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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Oßi
keit und Mäßigung im Glük, erstaunliche Gleich-
gültigkeit gegen den Tod, und das höchste Verlan-
gen mit Ehren in den Liedern der Barden zu erschei-
nen, treffen wir bey den meisten celtischen Helden
an. Die lezte der erwähnten Gesinnungen, ist der
herrschende Zug in ihrem Charakter. Jhr höchstes
Gut ist ein ehrenvolles Grab und ein bey demselben
gesungenes Loblied eines Barden, das von Mund
zu Mund auf die Nachwelt komme. Und doch sind
diese gebohrne Krieger höchst empfindsam für weib-
liche Schönheit. Ein weißer weiblicher Arm, schwarze
über eine weiße Brust wallende Loken, eine schöne
Stimme, erweken in ihnen ein süßes, aber dabey
sehr sittsames Gefühl. Es kommen in Oßians Ge-
dichten viele Scenen der Liebe vor, immer auf die
angenehmste und sittsameste Weise behandelt. Doch
herrschet in dem Charakter und in den Unterneh-
mungen seiner Heldinnen der Zärtlichkeit, etwas
Einförmigkeit. Sie erscheinen sehr oft in der Rü-
stung junger Helden, in der sie dem Geliebten fol-
gen. Aber höchst angenehm und überraschend ist
insgemein die Entdekung, die sie dem Geliebten zu
erkennen giebt. Nur ein Paar Beyspiele hiervon,
die zugleich beweisen, daß Oßian auch im Angeneh-
men es mit den besten Dichtern aufnehmen kann.

Fingal hatte seine Söhne Oßian (unsern Barden)
und Toscar ausgeschikt, um an den Ufern des Cröna-
strohms ein Siegeszeichen zu sezen. Als sie damit
beschäftiget waren wurden sie von Carul einem be-
nachbarten Oberhaupte zu einem Fest eingeladen,
dabey Toscar sich in Colnadona, des Oberhaupts
Tochter, die den Gästen durch ihren Gesang und
Harfenspiel ein Vergnügen machte, verliebte. Den
folgenden Morgen wird eine Lustjagd angestellt.
Der Zufall mit dem der Dichter seinen Gesang
schließt, wird von ihm also erzählt:

-- Da kam uns
Aus den Gebüschen ein Jüngling entgegen. Ein Schild
und ein Speerschaft
War sein Gewehr. O du flüchtiger Stral! sprach
Toscar von Lutha:
Sage, was bringt dich hieher? Umwohnt in Cola-
mon der Frieden
Colnadona die glänzende Saytenerwekerin? Einstens
Wohnte das glänzende Fräulein am wasserreichen Co-
lamon!
Seufzte der Jüngling: Sie wohnte! doch izt durch-
streist sie die Wüsten
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Oßi
Von dem erzeugten des Königs begleitet, der ihrem
Gemüthe,
Als es im Saale den Blik versandte, die Freyheit ent-
führt hat.
Toscar fiel ein: o erzählender Fremdling! und hast du
des Kriegers
Wege bemerket? -- Er muß mir erliegen! den wölben-
den Schild, den
Tritt du mir ab! -- Er erhaschte den Schild in Er-
bitterung -- Ein zarter
Busen empörte sich hinter dem Schilde, dem Busen des
Schwanes
Wenn er vom schnelleren Schwalle sich hebet an Weiße
vergleichbar.
Colnadona die Saytenerwekerin war es, des Herrschers
Tochter. Sie warf ihr blaulichtes Aug auf Toscarn
und liebt ihn. (*)

Diese Entdekung ist, wie manche dieser Art bey
unsern Barden, blos überraschend und angenehm:
folgende aber höchst pathetisch:

Comal ein Schottischer Krieger liebte
Galvina des mächtigen Conlochs
Zierliche Tochter, im Chore der Mädchen der Sonne
nicht ungleich,
Glänzender schwarz, als die Schwinge des Raben von
Haaren. Kein Wild blieb
Jhren Hunden im Jagen verborgen. Es zischte die
Sehne
Jhres Bogens am Winde des Haines. Der liebenden
Blike
Fanden sich oftmals einander. Sie zogen vereinet aufs
Waldwerk,
Jhres Geflüsters vertraulicher Jnhalt war süß und ge-
fällig.

