heit gefällt, wie die Maschinen, die so verständig eingerichtet sind, daß sie dem Zwek völlig entspre- chen; ingleichem, was durch Wahrheit gefällt, wie ein Beweis, darin die einzelen Begriffe und Säze so verbunden sind, daß eine völlige Ueberzeugung aus ihrer Vereinigung entsteht.
Nun giebt es noch eine dritte Classe der Dinge, die Wolgefallen erweken. Diese liegt zwischen den beyden vorhergehenden so in der Mitte, daß sie etwas von der Art der einen und der andern an sich hat. Die Beschaffenheit der Gegenstände reizt un- sre Aufmerksamkeit; aber ehe wir sie deutlich erken- nen, ehe wir wissen, was die Sachen seyn sollen, empfinden wir ein Wolgefallen daran. Diese Ge- genstände machen unsers Erachtens die Classe des ei- gentlichen Schönen aus.
Eine nähere Betrachtung dessen, was jede dieser drey Classen der Dinge, die uns gefallen, besonde- res und eigenthümliches hat, läßt uns bald folgen- des bemerken 1. Das Gute gefällt uns wegen sei- ner materiellen Beschaffenheit, oder wegen seines Stoffs; der ohne Rüksicht auf seine Form, eine na- türliche Kraft hat, unmittelbar angenehme Empfin- dungen zu erweken. 2. Das Schöne gefällt uns, ohne Rüksicht auf den Werth seines Stoffes, wegen seiner Form, oder Gestalt, die sich den Sinnen oder der Einbildungskraft angenehm darstellt, ob sie gleich sonst nichts an sich hat, das den Gegenstand in an- dern Absichten brauchbar machte. 3. Das Voll- kommene gefällt weder durch seine Materie, noch durch seine äußerliche Form, sondern durch seine innere Einrichtung, wodurch es, ein Jnstrument, oder Mittel wird, irgend einen Endzwek zu erreichen. Wir können uns diese dreyfache Beschaffenheit an einem Diamant vereiniget vorstellen. Nach seinem Werth im Handel, gehört er in die Classe des Gu- ten; nach seinem Glanz und dem Feuer der Farben die darin spiehlen, in die Classe des Schönen; nach seiner Härte und Unzerstörbarkeit in die Classe des Vollkommenen.
Es ist aber hier der Ort nicht diese drey Classen der Dinge, die Gefallen erweken, näher zu betrach- ten, und das, was jede von der andern unterschei- det, genau anzuzeigen. Nur den eigentlichen Cha- rakter des Schönen haben wir hier näher zu ent- wikeln.
Einige Philosophen haben gelehret, die Schön- heit sey nichts anders, als Vollkommenheit, in so [Spaltenumbruch]
Schö
fern sie nicht deutlich eingesehen, sondern nur klar, aber völlig verwikelt gefühlt werde. Aber diese Er- klärung ist nicht allgemein wahr. Es giebt, wie wir hernach sehen werden, eine Schönheit, die diesen Charakter hat; aber nicht alles Schöne ist von die- ser Art. Die Vollkommenheit einer Sache läßt sich weder deutlich erkennen, noch undeutlich fühlen, wenn man nicht entweder bestimmt weiß, oder doch mit einiger Klarheit fühlet, was die Sache seyn soll. Dieses ist aus dem Begriff der Vollkommenheit klar. (*) Nun giebt es unzählige Dinge, die wir Schön nennen, ob wir gleich nicht den geringsten Begriff von ihrer Bestimmung haben, und weder erkennen, noch fühlen, was sie eigentlich seyn sollen. Doch könnte man sagen, das Schöne sey die Voll- kommenheit der äußern Form, oder Gestalt. Ob wir nun gleich die besondern Gestalten, als der Thiere und Pflanzen, nicht nach der jeder eigenen Vollkommenheit beurtheilen können, da wir das be- sondere Jdeal, was jede seyn soll, nicht besizen; so wissen wir doch überhaupt, daß die mannigfaltigen Theile, in ein wolgeordnetes Ganze sollten vereini- get werden, und in so fern haben wir einen allge- meinen Begriff von Vollkommenheit der Form.
