Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite
[Spaltenumbruch]
Ari

Von dem besondern Studio des Sängers zu ei-
nem vollkommenen Vortrag der Arie hat Tosi eine
(*) S. des-
sen Anlei-
tung zur
Singkunst,
nach Herrn
Aur cola
Ueberse-
tzung S.
172. u. s. f.
weitläuftige Abhandlung gegeben. (*) Wir be-
gnügen uns, dem Sänger folgende Anmerkungen
zur ernsthaftesten Ueberlegung zu empfehlen.

Vor allen Dingen bedenke er, daß er nicht dar-
um singt, um den Zuhörer für seine Geschiklichkeit
einzunehmen, sondern ihm das Bild eines von
Empfindung durchdrungenen Menschen auf das
vollkommenste darzustellen. Je mehr es ihm ge-
lingt, den Zuhörer vergessen zu machen, daß er nur
einen Schauspieler oder Sänger vor sich hat, je
größer wird sein Ruhm werden. Die verständigern
Zuhörer wollen nicht seine Kehle, sondern sein Herz
bewundern. So bald sie merken, daß er sie von
der Sache selbst abführen, und ihnen die Bewun-
drung seiner Kunst abzwingen will, so werden sie
frostig.

Deswegen wende er die ernsthafteste Bemühung
an, den wahren Charakter der Arie ganz zu fassen,
jeden Gedanken des Dichters und Tonsetzers auf
das sicherste zu ergreifen; diesem zufolge jede Sylbe
und jeden Ton in seinem wahren Lichte darzustellen.
Hat er überdem die Geschiklichkeit, durch selbst hin-
zu gesetzte Töne den Ausdruk zu verstärken, so brin-
ge er sie an, aber nicht eher, bis er gewiß ist, daß sie
diese Würkung haben. Kann er dieses nicht, so
halte er sich lediglich an dem, was ihm vorgeschrie-
ben ist. Er hat noch genug an der besten Wen-
dung der ihm vorgezeichneten Töne zu studiren.
Ein einziger einfacher Ton, der in die Seele dringt,
ist mehr werth, als eine ganze Reihe künstlicher
Läufe, die nichts sagen, als daß sie schweer zu
machen sind.

Ariette.

Eine kleine Arie, die nur aus einem Theil besteht.
Der Dichter bringt sie an die Stellen, wo die Hand-
lung einen gemäßigten Grad der Gemüthsbewegung
hervor bringt, die eben nicht lang anhalten, noch
einen sehr tiefen Eindruk machen soll. Der Ton-
setzer folget seinem Beyspiel. Er dehnet den Aus-
druk weniger aus, als in der Arie; er zergliedert
die Empfindungen nicht, und läßt den Ausdruk
etwas schnell vor uns vorüber fahren. Dieses
ausgenommen, wendet er sonst wegen der Richtig-
keit des Ausdruks eben dieselbe Sorgfalt an, als
auf die Arie. Die Ariette wird in den Opern zu
[Spaltenumbruch]

Ari
sehr versäumt, da man durchgehends nur große
Arien macht. Eine Abwechslung von Arien und
Arietten wäre um so viel besser, da es gar oft wi-
der den guten Geschmak streitet, daß geringere oder
bald vorüber gehende Empfindungen, in eben der
Ausdehnung sollen vorgestellt werden, als die, welche
die Hauptempfindungen des Drama ausmachen.

Arioso.