Aber auch Gormal, Comals Feind, liebte die Schöne.
Einstmals trafen Comal und Galvina, die beym
Jagen ein Nebel von ihren Gefährten getrennt hatte,
bey Ronans Grotte zusammen. Der Jüngling er-
blikt einen Hirschen auf der Höhe. Er bittet die
Schöne in der Grotte sich etwas zu verweilen, bis
er den Hirschen erlegt habe. Die Folge der kurzen
Geschicht erzählt der Barde so.

Comal! -- -- Jch fürchte den düstern Gormal,
Meinen Verfolger. Auch er besuchet die Grotte von
Ronan.
Unter den Waffen, da will ich hier ruhn; doch kehre
mein Theurer
Kehre bald wieder! -- Er eilt auf Mora den Hir-
schen entgegen.
Aber
(*) Colna-
dona.

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Oßi
keit und Maͤßigung im Gluͤk, erſtaunliche Gleich-
guͤltigkeit gegen den Tod, und das hoͤchſte Verlan-
gen mit Ehren in den Liedern der Barden zu erſchei-
nen, treffen wir bey den meiſten celtiſchen Helden
an. Die lezte der erwaͤhnten Geſinnungen, iſt der
herrſchende Zug in ihrem Charakter. Jhr hoͤchſtes
Gut iſt ein ehrenvolles Grab und ein bey demſelben
geſungenes Loblied eines Barden, das von Mund
zu Mund auf die Nachwelt komme. Und doch ſind
dieſe gebohrne Krieger hoͤchſt empfindſam fuͤr weib-
liche Schoͤnheit. Ein weißer weiblicher Arm, ſchwarze
uͤber eine weiße Bruſt wallende Loken, eine ſchoͤne
Stimme, erweken in ihnen ein ſuͤßes, aber dabey
ſehr ſittſames Gefuͤhl. Es kommen in Oßians Ge-
dichten viele Scenen der Liebe vor, immer auf die
angenehmſte und ſittſameſte Weiſe behandelt. Doch
herrſchet in dem Charakter und in den Unterneh-
mungen ſeiner Heldinnen der Zaͤrtlichkeit, etwas
Einfoͤrmigkeit. Sie erſcheinen ſehr oft in der Ruͤ-
ſtung junger Helden, in der ſie dem Geliebten fol-
gen. Aber hoͤchſt angenehm und uͤberraſchend iſt
insgemein die Entdekung, die ſie dem Geliebten zu
erkennen giebt. Nur ein Paar Beyſpiele hiervon,
die zugleich beweiſen, daß Oßian auch im Angeneh-
men es mit den beſten Dichtern aufnehmen kann.

Fingal hatte ſeine Soͤhne Oßian (unſern Barden)
und Toſcar ausgeſchikt, um an den Ufern des Croͤna-
ſtrohms ein Siegeszeichen zu ſezen. Als ſie damit
beſchaͤftiget waren wurden ſie von Carul einem be-
nachbarten Oberhaupte zu einem Feſt eingeladen,
dabey Toſcar ſich in Colnadona, des Oberhaupts
Tochter, die den Gaͤſten durch ihren Geſang und
Harfenſpiel ein Vergnuͤgen machte, verliebte. Den
folgenden Morgen wird eine Luſtjagd angeſtellt.
Der Zufall mit dem der Dichter ſeinen Geſang
ſchließt, wird von ihm alſo erzaͤhlt:

