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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Scha
tel werden, die so bekannt oder leichte zu entdeken
sind, daß ich es für überflüßig halte, mich hier-
über näher einzulassen. Es scheinet auch, daß
Stüke, die diesen Vortheil haben, zu unsern Zei-
ten immer gemeiner werden, als sie ehedem gewe-
sen sind, da man die bloße Belustigung, oder blos
überhaupt leidenschaftliche Erschütterung der Gemü-
ther zum einzigen Augenmerk hatte.

Aber es ist Zeit, daß wir diesen Punkt verlassen,
und nun auch die verschiedenen Gattungen des
Schauspiehles betrachten. Man könnte dreyerley
Gattungen desselben bestimmen. Die erste würde
die blos belustigenden und unterhaltenden Schau-
spiehle begreifen, wobey man gar keine andre Ab-
sicht hätte, als den guten Zeitvertreib; die zweyte
Gattung könnte aus solchen bestehen, die zwar den
äußern Schein der bloßen Ergözlichkeit hätten, in
der That aber auf Unterricht und Bildung der Ge-
müther abziehlten. Die dritte Gattung endlich
würde aus solchen bestehen, die ein besonderes Na-
tionalinteresse zum Grunde hätten, und nur bey be-
sondern Feyerlichkeiten, auf einen wichtigen ihnen
gemäßen Zwek abziehlten.

Es wäre darum nüzlich, diese Gattungen von
einander zu unterscheiden, damit die Dichter alle-
mal bey ihrer Arbeit den Charakter der Gattung,
die sie behandeln vor Augen haben könnten, um
nicht blos aufs unbestimmte zu arbeiten. Ueber-
haupt würde das Wesentliche der ersten Gattung
darin bestehen, daß sie unterhaltend; der zweyten,
daß sie lehrreich; der dritten, daß sie national seyn
müßten.

Die von der ersten Gattung würden keine genau
bestimmte Wahl der Materie erfodern, und könn-
ten auch in der Ausführung in Absicht auf Plan
und Regelmäßigkeit weit freyer behandelt werden,
als die andern. Von den bekannten Arten der
Schauspiehle könnten verschiedene zu dieser Gattung
gezählt werden. Alle Comödien, die blos lustig
sind, ohne irgend eine besondere Absicht zu haben,
etwa eine Art der Thorheit, oder irgend einen Cha-
rakter zu schildern; alle Comödien und Tragödien,
die keine Haupthandlung zum Grunde haben, son-
dern gleichsam aus einzeln, schwach zusammenhan-
genden Scenen zusammengesezt sind (*), können in
diese Classe gerechnet werden. Auch die meisten
Opern nach der gewöhnlichen Art gehören hieher.
Denn im Grunde sind sie nichts anders, als schwach,
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Scha
auch ofte gewaltsam an einander gehengte Scenen,
die zum angenehmen Gesang, zu unterhaltenden
Aufzügen, zu schönen theatralischen Mahlereyen
sollten Gelegenheit geben. Dabey kann man, ohne
sich an die strengen Vorschriften, die wir für eine
höhere Art der Oper gegeben haben (*), zu binden,
wenn es auch nicht auf die natürlichste Weise zu-
sammenhängt, alle schönen Künste zugleich in diesem
Schauspiehl zum Vergnügen der Zuschauer zusam-
menrufen.

Es wäre leicht noch eine weit größere Mannig-
faltigkeit dieser Gattung des Schauspiehles einzufüh-
ren. Da es blos einen ergözenden Zeitvertreib zum
Grunde hat, so ist es gar nicht nothwendig, daß
man sich auf sittliche, oder leidenschaftliche Handlun-
gen der Menschen dabey einschränke. Lebensart
und Gebräuche fremder Nationen, seltsame und wun-
derbare Begebenheiten, besonders von der Art, wie
den Seefahrern bisweilen begegnen, wären ein sehr
reicher Stoff dazu, und man hätte dabey Gelegen-
heit uns nicht nur die Sitten und Lebensart frem-
der Völker, sondern auch die sonderbaresten Scenen
der Natur in Ländern, die unter einem von dem un-
srigen ganz verschiedenen Himmelsstrich liegen, vor-
zustellen. Jn großen Städten, wo das Schauspiehl
ein alltäglicher Zeitvertreib ist, würde diese weitere
Ausdähnung des Stoffes den Dichtern die Erfin-
dung neuer Stüke sehr erleichtern.