Nach diesen vorläufigen Erläuterungen, wollen wir versuchen, den Begriff des eigentlichen Schö- nen, so viel uns möglich seyn wird, zu entwikeln. Es intereßirt also durch seine Form, blos in so fern sich dieselbe den Sinnen, oder der Einbildungskraft angenehm darstellt, ohne Rüksicht auf seinen Stoff, oder auf seine mechanische Beschaffenheit, nach der es, als ein zu gewissem Gebrauch bestimmtes Jnstru- ment angesehen wird. Für den Eigennüzigen ist Schönheit nichts; weil man sie durch bloßes An- schauen genießt; für den speculativen Kopf, ist sie etwas sehr geringes, weil ihre Beschaffenheit nicht deutlich kann erkennt werden. Der Liebhaber des Schönen steht zwischen dem blos Materiellen, ganz sinnlichen Menschen, und dem, der blos Geist und Verstand ist, in der Mitte. An diesen gränzt er wegen des Wolgefallens, das er an Speculationen der Einbildungskraft hat, und an jenen, weil er lüstern ist, nach feinern Reizungen der Phantasie.
Aber wie muß jene Form, wodurch das Schöne gefällt, beschaffen seyn? Auch in Ansehung dieser liegt das Schöne dergestalt zwischen dem Guten und dem Vollkommenen, daß es an beyde gränzet. Ein Theil seines Werthes, wird durch unmittelbares aber
feiners
(*) S. Vollkom- menheit.
[Spaltenumbruch]
Schoͤ
heit gefaͤllt, wie die Maſchinen, die ſo verſtaͤndig eingerichtet ſind, daß ſie dem Zwek voͤllig entſpre- chen; ingleichem, was durch Wahrheit gefaͤllt, wie ein Beweis, darin die einzelen Begriffe und Saͤze ſo verbunden ſind, daß eine voͤllige Ueberzeugung aus ihrer Vereinigung entſteht.
Nun giebt es noch eine dritte Claſſe der Dinge, die Wolgefallen erweken. Dieſe liegt zwiſchen den beyden vorhergehenden ſo in der Mitte, daß ſie etwas von der Art der einen und der andern an ſich hat. Die Beſchaffenheit der Gegenſtaͤnde reizt un- ſre Aufmerkſamkeit; aber ehe wir ſie deutlich erken- nen, ehe wir wiſſen, was die Sachen ſeyn ſollen, empfinden wir ein Wolgefallen daran. Dieſe Ge- genſtaͤnde machen unſers Erachtens die Claſſe des ei- gentlichen Schoͤnen aus.
Eine naͤhere Betrachtung deſſen, was jede dieſer drey Claſſen der Dinge, die uns gefallen, beſonde- res und eigenthuͤmliches hat, laͤßt uns bald folgen- des bemerken 1. Das Gute gefaͤllt uns wegen ſei- ner materiellen Beſchaffenheit, oder wegen ſeines Stoffs; der ohne Ruͤkſicht auf ſeine Form, eine na- tuͤrliche Kraft hat, unmittelbar angenehme Empfin- dungen zu erweken. 2. Das Schoͤne gefaͤllt uns, ohne Ruͤkſicht auf den Werth ſeines Stoffes, wegen ſeiner Form, oder Geſtalt, die ſich den Sinnen oder der Einbildungskraft angenehm darſtellt, ob ſie gleich ſonſt nichts an ſich hat, das den Gegenſtand in an- dern Abſichten brauchbar machte. 3. Das Voll- kommene gefaͤllt weder durch ſeine Materie, noch durch ſeine aͤußerliche Form, ſondern durch ſeine innere Einrichtung, wodurch es, ein Jnſtrument, oder Mittel wird, irgend einen Endzwek zu erreichen. Wir koͤnnen uns dieſe dreyfache Beſchaffenheit an einem Diamant vereiniget vorſtellen. Nach ſeinem Werth im Handel, gehoͤrt er in die Claſſe des Gu- ten; nach ſeinem Glanz und dem Feuer der Farben die darin ſpiehlen, in die Claſſe des Schoͤnen; nach ſeiner Haͤrte und Unzerſtoͤrbarkeit in die Claſſe des Vollkommenen.
