drey Accorden herumtreiben, oder in Versezungen wie- derholen, vielweniger, ehe das Stük oder der erste Abschnitt zu Ende gebracht worden, wieder in den Hauptton schließen, und dadurch auf die Stelle kommen, wo man anfänglich gewesen ist.
Die Regel, daß man nur solche Töne hören lasse, die der angenommenen Tonleiter zugehören, därf auch eben nicht auf das strengste beobachtet werden. Es geht an, daß man, ohne den Ton darin man ist zu verlassen, oder das Gefühl desselben auszulöschen, eine ihm fremde Sayte berühre. Aber es muß nur wie im Vorbeygang geschehen, und man muß sie sogleich wieder verlassen. Man könnte in C dur, anstatt also zu moduliren,
[Abbildung]
auch wol auf folgende Weise fortschreiten,
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ohne daß durch die zwey fremden Töne, die hier ge- hört werden, das Gefühl der Tonleiter C dur aus- gelöscht würde. Nur müssen nicht solche fremde Töne genommen werden, die der Tonleiter völlig entgegen sind, wie wenn man in C dur Cis oder Dis hören ließe; denn dadurch würde sogleich das Ge- fühl einer sehr entfernten Tonart erwekt werden.
Man kann auf diese Weise ganze Stüke, oder Abschnitte von zwölf, sechszehen und mehr Takten machen, ohne langweilig zu werden. (*) Dieses sey von der Modulation in einem Ton gesagt.
Die andere Art, oder das, was man insgemein durch Modulation verstehet, erfodert schon mehr Kenntnis der Harmonie, und ist grössern Schwie- rigkeiten unterworsen. Es ist kein geringer Theil der Wissenschaft eines guten Harmonisten, längeren Stüken durch öfteres Abwechseln des Tones eine Mannigfaltigkeit zu geben, wobey keine Härte, die aus schnellen Abwechslungen entsteht, zu fühlen sey. Dieser Punkt verdienet demnach eine genauere Be- trachtung.
Von der Nothwendigkeit in längern Stüken, Ge- sang und Harmonie durch mehrere Töne hindurch zu führen, zulezt aber wieder auf den ersten Haupt- ton zu kommen, und von den Ausweichungen und [Spaltenumbruch]
Mod
Schlüßen, wodurch diese Modulation erhalten wird, ist bereits in einem andern Artikel gesprochen wor- den, (*) den Anfänger hier vor Augen haben müs- sen. Dort ist auch gezeiget worden, wie die ver- schiedenen Töne am natürlichsten und ungezwungen- sten auf einander folgen können, und wie lange man sich ohngefehr in jedem neuen Ton aufhalten könne, ohne sich ganz in der Modulation zu verirren. Aber man muß wol merken, daß jene Regeln nur gelten, in so fern es um einen gefälligen und wolfließenden Gesang zu thun ist. Der Ausdruk und die Sprache der Leidenschaft erfodern ofte ein ganz anderes Ver- fahren. Wenn sich die Empfindung schnell wendet, so muß auch der Ton schnell abwechseln. Also blei- bet uns hier noch übrig von den allgemeinen Re- geln der guten Modulation zu sprechen.
Sie ist nicht in allen Arten der Tonstüke densel- ben Regeln unterworfen. Das Recitativ erfodert meistentheils eine ganz andere Modulation, als der eigentliche Gesang; die Tanzmelodien und die Lieder sind in der Modulation sehr viel eingeschränkter, als die Arien, und diese mehr, als große Concerte. Also kommt bey der Modulation die Natur des Stüks, und besonders seine Länge zuerst in Betrachtung. Hernach muß man auch bedenken, ob die Modu- lation blos eine gefällige Mannigfaltigkeit und Ab- wechslung zur Absicht habe, oder ob sie zur Unter- stüzung des Ausdruks dienen soll. Dergleichen Be- trachtungen geben dem Tonsezer in besondern Fällen die Regeln seines Verhaltens an, und zeigen ihm, wo er weiter von dem Hauptton ausschweifen könne, und wo er sich immer in seiner Nachbarschaft auf- halten müsse; wo er schnell und allenfalls mit eini- ger Härte in entfernte Töhe zu gehen hat, und wo seine Ausweichungen sanfter und allmählig seyn sol- len. Lauter Betrachtungen von Wichtigkeit, wenn man sicher seyn will, für jeden besondern Fall die beste Modulation zu wählen.
