤus zugeſchrieben wird, findet man
folgende Erklaͤrung des Froſtigen, die dem Theo-
phraſtus zugeſchrieben wird, angefuͤhrt. Froſtig
iſt dasjenige, was die eigentliche Beſchaffenheit ſei-
ner Art uͤberſchreitet. Dieſes ſcheinet aber mehr
auf das Uebertriebene zu paſſen, das in der That
bisweilen froſtig iſt. Eigentlich iſt dasjenige Froſtig,
was durch die uͤbertriebene oder falſche Veranſtal-
tung, die Art der Kraft, die man ihm hat geben
wollen, ganz verliert; wenn das, was man hat
erheben wollen, durch die Mittel, die man dazu
braucht, niedrig und platt wird; wenn das, was
Schrekhaft ſeyn ſollte, durch die Veranſtaltung Laͤ-
cherlich, das Laͤcherliche abgeſchmakt oder verdruͤßlich
wird. So wie der, der zu viel beweiſt, eigentlich
gar nichts beweiſt, ſo wird auch zu viel falſche,
aͤſthetiſche Kraft voͤllig unkraͤftig, oder Froſtig.
Ueberhaupt ſcheinet alles, was unzeitig gegen die
Abſicht vergroͤßert, oder verſchoͤnert wird, auch
alles, was einen falſchen Schein hat; aller falſche,
uͤbertriebene und unzeitige Witz, ins Froſtige zu
fallen. Der oben angefuͤhrte unbekannte Schrift-
ſteller ſagt ganz artig, das Froſtige gleiche einem
Prahler, der ſich ruͤhmet, Dinge zu beſitzen, die
er nicht hat.
Plutarchus rechnet folgenden uͤbertriebenen Ein-
fall unter das hoͤchſt Froſtige. Weil der Tempel der
Diana zu Epheſus an eben dem Tag abgebrannt
war, an welchem Alexander gebohren worden, hatte
hernach ein Witzling den Einfall, die Goͤttin habe
den Tempel nicht loͤſchen koͤnnen, weil ſie zu viel
mit des Helden Gebuhrt zu thun gehabt habe.
Froſtig iſt bey Shakesſpear der Gedanke des Laer-
tes, der auf die Nachricht, daß ſeine Schweſter ſich
erſaͤuft habe, ſagt: da ſie zu viel Waſſer habe, wolle
er es durch ſeine Thraͤnen nicht noch vermehren (*).
Froſtig iſt dieſes, das Seneka dem Theſeus in den
Mund legt
(*) im
Hamlet.
— — ſi novi Herculem,
Lycus Creonti debitas poenas dabit.
Lentum eſt, dabit; dat: hoc quoque eſt
lentum; dedit (*).
Das Froſtige iſt einer der ſchlimmſten Fehler in den
Werken des Geſchmaks, weil es ſehr beleidiget. Das
parturiunt montes, hat immer dabey ſtatt; man
wird boͤs auf den Kuͤnſtler, und kehrt das Auge
von ſeinem Werke weg. Alſo iſt kaum ein Fehler,
vor dem man ſich ſorgfaͤltiger in Acht zu nehmen
habe. Deswegen hat Ariſtoteles in ſeiner Rhetorik
einen eigenen Abſchnitt, um die Urſachen des Froſti-
gen zu unterſuchen.
Der allgemeine Grund alles Froſtigen iſt der
Mangel der Beurtheilungskraft, bey der Begierde
etwas auſſerordentliches und beſonders kraͤftiges her-
vorzubringen. Was Longinus hieruͤber ſagt, ver-
dient erwogen zu werden (*). Dieſer allgemeine
Mangel der Beurtheilung wird auf verſchiedene
Weiſe eine Quelle des Froſtigen.
(*) Cap.
III.
Erſtlich, wenn man ſich einbildet, durch blos
aͤuſſerliche Mittel, die den Sachen nicht einmal an-
gemeſſen ſind, ihnen Kraft zu geben, als; wenn
man gemeine Gedanken durch hohe Worte, oder
durch einen hochtrabenden Ton erheben wollte.
Zweytens, wenn figuͤrliche Redensarten, Tropen
und Bilder, wodurch die Sachen lebhafter ſollten
gemacht werden, da, wo ſie gebraucht werden,
nicht paſſen.
Drittens, bey uͤbel angewandtem oder uͤbertrie-
benem Leidenſchaftlichen; wenn man gleichguͤltigen
Dingen einen Anſtrich des Ernfthaften, oder Trau-
rigen, oder Luſtigen geben will, oder wenn uͤber-
haupt dieſes Leidenſchaftliche blos aus Verſtellung,
und nicht aus wuͤrklicher Empfindung herkoͤmmt.
Nicht
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