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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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er an solchen Orten einzuschalten, wo die Haupt-
handlung nothwendig muß aufgehalten werden.

Diese Anordnung der Episoden ist eine Hauptsorge
des Dichters. Sie müssen nur da angebracht werden,
wo die Handlung dadurch nicht aufgehalten wird. Es
geschieht nämlich bisweilen, daß zwischen einer Pe-
riode der Handlung und der nächst folgenden et-
was vorgeht, das der Dichter nicht beschreibt, ent-
weder, weil es zu langweilig, oder zu gemein wäre.
Er will aber auch nicht gern gleich von einem zum
andern übergehn. Jn diese Stellen ordnet er die
Episoden. So hat Homer die schöne Episode von
der Helena, im III. Buch der Jlias, dahin gebracht,
wo die Veranstaltung zu einem feyerlichen Opfer,
die der Dichter nicht hat beschreiben wollen, eine
Lüke gelassen. Eben so hat er die Episode vom
Diomedes und Glaucus in die Lüke gesetzt, die
Hektors Hingang nach der Stadt verursachet hatte.
Daß die besten epischen Dichter so verfahren sind,
könnte durch viele Beyspiele erwiesen werden, die
wir übergehen, weil sie bekannt genug sind.

Die Anordnung einer Rede bleibet uns nun
noch zu betrachten übrig. Die Kunst der Anord-
(*) Einleit.
in die schö-
nen Wis-
senschaften
IV Th. S
52. nach
der Ramle-
rischen Ue-
bersetzung.
nung besteht darin, sagt Batteux (*) "daß man
"alle Stüke, die die Erfindung geliefert hat, nach
"der Beschaffenheit und zum Vortheil der Sache,
"die man abhandelt, in Ordnung stelle. Die Frucht-
"barkeit des Geistes sezt er hinzu, pranget am
"meisten in der Erfindung; Klugheit und Urtheils-
"kraft in der Anordnung."

Der Endzwek einer Rede ist allemal, entweder
unsre Vorstellungskraft, oder unsre Neigungen, ei-
ner gewissen Absicht gemäß, zu lenken. Jhr Jn-
halt ist also allemal ein Gegenstand unsrer Erkennt-
niß, oder unsrer Neigungen. Diesen Gegenstand
muß uns der Redner so vorstellen, daß er na-
türlicher Weise hoffen kann, wir werden am En-
de seiner Rede so davon denken, oder so dagegen
gesinnet seyn, wie er selbst ist, oder zu seyn schei-
net. Dies ist die Hauptsumme der Kunst des
Redners.

Nun kömmt allerdings sehr viel darauf an, daß
der Redner das, was er zu sagen hat, in der be-
sten Ordnung vortrage. Jn der unterrichtenden
Rede muß die Ordnung den Hauptgegenstand deut-
lich und einleuchtend machen, und | in der rühren-
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Ano
den Rede muß sie seine Würkung auf unsre Nei-
gungen vermehren.

Wir wollen hier nichts von der Ordnung der
Haupttheile der Rede sagen, nach welcher auf den
Eingang die Abhandlung oder Ausführung der
Sache, und denn der Schluß der Rede folget, da-
von haben wir anderswo gesprochen, (S. Re-
de.) und es kann ohne dem keinem nachdenkenden
Redner entgehen. "Denn daß man eins und das
"andre von der Hauptsache voraus schike, daß man
"darauf diese selbst vortrage; ferner, sie theils durch
"eigene Beweise, theils durch Widerlegung der Ge-
"gengründe gehörig ausführe: endlich auf eine ge-
"schikte und nachdrükliche Art beschließe, diese Ord-
"nung lehret die Natur selbst. (*) Der wichtigste(*) Cicere
in dem III.
Gespräch
von dem
Redner §.
307. der
Heinzi-
schen Ue-
bersetzung.

und schwerste Theil der Anordnung einer Rede ist
die Folge der Vorstellungen in dem Haupttheil, den
man die Abhandlung der Rede nennet.