— Da kam uns
Aus den Gebuͤſchen ein Juͤngling entgegen. Ein Schild
und ein Speerſchaft
War ſein Gewehr. O du fluͤchtiger Stral! ſprach
Toſcar von Lutha:
Sage, was bringt dich hieher? Umwohnt in Cola-
mon der Frieden
Colnadona die glaͤnzende Saytenerwekerin? Einſtens
Wohnte das glaͤnzende Fraͤulein am waſſerreichen Co-
lamon!
Seufzte der Juͤngling: Sie wohnte! doch izt durch-
ſtreiſt ſie die Wuͤſten
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Oßi
Von dem erzeugten des Koͤnigs begleitet, der ihrem
Gemuͤthe,
Als es im Saale den Blik verſandte, die Freyheit ent-
fuͤhrt hat.
Toſcar fiel ein: o erzaͤhlender Fremdling! und haſt du
des Kriegers
Wege bemerket? — Er muß mir erliegen! den woͤlben-
den Schild, den
Tritt du mir ab! — Er erhaſchte den Schild in Er-
bitterung — Ein zarter
Buſen empoͤrte ſich hinter dem Schilde, dem Buſen des
Schwanes
Wenn er vom ſchnelleren Schwalle ſich hebet an Weiße
vergleichbar.
Colnadona die Saytenerwekerin war es, des Herrſchers
Tochter. Sie warf ihr blaulichtes Aug auf Toſcarn
und liebt ihn. (*)

Dieſe Entdekung iſt, wie manche dieſer Art bey
unſern Barden, blos uͤberraſchend und angenehm:
folgende aber hoͤchſt pathetiſch:

Comal ein Schottiſcher Krieger liebte
Galvina des maͤchtigen Conlochs
Zierliche Tochter, im Chore der Maͤdchen der Sonne
nicht ungleich,
Glaͤnzender ſchwarz, als die Schwinge des Raben von
Haaren. Kein Wild blieb
Jhren Hunden im Jagen verborgen. Es ziſchte die
Sehne
Jhres Bogens am Winde des Haines. Der liebenden
Blike
Fanden ſich oftmals einander. Sie zogen vereinet aufs
Waldwerk,
Jhres Gefluͤſters vertraulicher Jnhalt war ſuͤß und ge-
faͤllig.

Aber auch Gormal, Comals Feind, liebte die Schoͤne.
Einſtmals trafen Comal und Galvina, die beym
Jagen ein Nebel von ihren Gefaͤhrten getrennt hatte,
bey Ronans Grotte zuſammen. Der Juͤngling er-
blikt einen Hirſchen auf der Hoͤhe. Er bittet die
Schoͤne in der Grotte ſich etwas zu verweilen, bis
er den Hirſchen erlegt habe. Die Folge der kurzen
Geſchicht erzaͤhlt der Barde ſo.

