der Art seyn soll, würklich seyn, ist traurig, freu- dig, zärtlich, oder lustig; aber es ist es auf eine übertriebene, grobe Art, mit Beymischung solcher Umstände, die den feinern Geschmak beleidigen. Wolanständigkeit, Schiklichkeit, gute Verhältnisse und was zum Feinen der Form gehört, sind Sachen, worauf der Pöbel nicht sieht; darum finden sie sich auch bey dem Niedrigen nicht. Scherze sind Zoten; das Lustige wild und ausgelassen, das Sittliche über- haupt unüberlegt und grob, das Leidenschaftliche über- trieben, und mit viel Wiedrigem verbunden.
Jn den Werken des Geschmaks ist das Niedrige überhaupt sorgfältig zu vermeiden; doch ereignen sich auch Gelegenheiten, wo es nicht ganz zu ver- werfen ist. Man kann hierüber dem Künstler keine sicherere Regel geben, als daß man ihn vermahne bey jedem Werk seines Zweks eingedenk zu seyn. Bey ernsthaften Gelegenheiten, wo es darum zu thun ist, Gesinnungen und Entschließungen einzuflößen; das Gesühl des Guten und Schönen rege zu machen, auch überall, wo der Künstler die Absicht hat, seine eigene Denkungsart zu entwikeln, da muß alles Niedrige schlechterdings vermieden werden. Ein pöbelhafter Ausdruk, oder ein niedriges Bild, kann den schönsten Gedanken verderben. Ueberhaupt muß der Künstler beständig daran denken, daß er für Personen von Geschmak und von etwas feiner Lebensart arbeitet. So gar daß Gemeine, muß er überall vermeiden, weil es die Aufmerksamkeit derer, für die er arbeitet, nicht reizet.
Auch nicht einmal da, wo man uns unsre Thor- heiten vorhält, um uns davon zu reinigen, in der Comödie und den Werken von scherzhaftem Jnhalt, wobey man ernsthafte Absichten hat, ist das Nie- drige zu brauchen. Kein Mensch von einiger Er- ziehung wird das wiedrig Lächerliche auf sich deuten; er wird vielmehr glauben, daß man ihn blos damit belustigen wolle. (*)
Darum wollen wir doch das niedrig comische, wenn es nur würklich aus der Natur genommen und nicht durch bloßes Possenspiehl übertrieben ist, nicht ganz verwerfen. Das Lachen in so fern es blos zur Belustigung dienet, hat auch seine Zeit, und dieses Lachen wird gar ofte, auch bey Perso- nen von feinem Geschmak, wegen des ungemein abste- chenden Contrasts gegen das, dessen sie gewöhnt sind, durch das Niedrigcomische, wenn es nur wahrhaf- tig natürlich ist, sicher erreicht. Jch habe einen [Spaltenumbruch]
Non
vornehmen Mann, von äußerst feinem Geschmak und sehr edlem Charakter gekannt, der sich bisweilen das Vergnügen machte, mit einigen Freunden in Lon- den in einem Hause zu speisen, wo viele Schorn- steinfeger ihren täglichen Tisch hatten, um sich an den Sitten und den Manieren dieser Leuthe zu be- lustigen. Und es ist so ungewöhnlich nicht, daß die feinesten und wizigsten Köpfe bisweilen an dem nie- drig comischen der Schaubühne großes Wolgefallen haben, und recht herzlich mitlachen. Nur so gar abgeschmakt und völlig unnatürlich, wie einige Sce- nen in Molieres bürgerlichen Edelmann, oder im eingebildeten Kranken, muß es nicht seyn; weil kaum noch der Pöbel darüber lacht. Aber solche Scenen, die bey ihrer Niedrigkeit Wahrheit haben, wie viele Gemählde des Teinies und Ostade, und wobey auch das, was dem Pöbel selbst ekelhaft ist, vermieden wird, sind als getreue Schilderungen der Natur zur Abwechslung und zum Zeitvertreib angenehm.
None. (Musik.)