Ueberhaupt muß die Anordnung einer Rede so
natürlich und ungezwungen seyn, daß jeder Zuhö-
rer dabey denken muß, man könne sich die Sachen
nicht wol anders vorstellen. Jedes folgende muß
so aus dem vorhergehenden entstehen, daß keinem
Zuhörer einfallen kann, es könnte die Reihe der
Vorstellungen anders seyn. So bald man irgend
wo einen Zwang oder etwas gesuchtes in der Folge
der Sätze wahrnimmt; so wird man zerstreut, und
denkt, die Sache hätte sich auf eine gewisse andre
Art entwikeln sollen. Eine für den Lehrer höchst
schädliche Würkung in seinem Zuhörer.

Diese vollkommen freye und nothwendig scheinen-
de Folge der Vorstellungen kann der Redner un-
möglich anders erreichen, als wenn er seine Ma-
terie sehr oft durch gedacht und von allen Seiten
betrachtet hat. Es muß ihm alles mögliche, was
dabey kann gesagt werden, vor Augen liegen; als-
denn wählt er in Absicht auf die Ordnung das be-
ste. Er macht verschiedene Entwürfe oder Skitzen,
die nur das Gerippe der Rede auf verschiedene
Weise angeordnet enthalten, und wenn er sie alle
genugsam betrachtet, so kann er erst alsdenn
wählen.

Es giebt aber zwey einander entgegen gesetzte
Arten der Anordnung, die man die Analytische und
die Synthetische nennen kann. Diese setzet gleich
im Anfang der Abhandlung oder dem Vortrag
die Hauptvorstellung, worauf der ganze Zwek
der Rede geht, voraus, und bestätiger sie durch

die

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Ano
er an ſolchen Orten einzuſchalten, wo die Haupt-
handlung nothwendig muß aufgehalten werden.

Dieſe Anordnung der Epiſoden iſt eine Hauptſorge
des Dichters. Sie muͤſſen nur da angebracht werden,
wo die Handlung dadurch nicht aufgehalten wird. Es
geſchieht naͤmlich bisweilen, daß zwiſchen einer Pe-
riode der Handlung und der naͤchſt folgenden et-
was vorgeht, das der Dichter nicht beſchreibt, ent-
weder, weil es zu langweilig, oder zu gemein waͤre.
Er will aber auch nicht gern gleich von einem zum
andern uͤbergehn. Jn dieſe Stellen ordnet er die
Epiſoden. So hat Homer die ſchoͤne Epiſode von
der Helena, im III. Buch der Jlias, dahin gebracht,
wo die Veranſtaltung zu einem feyerlichen Opfer,
die der Dichter nicht hat beſchreiben wollen, eine
Luͤke gelaſſen. Eben ſo hat er die Epiſode vom
Diomedes und Glaucus in die Luͤke geſetzt, die
Hektors Hingang nach der Stadt verurſachet hatte.
Daß die beſten epiſchen Dichter ſo verfahren ſind,
koͤnnte durch viele Beyſpiele erwieſen werden, die
wir uͤbergehen, weil ſie bekannt genug ſind.

Die Anordnung einer Rede bleibet uns nun
noch zu betrachten uͤbrig. Die Kunſt der Anord-
(*) Einleit.
in die ſchoͤ-
nen Wiſ-
ſenſchaften
IV Th. S
52. nach
der Ramle-
riſchen Ue-
berſetzung.
nung beſteht darin, ſagt Batteux (*) „daß man
„alle Stuͤke, die die Erfindung geliefert hat, nach
„der Beſchaffenheit und zum Vortheil der Sache,
„die man abhandelt, in Ordnung ſtelle. Die Frucht-
„barkeit des Geiſtes ſezt er hinzu, pranget am
„meiſten in der Erfindung; Klugheit und Urtheils-
„kraft in der Anordnung.‟

Der Endzwek einer Rede iſt allemal, entweder
unſre Vorſtellungskraft, oder unſre Neigungen, ei-
ner gewiſſen Abſicht gemaͤß, zu lenken. Jhr Jn-
halt iſt alſo allemal ein Gegenſtand unſrer Erkennt-
niß, oder unſrer Neigungen. Dieſen Gegenſtand
muß uns der Redner ſo vorſtellen, daß er na-
tuͤrlicher Weiſe hoffen kann, wir werden am En-
de ſeiner Rede ſo davon denken, oder ſo dagegen
geſinnet ſeyn, wie er ſelbſt iſt, oder zu ſeyn ſchei-
net. Dies iſt die Hauptſumme der Kunſt des
Redners.

