Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.[Spaltenumbruch] Ode tasie, daraus kennen lernen. Wir werden dadurchvon der uns gewöhnlichen Art sittliche und leiden- schaftliche Gegenstände zu beurtheilen und zu empfin- den, abgeführt, und lernen die Sachen von andern, weniger gewöhnlichen Seiten ansehen. Manche Wahrheit, die uns sonst weniger gerührt hat, drin- get durch die Ode, wo sie in ausserordentlichem Licht, und durch Empfindung verstärkt, erscheinet, mit vorzüglicher Kraft bis auf den innersten Grund der Seele; mancher Gegenstand, der uns sonst wenig gereizt hat, wird uns durch die höchstlebhafte Schil- derung des lyrischen Dichters, merkwürdig und un- vergeßlich; manche Empfindung, die wir sonst nur durch ein schwaches Gefühl gekannt haben, wird durch die Ode sehr lebhaft und würksam in uns. Also dienet überhaupt die lyrische Poesie dazu, daß jedes Vermögen der Seele dadurch auf mannigfal- tige Weise einen neuen Schwung und neue Kräfte bekommt, wodurch Urtheilskraft und Empfindung allmählig erweitert und gestärkt werden. Darum kann die Ode mit Recht auf den ersten Rang unter den verschiedenen Werken der Dichtkunst Anspruch machen, und der Reichthum an guten Oden gehöret unter die schäzbaren Nationalvorzüge. Die ältesten und zugleich fürtreflichsten Oden der Ode der Griechen den Preis erhalten haben. Wir habendiesem großen Dichter einen besondern Artikel ge- wiedmet. (*) Man muß auch die tragischen Dichter der Griechen hieher rechnen; denn in jedem Trauer- spiehl kommen Gesänge der Chöre vor, die wahre Oden, von hohem feyerlichem Ton sind. Sie ha- ben vor allen andern Oden dieses voraus, daß die Gemüther durch das, was auf der Bühne vorge- gangen, auf das Beste vorbereitet sind, den Eindruk mit voller Kraft zu empfinden. Die genaueste Ue- berlegung hätte kein schiklicheres Mittel ausgedacht den vollkommnesten Gebrauch von der Ode zu ma- chen, als das, was die Gelegenheit hier von selbst anboth. Wir haben anderswo gesagt, wie die Chöre in alten Trauerspiel gelegentlich beybehalten worden. Wenn wir von diesem Ursprung dersel- ben nicht unterrichtet wären, so würden wir denken sie seyen mit guter Ueberlegung in das Trauer- spiel eingeführt worden, um der Ode Gelegenheit zu verschaffen in ihrer vollen Würkung zu erscheinen. Die Gemüther sind durch die tragische Handlung zum Eindruk der Ode vorbereitet, und er wird durch den feyerlichen Vortrag und die Unterstüzung der Musik noch um ein merkliches verstärkt. Diese Betrach- tung allein sollte hinreichend seyn, die Chöre wieder in die Tragödie aufzunehmen. Es wäre sehr zu wünschen, daß ein in der grie- Die (+) Rob. Lowth de sacra poesi Hebraeorum praelectiones [Spaltenumbruch] Academicae. Prael. XXV-XXVIII. (*) S.
