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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Sce
men hat, gar viel verliehren. Je mehr würkli-
ches Genie man zur Kunst hat, je wichtiger wird
es, daß man die Regeln des Sazes auf das ge-
naueste studire; denn nur dem guten Genie werden
sie recht nüzlich.

Jch kann mich nicht enthalten diesen Artikel mit
einer Anmerkung zu beschließen, die mir mancher
übel nehmen wird. Aber die Liebe zur Wahrheit
ist bey mir stärker, als die Furcht getadelt zu wer-
den. Hasse, der mit recht berühmte Hasse, ist ge-
wiß ein Mann von wahrem Genie zur Musik.
Aber man merkt in seinen Duetten, besonders, wenn
man sie gegen die Graunischen hält, den Mangel
dessen, was Viele unnüze Künsteleyen nennen. Hätte
dieser sonst große Mann den Saz so durchaus ver-
standen, wie Graun, so würde er in solchen viel-
stimmigen Sachen, ihm den Rang eben so streitig
machen, als er es in Ansehung der Arien thut.
Aber in jenen ist er wahrhaftig weit unter ihm;
blos weil er nicht alle Künste des Sazes so genau
verstund wie Graun. Dieses sey allen jungen Ton-
sezern zur Warnung gesagt.

Uebrigens kann ich mich hier in keine nähere Be-
trachtung des Sazes einlassen, sondern verweise des-
halb auf das Kirnbergerische Werk, das mir in allen
besondern den Saz betreffenden Artikeln zum Weg-
weiser gedient hat, und das, wenn, wie bald zu
erwarten ist, der zweyte Theil wird hinzugekom-
men seyn, das vollständigste, gründlichste und zu-
gleich verständlichste Werk seyn wird, das bis da-
hin über den Saz geschrieben worden.

Scene.
(Schauspielkunst.)

Wir nehmen hier das Wort nicht in der abgeleite-
ten Bedeutung für einen einzelen Theil des Drama,
den man sonst Auftritt nennt; (*) sondern verstehen
dadurch den Ort, wo die Handlung des Schauspiehls
vorfällt. Jn diesem Sinne hat das Wort eine wei-
tere, oder engere Bedeutung, da es entweder das
Land, und den Ort, oder insbesonder den Plaz anzeiget,
nämlich, ob die Handlung unter freyem Himmel
auf einen öffentlichen Plaz, oder in einem Hause
vorgeht. Wir wollen jenes die allgemeine, dieses,
die besondere Scene nennen.

Jm Trauerspiehl, das seinen Stoff meistentheils
aus der Geschichte nihmt, ist die allgemeine Scene
schon durch den Jnhalt des Stüks bestimmt. Die
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Sce
Comödie aber, deren Jnhalt erdichtet ist, oder die
doch meistentheils erdichtete Personen wählt, trift
auch eine Wahl über die allgemeine Scene. Sie
ist nicht gleichgültig; denn auch hier muß nicht nur
die Wahrscheinlichkeit beobachtet werden, daß die
Sitten der Personen und das was geschieht, dem Ort
angemessen seyen; sondern auch zur Täuschung und
zur Würkung des Stüks kann die Scene das ihrige
beytragen.

Verschiedene Dichter lassen die allgemeine Scene
der Comödie völlig unbestimmt, und der Zuschauer
hat die Wahl, in welches Land und in welche Stadt
er sich in der Einbildung versezen wolle. Dies schei-
net mir ein Mangel zu seyn. Wer ein Mährchen,
oder eine Parabel erzählt, hat eben nicht nöthig zu
sagen, wo man sich die Sache, die sich nirgend zu-
getragen hat, als geschehen vorstellen soll. Aber die
Comödie kann uns schon durch den Ort, wo sie vor-
gefallen ist, zum voraus intereßiren, besonders wenn
wir den Ort kennen, oder ihn zu kennen wünschten:
und wenn uns die dort herrschenden Sitten schon
bekannt sind; so kann die Uebereinstimmung dessen,
was wir in der Vorstellung sehen, mit dem was wir
bereits wissen, viel zur Wahrscheinlichkeit beytragen.
Wenn die Comödie nicht blos belustigen, oder
nicht blos allgemeine allen Menschen gleichnöthige
Lehren geben, sondern auf die besondern Sitten der
Zuhörer Einfluß haben soll; so muß die Scene nicht
in fremde Länder verlegt, sondern in der Nähe ge-
nommen werden.