Comal! — — Jch fuͤrchte den duͤſtern Gormal,
Meinen Verfolger. Auch er beſuchet die Grotte von
Ronan.
Unter den Waffen, da will ich hier ruhn; doch kehre
mein Theurer
Kehre bald wieder! — Er eilt auf Mora den Hir-
ſchen entgegen.
Aber
(*) Colna-
dona.
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[872[854]/0289] Oßi Oßi keit und Maͤßigung im Gluͤk, erſtaunliche Gleich- guͤltigkeit gegen den Tod, und das hoͤchſte Verlan- gen mit Ehren in den Liedern der Barden zu erſchei- nen, treffen wir bey den meiſten celtiſchen Helden an. Die lezte der erwaͤhnten Geſinnungen, iſt der herrſchende Zug in ihrem Charakter. Jhr hoͤchſtes Gut iſt ein ehrenvolles Grab und ein bey demſelben geſungenes Loblied eines Barden, das von Mund zu Mund auf die Nachwelt komme. Und doch ſind dieſe gebohrne Krieger hoͤchſt empfindſam fuͤr weib- liche Schoͤnheit. Ein weißer weiblicher Arm, ſchwarze uͤber eine weiße Bruſt wallende Loken, eine ſchoͤne Stimme, erweken in ihnen ein ſuͤßes, aber dabey ſehr ſittſames Gefuͤhl. Es kommen in Oßians Ge- dichten viele Scenen der Liebe vor, immer auf die angenehmſte und ſittſameſte Weiſe behandelt. Doch herrſchet in dem Charakter und in den Unterneh- mungen ſeiner Heldinnen der Zaͤrtlichkeit, etwas Einfoͤrmigkeit. Sie erſcheinen ſehr oft in der Ruͤ- ſtung junger Helden, in der ſie dem Geliebten fol- gen. Aber hoͤchſt angenehm und uͤberraſchend iſt insgemein die Entdekung, die ſie dem Geliebten zu erkennen giebt. Nur ein Paar Beyſpiele hiervon, die zugleich beweiſen, daß Oßian auch im Angeneh- men es mit den beſten Dichtern aufnehmen kann. Fingal hatte ſeine Soͤhne Oßian (unſern Barden) und Toſcar ausgeſchikt, um an den Ufern des Croͤna- ſtrohms ein Siegeszeichen zu ſezen. Als ſie damit beſchaͤftiget waren wurden ſie von Carul einem be- nachbarten Oberhaupte zu einem Feſt eingeladen, dabey Toſcar ſich in Colnadona, des Oberhaupts Tochter, die den Gaͤſten durch ihren Geſang und Harfenſpiel ein Vergnuͤgen machte, verliebte. Den folgenden Morgen wird eine Luſtjagd angeſtellt. Der Zufall mit dem der Dichter ſeinen Geſang ſchließt, wird von ihm alſo erzaͤhlt: — Da kam uns Aus den Gebuͤſchen ein Juͤngling entgegen. Ein Schild und ein Speerſchaft War ſein Gewehr. O du fluͤchtiger Stral! ſprach Toſcar von Lutha: Sage, was bringt dich hieher? Umwohnt in Cola- mon der Frieden Colnadona die glaͤnzende Saytenerwekerin? Einſtens Wohnte das glaͤnzende Fraͤulein am waſſerreichen Co- lamon! Seufzte der Juͤngling: Sie wohnte! doch izt durch- ſtreiſt ſie die Wuͤſten Von dem erzeugten des Koͤnigs begleitet, der ihrem Gemuͤthe, Als es im Saale den Blik verſandte, die Freyheit ent- fuͤhrt hat. Toſcar fiel ein: o erzaͤhlender Fremdling! und haſt du des Kriegers Wege bemerket? — Er muß mir erliegen! den woͤlben- den Schild, den Tritt du mir ab! — Er erhaſchte den Schild in Er- bitterung — Ein zarter Buſen empoͤrte ſich hinter dem Schilde, dem Buſen des Schwanes Wenn er vom ſchnelleren Schwalle ſich hebet an Weiße vergleichbar. Colnadona die Saytenerwekerin war es, des Herrſchers Tochter. Sie warf ihr blaulichtes Aug auf Toſcarn und liebt ihn. (*) Dieſe Entdekung iſt, wie manche dieſer Art bey unſern Barden, blos uͤberraſchend und angenehm: folgende aber hoͤchſt pathetiſch: Comal ein Schottiſcher Krieger liebte Galvina des maͤchtigen Conlochs Zierliche Tochter, im Chore der Maͤdchen der Sonne nicht ungleich, Glaͤnzender ſchwarz, als die Schwinge des Raben von Haaren. Kein Wild blieb Jhren Hunden im Jagen verborgen. Es ziſchte die Sehne Jhres Bogens am Winde des Haines. Der liebenden Blike Fanden ſich oftmals einander. Sie zogen vereinet aufs Waldwerk, Jhres Gefluͤſters vertraulicher Jnhalt war ſuͤß und ge- faͤllig. Aber auch Gormal, Comals Feind, liebte die Schoͤne. Einſtmals trafen Comal und Galvina, die beym Jagen ein Nebel von ihren Gefaͤhrten getrennt hatte, bey Ronans Grotte zuſammen. Der Juͤngling er- blikt einen Hirſchen auf der Hoͤhe. Er bittet die Schoͤne in der Grotte ſich etwas zu verweilen, bis er den Hirſchen erlegt habe. Die Folge der kurzen Geſchicht erzaͤhlt der Barde ſo. Comal! — — Jch fuͤrchte den duͤſtern Gormal, Meinen Verfolger. Auch er beſuchet die Grotte von Ronan. Unter den Waffen, da will ich hier ruhn; doch kehre mein Theurer Kehre bald wieder! — Er eilt auf Mora den Hir- ſchen entgegen. Aber (*) Colna- dona.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 872[854]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/289>, abgerufen am 30.11.2024.