Ein sehr einfacher Gesang, der noch als ein sich
auszeichnender |Theil der Recitatives kann angese-
hen werden. Wenn nämlich in dem Recitativ et-
was vorkömmt, das in einer mehr abgemessenen
Bewegung soll vorgetragen werden, als das übri-
ge; ein Wunsch, ein lehrreicher Spruch, ein rüh-
rendes Gemählde, dabey man sich aber nicht lange
aufzuhalten hat; so verändert der Tonsetzer den
ungemeßnen Gang des Recitatives, und giebt dem
Gesang einen deutlich bemerkten Takt. Die Worte
werden selten oder gar nicht wiederholt; es kommen
darin keine Läufe, keine Schlußcadenzen, keine
Zergliederungen der Ausdrücke vor. Mithin ist
das Arioso eine höchst einfache Arie. Es thut sehr
gute Würkung, indem es das, was ein langes Re-
citativ zu langweiliges haben könnte, angenehm
unterbricht, und mit dem ausgearbeiteten der Arie
einen gefälligen Contrast macht. Zu einer stillen
feyerlichen Empfindung scheint das Arioso weit tüch-
tiger zu seyn, als alle andere Gesangarten, und
eine furchtsame Aeußerung seiner Gesinnungen
kann nicht| wol anders, als durch dasselbe ausge-
drükt werden. Ueberhaupt dienet es zu allen stil-
len und wenig wortreichen Empfindungen. So
wie der Tonsetzer das Arioso mit viel Einfalt setzet,
so muß auch der Sänger sich in dem Vortrag
der äußersten Einfalt mit dem besten Nachdruk
verbunden, befleißen.

Aristophanes.

Ein griechischer Comödiendichter. Von seinen
Lebensumständen weiß man wenig. Das athenien-
sische Bürgerrecht wurde ihm streitig gemacht, aber
er behauptete es. Zu seiner Zeit besaß Athen die
größten Männer; denn er war ein Zeitgenosse des
Sokrates und Perikles.

Damals scheiner die Comödie noch keine or-
dentliche Gestalt gehabt zu haben. Weder die
Anordnung der Handluug, noch eine ordentliche

Einrich-
[Spaltenumbruch]
Ari

Von dem beſondern Studio des Saͤngers zu ei-
nem vollkommenen Vortrag der Arie hat Toſi eine
(*) S. deſ-
ſen Anlei-
tung zur
Singkunſt,
nach Herrn
Aur cola
Ueberſe-
tzung S.
172. u. ſ. f.
weitlaͤuftige Abhandlung gegeben. (*) Wir be-
gnuͤgen uns, dem Saͤnger folgende Anmerkungen
zur ernſthafteſten Ueberlegung zu empfehlen.

Vor allen Dingen bedenke er, daß er nicht dar-
um ſingt, um den Zuhoͤrer fuͤr ſeine Geſchiklichkeit
einzunehmen, ſondern ihm das Bild eines von
Empfindung durchdrungenen Menſchen auf das
vollkommenſte darzuſtellen. Je mehr es ihm ge-
lingt, den Zuhoͤrer vergeſſen zu machen, daß er nur
einen Schauſpieler oder Saͤnger vor ſich hat, je
groͤßer wird ſein Ruhm werden. Die verſtaͤndigern
Zuhoͤrer wollen nicht ſeine Kehle, ſondern ſein Herz
bewundern. So bald ſie merken, daß er ſie von
der Sache ſelbſt abfuͤhren, und ihnen die Bewun-
drung ſeiner Kunſt abzwingen will, ſo werden ſie
froſtig.

Deswegen wende er die ernſthafteſte Bemuͤhung
an, den wahren Charakter der Arie ganz zu faſſen,
jeden Gedanken des Dichters und Tonſetzers auf
das ſicherſte zu ergreifen; dieſem zufolge jede Sylbe
und jeden Ton in ſeinem wahren Lichte darzuſtellen.
Hat er uͤberdem die Geſchiklichkeit, durch ſelbſt hin-
zu geſetzte Toͤne den Ausdruk zu verſtaͤrken, ſo brin-
ge er ſie an, aber nicht eher, bis er gewiß iſt, daß ſie
dieſe Wuͤrkung haben. Kann er dieſes nicht, ſo
halte er ſich lediglich an dem, was ihm vorgeſchrie-
ben iſt. Er hat noch genug an der beſten Wen-
dung der ihm vorgezeichneten Toͤne zu ſtudiren.
Ein einziger einfacher Ton, der in die Seele dringt,
iſt mehr werth, als eine ganze Reihe kuͤnſtlicher
Laͤufe, die nichts ſagen, als daß ſie ſchweer zu
machen ſind.