Aber eine genauere Ueberlegung erfodert die Wahl
der besondern Scene, und die Sache verdienet hier
die Anregung um so mehr, da nicht selten beträcht-
liche Unschiklichkeiten über diesen Punkt vorfallen.
Jch sehe zwar wol, daß man wegen der großen
Schwierigkeit der Sache, nicht alles so sehr genau
nehmen kann: doch kann ich, so nachgebend ich auch
zu seyn mir vornehme, mich nicht enthalten, etwas
sehr wiedriges und unnatürliches dabey zu empfin-
den, wenn ich sehe, daß ein Vorzimmer, oder ein
Flur des Hauses, der ein allgemeiner Durchgang
für Bediente und Fremde ist, bisweilen zu gehei-
men Berathschlagungen gebraucht wird; oder wenn
in einem Privathause so mancherley Personen, die
dahin nicht gehören, durcheinander laufen, oder sich
so begegnen, wie nur auf öffentlichen Pläzen ge-
wöhnlich ist.

Wenn
(*) S.
Auftritt.
Zweyter Theil. K k k k k k

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Sce
men hat, gar viel verliehren. Je mehr wuͤrkli-
ches Genie man zur Kunſt hat, je wichtiger wird
es, daß man die Regeln des Sazes auf das ge-
naueſte ſtudire; denn nur dem guten Genie werden
ſie recht nuͤzlich.

Jch kann mich nicht enthalten dieſen Artikel mit
einer Anmerkung zu beſchließen, die mir mancher
uͤbel nehmen wird. Aber die Liebe zur Wahrheit
iſt bey mir ſtaͤrker, als die Furcht getadelt zu wer-
den. Haſſe, der mit recht beruͤhmte Haſſe, iſt ge-
wiß ein Mann von wahrem Genie zur Muſik.
Aber man merkt in ſeinen Duetten, beſonders, wenn
man ſie gegen die Grauniſchen haͤlt, den Mangel
deſſen, was Viele unnuͤze Kuͤnſteleyen nennen. Haͤtte
dieſer ſonſt große Mann den Saz ſo durchaus ver-
ſtanden, wie Graun, ſo wuͤrde er in ſolchen viel-
ſtimmigen Sachen, ihm den Rang eben ſo ſtreitig
machen, als er es in Anſehung der Arien thut.
Aber in jenen iſt er wahrhaftig weit unter ihm;
blos weil er nicht alle Kuͤnſte des Sazes ſo genau
verſtund wie Graun. Dieſes ſey allen jungen Ton-
ſezern zur Warnung geſagt.

Uebrigens kann ich mich hier in keine naͤhere Be-
trachtung des Sazes einlaſſen, ſondern verweiſe des-
halb auf das Kirnbergeriſche Werk, das mir in allen
beſondern den Saz betreffenden Artikeln zum Weg-
weiſer gedient hat, und das, wenn, wie bald zu
erwarten iſt, der zweyte Theil wird hinzugekom-
men ſeyn, das vollſtaͤndigſte, gruͤndlichſte und zu-
gleich verſtaͤndlichſte Werk ſeyn wird, das bis da-
hin uͤber den Saz geſchrieben worden.

Scene.
(Schauſpielkunſt.)

Wir nehmen hier das Wort nicht in der abgeleite-
ten Bedeutung fuͤr einen einzelen Theil des Drama,
den man ſonſt Auftritt nennt; (*) ſondern verſtehen
dadurch den Ort, wo die Handlung des Schauſpiehls
vorfaͤllt. Jn dieſem Sinne hat das Wort eine wei-
tere, oder engere Bedeutung, da es entweder das
Land, und den Ort, oder insbeſonder den Plaz anzeiget,
naͤmlich, ob die Handlung unter freyem Himmel
auf einen oͤffentlichen Plaz, oder in einem Hauſe
vorgeht. Wir wollen jenes die allgemeine, dieſes,
die beſondere Scene nennen.

Jm Trauerſpiehl, das ſeinen Stoff meiſtentheils
aus der Geſchichte nihmt, iſt die allgemeine Scene
ſchon durch den Jnhalt des Stuͤks beſtimmt. Die
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Sce
Comoͤdie aber, deren Jnhalt erdichtet iſt, oder die
doch meiſtentheils erdichtete Perſonen waͤhlt, trift
auch eine Wahl uͤber die allgemeine Scene. Sie
iſt nicht gleichguͤltig; denn auch hier muß nicht nur
die Wahrſcheinlichkeit beobachtet werden, daß die
Sitten der Perſonen und das was geſchieht, dem Ort
angemeſſen ſeyen; ſondern auch zur Taͤuſchung und
zur Wuͤrkung des Stuͤks kann die Scene das ihrige
beytragen.