Es iſt aber hier der Ort nicht dieſe drey Claſſen der Dinge, die Gefallen erweken, naͤher zu betrach- ten, und das, was jede von der andern unterſchei- det, genau anzuzeigen. Nur den eigentlichen Cha- rakter des Schoͤnen haben wir hier naͤher zu ent- wikeln.
Einige Philoſophen haben gelehret, die Schoͤn- heit ſey nichts anders, als Vollkommenheit, in ſo [Spaltenumbruch]
Schoͤ
fern ſie nicht deutlich eingeſehen, ſondern nur klar, aber voͤllig verwikelt gefuͤhlt werde. Aber dieſe Er- klaͤrung iſt nicht allgemein wahr. Es giebt, wie wir hernach ſehen werden, eine Schoͤnheit, die dieſen Charakter hat; aber nicht alles Schoͤne iſt von die- ſer Art. Die Vollkommenheit einer Sache laͤßt ſich weder deutlich erkennen, noch undeutlich fuͤhlen, wenn man nicht entweder beſtimmt weiß, oder doch mit einiger Klarheit fuͤhlet, was die Sache ſeyn ſoll. Dieſes iſt aus dem Begriff der Vollkommenheit klar. (*) Nun giebt es unzaͤhlige Dinge, die wir Schoͤn nennen, ob wir gleich nicht den geringſten Begriff von ihrer Beſtimmung haben, und weder erkennen, noch fuͤhlen, was ſie eigentlich ſeyn ſollen. Doch koͤnnte man ſagen, das Schoͤne ſey die Voll- kommenheit der aͤußern Form, oder Geſtalt. Ob wir nun gleich die beſondern Geſtalten, als der Thiere und Pflanzen, nicht nach der jeder eigenen Vollkommenheit beurtheilen koͤnnen, da wir das be- ſondere Jdeal, was jede ſeyn ſoll, nicht beſizen; ſo wiſſen wir doch uͤberhaupt, daß die mannigfaltigen Theile, in ein wolgeordnetes Ganze ſollten vereini- get werden, und in ſo fern haben wir einen allge- meinen Begriff von Vollkommenheit der Form.
Nach dieſen vorlaͤufigen Erlaͤuterungen, wollen wir verſuchen, den Begriff des eigentlichen Schoͤ- nen, ſo viel uns moͤglich ſeyn wird, zu entwikeln. Es intereßirt alſo durch ſeine Form, blos in ſo fern ſich dieſelbe den Sinnen, oder der Einbildungskraft angenehm darſtellt, ohne Ruͤkſicht auf ſeinen Stoff, oder auf ſeine mechaniſche Beſchaffenheit, nach der es, als ein zu gewiſſem Gebrauch beſtimmtes Jnſtru- ment angeſehen wird. Fuͤr den Eigennuͤzigen iſt Schoͤnheit nichts; weil man ſie durch bloßes An- ſchauen genießt; fuͤr den ſpeculativen Kopf, iſt ſie etwas ſehr geringes, weil ihre Beſchaffenheit nicht deutlich kann erkennt werden. Der Liebhaber des Schoͤnen ſteht zwiſchen dem blos Materiellen, ganz ſinnlichen Menſchen, und dem, der blos Geiſt und Verſtand iſt, in der Mitte. An dieſen graͤnzt er wegen des Wolgefallens, das er an Speculationen der Einbildungskraft hat, und an jenen, weil er luͤſtern iſt, nach feinern Reizungen der Phantaſie.