Nun koͤmmt allerdings ſehr viel darauf an, daß
der Redner das, was er zu ſagen hat, in der be-
ſten Ordnung vortrage. Jn der unterrichtenden
Rede muß die Ordnung den Hauptgegenſtand deut-
lich und einleuchtend machen, und | in der ruͤhren-
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Ano
den Rede muß ſie ſeine Wuͤrkung auf unſre Nei-
gungen vermehren.

Wir wollen hier nichts von der Ordnung der
Haupttheile der Rede ſagen, nach welcher auf den
Eingang die Abhandlung oder Ausfuͤhrung der
Sache, und denn der Schluß der Rede folget, da-
von haben wir anderswo geſprochen, (S. Re-
de.) und es kann ohne dem keinem nachdenkenden
Redner entgehen. „Denn daß man eins und das
„andre von der Hauptſache voraus ſchike, daß man
„darauf dieſe ſelbſt vortrage; ferner, ſie theils durch
„eigene Beweiſe, theils durch Widerlegung der Ge-
„gengruͤnde gehoͤrig ausfuͤhre: endlich auf eine ge-
„ſchikte und nachdruͤkliche Art beſchließe, dieſe Ord-
„nung lehret die Natur ſelbſt. (*) Der wichtigſte(*) Cicere
in dem III.
Geſpraͤch
von dem
Redner §.
307. der
Heinzi-
ſchen Ue-
berſetzung.

und ſchwerſte Theil der Anordnung einer Rede iſt
die Folge der Vorſtellungen in dem Haupttheil, den
man die Abhandlung der Rede nennet.

Ueberhaupt muß die Anordnung einer Rede ſo
natuͤrlich und ungezwungen ſeyn, daß jeder Zuhoͤ-
rer dabey denken muß, man koͤnne ſich die Sachen
nicht wol anders vorſtellen. Jedes folgende muß
ſo aus dem vorhergehenden entſtehen, daß keinem
Zuhoͤrer einfallen kann, es koͤnnte die Reihe der
Vorſtellungen anders ſeyn. So bald man irgend
wo einen Zwang oder etwas geſuchtes in der Folge
der Saͤtze wahrnimmt; ſo wird man zerſtreut, und
denkt, die Sache haͤtte ſich auf eine gewiſſe andre
Art entwikeln ſollen. Eine fuͤr den Lehrer hoͤchſt
ſchaͤdliche Wuͤrkung in ſeinem Zuhoͤrer.

Dieſe vollkommen freye und nothwendig ſcheinen-
de Folge der Vorſtellungen kann der Redner un-
moͤglich anders erreichen, als wenn er ſeine Ma-
terie ſehr oft durch gedacht und von allen Seiten
betrachtet hat. Es muß ihm alles moͤgliche, was
dabey kann geſagt werden, vor Augen liegen; als-
denn waͤhlt er in Abſicht auf die Ordnung das be-
ſte. Er macht verſchiedene Entwuͤrfe oder Skitzen,
die nur das Gerippe der Rede auf verſchiedene
Weiſe angeordnet enthalten, und wenn er ſie alle
genugſam betrachtet, ſo kann er erſt alsdenn
waͤhlen.

Es giebt aber zwey einander entgegen geſetzte
Arten der Anordnung, die man die Analytiſche und
die Synthetiſche nennen kann. Dieſe ſetzet gleich
im Anfang der Abhandlung oder dem Vortrag
die Hauptvorſtellung, worauf der ganze Zwek
der Rede geht, voraus, und beſtaͤtiger ſie durch

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/80>, abgerufen am 21.11.2024.