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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Gro

Wenn also die schönen Künste, wie man nicht
zweifeln kann, das Jhrige zur Bildung des Charak-
ters der Menschen beytragen sollen, so ist auch
offenbar, daß dieses vorzüglich durch solche Werke
geschehen müsse, die so wol in ihrem Jnhalt, als in
der Behandlung, den Charakter der Größe an sich
haben; daß nur die Künstler, die darauf arbeiten alle
Kräfte der Seele in beständiger Uebung zu unter-
halten, die Erwartung der Philosophie und der
wahren Politik erfüllen, welche die schönen Künste zu
(*) S.
Küaste.
ihrem Beystand herbeyrufen. (*) Nicht die Feinheit
des Geschmaks, sondern seine Größe ist das, worauf
die Critik vorzüglich arbeiten sollte. Jene dienet zu
einer angenehmen Erholung, wenn der Geist nach
einer männlichen Uebung seiner Kräfte einiger Ruhe
bedarf. Beydes ist gut, wenn nur die gehörige
Unterordnung dabey beobachtet wird. Der Künst-
ler sollte sich die besten Baumeister zum Muster neh-
men, die das Feine und das Kleine zwar nicht ver-
achten, aber nur sparsam, und an den Stellen an-
bringen, wo es das Aug von dem Großen nicht ab-
ziehen kanu.

Groteske.
(Zeichnende Künste.)

So nennt man eine besondere seltsame und phan-
tastische Gattung der mahlerischen Verzierungen ge-
wisser Zimmer. Das Groteske besteht aus kleinen
Figuren von Menschen und Thieren, mit Blumen
und Laubwerk so verflochten, daß man darin das
Thier und Pflanzenreich in einander verflossen an-
trifft; Menschen und Thiere, die aus den Knospen
der Pflanzen hervorwachsen, halb Thier und halb
Pflanzen sind. Man hat dergleichen in alten Grot-
ten in Rom angetroffen. Joh. von Udine soll sie
zuerst in den Ruinen der Bäder des Titus gefun-
den haben. Vitruvius erwähnet dieser seltsamen
(*) Lib.
VII. c.
5.
Art zu mahlen (*), und klagt über den schlechten
Geschmak, der dergleichen phantastischen Dinge her-
vorgebracht hat. Sie überrascht, wie ein aben-
theuerlicher Traum, durch die ausschweiffende Ver-
bindung solcher Dinge, die keine natürliche Verbin-
dung unter einander haben: sie kann doch eine
Zeitlang gefallen, wie etwa ein tolles Geschwätz eines
sich närrisch anstellenden Menschen, wegen der aus-
serordentlich seltsamen Verbindung der Begriffe, la-
chen macht. Es gehört also überhaupt in die Gat-
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Gro
tung des Lächerlichen und Abentheuerlichen, das
nicht schlechterdings zu verwersen ist.

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß das Groteske
schon in ganz alten Zeiten in Aegypten aufgekom-
men sey. So viel ich mich erinnere, erwähnt der
zwar nicht sehr zuverläßige Reisebeschreiber Lucas,
daß er solche in alten ägyptischen Ruinen angetrof-
fen habe. Nach der vorher erwähnten Entdekung
der alten Grotesken haben auch die Neuern sie wie-
der in die Mahlerey aufgenommen. Der erwähnte
Joh. von Udino und Per. del Vaga haben in der Gal-
lerie des Vatikans, die wegen der darin befindlichen
Gemählde die Bibel des Raphaels genennt wird,
dergleichen Verzierungen angebracht, die Raphael
selbst soll gezeichnet haben. Aber der Graf Caylus,
der etwas von den antiken Grotesken, nach den Ori-
ginalen gezeichnet und illuminirt, herausgegeben
hat, (*) hält sie für Copeyen derer, die in den Bä-(*) Re-
cueil de
peintures
antiques-
Presace.

dern des Titus gefunden worden.

Die Chineser haben ihre besondere Art des Gro-
tesken, das noch abentheuerlicher ist, als das Antike,
indem sie auch Gebäude und Landschaften, als in
der Luft schwebend, oder wie aus Bäumen heraus-
wachsend vorstellen.

Grotte.
(Baukunst.)

Gebäude, die in Gärten angebracht werden und die
aus Nachahmung natürlicher Hölen, die bisweilen
in den Gebürgen angetroffen werden, entstanden
sind. Die natürlichen Grotten oder Berghölen,
gehören unter die Seltenheiten der Natur, die man
mit Vergnügen und einiger Verwundrung sieht:
und da die Gärten eine Nachahmung würklicher Ge-
genden seyn sollen (*), so stehen die künstlichen(*) S.
Garteus
kunst.