Ariette.

Eine kleine Arie, die nur aus einem Theil beſteht.
Der Dichter bringt ſie an die Stellen, wo die Hand-
lung einen gemaͤßigten Grad der Gemuͤthsbewegung
hervor bringt, die eben nicht lang anhalten, noch
einen ſehr tiefen Eindruk machen ſoll. Der Ton-
ſetzer folget ſeinem Beyſpiel. Er dehnet den Aus-
druk weniger aus, als in der Arie; er zergliedert
die Empfindungen nicht, und laͤßt den Ausdruk
etwas ſchnell vor uns voruͤber fahren. Dieſes
ausgenommen, wendet er ſonſt wegen der Richtig-
keit des Ausdruks eben dieſelbe Sorgfalt an, als
auf die Arie. Die Ariette wird in den Opern zu
[Spaltenumbruch]

Ari
ſehr verſaͤumt, da man durchgehends nur große
Arien macht. Eine Abwechslung von Arien und
Arietten waͤre um ſo viel beſſer, da es gar oft wi-
der den guten Geſchmak ſtreitet, daß geringere oder
bald voruͤber gehende Empfindungen, in eben der
Ausdehnung ſollen vorgeſtellt werden, als die, welche
die Hauptempfindungen des Drama ausmachen.

Arioſo.

Ein ſehr einfacher Geſang, der noch als ein ſich
auszeichnender |Theil der Recitatives kann angeſe-
hen werden. Wenn naͤmlich in dem Recitativ et-
was vorkoͤmmt, das in einer mehr abgemeſſenen
Bewegung ſoll vorgetragen werden, als das uͤbri-
ge; ein Wunſch, ein lehrreicher Spruch, ein ruͤh-
rendes Gemaͤhlde, dabey man ſich aber nicht lange
aufzuhalten hat; ſo veraͤndert der Tonſetzer den
ungemeßnen Gang des Recitatives, und giebt dem
Geſang einen deutlich bemerkten Takt. Die Worte
werden ſelten oder gar nicht wiederholt; es kommen
darin keine Laͤufe, keine Schlußcadenzen, keine
Zergliederungen der Ausdruͤcke vor. Mithin iſt
das Arioſo eine hoͤchſt einfache Arie. Es thut ſehr
gute Wuͤrkung, indem es das, was ein langes Re-
citativ zu langweiliges haben koͤnnte, angenehm
unterbricht, und mit dem ausgearbeiteten der Arie
einen gefaͤlligen Contraſt macht. Zu einer ſtillen
feyerlichen Empfindung ſcheint das Arioſo weit tuͤch-
tiger zu ſeyn, als alle andere Geſangarten, und
eine furchtſame Aeußerung ſeiner Geſinnungen
kann nicht| wol anders, als durch daſſelbe ausge-
druͤkt werden. Ueberhaupt dienet es zu allen ſtil-
len und wenig wortreichen Empfindungen. So
wie der Tonſetzer das Arioſo mit viel Einfalt ſetzet,
ſo muß auch der Saͤnger ſich in dem Vortrag
der aͤußerſten Einfalt mit dem beſten Nachdruk
verbunden, befleißen.

Ariſtophanes.

Ein griechiſcher Comoͤdiendichter. Von ſeinen
Lebensumſtaͤnden weiß man wenig. Das athenien-
ſiſche Buͤrgerrecht wurde ihm ſtreitig gemacht, aber
er behauptete es. Zu ſeiner Zeit beſaß Athen die
groͤßten Maͤnner; denn er war ein Zeitgenoſſe des
Sokrates und Perikles.