Zu der zweyten Gattung rechnen wir von den be-
kannten Schauspiehlen diejenigen, die sittlichen Un-
terricht und Bildung der Gemüther zur Hauptabsicht
haben; die so eingerichtet sind, daß der ganze Plan
auf einen einzigen bestimmten Punkt eines allgemein
sittlichen Unterrichts, oder einer bestimmten allge-
mein leidenschaftlichen Rührung, abziehlet. Diese
müssen so beschaffen seyn, daß unter beständiger an-
genehmen Unterhaltung des Zuschauers, alles auf
den besondern Zwek den Zuschauer über einen wich-
tigen Punkt zu unterrichten, oder zu rühren, abzieh-
let. Jn diese Classe gehören demnach die gewöhn-
lichen dramatischen Stüke, die Comödien und Tra-
gödien. Weil ihr Zwek schon weit genauer be-
stimmt ist, als in der ersten Gattung, so ist auch
die Erfindung und Wahl des Stoffes und die Be-
handlung desselben, hier schon mehrern Schwierig-
keiten unterworfen. Es gehöret schon viel dazu eine
Handlung auszudenken, oder anzuordnen, darin
alles einzele auf den besondern Zwek des Dichters

abzieh-
(*) S.
Scene.
(*) S.
Oper.

[Spaltenumbruch]

Scha
tel werden, die ſo bekannt oder leichte zu entdeken
ſind, daß ich es fuͤr uͤberfluͤßig halte, mich hier-
uͤber naͤher einzulaſſen. Es ſcheinet auch, daß
Stuͤke, die dieſen Vortheil haben, zu unſern Zei-
ten immer gemeiner werden, als ſie ehedem gewe-
ſen ſind, da man die bloße Beluſtigung, oder blos
uͤberhaupt leidenſchaftliche Erſchuͤtterung der Gemuͤ-
ther zum einzigen Augenmerk hatte.

Aber es iſt Zeit, daß wir dieſen Punkt verlaſſen,
und nun auch die verſchiedenen Gattungen des
Schauſpiehles betrachten. Man koͤnnte dreyerley
Gattungen deſſelben beſtimmen. Die erſte wuͤrde
die blos beluſtigenden und unterhaltenden Schau-
ſpiehle begreifen, wobey man gar keine andre Ab-
ſicht haͤtte, als den guten Zeitvertreib; die zweyte
Gattung koͤnnte aus ſolchen beſtehen, die zwar den
aͤußern Schein der bloßen Ergoͤzlichkeit haͤtten, in
der That aber auf Unterricht und Bildung der Ge-
muͤther abziehlten. Die dritte Gattung endlich
wuͤrde aus ſolchen beſtehen, die ein beſonderes Na-
tionalintereſſe zum Grunde haͤtten, und nur bey be-
ſondern Feyerlichkeiten, auf einen wichtigen ihnen
gemaͤßen Zwek abziehlten.

Es waͤre darum nuͤzlich, dieſe Gattungen von
einander zu unterſcheiden, damit die Dichter alle-
mal bey ihrer Arbeit den Charakter der Gattung,
die ſie behandeln vor Augen haben koͤnnten, um
nicht blos aufs unbeſtimmte zu arbeiten. Ueber-
haupt wuͤrde das Weſentliche der erſten Gattung
darin beſtehen, daß ſie unterhaltend; der zweyten,
daß ſie lehrreich; der dritten, daß ſie national ſeyn
muͤßten.

Die von der erſten Gattung wuͤrden keine genau
beſtimmte Wahl der Materie erfodern, und koͤnn-
ten auch in der Ausfuͤhrung in Abſicht auf Plan
und Regelmaͤßigkeit weit freyer behandelt werden,
als die andern. Von den bekannten Arten der
Schauſpiehle koͤnnten verſchiedene zu dieſer Gattung
gezaͤhlt werden. Alle Comoͤdien, die blos luſtig
ſind, ohne irgend eine beſondere Abſicht zu haben,
etwa eine Art der Thorheit, oder irgend einen Cha-
rakter zu ſchildern; alle Comoͤdien und Tragoͤdien,
die keine Haupthandlung zum Grunde haben, ſon-
dern gleichſam aus einzeln, ſchwach zuſammenhan-
genden Scenen zuſammengeſezt ſind (*), koͤnnen in
dieſe Claſſe gerechnet werden. Auch die meiſten
Opern nach der gewoͤhnlichen Art gehoͤren hieher.
Denn im Grunde ſind ſie nichts anders, als ſchwach,
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Scha
auch ofte gewaltſam an einander gehengte Scenen,
die zum angenehmen Geſang, zu unterhaltenden
Aufzuͤgen, zu ſchoͤnen theatraliſchen Mahlereyen
ſollten Gelegenheit geben. Dabey kann man, ohne
ſich an die ſtrengen Vorſchriften, die wir fuͤr eine
hoͤhere Art der Oper gegeben haben (*), zu binden,
wenn es auch nicht auf die natuͤrlichſte Weiſe zu-
ſammenhaͤngt, alle ſchoͤnen Kuͤnſte zugleich in dieſem
Schauſpiehl zum Vergnuͤgen der Zuſchauer zuſam-
menrufen.