Ein dissonirendes Jntervall von der Art der zufälli- gen Dissonanzen, (*) welche auf einer guten Zeit des Takts, als ein Vorhalt eine Zeitlang die Stelle der Octav, oder der Decime einnimmt, und hernach in das Jntervall, an dessen Stelle sie aus dem vor- hergehenden Accord liegen geblieben ist, herüber geht, wie in diesen Beyspielen zu sehen ist.
[Abbildung]
Die Noten, welche hier den Namen der None haben, werden in andern Fällen, in eben dieser Entfernung von der Baßnote, Secunden genennt; weil sie in der That die Secunden der ersten oder zweyten Octave des Baßtones sind. Daher ist hier vor allen Din- gen der Grund anzuzeigen, warum dasselbe Jnter- vall einmal den Name der Secunde, ein andermal aber den Namen der None bekomme.
Erstlich ist die None allezeit ein Vorhalt, oder eine zufällige Dissonanz, die Secunde hingegen ist
oft
(*) S. Lächerlich. S. 647.
(*) S. Dissonanz.
Zweyter Theil. J i i i i
[Spaltenumbruch]
Nie
der Art ſeyn ſoll, wuͤrklich ſeyn, iſt traurig, freu- dig, zaͤrtlich, oder luſtig; aber es iſt es auf eine uͤbertriebene, grobe Art, mit Beymiſchung ſolcher Umſtaͤnde, die den feinern Geſchmak beleidigen. Wolanſtaͤndigkeit, Schiklichkeit, gute Verhaͤltniſſe und was zum Feinen der Form gehoͤrt, ſind Sachen, worauf der Poͤbel nicht ſieht; darum finden ſie ſich auch bey dem Niedrigen nicht. Scherze ſind Zoten; das Luſtige wild und ausgelaſſen, das Sittliche uͤber- haupt unuͤberlegt und grob, das Leidenſchaftliche uͤber- trieben, und mit viel Wiedrigem verbunden.
Jn den Werken des Geſchmaks iſt das Niedrige uͤberhaupt ſorgfaͤltig zu vermeiden; doch ereignen ſich auch Gelegenheiten, wo es nicht ganz zu ver- werfen iſt. Man kann hieruͤber dem Kuͤnſtler keine ſicherere Regel geben, als daß man ihn vermahne bey jedem Werk ſeines Zweks eingedenk zu ſeyn. Bey ernſthaften Gelegenheiten, wo es darum zu thun iſt, Geſinnungen und Entſchließungen einzufloͤßen; das Geſuͤhl des Guten und Schoͤnen rege zu machen, auch uͤberall, wo der Kuͤnſtler die Abſicht hat, ſeine eigene Denkungsart zu entwikeln, da muß alles Niedrige ſchlechterdings vermieden werden. Ein poͤbelhafter Ausdruk, oder ein niedriges Bild, kann den ſchoͤnſten Gedanken verderben. Ueberhaupt muß der Kuͤnſtler beſtaͤndig daran denken, daß er fuͤr Perſonen von Geſchmak und von etwas feiner Lebensart arbeitet. So gar daß Gemeine, muß er uͤberall vermeiden, weil es die Aufmerkſamkeit derer, fuͤr die er arbeitet, nicht reizet.