Grotten allerdings, wenn sie nur am rechten Ort
angebracht und wol erfunden sind, sehr gut darin.
Aber wie überhaupt ein allzugekünstelter Geschmak
die Gartenkunst mehr, als irgend eine andre Kunst,
verdorben hat, so verdienen auch die wenigsten Grot-
ten einige Aufmerksamkeit. Die erste Eigenschaft
der Grotte ist, daß sie natürlich sey. Wenn man
also schon von außen anstatt großer und roher Fel-
sen, so wie sie in Wildnissen angetroffen werden,
zierlich ausgehauene Säulen, und nach den Regeln
der Kunst gemachte Gesimse und andre Zierrathen
der Baukunst antrifft, so verschwindet so gleich der
Begriff der natürlichen Grotte. Findet man aber

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Gro

Wenn alſo die ſchoͤnen Kuͤnſte, wie man nicht
zweifeln kann, das Jhrige zur Bildung des Charak-
ters der Menſchen beytragen ſollen, ſo iſt auch
offenbar, daß dieſes vorzuͤglich durch ſolche Werke
geſchehen muͤſſe, die ſo wol in ihrem Jnhalt, als in
der Behandlung, den Charakter der Groͤße an ſich
haben; daß nur die Kuͤnſtler, die darauf arbeiten alle
Kraͤfte der Seele in beſtaͤndiger Uebung zu unter-
halten, die Erwartung der Philoſophie und der
wahren Politik erfuͤllen, welche die ſchoͤnen Kuͤnſte zu
(*) S.
Kuͤaſte.
ihrem Beyſtand herbeyrufen. (*) Nicht die Feinheit
des Geſchmaks, ſondern ſeine Groͤße iſt das, worauf
die Critik vorzuͤglich arbeiten ſollte. Jene dienet zu
einer angenehmen Erholung, wenn der Geiſt nach
einer maͤnnlichen Uebung ſeiner Kraͤfte einiger Ruhe
bedarf. Beydes iſt gut, wenn nur die gehoͤrige
Unterordnung dabey beobachtet wird. Der Kuͤnſt-
ler ſollte ſich die beſten Baumeiſter zum Muſter neh-
men, die das Feine und das Kleine zwar nicht ver-
achten, aber nur ſparſam, und an den Stellen an-
bringen, wo es das Aug von dem Großen nicht ab-
ziehen kanu.

Groteske.
(Zeichnende Kuͤnſte.)

So nennt man eine beſondere ſeltſame und phan-
taſtiſche Gattung der mahleriſchen Verzierungen ge-
wiſſer Zimmer. Das Groteske beſteht aus kleinen
Figuren von Menſchen und Thieren, mit Blumen
und Laubwerk ſo verflochten, daß man darin das
Thier und Pflanzenreich in einander verfloſſen an-
trifft; Menſchen und Thiere, die aus den Knospen
der Pflanzen hervorwachſen, halb Thier und halb
Pflanzen ſind. Man hat dergleichen in alten Grot-
ten in Rom angetroffen. Joh. von Udine ſoll ſie
zuerſt in den Ruinen der Baͤder des Titus gefun-
den haben. Vitruvius erwaͤhnet dieſer ſeltſamen
(*) Lib.
VII. c.
5.
Art zu mahlen (*), und klagt uͤber den ſchlechten
Geſchmak, der dergleichen phantaſtiſchen Dinge her-
vorgebracht hat. Sie uͤberraſcht, wie ein aben-
theuerlicher Traum, durch die ausſchweiffende Ver-
bindung ſolcher Dinge, die keine natuͤrliche Verbin-
dung unter einander haben: ſie kann doch eine
Zeitlang gefallen, wie etwa ein tolles Geſchwaͤtz eines
ſich naͤrriſch anſtellenden Menſchen, wegen der auſ-
ſerordentlich ſeltſamen Verbindung der Begriffe, la-
chen macht. Es gehoͤrt alſo uͤberhaupt in die Gat-
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Gro
tung des Laͤcherlichen und Abentheuerlichen, das
nicht ſchlechterdings zu verwerſen iſt.

Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß das Groteske
ſchon in ganz alten Zeiten in Aegypten aufgekom-
men ſey. So viel ich mich erinnere, erwaͤhnt der
zwar nicht ſehr zuverlaͤßige Reiſebeſchreiber Lucas,
daß er ſolche in alten aͤgyptiſchen Ruinen angetrof-
fen habe. Nach der vorher erwaͤhnten Entdekung
der alten Grotesken haben auch die Neuern ſie wie-
der in die Mahlerey aufgenommen. Der erwaͤhnte
Joh. von Udino und Per. del Vaga haben in der Gal-
lerie des Vatikans, die wegen der darin befindlichen
Gemaͤhlde die Bibel des Raphaels genennt wird,
dergleichen Verzierungen angebracht, die Raphael
ſelbſt ſoll gezeichnet haben. Aber der Graf Caylus,
der etwas von den antiken Grotesken, nach den Ori-
ginalen gezeichnet und illuminirt, herausgegeben
hat, (*) haͤlt ſie fuͤr Copeyen derer, die in den Baͤ-(*) Re-
cueil de
peintures
antiques-
Préſace.

dern des Titus gefunden worden.

Die Chineſer haben ihre beſondere Art des Gro-
tesken, das noch abentheuerlicher iſt, als das Antike,
indem ſie auch Gebaͤude und Landſchaften, als in
der Luft ſchwebend, oder wie aus Baͤumen heraus-
wachſend vorſtellen.

Grotte.
(Baukunſt.)

Gebaͤude, die in Gaͤrten angebracht werden und die
aus Nachahmung natuͤrlicher Hoͤlen, die bisweilen
in den Gebuͤrgen angetroffen werden, entſtanden
ſind. Die natuͤrlichen Grotten oder Berghoͤlen,
gehoͤren unter die Seltenheiten der Natur, die man
mit Vergnuͤgen und einiger Verwundrung ſieht:
und da die Gaͤrten eine Nachahmung wuͤrklicher Ge-
genden ſeyn ſollen (*), ſo ſtehen die kuͤnſtlichen(*) S.
Garteus
kunſt.

Grotten allerdings, wenn ſie nur am rechten Ort
angebracht und wol erfunden ſind, ſehr gut darin.
Aber wie uͤberhaupt ein allzugekuͤnſtelter Geſchmak
die Gartenkunſt mehr, als irgend eine andre Kunſt,
verdorben hat, ſo verdienen auch die wenigſten Grot-
ten einige Aufmerkſamkeit. Die erſte Eigenſchaft
der Grotte iſt, daß ſie natuͤrlich ſey. Wenn man
alſo ſchon von außen anſtatt großer und roher Fel-
ſen, ſo wie ſie in Wildniſſen angetroffen werden,
zierlich ausgehauene Saͤulen, und nach den Regeln
der Kunſt gemachte Geſimſe und andre Zierrathen
der Baukunſt antrifft, ſo verſchwindet ſo gleich der
Begriff der natuͤrlichen Grotte. Findet man aber