Es waͤre leicht noch eine weit groͤßere Mannig-
faltigkeit dieſer Gattung des Schauſpiehles einzufuͤh-
ren. Da es blos einen ergoͤzenden Zeitvertreib zum
Grunde hat, ſo iſt es gar nicht nothwendig, daß
man ſich auf ſittliche, oder leidenſchaftliche Handlun-
gen der Menſchen dabey einſchraͤnke. Lebensart
und Gebraͤuche fremder Nationen, ſeltſame und wun-
derbare Begebenheiten, beſonders von der Art, wie
den Seefahrern bisweilen begegnen, waͤren ein ſehr
reicher Stoff dazu, und man haͤtte dabey Gelegen-
heit uns nicht nur die Sitten und Lebensart frem-
der Voͤlker, ſondern auch die ſonderbareſten Scenen
der Natur in Laͤndern, die unter einem von dem un-
ſrigen ganz verſchiedenen Himmelsſtrich liegen, vor-
zuſtellen. Jn großen Staͤdten, wo das Schauſpiehl
ein alltaͤglicher Zeitvertreib iſt, wuͤrde dieſe weitere
Ausdaͤhnung des Stoffes den Dichtern die Erfin-
dung neuer Stuͤke ſehr erleichtern.

Zu der zweyten Gattung rechnen wir von den be-
kannten Schauſpiehlen diejenigen, die ſittlichen Un-
terricht und Bildung der Gemuͤther zur Hauptabſicht
haben; die ſo eingerichtet ſind, daß der ganze Plan
auf einen einzigen beſtimmten Punkt eines allgemein
ſittlichen Unterrichts, oder einer beſtimmten allge-
mein leidenſchaftlichen Ruͤhrung, abziehlet. Dieſe
muͤſſen ſo beſchaffen ſeyn, daß unter beſtaͤndiger an-
genehmen Unterhaltung des Zuſchauers, alles auf
den beſondern Zwek den Zuſchauer uͤber einen wich-
tigen Punkt zu unterrichten, oder zu ruͤhren, abzieh-
let. Jn dieſe Claſſe gehoͤren demnach die gewoͤhn-
lichen dramatiſchen Stuͤke, die Comoͤdien und Tra-
goͤdien. Weil ihr Zwek ſchon weit genauer be-
ſtimmt iſt, als in der erſten Gattung, ſo iſt auch
die Erfindung und Wahl des Stoffes und die Be-
handlung deſſelben, hier ſchon mehrern Schwierig-
keiten unterworfen. Es gehoͤret ſchon viel dazu eine
Handlung auszudenken, oder anzuordnen, darin
alles einzele auf den beſondern Zwek des Dichters