Aber wie muß jene Form, wodurch das Schoͤne gefaͤllt, beſchaffen ſeyn? Auch in Anſehung dieſer liegt das Schoͤne dergeſtalt zwiſchen dem Guten und dem Vollkommenen, daß es an beyde graͤnzet. Ein Theil ſeines Werthes, wird durch unmittelbares aber
feiners
(*) S. Vollkom- menheit.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0467"n="1038[1020]"/><cb/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Schoͤ</hi></fw><lb/>
heit gefaͤllt, wie die Maſchinen, die ſo verſtaͤndig<lb/>
eingerichtet ſind, daß ſie dem Zwek voͤllig entſpre-<lb/>
chen; ingleichem, was durch Wahrheit gefaͤllt, wie<lb/>
ein Beweis, darin die einzelen Begriffe und Saͤze<lb/>ſo verbunden ſind, daß eine voͤllige Ueberzeugung<lb/>
aus ihrer Vereinigung entſteht.</p><lb/><p>Nun giebt es noch eine dritte Claſſe der Dinge,<lb/>
die Wolgefallen erweken. Dieſe liegt zwiſchen den<lb/>
beyden vorhergehenden ſo in der Mitte, daß ſie<lb/>
etwas von der Art der einen und der andern an ſich<lb/>
hat. Die Beſchaffenheit der Gegenſtaͤnde reizt un-<lb/>ſre Aufmerkſamkeit; aber ehe wir ſie deutlich erken-<lb/>
nen, ehe wir wiſſen, was die Sachen ſeyn ſollen,<lb/>
empfinden wir ein Wolgefallen daran. Dieſe Ge-<lb/>
genſtaͤnde machen unſers Erachtens die Claſſe des ei-<lb/>
gentlichen Schoͤnen aus.</p><lb/><p>Eine naͤhere Betrachtung deſſen, was jede dieſer<lb/>
drey Claſſen der Dinge, die uns gefallen, beſonde-<lb/>
res und eigenthuͤmliches hat, laͤßt uns bald folgen-<lb/>
des bemerken 1. Das <hirendition="#fr">Gute</hi> gefaͤllt uns wegen ſei-<lb/>
ner materiellen Beſchaffenheit, oder wegen ſeines<lb/>
Stoffs; der ohne Ruͤkſicht auf ſeine Form, eine na-<lb/>
tuͤrliche Kraft hat, unmittelbar angenehme Empfin-<lb/>
dungen zu erweken. 2. Das <hirendition="#fr">Schoͤne</hi> gefaͤllt uns,<lb/>
ohne Ruͤkſicht auf den Werth ſeines Stoffes, wegen<lb/>ſeiner Form, oder Geſtalt, die ſich den Sinnen oder<lb/>
der Einbildungskraft angenehm darſtellt, ob ſie gleich<lb/>ſonſt nichts an ſich hat, das den Gegenſtand in an-<lb/>
dern Abſichten brauchbar machte. 3. Das <hirendition="#fr">Voll-<lb/>
kommene</hi> gefaͤllt weder durch ſeine Materie, noch<lb/>
durch ſeine aͤußerliche Form, ſondern durch ſeine<lb/>
innere Einrichtung, wodurch es, ein Jnſtrument,<lb/>
oder Mittel wird, irgend einen Endzwek zu erreichen.<lb/>
Wir koͤnnen uns dieſe dreyfache Beſchaffenheit an<lb/>
einem Diamant vereiniget vorſtellen. Nach ſeinem<lb/>
Werth im Handel, gehoͤrt er in die Claſſe des Gu-<lb/>
ten; nach ſeinem Glanz und dem Feuer der Farben<lb/>
die darin ſpiehlen, in die Claſſe des Schoͤnen; nach<lb/>ſeiner Haͤrte und Unzerſtoͤrbarkeit in die Claſſe des<lb/>