Damals ſcheiner die Comoͤdie noch keine or-
dentliche Geſtalt gehabt zu haben. Weder die
Anordnung der Handluug, noch eine ordentliche

Einrich-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0092" n="80"/>
          <cb/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Ari</hi> </fw><lb/>
          <p>Von dem be&#x017F;ondern Studio des Sa&#x0364;ngers zu ei-<lb/>
nem vollkommenen Vortrag der Arie hat <hi rendition="#fr">To&#x017F;i</hi> eine<lb/><note place="left">(*) S. de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Anlei-<lb/>
tung zur<lb/>
Singkun&#x017F;t,<lb/>
nach Herrn<lb/>
Aur cola<lb/>
Ueber&#x017F;e-<lb/>
tzung S.<lb/>
172. u. &#x017F;. f.</note>weitla&#x0364;uftige Abhandlung gegeben. (*) Wir be-<lb/>
gnu&#x0364;gen uns, dem Sa&#x0364;nger folgende Anmerkungen<lb/>
zur ern&#x017F;thafte&#x017F;ten Ueberlegung zu empfehlen.</p><lb/>
          <p>Vor allen Dingen bedenke er, daß er nicht dar-<lb/>
um &#x017F;ingt, um den Zuho&#x0364;rer fu&#x0364;r &#x017F;eine Ge&#x017F;chiklichkeit<lb/>
einzunehmen, &#x017F;ondern ihm das Bild eines von<lb/>
Empfindung durchdrungenen Men&#x017F;chen auf das<lb/>
vollkommen&#x017F;te darzu&#x017F;tellen. Je mehr es ihm ge-<lb/>
lingt, den Zuho&#x0364;rer verge&#x017F;&#x017F;en zu machen, daß er nur<lb/>
einen Schau&#x017F;pieler oder Sa&#x0364;nger vor &#x017F;ich hat, je<lb/>
gro&#x0364;ßer wird &#x017F;ein Ruhm werden. Die ver&#x017F;ta&#x0364;ndigern<lb/>
Zuho&#x0364;rer wollen nicht &#x017F;eine Kehle, &#x017F;ondern &#x017F;ein Herz<lb/>
bewundern. So bald &#x017F;ie merken, daß er &#x017F;ie von<lb/>
der Sache &#x017F;elb&#x017F;t abfu&#x0364;hren, und ihnen die Bewun-<lb/>
drung &#x017F;einer Kun&#x017F;t abzwingen will, &#x017F;o werden &#x017F;ie<lb/>
fro&#x017F;tig.</p><lb/>
          <p>Deswegen wende er die ern&#x017F;thafte&#x017F;te Bemu&#x0364;hung<lb/>
an, den wahren Charakter der Arie ganz zu fa&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
jeden Gedanken des Dichters und Ton&#x017F;etzers auf<lb/>
das &#x017F;icher&#x017F;te zu ergreifen; die&#x017F;em zufolge jede Sylbe<lb/>
und jeden Ton in &#x017F;einem wahren Lichte darzu&#x017F;tellen.<lb/>
Hat er u&#x0364;berdem die Ge&#x017F;chiklichkeit, durch &#x017F;elb&#x017F;t hin-<lb/>
zu ge&#x017F;etzte To&#x0364;ne den Ausdruk zu ver&#x017F;ta&#x0364;rken, &#x017F;o brin-<lb/>
ge er &#x017F;ie an, aber nicht eher, bis er gewiß i&#x017F;t, daß &#x017F;ie<lb/>
die&#x017F;e Wu&#x0364;rkung haben. Kann er die&#x017F;es nicht, &#x017F;o<lb/>
halte er &#x017F;ich lediglich an dem, was ihm vorge&#x017F;chrie-<lb/>
ben i&#x017F;t. Er hat noch genug an der be&#x017F;ten Wen-<lb/>
dung der ihm vorgezeichneten To&#x0364;ne zu &#x017F;tudiren.<lb/>
Ein einziger einfacher Ton, der in die Seele dringt,<lb/>
i&#x017F;t mehr werth, als eine ganze Reihe ku&#x0364;n&#x017F;tlicher<lb/>
La&#x0364;ufe, die nichts &#x017F;agen, als daß &#x017F;ie &#x017F;chweer zu<lb/>