Durch die Modulation kann der Ausdruk sehr un- terstüzt werden. Jn Stüken von sanftem und etwas ruhigem Affekt, muß man nicht so ofte ausweichen, als in denen, die ungesiühmere Leidenschaften aus- druken. Empfindungen verdrießlicher Art, vertra- gen und erfodern sogar eine Modulation, die einige Härte hat, da ein Ton gegen den nächsten eben nicht allzu sanft absticht. Wo alles, was zum Ausdruk geböret, in der größten Genauigkeit beobachtet wird,
da
(*) Man sehe was hierüber in dem Art. Fortschrei- tung ange- merkt wor- den
(*) S. Art Aus- weichung.
[Spaltenumbruch]
Mod
drey Accorden herumtreiben, oder in Verſezungen wie- derholen, vielweniger, ehe das Stuͤk oder der erſte Abſchnitt zu Ende gebracht worden, wieder in den Hauptton ſchließen, und dadurch auf die Stelle kommen, wo man anfaͤnglich geweſen iſt.
Die Regel, daß man nur ſolche Toͤne hoͤren laſſe, die der angenommenen Tonleiter zugehoͤren, daͤrf auch eben nicht auf das ſtrengſte beobachtet werden. Es geht an, daß man, ohne den Ton darin man iſt zu verlaſſen, oder das Gefuͤhl deſſelben auszuloͤſchen, eine ihm fremde Sayte beruͤhre. Aber es muß nur wie im Vorbeygang geſchehen, und man muß ſie ſogleich wieder verlaſſen. Man koͤnnte in C dur, anſtatt alſo zu moduliren,
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auch wol auf folgende Weiſe fortſchreiten,
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ohne daß durch die zwey fremden Toͤne, die hier ge- hoͤrt werden, das Gefuͤhl der Tonleiter C dur aus- geloͤſcht wuͤrde. Nur müſſen nicht ſolche fremde Toͤne genommen werden, die der Tonleiter voͤllig entgegen ſind, wie wenn man in C dur Cis oder Dis hoͤren ließe; denn dadurch wuͤrde ſogleich das Ge- fuͤhl einer ſehr entfernten Tonart erwekt werden.
Man kann auf dieſe Weiſe ganze Stuͤke, oder Abſchnitte von zwoͤlf, ſechszehen und mehr Takten machen, ohne langweilig zu werden. (*) Dieſes ſey von der Modulation in einem Ton geſagt.
Die andere Art, oder das, was man insgemein durch Modulation verſtehet, erfodert ſchon mehr Kenntnis der Harmonie, und iſt groͤſſern Schwie- rigkeiten unterworſen. Es iſt kein geringer Theil der Wiſſenſchaft eines guten Harmoniſten, laͤngeren Stuͤken durch oͤfteres Abwechſeln des Tones eine Mannigfaltigkeit zu geben, wobey keine Haͤrte, die aus ſchnellen Abwechslungen entſteht, zu fuͤhlen ſey. Dieſer Punkt verdienet demnach eine genauere Be- trachtung.
Von der Nothwendigkeit in laͤngern Stuͤken, Ge- ſang und Harmonie durch mehrere Toͤne hindurch zu fuͤhren, zulezt aber wieder auf den erſten Haupt- ton zu kommen, und von den Ausweichungen und [Spaltenumbruch]
Mod
Schluͤßen, wodurch dieſe Modulation erhalten wird, iſt bereits in einem andern Artikel geſprochen wor- den, (*) den Anfaͤnger hier vor Augen haben muͤſ- ſen. Dort iſt auch gezeiget worden, wie die ver- ſchiedenen Toͤne am natuͤrlichſten und ungezwungen- ſten auf einander folgen koͤnnen, und wie lange man ſich ohngefehr in jedem neuen Ton aufhalten koͤnne, ohne ſich ganz in der Modulation zu verirren. Aber man muß wol merken, daß jene Regeln nur gelten, in ſo fern es um einen gefaͤlligen und wolfließenden Geſang zu thun iſt. Der Ausdruk und die Sprache der Leidenſchaft erfodern ofte ein ganz anderes Ver- fahren. Wenn ſich die Empfindung ſchnell wendet, ſo muß auch der Ton ſchnell abwechſeln. Alſo blei- bet uns hier noch uͤbrig von den allgemeinen Re- geln der guten Modulation zu ſprechen.
