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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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doch nur einen großen epischen Dichter hervorge-
bracht. Die wenigen griechischen und römischen
Dichter, die nach Homer oder Virgil sich in diese
Laufbahn gewaget, haben doch gegen diese kein grös-
seres Ansehen, als die Sternen gegen die Sonne
oder gegen den Mond. Obgleich die Wissenschaften
und Künste sich in den neuern Zeiten über ganz Euro-
pa verbreitet haben, so sind dennoch gute epische Dich-
ter eine sehr seltene Erscheinung. Das an großen
Männern so fruchtbare Frankreich, hat nur einen
höchst schwachen Versuch eines epischen Gedichts auf-
zuweisen. Aber Jtalien, England und Deutschland
haben epische Dichter gezeuget, davon einige mit Eh-
ren neben Homer, andre neben Virgil stehen können.
Der griechische Barde würde mit Vergnügen einen
Milton und Klopstok neben sich sehen, und Virgil
würde die Gesellschaft des Tasso nicht verachten. Mit
horchendem Ohr würden beyde bisweilen dem Dante
und dem Ariost zuhören, und Bodmer würde durch
manches prächtiges Gemähld aus der Natur und aus
den Sitten, und durch die hohe Sinnesart seines
Noah und Sipha, sie in Verwundrung setzen.

Helldunkel.
(Mahlerey.)

Dieses ist ein neues Kunstwort, das ein einsichts-
(*) der Hr.
v. Haged.
voller Kunstrichter (*) gebraucht hat, um das aus-
zudrüken, was in der französischen Sprach durch
eine ähnliche Zusammensetzung zweyer einander ent-
gegenstehender Begriffe clair - obscur genennt wird.
Die Sache selbst, die dadurch ausgedrükt wird, be-
stimmt der Erfinder des Worts genau durch diese Be-
merkung, daß Licht und Schatten, helle und dun-
(*) Be-
trachtun-
gen über d.
Mahlerey
S. 653.
kele Farben für das einstimmige Ganze (*) sich wech-
selsweise erhöhen oder mäßigen. Dieses will sagen,
daß die Haltung und Harmonie des Gemähldes
nicht allemal blos von genauer Beobachtung des
Lichts und Schattens abhänge, sondern, daß bis-
weilen die Stärke des Lichts durch dunkele Localfar-
ben geschwächt, und die Schatten durch hellere klar
gemacht werden müssen.

Demnach beruhet die vollkommene Behandlung
des Helldunkeln, welches einen wichtigen Theil der
Farbengebung ausmacht, auf der Geschiklichkeit Lich-
ter und Schatten, da, wo es nöthig ist, durch dunklere
oder hellere Localfarben zu stärken, oder zu schwä-
chen. Bey gleich starkem Lichte scheint eine helle
Farbe immer mehr Licht zu haben, als eine dunkele,
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Hel
und in gleich dunkeln Schatten, wird die helle Farbe
weniger verfinstert, als die dunkele. Daraus läßt
sich leicht abnehmen, wie der Mahler, wenn er
Licht und Schatten nach Maaßgebung der Beleuch-
tung auf das genaueste beobachtet hat, den im völ-
ligen Schatten liegenden Gegenständen, durch hellere
Lacalfarben aufhelfen, und wie er die im stärksten
Lichte stehenden, durch dunklere Farben dämpfen
könne, wo er es zur besten Haltung und Harmonie
für nöthig hält. Wo man nach der Natur der Be-
leuchtung kein Licht hinbringen kann, und es den-
noch für nöthig hält, da thun helle Localfarben den
Dienst, und so die dunkelen im vollen Lichte. Da-
rum muß man nicht, wie so ofte geschieht, das Helle
und Dunkele, das von den eigenthümlichen Farben
abhängt, mit dem Licht und Schatten verwechseln,
obgleich beyde einerley Würkung thun können. (*)(*) S. Ei-
genthümli-
che Farbe.

Der Mahler muß sich nicht begnügen, die Harmo-
nie und Haltung blos in der verschiedenen Beleuch-
tung zu studiren, wiewol sie größtentheils von ihr
abhangen (*); sondern, bey einerley Beleuchtung,(*) S. Be-
leuchtung.

die durch abgeänderte Localfarben entstehenden Ver-
änderungen in der Haltung beobachten. Wer diesen
Theil der Kunst vollkommen studiren wollte, könnte
sich die Sache dadurch erleichtern, daß er für eine
Anzahl kleinere Figuren, oder Gliedermänner, eine
hinlangliche Anzahl Gewänder von verschiedenen Far-
ben hätte, und bey einerley Anordnung und Beleuch-
tung seiner Gruppen, die Farben der Gewänder
verschiedentlich abänderte.