Vollkommenen.</p><lb/><p>Es iſt aber hier der Ort nicht dieſe drey Claſſen<lb/>
der Dinge, die Gefallen erweken, naͤher zu betrach-<lb/>
ten, und das, was jede von der andern unterſchei-<lb/>
det, genau anzuzeigen. Nur den eigentlichen Cha-<lb/>
rakter des Schoͤnen haben wir hier naͤher zu ent-<lb/>
wikeln.</p><lb/><p>Einige Philoſophen haben gelehret, die Schoͤn-<lb/>
heit ſey nichts anders, als Vollkommenheit, in ſo<lb/><cb/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Schoͤ</hi></fw><lb/>
fern ſie nicht deutlich eingeſehen, ſondern nur klar,<lb/>
aber voͤllig verwikelt gefuͤhlt werde. Aber dieſe Er-<lb/>
klaͤrung iſt nicht allgemein wahr. Es giebt, wie wir<lb/>
hernach ſehen werden, eine Schoͤnheit, die dieſen<lb/>
Charakter hat; aber nicht alles Schoͤne iſt von die-<lb/>ſer Art. Die Vollkommenheit einer Sache laͤßt ſich<lb/>
weder deutlich erkennen, noch undeutlich fuͤhlen, wenn<lb/>
man nicht entweder beſtimmt weiß, oder doch mit<lb/>
einiger Klarheit fuͤhlet, was die Sache ſeyn ſoll.<lb/>
Dieſes iſt aus dem Begriff der Vollkommenheit<lb/>
klar. <noteplace="foot"n="(*)">S.<lb/>
Vollkom-<lb/>
menheit.</note> Nun giebt es unzaͤhlige Dinge, die wir<lb/>
Schoͤn nennen, ob wir gleich nicht den geringſten<lb/>
Begriff von ihrer Beſtimmung haben, und weder<lb/>
erkennen, noch fuͤhlen, was ſie eigentlich ſeyn ſollen.<lb/>
Doch koͤnnte man ſagen, das Schoͤne ſey die Voll-<lb/>
kommenheit der aͤußern Form, oder Geſtalt. Ob<lb/>
wir nun gleich die beſondern Geſtalten, als der<lb/>
Thiere und Pflanzen, nicht nach der jeder eigenen<lb/>
Vollkommenheit beurtheilen koͤnnen, da wir das be-<lb/>ſondere Jdeal, was jede ſeyn ſoll, nicht beſizen; ſo<lb/>
wiſſen wir doch uͤberhaupt, daß die mannigfaltigen<lb/>
Theile, in ein wolgeordnetes Ganze ſollten vereini-<lb/>
get werden, und in ſo fern haben wir einen allge-<lb/>
meinen Begriff von Vollkommenheit der Form.</p><lb/><p>Nach dieſen vorlaͤufigen Erlaͤuterungen, wollen<lb/>
wir verſuchen, den Begriff des eigentlichen Schoͤ-<lb/>
nen, ſo viel uns moͤglich ſeyn wird, zu entwikeln.<lb/>
Es intereßirt alſo durch ſeine Form, blos in ſo fern<lb/>ſich dieſelbe den Sinnen, oder der Einbildungskraft<lb/>
angenehm darſtellt, ohne Ruͤkſicht auf ſeinen Stoff,<lb/>
oder auf ſeine mechaniſche Beſchaffenheit, nach der<lb/>
es, als ein zu gewiſſem Gebrauch beſtimmtes Jnſtru-<lb/>
ment angeſehen wird. Fuͤr den Eigennuͤzigen iſt<lb/>
Schoͤnheit nichts; weil man ſie durch bloßes An-<lb/>ſchauen genießt; fuͤr den ſpeculativen Kopf, iſt ſie<lb/>
etwas ſehr geringes, weil ihre Beſchaffenheit nicht<lb/>
deutlich kann erkennt werden. Der Liebhaber des<lb/>