Verſchiedene Dichter laſſen die allgemeine Scene
der Comoͤdie voͤllig unbeſtimmt, und der Zuſchauer
hat die Wahl, in welches Land und in welche Stadt
er ſich in der Einbildung verſezen wolle. Dies ſchei-
net mir ein Mangel zu ſeyn. Wer ein Maͤhrchen,
oder eine Parabel erzaͤhlt, hat eben nicht noͤthig zu
ſagen, wo man ſich die Sache, die ſich nirgend zu-
getragen hat, als geſchehen vorſtellen ſoll. Aber die
Comoͤdie kann uns ſchon durch den Ort, wo ſie vor-
gefallen iſt, zum voraus intereßiren, beſonders wenn
wir den Ort kennen, oder ihn zu kennen wuͤnſchten:
und wenn uns die dort herrſchenden Sitten ſchon
bekannt ſind; ſo kann die Uebereinſtimmung deſſen,
was wir in der Vorſtellung ſehen, mit dem was wir
bereits wiſſen, viel zur Wahrſcheinlichkeit beytragen.
Wenn die Comoͤdie nicht blos beluſtigen, oder
nicht blos allgemeine allen Menſchen gleichnoͤthige
Lehren geben, ſondern auf die beſondern Sitten der
Zuhoͤrer Einfluß haben ſoll; ſo muß die Scene nicht
in fremde Laͤnder verlegt, ſondern in der Naͤhe ge-
nommen werden.

Aber eine genauere Ueberlegung erfodert die Wahl
der beſondern Scene, und die Sache verdienet hier
die Anregung um ſo mehr, da nicht ſelten betraͤcht-
liche Unſchiklichkeiten uͤber dieſen Punkt vorfallen.
Jch ſehe zwar wol, daß man wegen der großen
Schwierigkeit der Sache, nicht alles ſo ſehr genau
nehmen kann: doch kann ich, ſo nachgebend ich auch
zu ſeyn mir vornehme, mich nicht enthalten, etwas
ſehr wiedriges und unnatuͤrliches dabey zu empfin-
den, wenn ich ſehe, daß ein Vorzimmer, oder ein
Flur des Hauſes, der ein allgemeiner Durchgang
fuͤr Bediente und Fremde iſt, bisweilen zu gehei-
men Berathſchlagungen gebraucht wird; oder wenn
in einem Privathauſe ſo mancherley Perſonen, die
dahin nicht gehoͤren, durcheinander laufen, oder ſich
ſo begegnen, wie nur auf oͤffentlichen Plaͤzen ge-
woͤhnlich iſt.