Wir wollen damit gar nicht sagen, daß der Mah-
ler jedesmal, wenn er in der Arbeit begriffen ist,
auf diese ängstliche und mechanische Weise das beste
aussuchen soll. Denn dergleichen Veranstalltungen
können gar leicht das Feuer der Einbildungskraft,
ohne welches kein Werk gut wird, dämpfen: wir
schlagen dieses blos zum Studiren vor, und müssen
auch hier, wie schon bey so viel andern Gelegenhei-
ten geschehen ist, dem Mahler das Beyspiel des Le-
onhardo da Vinci vorhalten, dem nichts zu subtil
noch zu mühesam war, was immer Gelegenheit ge-
ben konnte, die Kunst mit neuen Beobachtungen zu
bereichern. Währender Arbeit muß der Künstler
sich blos auf sein Genie verlassen, aber zum Studi-
ren gehört Fleis, Veranstalltung, forschendes Nach-
denken, Maaß und Gewicht; weil dadurch dem Genie
die nöthigen Begriffe, auf die es sich bey der Aus-
führung stützet, herbey geschaft werden.

Selt-
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Hel
doch nur einen großen epiſchen Dichter hervorge-
bracht. Die wenigen griechiſchen und roͤmiſchen
Dichter, die nach Homer oder Virgil ſich in dieſe
Laufbahn gewaget, haben doch gegen dieſe kein groͤſ-
ſeres Anſehen, als die Sternen gegen die Sonne
oder gegen den Mond. Obgleich die Wiſſenſchaften
und Kuͤnſte ſich in den neuern Zeiten uͤber ganz Euro-
pa verbreitet haben, ſo ſind dennoch gute epiſche Dich-
ter eine ſehr ſeltene Erſcheinung. Das an großen
Maͤnnern ſo fruchtbare Frankreich, hat nur einen
hoͤchſt ſchwachen Verſuch eines epiſchen Gedichts auf-
zuweiſen. Aber Jtalien, England und Deutſchland
haben epiſche Dichter gezeuget, davon einige mit Eh-
ren neben Homer, andre neben Virgil ſtehen koͤnnen.
Der griechiſche Barde wuͤrde mit Vergnuͤgen einen
Milton und Klopſtok neben ſich ſehen, und Virgil
wuͤrde die Geſellſchaft des Taſſo nicht verachten. Mit
horchendem Ohr wuͤrden beyde bisweilen dem Dante
und dem Arioſt zuhoͤren, und Bodmer wuͤrde durch
manches praͤchtiges Gemaͤhld aus der Natur und aus
den Sitten, und durch die hohe Sinnesart ſeines
Noah und Sipha, ſie in Verwundrung ſetzen.

Helldunkel.
(Mahlerey.)

Dieſes iſt ein neues Kunſtwort, das ein einſichts-
(*) der Hr.
v. Haged.
voller Kunſtrichter (*) gebraucht hat, um das aus-
zudruͤken, was in der franzoͤſiſchen Sprach durch
eine aͤhnliche Zuſammenſetzung zweyer einander ent-
gegenſtehender Begriffe clair - obſcur genennt wird.
Die Sache ſelbſt, die dadurch ausgedruͤkt wird, be-
ſtimmt der Erfinder des Worts genau durch dieſe Be-
merkung, daß Licht und Schatten, helle und dun-
(*) Be-
trachtun-
gen uͤber d.
Mahlerey
S. 653.
kele Farben fuͤr das einſtimmige Ganze (*) ſich wech-
ſelsweiſe erhoͤhen oder maͤßigen. Dieſes will ſagen,
daß die Haltung und Harmonie des Gemaͤhldes
nicht allemal blos von genauer Beobachtung des
Lichts und Schattens abhaͤnge, ſondern, daß bis-
weilen die Staͤrke des Lichts durch dunkele Localfar-
ben geſchwaͤcht, und die Schatten durch hellere klar
gemacht werden muͤſſen.

Demnach beruhet die vollkommene Behandlung
des Helldunkeln, welches einen wichtigen Theil der
Farbengebung ausmacht, auf der Geſchiklichkeit Lich-
ter und Schatten, da, wo es noͤthig iſt, durch dunklere
oder hellere Localfarben zu ſtaͤrken, oder zu ſchwaͤ-
chen. Bey gleich ſtarkem Lichte ſcheint eine helle
Farbe immer mehr Licht zu haben, als eine dunkele,
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Hel
und in gleich dunkeln Schatten, wird die helle Farbe
weniger verfinſtert, als die dunkele. Daraus laͤßt
ſich leicht abnehmen, wie der Mahler, wenn er
Licht und Schatten nach Maaßgebung der Beleuch-
tung auf das genaueſte beobachtet hat, den im voͤl-
ligen Schatten liegenden Gegenſtaͤnden, durch hellere
Lacalfarben aufhelfen, und wie er die im ſtaͤrkſten
Lichte ſtehenden, durch dunklere Farben daͤmpfen
koͤnne, wo er es zur beſten Haltung und Harmonie
fuͤr noͤthig haͤlt. Wo man nach der Natur der Be-
leuchtung kein Licht hinbringen kann, und es den-
noch fuͤr noͤthig haͤlt, da thun helle Localfarben den
Dienſt, und ſo die dunkelen im vollen Lichte. Da-
rum muß man nicht, wie ſo ofte geſchieht, das Helle
und Dunkele, das von den eigenthuͤmlichen Farben
abhaͤngt, mit dem Licht und Schatten verwechſeln,
obgleich beyde einerley Wuͤrkung thun koͤnnen. (*)(*) S. Ei-
genthuͤmli-
che Farbe.