machen &#x017F;ind.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#g">Ariette.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">E</hi>ine kleine Arie, die nur aus einem Theil be&#x017F;teht.<lb/>
Der Dichter bringt &#x017F;ie an die Stellen, wo die Hand-<lb/>
lung einen gema&#x0364;ßigten Grad der Gemu&#x0364;thsbewegung<lb/>
hervor bringt, die eben nicht lang anhalten, noch<lb/>
einen &#x017F;ehr tiefen Eindruk machen &#x017F;oll. Der Ton-<lb/>
&#x017F;etzer folget &#x017F;einem Bey&#x017F;piel. Er dehnet den Aus-<lb/>
druk weniger aus, als in der Arie; er zergliedert<lb/>
die Empfindungen nicht, und la&#x0364;ßt den Ausdruk<lb/>
etwas &#x017F;chnell vor uns voru&#x0364;ber fahren. Die&#x017F;es<lb/>
ausgenommen, wendet er &#x017F;on&#x017F;t wegen der Richtig-<lb/>
keit des Ausdruks eben die&#x017F;elbe Sorgfalt an, als<lb/>
auf die Arie. Die Ariette wird in den Opern zu<lb/><cb/>
<fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Ari</hi></fw><lb/>
&#x017F;ehr ver&#x017F;a&#x0364;umt, da man durchgehends nur große<lb/>
Arien macht. Eine Abwechslung von Arien und<lb/>
Arietten wa&#x0364;re um &#x017F;o viel be&#x017F;&#x017F;er, da es gar oft wi-<lb/>
der den guten Ge&#x017F;chmak &#x017F;treitet, daß geringere oder<lb/>
bald voru&#x0364;ber gehende Empfindungen, in eben der<lb/>
Ausdehnung &#x017F;ollen vorge&#x017F;tellt werden, als die, welche<lb/>
die Hauptempfindungen des Drama ausmachen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#g">Ario&#x017F;o.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">E</hi>in &#x017F;ehr einfacher Ge&#x017F;ang, der noch als ein &#x017F;ich<lb/>
auszeichnender |Theil der Recitatives kann ange&#x017F;e-<lb/>
hen werden. Wenn na&#x0364;mlich in dem Recitativ et-<lb/>
was vorko&#x0364;mmt, das in einer mehr abgeme&#x017F;&#x017F;enen<lb/>
Bewegung &#x017F;oll vorgetragen werden, als das u&#x0364;bri-<lb/>
ge; ein Wun&#x017F;ch, ein lehrreicher Spruch, ein ru&#x0364;h-<lb/>
rendes Gema&#x0364;hlde, dabey man &#x017F;ich aber nicht lange<lb/>
aufzuhalten hat; &#x017F;o vera&#x0364;ndert der Ton&#x017F;etzer den<lb/>
ungemeßnen Gang des Recitatives, und giebt dem<lb/>
Ge&#x017F;ang einen deutlich bemerkten Takt. Die Worte<lb/>
werden &#x017F;elten oder gar nicht wiederholt; es kommen<lb/>
darin keine La&#x0364;ufe, keine Schlußcadenzen, keine<lb/>
Zergliederungen der Ausdru&#x0364;cke vor. Mithin i&#x017F;t<lb/>
das Ario&#x017F;o eine ho&#x0364;ch&#x017F;t einfache Arie. Es thut &#x017F;ehr<lb/>
gute Wu&#x0364;rkung, indem es das, was ein langes Re-<lb/>
citativ zu langweiliges haben ko&#x0364;nnte, angenehm<lb/>
unterbricht, und mit dem ausgearbeiteten der Arie<lb/>
einen gefa&#x0364;lligen Contra&#x017F;t macht. Zu einer &#x017F;tillen<lb/>
feyerlichen Empfindung &#x017F;cheint das Ario&#x017F;o weit tu&#x0364;ch-<lb/>
tiger zu &#x017F;eyn, als alle andere Ge&#x017F;angarten, und<lb/>
eine furcht&#x017F;ame Aeußerung &#x017F;einer Ge&#x017F;innungen<lb/>