Auch nicht einmal da, wo man uns unſre Thor- heiten vorhaͤlt, um uns davon zu reinigen, in der Comoͤdie und den Werken von ſcherzhaftem Jnhalt, wobey man ernſthafte Abſichten hat, iſt das Nie- drige zu brauchen. Kein Menſch von einiger Er- ziehung wird das wiedrig Laͤcherliche auf ſich deuten; er wird vielmehr glauben, daß man ihn blos damit beluſtigen wolle. (*)
Darum wollen wir doch das niedrig comiſche, wenn es nur wuͤrklich aus der Natur genommen und nicht durch bloßes Poſſenſpiehl uͤbertrieben iſt, nicht ganz verwerfen. Das Lachen in ſo fern es blos zur Beluſtigung dienet, hat auch ſeine Zeit, und dieſes Lachen wird gar ofte, auch bey Perſo- nen von feinem Geſchmak, wegen des ungemein abſte- chenden Contraſts gegen das, deſſen ſie gewoͤhnt ſind, durch das Niedrigcomiſche, wenn es nur wahrhaf- tig natuͤrlich iſt, ſicher erreicht. Jch habe einen [Spaltenumbruch]
Non
vornehmen Mann, von aͤußerſt feinem Geſchmak und ſehr edlem Charakter gekannt, der ſich bisweilen das Vergnuͤgen machte, mit einigen Freunden in Lon- den in einem Hauſe zu ſpeiſen, wo viele Schorn- ſteinfeger ihren taͤglichen Tiſch hatten, um ſich an den Sitten und den Manieren dieſer Leuthe zu be- luſtigen. Und es iſt ſo ungewoͤhnlich nicht, daß die feineſten und wizigſten Koͤpfe bisweilen an dem nie- drig comiſchen der Schaubuͤhne großes Wolgefallen haben, und recht herzlich mitlachen. Nur ſo gar abgeſchmakt und voͤllig unnatuͤrlich, wie einige Sce- nen in Molieres buͤrgerlichen Edelmann, oder im eingebildeten Kranken, muß es nicht ſeyn; weil kaum noch der Poͤbel daruͤber lacht. Aber ſolche Scenen, die bey ihrer Niedrigkeit Wahrheit haben, wie viele Gemaͤhlde des Teinies und Oſtade, und wobey auch das, was dem Poͤbel ſelbſt ekelhaft iſt, vermieden wird, ſind als getreue Schilderungen der Natur zur Abwechslung und zum Zeitvertreib angenehm.
None. (Muſik.)
Ein diſſonirendes Jntervall von der Art der zufaͤlli- gen Diſſonanzen, (*) welche auf einer guten Zeit des Takts, als ein Vorhalt eine Zeitlang die Stelle der Octav, oder der Decime einnimmt, und hernach in das Jntervall, an deſſen Stelle ſie aus dem vor- hergehenden Accord liegen geblieben iſt, heruͤber geht, wie in dieſen Beyſpielen zu ſehen iſt.
[Abbildung]
Die Noten, welche hier den Namen der None haben, werden in andern Faͤllen, in eben dieſer Entfernung von der Baßnote, Secunden genennt; weil ſie in der That die Secunden der erſten oder zweyten Octave des Baßtones ſind. Daher iſt hier vor allen Din- gen der Grund anzuzeigen, warum daſſelbe Jnter- vall einmal den Name der Secunde, ein andermal aber den Namen der None bekomme.
Erſtlich iſt die None allezeit ein Vorhalt, oder eine zufaͤllige Diſſonanz, die Secunde hingegen iſt
oft
(*) S. Laͤcherlich. S. 647.
(*) S. Diſſonanz.
Zweyter Theil. J i i i i
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0236"n="819[801]"/><cb/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Nie</hi></fw><lb/>
der Art ſeyn ſoll, wuͤrklich ſeyn, iſt traurig, freu-<lb/>
dig, zaͤrtlich, oder luſtig; aber es iſt es auf eine<lb/>
uͤbertriebene, grobe Art, mit Beymiſchung ſolcher<lb/>
Umſtaͤnde, die den feinern Geſchmak beleidigen.<lb/>