Schoͤnen ſteht zwiſchen dem blos Materiellen, ganz<lb/>ſinnlichen Menſchen, und dem, der blos Geiſt und<lb/>
Verſtand iſt, in der Mitte. An dieſen graͤnzt er<lb/>
wegen des Wolgefallens, das er an Speculationen<lb/>
der Einbildungskraft hat, und an jenen, weil er<lb/>
luͤſtern iſt, nach feinern Reizungen der Phantaſie.</p><lb/><p>Aber wie muß jene Form, wodurch das Schoͤne<lb/>
gefaͤllt, beſchaffen ſeyn? Auch in Anſehung dieſer<lb/>
liegt das Schoͤne dergeſtalt zwiſchen dem Guten und<lb/>
dem Vollkommenen, daß es an beyde graͤnzet. Ein<lb/>
Theil ſeines Werthes, wird durch unmittelbares aber<lb/><fwplace="bottom"type="catch">feiners</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[1038[1020]/0467]
Schoͤ
Schoͤ
heit gefaͤllt, wie die Maſchinen, die ſo verſtaͤndig
eingerichtet ſind, daß ſie dem Zwek voͤllig entſpre-
chen; ingleichem, was durch Wahrheit gefaͤllt, wie
ein Beweis, darin die einzelen Begriffe und Saͤze
ſo verbunden ſind, daß eine voͤllige Ueberzeugung
aus ihrer Vereinigung entſteht.
Nun giebt es noch eine dritte Claſſe der Dinge,
die Wolgefallen erweken. Dieſe liegt zwiſchen den
beyden vorhergehenden ſo in der Mitte, daß ſie
etwas von der Art der einen und der andern an ſich
hat. Die Beſchaffenheit der Gegenſtaͤnde reizt un-
ſre Aufmerkſamkeit; aber ehe wir ſie deutlich erken-
nen, ehe wir wiſſen, was die Sachen ſeyn ſollen,
empfinden wir ein Wolgefallen daran. Dieſe Ge-
genſtaͤnde machen unſers Erachtens die Claſſe des ei-
gentlichen Schoͤnen aus.
Eine naͤhere Betrachtung deſſen, was jede dieſer
drey Claſſen der Dinge, die uns gefallen, beſonde-
res und eigenthuͤmliches hat, laͤßt uns bald folgen-
des bemerken 1. Das Gute gefaͤllt uns wegen ſei-
ner materiellen Beſchaffenheit, oder wegen ſeines
Stoffs; der ohne Ruͤkſicht auf ſeine Form, eine na-
tuͤrliche Kraft hat, unmittelbar angenehme Empfin-
dungen zu erweken. 2. Das Schoͤne gefaͤllt uns,
ohne Ruͤkſicht auf den Werth ſeines Stoffes, wegen
ſeiner Form, oder Geſtalt, die ſich den Sinnen oder
der Einbildungskraft angenehm darſtellt, ob ſie gleich
ſonſt nichts an ſich hat, das den Gegenſtand in an-
dern Abſichten brauchbar machte. 3. Das Voll-
kommene gefaͤllt weder durch ſeine Materie, noch
durch ſeine aͤußerliche Form, ſondern durch ſeine
innere Einrichtung, wodurch es, ein Jnſtrument,
oder Mittel wird, irgend einen Endzwek zu erreichen.
Wir koͤnnen uns dieſe dreyfache Beſchaffenheit an
einem Diamant vereiniget vorſtellen. Nach ſeinem
Werth im Handel, gehoͤrt er in die Claſſe des Gu-
ten; nach ſeinem Glanz und dem Feuer der Farben
die darin ſpiehlen, in die Claſſe des Schoͤnen; nach
ſeiner Haͤrte und Unzerſtoͤrbarkeit in die Claſſe des
Vollkommenen.