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(*) S.
Scene.
(*) S.
Oper.
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[1025[1007]/0454] Scha Scha tel werden, die ſo bekannt oder leichte zu entdeken ſind, daß ich es fuͤr uͤberfluͤßig halte, mich hier- uͤber naͤher einzulaſſen. Es ſcheinet auch, daß Stuͤke, die dieſen Vortheil haben, zu unſern Zei- ten immer gemeiner werden, als ſie ehedem gewe- ſen ſind, da man die bloße Beluſtigung, oder blos uͤberhaupt leidenſchaftliche Erſchuͤtterung der Gemuͤ- ther zum einzigen Augenmerk hatte. Aber es iſt Zeit, daß wir dieſen Punkt verlaſſen, und nun auch die verſchiedenen Gattungen des Schauſpiehles betrachten. Man koͤnnte dreyerley Gattungen deſſelben beſtimmen. Die erſte wuͤrde die blos beluſtigenden und unterhaltenden Schau- ſpiehle begreifen, wobey man gar keine andre Ab- ſicht haͤtte, als den guten Zeitvertreib; die zweyte Gattung koͤnnte aus ſolchen beſtehen, die zwar den aͤußern Schein der bloßen Ergoͤzlichkeit haͤtten, in der That aber auf Unterricht und Bildung der Ge- muͤther abziehlten. Die dritte Gattung endlich wuͤrde aus ſolchen beſtehen, die ein beſonderes Na- tionalintereſſe zum Grunde haͤtten, und nur bey be- ſondern Feyerlichkeiten, auf einen wichtigen ihnen gemaͤßen Zwek abziehlten. Es waͤre darum nuͤzlich, dieſe Gattungen von einander zu unterſcheiden, damit die Dichter alle- mal bey ihrer Arbeit den Charakter der Gattung, die ſie behandeln vor Augen haben koͤnnten, um nicht blos aufs unbeſtimmte zu arbeiten. Ueber- haupt wuͤrde das Weſentliche der erſten Gattung darin beſtehen, daß ſie unterhaltend; der zweyten, daß ſie lehrreich; der dritten, daß ſie national ſeyn muͤßten. Die von der erſten Gattung wuͤrden keine genau beſtimmte Wahl der Materie erfodern, und koͤnn- ten auch in der Ausfuͤhrung in Abſicht auf Plan und Regelmaͤßigkeit weit freyer behandelt werden, als die andern. Von den bekannten Arten der Schauſpiehle koͤnnten verſchiedene zu dieſer Gattung gezaͤhlt werden. Alle Comoͤdien, die blos luſtig ſind, ohne irgend eine beſondere Abſicht zu haben, etwa eine Art der Thorheit, oder irgend einen Cha- rakter zu ſchildern; alle Comoͤdien und Tragoͤdien, die keine Haupthandlung zum Grunde haben, ſon- dern gleichſam aus einzeln, ſchwach zuſammenhan- genden Scenen zuſammengeſezt ſind (*), koͤnnen in dieſe Claſſe gerechnet werden. Auch die meiſten Opern nach der gewoͤhnlichen Art gehoͤren hieher. Denn im Grunde ſind ſie nichts anders, als ſchwach, auch ofte gewaltſam an einander gehengte Scenen, die zum angenehmen Geſang, zu unterhaltenden Aufzuͤgen, zu ſchoͤnen theatraliſchen Mahlereyen ſollten Gelegenheit geben. Dabey kann man, ohne ſich an die ſtrengen Vorſchriften, die wir fuͤr eine hoͤhere Art der Oper gegeben haben (*), zu binden, wenn es auch nicht auf die natuͤrlichſte Weiſe zu- ſammenhaͤngt, alle ſchoͤnen Kuͤnſte zugleich in dieſem Schauſpiehl zum Vergnuͤgen der Zuſchauer zuſam- menrufen. Es waͤre leicht noch eine weit groͤßere Mannig- faltigkeit dieſer Gattung des Schauſpiehles einzufuͤh- ren. Da es blos einen ergoͤzenden Zeitvertreib zum Grunde hat, ſo iſt es gar nicht nothwendig, daß man ſich auf ſittliche, oder leidenſchaftliche Handlun- gen der Menſchen dabey einſchraͤnke. Lebensart und Gebraͤuche fremder Nationen, ſeltſame und wun- derbare Begebenheiten, beſonders von der Art, wie den Seefahrern bisweilen begegnen, waͤren ein ſehr reicher Stoff dazu, und man haͤtte dabey Gelegen- heit uns nicht nur die Sitten und Lebensart frem- der Voͤlker, ſondern auch die ſonderbareſten Scenen der Natur in Laͤndern, die unter einem von dem un- ſrigen ganz verſchiedenen Himmelsſtrich liegen, vor- zuſtellen. Jn großen Staͤdten, wo das Schauſpiehl ein alltaͤglicher Zeitvertreib iſt, wuͤrde dieſe weitere Ausdaͤhnung des Stoffes den Dichtern die Erfin- dung neuer Stuͤke ſehr erleichtern. Zu der zweyten Gattung rechnen wir von den be- kannten Schauſpiehlen diejenigen, die ſittlichen Un- terricht und Bildung der Gemuͤther zur Hauptabſicht haben; die ſo eingerichtet ſind, daß der ganze Plan auf einen einzigen beſtimmten Punkt eines allgemein ſittlichen Unterrichts, oder einer beſtimmten allge- mein leidenſchaftlichen Ruͤhrung, abziehlet. Dieſe muͤſſen ſo beſchaffen ſeyn, daß unter beſtaͤndiger an- genehmen Unterhaltung des Zuſchauers, alles auf den beſondern Zwek den Zuſchauer uͤber einen wich- tigen Punkt zu unterrichten, oder zu ruͤhren, abzieh- let. Jn dieſe Claſſe gehoͤren demnach die gewoͤhn- lichen dramatiſchen Stuͤke, die Comoͤdien und Tra- goͤdien. Weil ihr Zwek ſchon weit genauer be- ſtimmt iſt, als in der erſten Gattung, ſo iſt auch die Erfindung und Wahl des Stoffes und die Be- handlung deſſelben, hier ſchon mehrern Schwierig- keiten unterworfen. Es gehoͤret ſchon viel dazu eine Handlung auszudenken, oder anzuordnen, darin alles einzele auf den beſondern Zwek des Dichters abzieh- (*) S. Scene. (*) S. Oper.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1025[1007]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/454>, abgerufen am 24.11.2024.