Wolanſtaͤndigkeit, Schiklichkeit, gute Verhaͤltniſſe<lb/>
und was zum Feinen der Form gehoͤrt, ſind Sachen,<lb/>
worauf der Poͤbel nicht ſieht; darum finden ſie ſich<lb/>
auch bey dem Niedrigen nicht. Scherze ſind Zoten;<lb/>
das Luſtige wild und ausgelaſſen, das Sittliche uͤber-<lb/>
haupt unuͤberlegt und grob, das Leidenſchaftliche uͤber-<lb/>
trieben, und mit viel Wiedrigem verbunden.</p><lb/><p>Jn den Werken des Geſchmaks iſt das Niedrige<lb/>
uͤberhaupt ſorgfaͤltig zu vermeiden; doch ereignen<lb/>ſich auch Gelegenheiten, wo es nicht ganz zu ver-<lb/>
werfen iſt. Man kann hieruͤber dem Kuͤnſtler keine<lb/>ſicherere Regel geben, als daß man ihn vermahne bey<lb/>
jedem Werk ſeines Zweks eingedenk zu ſeyn. Bey<lb/>
ernſthaften Gelegenheiten, wo es darum zu thun<lb/>
iſt, Geſinnungen und Entſchließungen einzufloͤßen;<lb/>
das Geſuͤhl des Guten und Schoͤnen rege zu machen,<lb/>
auch uͤberall, wo der Kuͤnſtler die Abſicht hat, ſeine<lb/>
eigene Denkungsart zu entwikeln, da muß alles<lb/>
Niedrige ſchlechterdings vermieden werden. Ein<lb/>
poͤbelhafter Ausdruk, oder ein niedriges Bild, kann<lb/>
den ſchoͤnſten Gedanken verderben. Ueberhaupt<lb/>
muß der Kuͤnſtler beſtaͤndig daran denken, daß er<lb/>
fuͤr Perſonen von Geſchmak und von etwas feiner<lb/>
Lebensart arbeitet. So gar daß Gemeine, muß er<lb/>
uͤberall vermeiden, weil es die Aufmerkſamkeit derer,<lb/>
fuͤr die er arbeitet, nicht reizet.</p><lb/><p>Auch nicht einmal da, wo man uns unſre Thor-<lb/>
heiten vorhaͤlt, um uns davon zu reinigen, in der<lb/>
Comoͤdie und den Werken von ſcherzhaftem Jnhalt,<lb/>
wobey man ernſthafte Abſichten hat, iſt das Nie-<lb/>
drige zu brauchen. Kein Menſch von einiger Er-<lb/>
ziehung wird das wiedrig Laͤcherliche auf ſich deuten;<lb/>
er wird vielmehr glauben, daß man ihn blos damit<lb/>
beluſtigen wolle. <noteplace="foot"n="(*)">S.<lb/>
Laͤcherlich.<lb/>
S. 647.</note></p><lb/><p>Darum wollen wir doch das niedrig comiſche,<lb/>
wenn es nur wuͤrklich aus der Natur genommen<lb/>
und nicht durch bloßes Poſſenſpiehl uͤbertrieben iſt,<lb/>
nicht ganz verwerfen. Das Lachen in ſo fern es<lb/>
blos zur Beluſtigung dienet, hat auch ſeine Zeit,<lb/>
und dieſes Lachen wird gar ofte, auch bey Perſo-<lb/>
nen von feinem Geſchmak, wegen des ungemein abſte-<lb/>
chenden Contraſts gegen das, deſſen ſie gewoͤhnt ſind,<lb/>
durch das Niedrigcomiſche, wenn es nur wahrhaf-<lb/>
tig natuͤrlich iſt, ſicher erreicht. Jch habe einen<lb/><cb/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Non</hi></fw><lb/>
vornehmen Mann, von aͤußerſt feinem Geſchmak<lb/>
und ſehr edlem Charakter gekannt, der ſich bisweilen<lb/>
das Vergnuͤgen machte, mit einigen Freunden in Lon-<lb/>
den in einem Hauſe zu ſpeiſen, wo viele Schorn-<lb/>ſteinfeger ihren taͤglichen Tiſch hatten, um ſich an<lb/>
den Sitten und den Manieren dieſer Leuthe zu be-<lb/>
luſtigen. Und es iſt ſo ungewoͤhnlich nicht, daß die<lb/>
feineſten und wizigſten Koͤpfe bisweilen an dem nie-<lb/>
drig comiſchen der Schaubuͤhne großes Wolgefallen<lb/>
haben, und recht herzlich mitlachen. Nur ſo gar<lb/>
abgeſchmakt und voͤllig unnatuͤrlich, wie einige Sce-<lb/>
nen in Molieres buͤrgerlichen Edelmann, oder im<lb/>