Es iſt aber hier der Ort nicht dieſe drey Claſſen
der Dinge, die Gefallen erweken, naͤher zu betrach-
ten, und das, was jede von der andern unterſchei-
det, genau anzuzeigen. Nur den eigentlichen Cha-
rakter des Schoͤnen haben wir hier naͤher zu ent-
wikeln.
Einige Philoſophen haben gelehret, die Schoͤn-
heit ſey nichts anders, als Vollkommenheit, in ſo
fern ſie nicht deutlich eingeſehen, ſondern nur klar,
aber voͤllig verwikelt gefuͤhlt werde. Aber dieſe Er-
klaͤrung iſt nicht allgemein wahr. Es giebt, wie wir
hernach ſehen werden, eine Schoͤnheit, die dieſen
Charakter hat; aber nicht alles Schoͤne iſt von die-
ſer Art. Die Vollkommenheit einer Sache laͤßt ſich
weder deutlich erkennen, noch undeutlich fuͤhlen, wenn
man nicht entweder beſtimmt weiß, oder doch mit
einiger Klarheit fuͤhlet, was die Sache ſeyn ſoll.
Dieſes iſt aus dem Begriff der Vollkommenheit
klar. (*) Nun giebt es unzaͤhlige Dinge, die wir
Schoͤn nennen, ob wir gleich nicht den geringſten
Begriff von ihrer Beſtimmung haben, und weder
erkennen, noch fuͤhlen, was ſie eigentlich ſeyn ſollen.
Doch koͤnnte man ſagen, das Schoͤne ſey die Voll-
kommenheit der aͤußern Form, oder Geſtalt. Ob
wir nun gleich die beſondern Geſtalten, als der
Thiere und Pflanzen, nicht nach der jeder eigenen
Vollkommenheit beurtheilen koͤnnen, da wir das be-
ſondere Jdeal, was jede ſeyn ſoll, nicht beſizen; ſo
wiſſen wir doch uͤberhaupt, daß die mannigfaltigen
Theile, in ein wolgeordnetes Ganze ſollten vereini-
get werden, und in ſo fern haben wir einen allge-
meinen Begriff von Vollkommenheit der Form.
Nach dieſen vorlaͤufigen Erlaͤuterungen, wollen
wir verſuchen, den Begriff des eigentlichen Schoͤ-
nen, ſo viel uns moͤglich ſeyn wird, zu entwikeln.
Es intereßirt alſo durch ſeine Form, blos in ſo fern
ſich dieſelbe den Sinnen, oder der Einbildungskraft
angenehm darſtellt, ohne Ruͤkſicht auf ſeinen Stoff,
oder auf ſeine mechaniſche Beſchaffenheit, nach der
es, als ein zu gewiſſem Gebrauch beſtimmtes Jnſtru-
ment angeſehen wird. Fuͤr den Eigennuͤzigen iſt
Schoͤnheit nichts; weil man ſie durch bloßes An-
ſchauen genießt; fuͤr den ſpeculativen Kopf, iſt ſie
etwas ſehr geringes, weil ihre Beſchaffenheit nicht
deutlich kann erkennt werden. Der Liebhaber des
Schoͤnen ſteht zwiſchen dem blos Materiellen, ganz
ſinnlichen Menſchen, und dem, der blos Geiſt und
Verſtand iſt, in der Mitte. An dieſen graͤnzt er
wegen des Wolgefallens, das er an Speculationen
der Einbildungskraft hat, und an jenen, weil er
luͤſtern iſt, nach feinern Reizungen der Phantaſie.
Aber wie muß jene Form, wodurch das Schoͤne
gefaͤllt, beſchaffen ſeyn? Auch in Anſehung dieſer
liegt das Schoͤne dergeſtalt zwiſchen dem Guten und
dem Vollkommenen, daß es an beyde graͤnzet. Ein
Theil ſeines Werthes, wird durch unmittelbares aber
feiners
(*) S.
Vollkom-
menheit.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1038[1020]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/467>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.