kann nicht| wol anders, als durch da&#x017F;&#x017F;elbe ausge-<lb/>
dru&#x0364;kt werden. Ueberhaupt dienet es zu allen &#x017F;til-<lb/>
len und wenig wortreichen Empfindungen. So<lb/>
wie der Ton&#x017F;etzer das Ario&#x017F;o mit viel Einfalt &#x017F;etzet,<lb/>
&#x017F;o muß auch der Sa&#x0364;nger &#x017F;ich in dem Vortrag<lb/>
der a&#x0364;ußer&#x017F;ten Einfalt mit dem be&#x017F;ten Nachdruk<lb/>
verbunden, befleißen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#g">Ari&#x017F;tophanes.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">E</hi>in griechi&#x017F;cher Como&#x0364;diendichter. Von &#x017F;einen<lb/>
Lebensum&#x017F;ta&#x0364;nden weiß man wenig. Das athenien-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;che Bu&#x0364;rgerrecht wurde ihm &#x017F;treitig gemacht, aber<lb/>
er behauptete es. Zu &#x017F;einer Zeit be&#x017F;aß Athen die<lb/>
gro&#x0364;ßten Ma&#x0364;nner; denn er war ein Zeitgeno&#x017F;&#x017F;e des<lb/>
Sokrates und Perikles.</p><lb/>
          <p>Damals &#x017F;cheiner die Como&#x0364;die noch keine or-<lb/>
dentliche Ge&#x017F;talt gehabt zu haben. Weder die<lb/>
Anordnung der Handluug, noch eine ordentliche<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Einrich-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0092] Ari Ari Von dem beſondern Studio des Saͤngers zu ei- nem vollkommenen Vortrag der Arie hat Toſi eine weitlaͤuftige Abhandlung gegeben. (*) Wir be- gnuͤgen uns, dem Saͤnger folgende Anmerkungen zur ernſthafteſten Ueberlegung zu empfehlen. (*) S. deſ- ſen Anlei- tung zur Singkunſt, nach Herrn Aur cola Ueberſe- tzung S. 172. u. ſ. f. Vor allen Dingen bedenke er, daß er nicht dar- um ſingt, um den Zuhoͤrer fuͤr ſeine Geſchiklichkeit einzunehmen, ſondern ihm das Bild eines von Empfindung durchdrungenen Menſchen auf das vollkommenſte darzuſtellen. Je mehr es ihm ge- lingt, den Zuhoͤrer vergeſſen zu machen, daß er nur einen Schauſpieler oder Saͤnger vor ſich hat, je groͤßer wird ſein Ruhm werden. Die verſtaͤndigern Zuhoͤrer wollen nicht ſeine Kehle, ſondern ſein Herz bewundern. So bald ſie merken, daß er ſie von der Sache ſelbſt abfuͤhren, und ihnen die Bewun- drung ſeiner Kunſt abzwingen will, ſo werden ſie froſtig. Deswegen wende er die ernſthafteſte Bemuͤhung an, den wahren Charakter der Arie ganz zu faſſen, jeden Gedanken des Dichters und Tonſetzers auf das ſicherſte zu ergreifen; dieſem zufolge jede Sylbe und jeden Ton in ſeinem wahren Lichte darzuſtellen. Hat er uͤberdem die Geſchiklichkeit, durch ſelbſt hin- zu geſetzte Toͤne den Ausdruk zu verſtaͤrken, ſo brin- ge er ſie an, aber nicht eher, bis er gewiß iſt, daß ſie dieſe Wuͤrkung haben. Kann er dieſes nicht, ſo halte er ſich lediglich an dem, was ihm vorgeſchrie- ben iſt. Er hat noch genug an der beſten Wen- dung der ihm vorgezeichneten Toͤne zu ſtudiren. Ein einziger einfacher Ton, der in die Seele dringt, iſt mehr werth, als