eingebildeten Kranken, muß es nicht ſeyn; weil kaum<lb/>
noch der Poͤbel daruͤber lacht. Aber ſolche Scenen,<lb/>
die bey ihrer Niedrigkeit Wahrheit haben, wie viele<lb/>
Gemaͤhlde des Teinies und Oſtade, und wobey auch<lb/>
das, was dem Poͤbel ſelbſt ekelhaft iſt, vermieden<lb/>
wird, ſind als getreue Schilderungen der Natur zur<lb/>
Abwechslung und zum Zeitvertreib angenehm.</p></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#g">None</hi>.<lb/>
(Muſik.)</head><lb/><p><hirendition="#in">E</hi>in diſſonirendes Jntervall von der Art der zufaͤlli-<lb/>
gen Diſſonanzen, <noteplace="foot"n="(*)">S.<lb/>
Diſſonanz.</note> welche auf einer guten Zeit<lb/>
des Takts, als ein Vorhalt eine Zeitlang die Stelle<lb/>
der Octav, oder der Decime einnimmt, und hernach<lb/>
in das Jntervall, an deſſen Stelle ſie aus dem vor-<lb/>
hergehenden Accord liegen geblieben iſt, heruͤber<lb/>
geht, wie in dieſen Beyſpielen zu ſehen iſt.</p><lb/><figure/><p>Die Noten, welche hier den Namen der None haben,<lb/>
werden in andern Faͤllen, in eben dieſer Entfernung<lb/>
von der Baßnote, Secunden genennt; weil ſie in der<lb/>
That die Secunden der erſten oder zweyten Octave<lb/>
des Baßtones ſind. Daher iſt hier vor allen Din-<lb/>
gen der Grund anzuzeigen, warum daſſelbe Jnter-<lb/>
vall einmal den Name der Secunde, ein andermal<lb/>
aber den Namen der None bekomme.</p><lb/><p>Erſtlich iſt die None allezeit ein Vorhalt, oder<lb/>
eine zufaͤllige Diſſonanz, die Secunde hingegen iſt<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr">Zweyter Theil.</hi> J i i i i</fw><fwplace="bottom"type="catch">oft</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[819[801]/0236]
Nie
Non
der Art ſeyn ſoll, wuͤrklich ſeyn, iſt traurig, freu-
dig, zaͤrtlich, oder luſtig; aber es iſt es auf eine
uͤbertriebene, grobe Art, mit Beymiſchung ſolcher
Umſtaͤnde, die den feinern Geſchmak beleidigen.
Wolanſtaͤndigkeit, Schiklichkeit, gute Verhaͤltniſſe
und was zum Feinen der Form gehoͤrt, ſind Sachen,
worauf der Poͤbel nicht ſieht; darum finden ſie ſich
auch bey dem Niedrigen nicht. Scherze ſind Zoten;
das Luſtige wild und ausgelaſſen, das Sittliche uͤber-
haupt unuͤberlegt und grob, das Leidenſchaftliche uͤber-
trieben, und mit viel Wiedrigem verbunden.
Jn den Werken des Geſchmaks iſt das Niedrige
uͤberhaupt ſorgfaͤltig zu vermeiden; doch ereignen
ſich auch Gelegenheiten, wo es nicht ganz zu ver-
werfen iſt. Man kann hieruͤber dem Kuͤnſtler keine
ſicherere Regel geben, als daß man ihn vermahne bey
jedem Werk ſeines Zweks eingedenk zu ſeyn. Bey
ernſthaften Gelegenheiten, wo es darum zu thun
iſt, Geſinnungen und Entſchließungen einzufloͤßen;
das Geſuͤhl des Guten und Schoͤnen rege zu machen,
auch uͤberall, wo der Kuͤnſtler die Abſicht hat, ſeine
eigene Denkungsart zu entwikeln, da muß alles
Niedrige ſchlechterdings vermieden werden. Ein
poͤbelhafter Ausdruk, oder ein niedriges Bild, kann
den ſchoͤnſten Gedanken verderben. Ueberhaupt
muß der Kuͤnſtler beſtaͤndig daran denken, daß er
fuͤr Perſonen von Geſchmak und von etwas feiner
Lebensart arbeitet. So gar daß Gemeine, muß er
uͤberall vermeiden, weil es die Aufmerkſamkeit derer,
fuͤr die er arbeitet, nicht reizet.