Sie iſt nicht in allen Arten der Tonſtuͤke denſel- ben Regeln unterworfen. Das Recitativ erfodert meiſtentheils eine ganz andere Modulation, als der eigentliche Geſang; die Tanzmelodien und die Lieder ſind in der Modulation ſehr viel eingeſchraͤnkter, als die Arien, und dieſe mehr, als große Concerte. Alſo kommt bey der Modulation die Natur des Stuͤks, und beſonders ſeine Laͤnge zuerſt in Betrachtung. Hernach muß man auch bedenken, ob die Modu- lation blos eine gefaͤllige Mannigfaltigkeit und Ab- wechslung zur Abſicht habe, oder ob ſie zur Unter- ſtuͤzung des Ausdruks dienen ſoll. Dergleichen Be- trachtungen geben dem Tonſezer in beſondern Faͤllen die Regeln ſeines Verhaltens an, und zeigen ihm, wo er weiter von dem Hauptton ausſchweifen koͤnne, und wo er ſich immer in ſeiner Nachbarſchaft auf- halten muͤſſe; wo er ſchnell und allenfalls mit eini- ger Haͤrte in entfernte Toͤhe zu gehen hat, und wo ſeine Ausweichungen ſanfter und allmaͤhlig ſeyn ſol- len. Lauter Betrachtungen von Wichtigkeit, wenn man ſicher ſeyn will, fuͤr jeden beſondern Fall die beſte Modulation zu waͤhlen.
Durch die Modulation kann der Ausdruk ſehr un- terſtuͤzt werden. Jn Stuͤken von ſanftem und etwas ruhigem Affekt, muß man nicht ſo ofte ausweichen, als in denen, die ungeſiuͤhmere Leidenſchaften aus- druken. Empfindungen verdrießlicher Art, vertra- gen und erfodern ſogar eine Modulation, die einige Haͤrte hat, da ein Ton gegen den naͤchſten eben nicht allzu ſanft abſticht. Wo alles, was zum Ausdruk geboͤret, in der groͤßten Genauigkeit beobachtet wird,
da
(*) Man ſehe was hieruͤber in dem Art. Fortſchrei- tung ange- merkt wor- den
(*) S. Art Aus- weichung.
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[774[756]/0191]
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derholen, vielweniger, ehe das Stuͤk oder der erſte
Abſchnitt zu Ende gebracht worden, wieder in den
Hauptton ſchließen, und dadurch auf die Stelle
kommen, wo man anfaͤnglich geweſen iſt.
Die Regel, daß man nur ſolche Toͤne hoͤren laſſe,
die der angenommenen Tonleiter zugehoͤren, daͤrf
auch eben nicht auf das ſtrengſte beobachtet werden.
Es geht an, daß man, ohne den Ton darin man iſt
zu verlaſſen, oder das Gefuͤhl deſſelben auszuloͤſchen,
eine ihm fremde Sayte beruͤhre. Aber es muß nur
wie im Vorbeygang geſchehen, und man muß ſie
ſogleich wieder verlaſſen. Man koͤnnte in C dur,
anſtatt alſo zu moduliren,
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auch wol auf folgende Weiſe fortſchreiten,
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ohne daß durch die zwey fremden Toͤne, die hier ge-
hoͤrt werden, das Gefuͤhl der Tonleiter C dur aus-
geloͤſcht wuͤrde. Nur müſſen nicht ſolche fremde
Toͤne genommen werden, die der Tonleiter voͤllig
entgegen ſind, wie wenn man in C dur Cis oder Dis
hoͤren ließe; denn dadurch wuͤrde ſogleich das Ge-
fuͤhl einer ſehr entfernten Tonart erwekt werden.
Man kann auf dieſe Weiſe ganze Stuͤke, oder
Abſchnitte von zwoͤlf, ſechszehen und mehr Takten
machen, ohne langweilig zu werden. (*) Dieſes
ſey von der Modulation in einem Ton geſagt.