Der Mahler muß ſich nicht begnuͤgen, die Harmo-
nie und Haltung blos in der verſchiedenen Beleuch-
tung zu ſtudiren, wiewol ſie groͤßtentheils von ihr
abhangen (*); ſondern, bey einerley Beleuchtung,(*) S. Be-
leuchtung.

die durch abgeaͤnderte Localfarben entſtehenden Ver-
aͤnderungen in der Haltung beobachten. Wer dieſen
Theil der Kunſt vollkommen ſtudiren wollte, koͤnnte
ſich die Sache dadurch erleichtern, daß er fuͤr eine
Anzahl kleinere Figuren, oder Gliedermaͤnner, eine
hinlangliche Anzahl Gewaͤnder von verſchiedenen Far-
ben haͤtte, und bey einerley Anordnung und Beleuch-
tung ſeiner Gruppen, die Farben der Gewaͤnder
verſchiedentlich abaͤnderte.

Wir wollen damit gar nicht ſagen, daß der Mah-
ler jedesmal, wenn er in der Arbeit begriffen iſt,
auf dieſe aͤngſtliche und mechaniſche Weiſe das beſte
ausſuchen ſoll. Denn dergleichen Veranſtalltungen
koͤnnen gar leicht das Feuer der Einbildungskraft,
ohne welches kein Werk gut wird, daͤmpfen: wir
ſchlagen dieſes blos zum Studiren vor, und muͤſſen
auch hier, wie ſchon bey ſo viel andern Gelegenhei-
ten geſchehen iſt, dem Mahler das Beyſpiel des Le-
onhardo da Vinci vorhalten, dem nichts zu ſubtil
noch zu muͤheſam war, was immer Gelegenheit ge-
ben konnte, die Kunſt mit neuen Beobachtungen zu
bereichern. Waͤhrender Arbeit muß der Kuͤnſtler
ſich blos auf ſein Genie verlaſſen, aber zum Studi-
ren gehoͤrt Fleis, Veranſtalltung, forſchendes Nach-
denken, Maaß und Gewicht; weil dadurch dem Genie
die noͤthigen Begriffe, auf die es ſich bey der Aus-
fuͤhrung ſtuͤtzet, herbey geſchaft werden.