Pindar. [Spaltenumbruch] Ode taſie, daraus kennen lernen. Wir werden dadurchvon der uns gewoͤhnlichen Art ſittliche und leiden- ſchaftliche Gegenſtaͤnde zu beurtheilen und zu empfin- den, abgefuͤhrt, und lernen die Sachen von andern, weniger gewoͤhnlichen Seiten anſehen. Manche Wahrheit, die uns ſonſt weniger geruͤhrt hat, drin- get durch die Ode, wo ſie in auſſerordentlichem Licht, und durch Empfindung verſtaͤrkt, erſcheinet, mit vorzuͤglicher Kraft bis auf den innerſten Grund der Seele; mancher Gegenſtand, der uns ſonſt wenig gereizt hat, wird uns durch die hoͤchſtlebhafte Schil- derung des lyriſchen Dichters, merkwuͤrdig und un- vergeßlich; manche Empfindung, die wir ſonſt nur durch ein ſchwaches Gefuͤhl gekannt haben, wird durch die Ode ſehr lebhaft und wuͤrkſam in uns. Alſo dienet uͤberhaupt die lyriſche Poeſie dazu, daß jedes Vermoͤgen der Seele dadurch auf mannigfal- tige Weiſe einen neuen Schwung und neue Kraͤfte bekommt, wodurch Urtheilskraft und Empfindung allmaͤhlig erweitert und geſtaͤrkt werden. Darum kann die Ode mit Recht auf den erſten Rang unter den verſchiedenen Werken der Dichtkunſt Anſpruch machen, und der Reichthum an guten Oden gehoͤret unter die ſchaͤzbaren Nationalvorzuͤge. Die aͤlteſten und zugleich fuͤrtreflichſten Oden der Ode der Griechen den Preis erhalten haben. Wir habendieſem großen Dichter einen beſondern Artikel ge- wiedmet. (*) Man muß auch die tragiſchen Dichter der Griechen hieher rechnen; denn in jedem Trauer- ſpiehl kommen Geſaͤnge der Choͤre vor, die wahre Oden, von hohem feyerlichem Ton ſind. Sie ha- ben vor allen andern Oden dieſes voraus, daß die Gemuͤther durch das, was auf der Buͤhne vorge- gangen, auf das Beſte vorbereitet ſind, den Eindruk mit voller Kraft zu empfinden. Die genaueſte Ue- berlegung haͤtte kein ſchiklicheres Mittel ausgedacht den vollkommneſten Gebrauch von der Ode zu ma- chen, als das, was die Gelegenheit hier von ſelbſt anboth. Wir haben anderswo geſagt, wie die Choͤre in alten Trauerſpiel gelegentlich beybehalten worden. Wenn wir von dieſem Urſprung derſel- ben nicht unterrichtet waͤren, ſo wuͤrden wir denken ſie ſeyen mit guter Ueberlegung in das Trauer- ſpiel eingefuͤhrt worden, um der Ode Gelegenheit zu verſchaffen in ihrer vollen Wuͤrkung zu erſcheinen. Die Gemuͤther ſind durch die tragiſche Handlung zum Eindruk der Ode vorbereitet, und er wird durch den feyerlichen Vortrag und die Unterſtuͤzung der Muſik noch um ein merkliches verſtaͤrkt. Dieſe Betrach- tung allein ſollte hinreichend ſeyn, die Choͤre wieder in die Tragoͤdie aufzunehmen. Es waͤre ſehr zu wuͤnſchen, daß ein in der grie- Die (†) Rob. Lowth de ſacra poeſi Hebræorum prælectiones [Spaltenumbruch] Academicæ. Præl. XXV-XXVIII. (*) S.
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Ode
Ode
taſie, daraus kennen lernen. Wir werden dadurch
von der uns gewoͤhnlichen Art ſittliche und leiden-
ſchaftliche Gegenſtaͤnde zu beurtheilen und zu empfin-
den, abgefuͤhrt, und lernen die Sachen von andern,
weniger gewoͤhnlichen Seiten anſehen. Manche
Wahrheit, die uns ſonſt weniger geruͤhrt hat, drin-
get durch die Ode, wo ſie in auſſerordentlichem Licht,
und durch Empfindung verſtaͤrkt, erſcheinet, mit
vorzuͤglicher Kraft bis auf den innerſten Grund der
Seele; mancher Gegenſtand, der uns ſonſt wenig
gereizt hat, wird uns durch die hoͤchſtlebhafte Schil-
derung des lyriſchen Dichters, merkwuͤrdig und un-
vergeßlich; manche Empfindung, die wir ſonſt
nur durch ein ſchwaches Gefuͤhl gekannt haben, wird
durch die Ode ſehr lebhaft und wuͤrkſam in uns.
Alſo dienet uͤberhaupt die lyriſche Poeſie dazu, daß
jedes Vermoͤgen der Seele dadurch auf mannigfal-
tige Weiſe einen neuen Schwung und neue Kraͤfte
bekommt, wodurch Urtheilskraft und Empfindung
allmaͤhlig erweitert und geſtaͤrkt werden. Darum
kann die Ode mit Recht auf den erſten Rang unter
den verſchiedenen Werken der Dichtkunſt Anſpruch
machen, und der Reichthum an guten Oden gehoͤret
unter die ſchaͤzbaren Nationalvorzuͤge.