Auch nicht einmal da, wo man uns unſre Thor-
heiten vorhaͤlt, um uns davon zu reinigen, in der
Comoͤdie und den Werken von ſcherzhaftem Jnhalt,
wobey man ernſthafte Abſichten hat, iſt das Nie-
drige zu brauchen. Kein Menſch von einiger Er-
ziehung wird das wiedrig Laͤcherliche auf ſich deuten;
er wird vielmehr glauben, daß man ihn blos damit
beluſtigen wolle. (*)
Darum wollen wir doch das niedrig comiſche,
wenn es nur wuͤrklich aus der Natur genommen
und nicht durch bloßes Poſſenſpiehl uͤbertrieben iſt,
nicht ganz verwerfen. Das Lachen in ſo fern es
blos zur Beluſtigung dienet, hat auch ſeine Zeit,
und dieſes Lachen wird gar ofte, auch bey Perſo-
nen von feinem Geſchmak, wegen des ungemein abſte-
chenden Contraſts gegen das, deſſen ſie gewoͤhnt ſind,
durch das Niedrigcomiſche, wenn es nur wahrhaf-
tig natuͤrlich iſt, ſicher erreicht. Jch habe einen
vornehmen Mann, von aͤußerſt feinem Geſchmak
und ſehr edlem Charakter gekannt, der ſich bisweilen
das Vergnuͤgen machte, mit einigen Freunden in Lon-
den in einem Hauſe zu ſpeiſen, wo viele Schorn-
ſteinfeger ihren taͤglichen Tiſch hatten, um ſich an
den Sitten und den Manieren dieſer Leuthe zu be-
luſtigen. Und es iſt ſo ungewoͤhnlich nicht, daß die
feineſten und wizigſten Koͤpfe bisweilen an dem nie-
drig comiſchen der Schaubuͤhne großes Wolgefallen
haben, und recht herzlich mitlachen. Nur ſo gar
abgeſchmakt und voͤllig unnatuͤrlich, wie einige Sce-
nen in Molieres buͤrgerlichen Edelmann, oder im
eingebildeten Kranken, muß es nicht ſeyn; weil kaum
noch der Poͤbel daruͤber lacht. Aber ſolche Scenen,
die bey ihrer Niedrigkeit Wahrheit haben, wie viele
Gemaͤhlde des Teinies und Oſtade, und wobey auch
das, was dem Poͤbel ſelbſt ekelhaft iſt, vermieden
wird, ſind als getreue Schilderungen der Natur zur
Abwechslung und zum Zeitvertreib angenehm.
None.
(Muſik.)
Ein diſſonirendes Jntervall von der Art der zufaͤlli-
gen Diſſonanzen, (*) welche auf einer guten Zeit
des Takts, als ein Vorhalt eine Zeitlang die Stelle
der Octav, oder der Decime einnimmt, und hernach
in das Jntervall, an deſſen Stelle ſie aus dem vor-
hergehenden Accord liegen geblieben iſt, heruͤber
geht, wie in dieſen Beyſpielen zu ſehen iſt.
[Abbildung]
Die Noten, welche hier den Namen der None haben,
werden in andern Faͤllen, in eben dieſer Entfernung
von der Baßnote, Secunden genennt; weil ſie in der
That die Secunden der erſten oder zweyten Octave
des Baßtones ſind. Daher iſt hier vor allen Din-
gen der Grund anzuzeigen, warum daſſelbe Jnter-
vall einmal den Name der Secunde, ein andermal
aber den Namen der None bekomme.
Erſtlich iſt die None allezeit ein Vorhalt, oder
eine zufaͤllige Diſſonanz, die Secunde hingegen iſt
oft
(*) S.
Laͤcherlich.
S. 647.
(*) S.
Diſſonanz.
Zweyter Theil. J i i i i
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 819[801]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/236>, abgerufen am 17.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.