Selt-
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[533/0545] Hel Hel doch nur einen großen epiſchen Dichter hervorge- bracht. Die wenigen griechiſchen und roͤmiſchen Dichter, die nach Homer oder Virgil ſich in dieſe Laufbahn gewaget, haben doch gegen dieſe kein groͤſ- ſeres Anſehen, als die Sternen gegen die Sonne oder gegen den Mond. Obgleich die Wiſſenſchaften und Kuͤnſte ſich in den neuern Zeiten uͤber ganz Euro- pa verbreitet haben, ſo ſind dennoch gute epiſche Dich- ter eine ſehr ſeltene Erſcheinung. Das an großen Maͤnnern ſo fruchtbare Frankreich, hat nur einen hoͤchſt ſchwachen Verſuch eines epiſchen Gedichts auf- zuweiſen. Aber Jtalien, England und Deutſchland haben epiſche Dichter gezeuget, davon einige mit Eh- ren neben Homer, andre neben Virgil ſtehen koͤnnen. Der griechiſche Barde wuͤrde mit Vergnuͤgen einen Milton und Klopſtok neben ſich ſehen, und Virgil wuͤrde die Geſellſchaft des Taſſo nicht verachten. Mit horchendem Ohr wuͤrden beyde bisweilen dem Dante und dem Arioſt zuhoͤren, und Bodmer wuͤrde durch manches praͤchtiges Gemaͤhld aus der Natur und aus den Sitten, und durch die hohe Sinnesart ſeines Noah und Sipha, ſie in Verwundrung ſetzen. Helldunkel. (Mahlerey.) Dieſes iſt ein neues Kunſtwort, das ein einſichts- voller Kunſtrichter (*) gebraucht hat, um das aus- zudruͤken, was in der franzoͤſiſchen Sprach durch eine aͤhnliche Zuſammenſetzung zweyer einander ent- gegenſtehender Begriffe clair - obſcur genennt wird. Die Sache ſelbſt, die dadurch ausgedruͤkt wird, be- ſtimmt der Erfinder des Worts genau durch dieſe Be- merkung, daß Licht und Schatten, helle und dun- kele Farben fuͤr das einſtimmige Ganze (*) ſich wech- ſelsweiſe erhoͤhen oder maͤßigen. Dieſes will ſagen, daß die Haltung und Harmonie des Gemaͤhldes nicht allemal blos von genauer Beobachtung des Lichts und Schattens abhaͤnge, ſondern, daß bis- weilen die Staͤrke des Lichts durch dunkele Localfar- ben geſchwaͤcht, und die Schatten durch hellere klar gemacht werden muͤſſen. (*) der Hr. v. Haged. (*) Be- trachtun- gen uͤber d. Mahlerey S. 653. Demnach beruhet die vollkommene Behandlung des Helldunkeln, welches einen wichtigen Theil der Farbengebung ausmacht, auf der Geſchiklichkeit Lich- ter und Schatten, da, wo es noͤthig iſt, durch dunklere oder hellere Localfarben zu ſtaͤrken, oder zu ſchwaͤ- chen. Bey gleich ſtarkem Lichte ſcheint eine helle Farbe immer mehr Licht zu haben, als eine dunkele, und in gleich dunkeln Schatten, wird die helle Farbe weniger verfinſtert, als die dunkele. Daraus laͤßt ſich leicht abnehmen, wie der Mahler, wenn er Licht und Schatten nach Maaßgebung der Beleuch- tung auf das genaueſte beobachtet hat, den im voͤl- ligen Schatten liegenden Gegenſtaͤnden, durch hellere Lacalfarben aufhelfen, und wie er die im ſtaͤrkſten Lichte ſtehenden, durch dunklere Farben daͤmpfen koͤnne, wo er es zur beſten Haltung und Harmonie fuͤr noͤthig haͤlt. Wo man nach der Natur der Be- leuchtung kein Licht hinbringen kann, und es den- noch fuͤr noͤthig haͤlt, da thun helle Localfarben den Dienſt, und ſo die dunkelen im vollen Lichte. Da- rum muß man nicht, wie ſo ofte geſchieht, das Helle und Dunkele, das von den eigenthuͤmlichen Farben abhaͤngt, mit dem Licht und Schatten verwechſeln, obgleich beyde einerley Wuͤrkung thun koͤnnen. (*) Der Mahler muß ſich nicht begnuͤgen, die Harmo- nie und Haltung blos in der verſchiedenen Beleuch- tung zu ſtudiren, wiewol ſie groͤßtentheils von ihr abhangen (*); ſondern, bey einerley Beleuchtung, die durch abgeaͤnderte Localfarben entſtehenden Ver- aͤnderungen in der Haltung beobachten. Wer dieſen Theil der Kunſt vollkommen ſtudiren wollte, koͤnnte ſich die Sache dadurch erleichtern, daß er fuͤr eine Anzahl kleinere Figuren, oder Gliedermaͤnner, eine hinlangliche Anzahl Gewaͤnder von verſchiedenen Far- ben haͤtte, und bey einerley Anordnung und Beleuch- tung ſeiner Gruppen, die Farben der Gewaͤnder verſchiedentlich abaͤnderte. (*) S. Ei- genthuͤmli- che Farbe. (*) S. Be- leuchtung. Wir wollen damit gar nicht ſagen, daß der Mah- ler jedesmal, wenn er in der Arbeit begriffen iſt, auf dieſe aͤngſtliche und mechaniſche Weiſe das beſte ausſuchen ſoll. Denn dergleichen Veranſtalltungen koͤnnen gar leicht das Feuer der Einbildungskraft, ohne welches kein Werk gut wird, daͤmpfen: wir ſchlagen dieſes blos zum Studiren vor, und muͤſſen auch hier, wie ſchon bey ſo viel andern Gelegenhei- ten geſchehen iſt, dem Mahler das Beyſpiel des Le- onhardo da Vinci vorhalten, dem nichts zu ſubtil noch zu muͤheſam war, was immer Gelegenheit ge- ben konnte, die Kunſt mit neuen Beobachtungen zu bereichern. Waͤhrender Arbeit muß der Kuͤnſtler ſich blos auf ſein Genie verlaſſen, aber zum Studi- ren gehoͤrt Fleis, Veranſtalltung, forſchendes Nach- denken, Maaß und Gewicht; weil dadurch dem Genie die noͤthigen Begriffe, auf die es ſich bey der Aus- fuͤhrung ſtuͤtzet, herbey geſchaft werden. Selt- X x x 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/545>, abgerufen am 15.05.2024.