eine ganze Reihe kuͤnſtlicher Laͤufe, die nichts ſagen, als daß ſie ſchweer zu machen ſind. Ariette. Eine kleine Arie, die nur aus einem Theil beſteht. Der Dichter bringt ſie an die Stellen, wo die Hand- lung einen gemaͤßigten Grad der Gemuͤthsbewegung hervor bringt, die eben nicht lang anhalten, noch einen ſehr tiefen Eindruk machen ſoll. Der Ton- ſetzer folget ſeinem Beyſpiel. Er dehnet den Aus- druk weniger aus, als in der Arie; er zergliedert die Empfindungen nicht, und laͤßt den Ausdruk etwas ſchnell vor uns voruͤber fahren. Dieſes ausgenommen, wendet er ſonſt wegen der Richtig- keit des Ausdruks eben dieſelbe Sorgfalt an, als auf die Arie. Die Ariette wird in den Opern zu ſehr verſaͤumt, da man durchgehends nur große Arien macht. Eine Abwechslung von Arien und Arietten waͤre um ſo viel beſſer, da es gar oft wi- der den guten Geſchmak ſtreitet, daß geringere oder bald voruͤber gehende Empfindungen, in eben der Ausdehnung ſollen vorgeſtellt werden, als die, welche die Hauptempfindungen des Drama ausmachen. Arioſo. Ein ſehr einfacher Geſang, der noch als ein ſich auszeichnender |Theil der Recitatives kann angeſe- hen werden. Wenn naͤmlich in dem Recitativ et- was vorkoͤmmt, das in einer mehr abgemeſſenen Bewegung ſoll vorgetragen werden, als das uͤbri- ge; ein Wunſch, ein lehrreicher Spruch, ein ruͤh- rendes Gemaͤhlde, dabey man ſich aber nicht lange aufzuhalten hat; ſo veraͤndert der Tonſetzer den ungemeßnen Gang des Recitatives, und giebt dem Geſang einen deutlich bemerkten Takt. Die Worte werden ſelten oder gar nicht wiederholt; es kommen darin keine Laͤufe, keine Schlußcadenzen, keine Zergliederungen der Ausdruͤcke vor. Mithin iſt das Arioſo eine hoͤchſt einfache Arie. Es thut ſehr gute Wuͤrkung, indem es das, was ein langes Re- citativ zu langweiliges haben koͤnnte, angenehm unterbricht, und mit dem ausgearbeiteten der Arie einen gefaͤlligen Contraſt macht. Zu einer ſtillen feyerlichen Empfindung ſcheint das Arioſo weit tuͤch- tiger zu ſeyn, als alle andere Geſangarten, und eine furchtſame Aeußerung ſeiner Geſinnungen kann nicht| wol anders, als durch daſſelbe ausge- druͤkt werden. Ueberhaupt dienet es zu allen ſtil- len und wenig wortreichen Empfindungen. So wie der Tonſetzer das Arioſo mit viel Einfalt ſetzet, ſo muß auch der Saͤnger ſich in dem Vortrag der aͤußerſten Einfalt mit dem beſten Nachdruk verbunden, befleißen. Ariſtophanes. Ein griechiſcher Comoͤdiendichter. Von ſeinen Lebensumſtaͤnden weiß man wenig. Das athenien- ſiſche Buͤrgerrecht wurde ihm ſtreitig gemacht, aber er behauptete es. Zu ſeiner Zeit beſaß Athen die groͤßten Maͤnner; denn er war ein Zeitgenoſſe des Sokrates und Perikles. Damals ſcheiner die Comoͤdie noch keine or- dentliche Geſtalt gehabt zu haben. Weder die Anordnung der Handluug, noch eine ordentliche Einrich-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/92
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/92>, abgerufen am 24.11.2024.