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[499/0511] Gro Gro Wenn alſo die ſchoͤnen Kuͤnſte, wie man nicht zweifeln kann, das Jhrige zur Bildung des Charak- ters der Menſchen beytragen ſollen, ſo iſt auch offenbar, daß dieſes vorzuͤglich durch ſolche Werke geſchehen muͤſſe, die ſo wol in ihrem Jnhalt, als in der Behandlung, den Charakter der Groͤße an ſich haben; daß nur die Kuͤnſtler, die darauf arbeiten alle Kraͤfte der Seele in beſtaͤndiger Uebung zu unter- halten, die Erwartung der Philoſophie und der wahren Politik erfuͤllen, welche die ſchoͤnen Kuͤnſte zu ihrem Beyſtand herbeyrufen. (*) Nicht die Feinheit des Geſchmaks, ſondern ſeine Groͤße iſt das, worauf die Critik vorzuͤglich arbeiten ſollte. Jene dienet zu einer angenehmen Erholung, wenn der Geiſt nach einer maͤnnlichen Uebung ſeiner Kraͤfte einiger Ruhe bedarf. Beydes iſt gut, wenn nur die gehoͤrige Unterordnung dabey beobachtet wird. Der Kuͤnſt- ler ſollte ſich die beſten Baumeiſter zum Muſter neh- men, die das Feine und das Kleine zwar nicht ver- achten, aber nur ſparſam, und an den Stellen an- bringen, wo es das Aug von dem Großen nicht ab- ziehen kanu. (*) S. Kuͤaſte. Groteske. (Zeichnende Kuͤnſte.) So nennt man eine beſondere ſeltſame und phan- taſtiſche Gattung der mahleriſchen Verzierungen ge- wiſſer Zimmer. Das Groteske beſteht aus kleinen Figuren von Menſchen und Thieren, mit Blumen und Laubwerk ſo verflochten, daß man darin das Thier und Pflanzenreich in einander verfloſſen an- trifft; Menſchen und Thiere, die aus den Knospen der Pflanzen hervorwachſen, halb Thier und halb Pflanzen ſind. Man hat dergleichen in alten Grot- ten in Rom angetroffen. Joh. von Udine ſoll ſie zuerſt in den Ruinen der Baͤder des Titus gefun- den haben. Vitruvius erwaͤhnet dieſer ſeltſamen Art zu mahlen (*), und klagt uͤber den ſchlechten Geſchmak, der dergleichen phantaſtiſchen Dinge her- vorgebracht hat. Sie uͤberraſcht, wie ein aben- theuerlicher Traum, durch die ausſchweiffende Ver- bindung ſolcher Dinge, die keine natuͤrliche Verbin- dung unter einander haben: ſie kann doch eine Zeitlang gefallen, wie etwa ein tolles Geſchwaͤtz eines ſich naͤrriſch anſtellenden Menſchen, wegen der auſ- ſerordentlich ſeltſamen Verbindung der Begriffe, la- chen macht. Es gehoͤrt alſo uͤberhaupt in die Gat- tung des Laͤcherlichen und Abentheuerlichen, das nicht ſchlechterdings zu verwerſen iſt. (*) Lib. VII. c. 5. Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß das Groteske ſchon in ganz alten Zeiten in Aegypten aufgekom- men ſey. So viel ich mich erinnere, erwaͤhnt der zwar nicht ſehr zuverlaͤßige Reiſebeſchreiber Lucas, daß er ſolche in alten aͤgyptiſchen Ruinen angetrof- fen habe. Nach der vorher erwaͤhnten Entdekung der alten Grotesken haben auch die Neuern ſie wie- der in die Mahlerey aufgenommen. Der erwaͤhnte Joh. von Udino und Per. del Vaga haben in der Gal- lerie des Vatikans, die wegen der darin befindlichen Gemaͤhlde die Bibel des Raphaels genennt wird, dergleichen Verzierungen angebracht, die Raphael ſelbſt ſoll gezeichnet haben. Aber der Graf Caylus, der etwas von den antiken Grotesken, nach den Ori- ginalen gezeichnet und illuminirt, herausgegeben hat, (*) haͤlt ſie fuͤr Copeyen derer, die in den Baͤ- dern des Titus gefunden worden. (*) Re- cueil de peintures antiques- Préſace. Die Chineſer haben ihre beſondere Art des Gro- tesken, das noch abentheuerlicher iſt, als das Antike, indem ſie auch Gebaͤude und Landſchaften, als in der Luft ſchwebend, oder wie aus Baͤumen heraus- wachſend vorſtellen. Grotte. (Baukunſt.) Gebaͤude, die in Gaͤrten angebracht werden und die aus Nachahmung natuͤrlicher Hoͤlen, die bisweilen in den Gebuͤrgen angetroffen werden, entſtanden ſind. Die natuͤrlichen Grotten oder Berghoͤlen, gehoͤren unter die Seltenheiten der Natur, die man mit Vergnuͤgen und einiger Verwundrung ſieht: und da die Gaͤrten eine Nachahmung wuͤrklicher Ge- genden ſeyn ſollen (*), ſo ſtehen die kuͤnſtlichen Grotten allerdings, wenn ſie nur am rechten Ort angebracht und wol erfunden ſind, ſehr gut darin. Aber wie uͤberhaupt ein allzugekuͤnſtelter Geſchmak die Gartenkunſt mehr, als irgend eine andre Kunſt, verdorben hat, ſo verdienen auch die wenigſten Grot- ten einige Aufmerkſamkeit. Die erſte Eigenſchaft der Grotte iſt, daß ſie natuͤrlich ſey. Wenn man alſo ſchon von außen anſtatt großer und roher Fel- ſen, ſo wie ſie in Wildniſſen angetroffen werden, zierlich ausgehauene Saͤulen, und nach den Regeln der Kunſt gemachte Geſimſe und andre Zierrathen der Baukunſt antrifft, ſo verſchwindet ſo gleich der Begriff der natuͤrlichen Grotte. Findet man aber in- (*) S. Garteus kunſt. R r r 2

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/511>, abgerufen am 16.05.2024.