Die andere Art, oder das, was man insgemein
durch Modulation verſtehet, erfodert ſchon mehr
Kenntnis der Harmonie, und iſt groͤſſern Schwie-
rigkeiten unterworſen. Es iſt kein geringer Theil
der Wiſſenſchaft eines guten Harmoniſten, laͤngeren
Stuͤken durch oͤfteres Abwechſeln des Tones eine
Mannigfaltigkeit zu geben, wobey keine Haͤrte, die
aus ſchnellen Abwechslungen entſteht, zu fuͤhlen ſey.
Dieſer Punkt verdienet demnach eine genauere Be-
trachtung.
Von der Nothwendigkeit in laͤngern Stuͤken, Ge-
ſang und Harmonie durch mehrere Toͤne hindurch
zu fuͤhren, zulezt aber wieder auf den erſten Haupt-
ton zu kommen, und von den Ausweichungen und
Schluͤßen, wodurch dieſe Modulation erhalten wird,
iſt bereits in einem andern Artikel geſprochen wor-
den, (*) den Anfaͤnger hier vor Augen haben muͤſ-
ſen. Dort iſt auch gezeiget worden, wie die ver-
ſchiedenen Toͤne am natuͤrlichſten und ungezwungen-
ſten auf einander folgen koͤnnen, und wie lange man
ſich ohngefehr in jedem neuen Ton aufhalten koͤnne,
ohne ſich ganz in der Modulation zu verirren. Aber
man muß wol merken, daß jene Regeln nur gelten,
in ſo fern es um einen gefaͤlligen und wolfließenden
Geſang zu thun iſt. Der Ausdruk und die Sprache
der Leidenſchaft erfodern ofte ein ganz anderes Ver-
fahren. Wenn ſich die Empfindung ſchnell wendet,
ſo muß auch der Ton ſchnell abwechſeln. Alſo blei-
bet uns hier noch uͤbrig von den allgemeinen Re-
geln der guten Modulation zu ſprechen.
Sie iſt nicht in allen Arten der Tonſtuͤke denſel-
ben Regeln unterworfen. Das Recitativ erfodert
meiſtentheils eine ganz andere Modulation, als der
eigentliche Geſang; die Tanzmelodien und die Lieder
ſind in der Modulation ſehr viel eingeſchraͤnkter, als
die Arien, und dieſe mehr, als große Concerte. Alſo
kommt bey der Modulation die Natur des Stuͤks,
und beſonders ſeine Laͤnge zuerſt in Betrachtung.
Hernach muß man auch bedenken, ob die Modu-
lation blos eine gefaͤllige Mannigfaltigkeit und Ab-
wechslung zur Abſicht habe, oder ob ſie zur Unter-
ſtuͤzung des Ausdruks dienen ſoll. Dergleichen Be-
trachtungen geben dem Tonſezer in beſondern Faͤllen
die Regeln ſeines Verhaltens an, und zeigen ihm,
wo er weiter von dem Hauptton ausſchweifen koͤnne,
und wo er ſich immer in ſeiner Nachbarſchaft auf-
halten muͤſſe; wo er ſchnell und allenfalls mit eini-
ger Haͤrte in entfernte Toͤhe zu gehen hat, und wo
ſeine Ausweichungen ſanfter und allmaͤhlig ſeyn ſol-
len. Lauter Betrachtungen von Wichtigkeit, wenn
man ſicher ſeyn will, fuͤr jeden beſondern Fall die
beſte Modulation zu waͤhlen.
Durch die Modulation kann der Ausdruk ſehr un-
terſtuͤzt werden. Jn Stuͤken von ſanftem und etwas
ruhigem Affekt, muß man nicht ſo ofte ausweichen,
als in denen, die ungeſiuͤhmere Leidenſchaften aus-
druken. Empfindungen verdrießlicher Art, vertra-
gen und erfodern ſogar eine Modulation, die einige
Haͤrte hat, da ein Ton gegen den naͤchſten eben nicht
allzu ſanft abſticht. Wo alles, was zum Ausdruk
geboͤret, in der groͤßten Genauigkeit beobachtet wird,
da
(*) Man
ſehe was
hieruͤber in
dem Art.
Fortſchrei-
tung ange-
merkt wor-
den
(*) S.
Art Aus-
weichung.
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 774[756]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/191>, abgerufen am 21.11.2024.
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