Wenn
(*) S.
Auftritt.
Zweyter Theil. K k k k k k
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[1011[993]/0440] Sce Sce men hat, gar viel verliehren. Je mehr wuͤrkli- ches Genie man zur Kunſt hat, je wichtiger wird es, daß man die Regeln des Sazes auf das ge- naueſte ſtudire; denn nur dem guten Genie werden ſie recht nuͤzlich. Jch kann mich nicht enthalten dieſen Artikel mit einer Anmerkung zu beſchließen, die mir mancher uͤbel nehmen wird. Aber die Liebe zur Wahrheit iſt bey mir ſtaͤrker, als die Furcht getadelt zu wer- den. Haſſe, der mit recht beruͤhmte Haſſe, iſt ge- wiß ein Mann von wahrem Genie zur Muſik. Aber man merkt in ſeinen Duetten, beſonders, wenn man ſie gegen die Grauniſchen haͤlt, den Mangel deſſen, was Viele unnuͤze Kuͤnſteleyen nennen. Haͤtte dieſer ſonſt große Mann den Saz ſo durchaus ver- ſtanden, wie Graun, ſo wuͤrde er in ſolchen viel- ſtimmigen Sachen, ihm den Rang eben ſo ſtreitig machen, als er es in Anſehung der Arien thut. Aber in jenen iſt er wahrhaftig weit unter ihm; blos weil er nicht alle Kuͤnſte des Sazes ſo genau verſtund wie Graun. Dieſes ſey allen jungen Ton- ſezern zur Warnung geſagt. Uebrigens kann ich mich hier in keine naͤhere Be- trachtung des Sazes einlaſſen, ſondern verweiſe des- halb auf das Kirnbergeriſche Werk, das mir in allen beſondern den Saz betreffenden Artikeln zum Weg- weiſer gedient hat, und das, wenn, wie bald zu erwarten iſt, der zweyte Theil wird hinzugekom- men ſeyn, das vollſtaͤndigſte, gruͤndlichſte und zu- gleich verſtaͤndlichſte Werk ſeyn wird, das bis da- hin uͤber den Saz geſchrieben worden. Scene. (Schauſpielkunſt.) Wir nehmen hier das Wort nicht in der abgeleite- ten Bedeutung fuͤr einen einzelen Theil des Drama, den man ſonſt Auftritt nennt; (*) ſondern verſtehen dadurch den Ort, wo die Handlung des Schauſpiehls vorfaͤllt. Jn dieſem Sinne hat das Wort eine wei- tere, oder engere Bedeutung, da es entweder das Land, und den Ort, oder insbeſonder den Plaz anzeiget, naͤmlich, ob die Handlung unter freyem Himmel auf einen oͤffentlichen Plaz, oder in einem Hauſe vorgeht. Wir wollen jenes die allgemeine, dieſes, die beſondere Scene nennen. Jm Trauerſpiehl, das ſeinen Stoff meiſtentheils aus der Geſchichte nihmt, iſt die allgemeine Scene ſchon durch den Jnhalt des Stuͤks beſtimmt. Die Comoͤdie aber, deren Jnhalt erdichtet iſt, oder die doch meiſtentheils erdichtete Perſonen waͤhlt, trift auch eine Wahl uͤber die allgemeine Scene. Sie iſt nicht gleichguͤltig; denn auch hier muß nicht nur die Wahrſcheinlichkeit beobachtet werden, daß die Sitten der Perſonen und das was geſchieht, dem Ort angemeſſen ſeyen; ſondern auch zur Taͤuſchung und zur Wuͤrkung des Stuͤks kann die Scene das ihrige beytragen. Verſchiedene Dichter laſſen die allgemeine Scene der Comoͤdie voͤllig unbeſtimmt, und der Zuſchauer hat die Wahl, in welches Land und in welche Stadt er ſich in der Einbildung verſezen wolle. Dies ſchei- net mir ein Mangel zu ſeyn. Wer ein Maͤhrchen, oder eine Parabel erzaͤhlt, hat eben nicht noͤthig zu ſagen, wo man ſich die Sache, die ſich nirgend zu- getragen hat, als geſchehen vorſtellen ſoll. Aber die Comoͤdie kann uns ſchon durch den Ort, wo ſie vor- gefallen iſt, zum voraus intereßiren, beſonders wenn wir den Ort kennen, oder ihn zu kennen wuͤnſchten: und wenn uns die dort herrſchenden Sitten ſchon bekannt ſind; ſo kann die Uebereinſtimmung deſſen, was wir in der Vorſtellung ſehen, mit dem was wir bereits wiſſen, viel zur Wahrſcheinlichkeit beytragen. Wenn die Comoͤdie nicht blos beluſtigen, oder nicht blos allgemeine allen Menſchen gleichnoͤthige Lehren geben, ſondern auf die beſondern Sitten der Zuhoͤrer Einfluß haben ſoll; ſo muß die Scene nicht in fremde Laͤnder verlegt, ſondern in der Naͤhe ge- nommen werden. Aber eine genauere Ueberlegung erfodert die Wahl der beſondern Scene, und die Sache verdienet hier die Anregung um ſo mehr, da nicht ſelten betraͤcht- liche Unſchiklichkeiten uͤber dieſen Punkt vorfallen. Jch ſehe zwar wol, daß man wegen der großen Schwierigkeit der Sache, nicht alles ſo ſehr genau nehmen kann: doch kann ich, ſo nachgebend ich auch zu ſeyn mir vornehme, mich nicht enthalten, etwas ſehr wiedriges und unnatuͤrliches dabey zu empfin- den, wenn ich ſehe, daß ein Vorzimmer, oder ein Flur des Hauſes, der ein allgemeiner Durchgang fuͤr Bediente und Fremde iſt, bisweilen zu gehei- men Berathſchlagungen gebraucht wird; oder wenn in einem Privathauſe ſo mancherley Perſonen, die dahin nicht gehoͤren, durcheinander laufen, oder ſich ſo begegnen, wie nur auf oͤffentlichen Plaͤzen ge- woͤhnlich iſt. Wenn (*) S. Auftritt. Zweyter Theil. K k k k k k

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1011[993]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/440>, abgerufen am 25.11.2024.