Die aͤlteſten und zugleich fuͤrtreflichſten Oden der
alten Voͤlker ſind ohne Zweifel die hebraͤiſchen, de-
ren wir aber hier blos erwaͤhnen, um den Leſer auf
die hoͤchſtſchaͤzbaren Abhandlungen daruͤber zu ver-
weiſen, die wir dem beruͤhmten Lowth, einem Mann
von tiefer Einſicht und von großem Geſchmak zu
danken haben. (†) Die Griechen beſaßen einen großen
Reichthum, wie in allen andern Gattungen der Werke
des Geſchmaks, alſo auch in dieſer; aber der groͤßte
Theil davon iſt verlohren gegangen. Die Alten
ruͤhmen vorzuͤglich nenn griechiſche Odendichter; dieſe
ſind: Alcaͤus, Sappho, Steſichorus, Jbicus, Bac-
chylides, Simonides, Alcman, Anakreon und Pin-
dar. Die Oden der ſieben erſten ſind bis auf we-
nig einzele Stellen verlohren gegangen. Von Ana-
kreon haben wir noch eine nicht unbetraͤchtliche An-
zahl und von Pindar eine ſtarke Sammlung, ob-
gleich eine noch groͤſſere Menge ein Raub der Zeit
geworden ſind. Aber der Stoff der uͤbrig geblie-
benen pindariſchen Oden iſt fuͤr uns weniger intreſ-
ſant; weil darin blos die Maͤnner beſungen werden,
die in den verſchiedenen oͤffentlichen Kampfſpiehlen
der Griechen den Preis erhalten haben. Wir haben
dieſem großen Dichter einen beſondern Artikel ge-
wiedmet. (*) Man muß auch die tragiſchen Dichter
der Griechen hieher rechnen; denn in jedem Trauer-
ſpiehl kommen Geſaͤnge der Choͤre vor, die wahre
Oden, von hohem feyerlichem Ton ſind. Sie ha-
ben vor allen andern Oden dieſes voraus, daß die
Gemuͤther durch das, was auf der Buͤhne vorge-
gangen, auf das Beſte vorbereitet ſind, den Eindruk
mit voller Kraft zu empfinden. Die genaueſte Ue-
berlegung haͤtte kein ſchiklicheres Mittel ausgedacht
den vollkommneſten Gebrauch von der Ode zu ma-
chen, als das, was die Gelegenheit hier von ſelbſt
anboth. Wir haben anderswo geſagt, wie die
Choͤre in alten Trauerſpiel gelegentlich beybehalten
worden. Wenn wir von dieſem Urſprung derſel-
ben nicht unterrichtet waͤren, ſo wuͤrden wir denken
ſie ſeyen mit guter Ueberlegung in das Trauer-
ſpiel eingefuͤhrt worden, um der Ode Gelegenheit
zu verſchaffen in ihrer vollen Wuͤrkung zu erſcheinen.
Die Gemuͤther ſind durch die tragiſche Handlung zum
Eindruk der Ode vorbereitet, und er wird durch den
feyerlichen Vortrag und die Unterſtuͤzung der Muſik
noch um ein merkliches verſtaͤrkt. Dieſe Betrach-
tung allein ſollte hinreichend ſeyn, die Choͤre wieder
in die Tragoͤdie aufzunehmen.
Es waͤre ſehr zu wuͤnſchen, daß ein in der grie-
chiſchen Litteratur wol erfahrner Mann, von ſo rei-
fem Urtheil und ſo feinem Geſchmak als Lowth, uͤber
die verſchiedenen Gattungen der griechiſchen Ode ſo
gruͤndlich und ausfuͤhrlich ſchriebe, als dieſer fuͤr-
trefliche Mann uͤber die hebraͤiſche Ode geſchrieben
hat. Dieſes wuͤrde ein Werk von ausnehmender
Annehmlichkeit und fuͤr die Odendichter von auſſer-
ordentlichem Nuzen ſeyn. Es iſt kaum eine Ge-
muͤthslage, in der ein Dichter ſich zur Ode geſtimmt
fuͤhlte, moͤglich, die dabey nicht vorkaͤme; von den
kleinen lieblichen Gegenſtaͤnden, wodurch die Seele
in ſuͤße Schwaͤrmerey geſezt wird, bis auf die groͤß-
ten, die ſie mit Ehrfurcht, Schreken und andern
uͤberwaͤltigenden Leidenſchaften erfuͤllen, iſt kein Oden-
ſtoff, den nicht irgend einer der griechiſchen Dichter
behandelt haͤtte, wenn wir vom Anakreon bis auf
die erhabenen Choͤre des Aeſchylus heraufſteigen.
Hier waͤr alſo fuͤrtrefliche Gelegenheit fuͤr einen wah-
ren Kunſtrichter, Ruhm zu erwerben.
Die
(†) Rob. Lowth de ſacra poeſi Hebræorum prælectiones
Academicæ. Præl. XXV-XXVIII.
(*) S.
Pindar.
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